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Berlin

Gezi Park Solidarität * Taksim ist überall * Her Yer Taksim – Berlin 16.6.2013 Fotos

Solidarität mit den Demonstranten von Taksim Platz und Gezi Park in Istanbul

Tausende Menschen demonstrierten in Berlin am 16. Juni 2013 (Kottbusser Tor zur Botschaft der Türkei / Tiergartenstr.) in Solidarität mit den Demonstranten von Taksim Platz und Gezi-Park

Tausende Demonstranten auf der Rudi-Dutschke-Strasse
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Kulturelles

rue Hervé Guibert Strasse in Paris beschlossen

Paris wird eine Hervé Guibert Straße erhalten. Die rue Hervé Guibert hat der Stadtrat von Paris am 11. Juni 2013 beschlossen.

Die Straße, die im Rahmen einer Neubebauung neu angelegt wird, befindet sich im 14. Arrondissment nahe dem Hopital Broussais.

Der Schriftsteller und Aktivist Hervé Guibert wurde insbesondere bekannt durch sein Buch À l’ami qui ne m’a pas sauvé la vie (1990; deutsch 1991 Dem Freund der mir das Leben nicht gerettet hat), in dem er über sein Leben mit HIV schreibt, und über das Sterben seines Freundes, des Philosophen Michel Foucault (im Buch: Muzil), den er 1977 kennenlernte („Guibert war vielleicht der beste Freund Foucaults„, Edmund White). Foucault starb am 25. Juni 19984 an den Folgen von Aids, er hatte zeit seines Lebens seine HIV-Infektion und Aids-Erkrankung verschwiegen.

Hervé Guibert wurde am 14. Dezember 1955 in Saint-Cloