Tracking von Infizierten – Mit Fortschreiten der Coronavirus Epidemie gewinnt eine zweite Strategie an Bedeutung: mit dem Coronavirus infizierte Menschen erfassen und ihre Kontakte aufspüren. Ziel: weitere Infektionen zu verhindern und Quarantäne durchzusetzen (vgl. Corona Quarantäne App) und zu überwachen. Wie könnte ein Tracking vorgenommen werden? Und kann ein Coronavirus Tracking von Infizierten überhaupt konform mit Grundrechten erfolgen, und wenn ja wie?
Freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie Ausgangssperren und Kontaktverbote werden sich in der Bekämpfung der Coronavirus Epidemie nicht auf Dauer aufrecht erhalten lassen. In der Folge wird neben großflächigen Tests vor allem das Unterbrechen von Infektionsketten an Bedeutung gewinnen.
Hier kommt das contact tracing (früher: Umgebungsuntersuchung) ins Spiel. Das Ziel: möglichst jede mit dem Coronavirus infizierte Person finden ( -> massive Ausweitung von Test), und dann die Übertragung auf andere Personen verhindern.
contact tracing
Um die Übertragung des Coronavirus von einer infizierten Person (Index–Person) auf andere zu verhindern oder zu begrenzen, wird beim contact tracing vesucht, alle Personen zu ermitteln, die mit der Index-Person (infektionsrelevanten) Kontakt hatten, um diese zu informieren, zu beraten und zu testen und im Bedarfsfall zu behandeln.
contact tracing ist ein seit langem etabliertes Verfahren und z.B,. bei Tuberkulose eingesetzt. Dennoch ist die Methode nicht unumstritten (z.B. bei sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten wie HIV u.a. wegen Rückschlüssen auf Sexualverhalten und -Partner).
contact tracing per Handyüberwachung
Niemand weiß theoretisch besser, wo wir uns aufhalten und mit wem wir wie engen Kontakt haben als unser Handy (im Idealfall des Epidemiologen: das Smartphone). Es kennt unseren Standort, weiß oft auch mit wem wir uns wann und wo treffen, wie wir uns wann wo bewegen, und wer alles zu unseren Kontakten gehört.
Daten, die Epidemiologen zu gerne nutzen würden – unter anderem für contact tracing um Infektionsketten aufzuspüren und zu unterbrechen. Coronavirus Infizierte überwachen ?
Doch – diese Daten gehören in den sensibelsten Bereich unserer Privatsphäre und sind durch Grundrechte geschützt, bis hin zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
„Wenn es darum geht, flächendeckend Bewegungsprofile zu erstellen und auszuwerten, dann ist für mich die Grenze des Zulässigen überschritten.“
Hans-Jürgen papier, 2002 – 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, am 2.4.2020 in der SZ
contact tracing per Handyüberwachung und das Grundrechte-Problem
Handyüberwachung und Bewegungsprofile eines Mobilfunknutzers – dazu bedarf es letztlich zunächst nur seines Standort.
contact tracing per Funkzellenabfrage
Der Standort des Handys ist leicht zu ermitteln aus der Funkzelle bzw. dem Standort des Mobilfunkmasts, an dem das Handy ins Netz eingebucht ist (Triangulation dreier Masten).
Vorteile: Diese Daten hat der Mobilfunkanbieter betriebsbedingt verfügbar. Funktioniert selbst bei einfachsten Handys die kein Smartphone sind, die kein GPS haben.
Nachteile: hohe Ungenauigkeit (Funkzellen können einen Durchmesser von mehreren Kilometern haben), keine genaue Standortermittlung möglich. Verfassungsrechtlich höchst problematisch.
contact tracing per GPS (Galileo, Glonass, Beidou etc.)
Moderne Handys (Smartphones) haben in der Regel Ortung (GPS, Galileo etc.). Standort und Bewegungsprofil lassen sich hieraus einfach ermitteln.
Vorteil: Daten breit vorhanden. Präzisere Standortdaten als bei Funkzellen-Abfrage.
Nachteile: Daten nicht beim Provider vorhanden, sondern beim Mobilfunknutzer. In Gebäuden und Ballungsräumen vergleichsweise ungenau bis nutzlos. Verfassungsrechtlich höchst problematisch.
contact tracing per Bluetooth
In der Öffentlichkeit weniger bekannt doch in diversen Einsatzbereichen angedacht oder in Erprobung: Standortermittlung oder Mikro-Ortung per Bluetooth. Im Einzelhandel könnten so z.B. Kunden zur beworbene Ware dirigiert werden. Bluetooth kann Daten nur über kurze Distanzen übermitteln.
Vorteil: Technik breit verfügbar, in nahezu jedem Smartphone vorhanden (deaktivierbar).
Nachteil: Nur Datenübermittlung über kurze Distanz.
Grundsätzlich werfen alle contact tracing Verfahren große Probleme bei Datenschutz und Grundrechten auf.
„Bisher fehlt jeder Nachweis, dass die individuellen Standortdaten der Mobilfunkanbieter einen Beitrag leisten könnten, Kontaktpersonen zu ermitteln, dafür sind diese viel zu ungenau.“
Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für Datenschutz, Tweet 22.3.2020
Zu den datenschutzrechtlichen Fragen zählen auch:
- Ist die Anwendung angemessen, verhältnismäßig und so datensparsam wie möglich?
- Werden personenbezogene Daten gespeichert? Wo (dezentral? zentral?)?
- Wer hat mit welcher rechtlichen Grundlage Zugriff auf die Daten?
- Sind die Daten anonymisiert? Und nicht re-personalisierbar?
- Was geschieht mit den Daten nach der Epidemie?
- Hat die Befugnis (Gesetz, Verordnung) eine streng begrenzte Gültigkeit?
- Wie wird sichergestellt dass eine als Ausnahme eingeführte Überwachungsmöglichkeit nicht die Regel wird, nicht dauerhaft genutzt wird?
Die Datenschutz- und Grundrechte- Probleme versucht die Singapur Coronavirus Tracking App zu umschiffen. Sie ermittelt nicht (über GPS oder Funkzellen) einen absoluten Standort, sondern ’nur‘ relativ, welche anderen Handys in der Nähe sind (und damit: welche Kontakte der Nutzer hat. Diese Daten werden verschlüsselt gespeichert. Bewegungsprofile werden nicht erstellt, sondenr nur relative Distanzdaten.
Erst falls der Nutzer mit dem Coronavirus infiziert ist (Indexperson), werden die Daten an contact tracer bei den Gesundheitsbehörden übermittelt und entschlüsselt. Anschließend werden daraus die Kontaktpersonen dieser Indexpersonen ermittelt, informiert und getestet. Indexperson und infizierte Kontaktpersonen müssen in Quarantäne.
Auch dieses contact tracing Verfahren arbeitet mit Standortdaten, Bewegungsprofilen und weiteren persönlichen Daten. Und wirft damit grundrechtlich gravierende Fragen auf.
Es sei denn, es wird auf freiwilliger Basis eingesetzt …
Freiwilligkeit als Ausweg?
In Singapur wird seit 20. März mit der Singapur Coronavirus Tracking App gearbeitet. Ihre Verwendung ist freiwillig, wird staatlicherseits aber dringend empfohlen.
Auch das Robert-Koch-Institut arbeitet gemeinsam mit einem Fraunhofer Institut an einer Tracking App – die ebenfalls auf ‚Freiwilligkeit‘ setzt.
Und Bundesjustizministerin Lambrecht äußerte am 31. März, sie halte den Einsatz einer Tracking App für denkbar – anonymisiert, und wenn dieser denn auf Freiwilligkeit beruhe.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert, eine solche App müsse „freiwillig, geeignet, nötig, verhältnismäßig und zeitlich befristet sein“.
Freiwilligkeit als Lösungsstrategie für grundrechtliche Probleme?
Wie viel Freiwilligkwit ist möglich? Gerade in Zeiten einer Epidemie? Bei sozialem Druck, shaming & blaming etc.?
Und spätestens wenn die Verwendung einer solchen contact tracing App mit Incentives ‚belohnt‘ würde (Ausgangsbeschänkungen unter Auflagen reduziert z.B. per ‚Immunitätsausweis‚), wäre es mit der Freiwilligkeit nicht weit her …
Tracking als Ausweg aus Ausgangssperren ?
Ausgangssperren werden sich nicht dauerhaft aufrecht erhalten lassen. Und sind zunehmend nicht für alle begründbar. Wer bereits infiziert war und immun ist – warum sollte der noch Ausgangssperren befolgen? (1)
Je mehr Infizierte ermittelt und isoliert, Infektionsketten unterbrochen werden können, desto leichter könnten Ausgangsbeschränkungen gelockert werden – ist ein Denkmodell.
Weitere Möglichkeit: eine App könnte auch genutzt werden, um auszuweisen dass der Besitzer immun ist. Und dies anzeigen, um so z.B. mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen …
„FDP- Politiker Frank Sitta (Fraktions- Vizevorsitzender) schlägt genau dies schon vor: „Nachweislich immunisierte Personen könnten sich dann zum Beispiel auf ihrem Handy ausweisen, womit ihnen auch die Bewegungsfreiheit in sensibleren Gebieten gewährt werden könnte“
Frank Sitta, FDP
Womit die Frage Coronavirus und Stigma auch wieder auf der Tagesordnung wäre …
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Die Frage ist also vielleicht: Ist der Einsatz einer Coronavirus Tracking App tertretbar, und unter welchen Bedingungen?
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(1) Eine Immunität nach erfolgreich überstandener Infektion mit Sars-CoV-2 gilt Virologen als sehr wahrscheinlich. dass eine Immunantowrt erfolge, sei nachgewiesen, ihre Dauer sei hingegen bisher nicht bekannt. Ein verlässlicher Antikörper-Test befindet sich noch in der Entwicklung.
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Robert Koch Institut: Kontaktpersonennachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2
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Dank an Frank und an Jan für Anregungen !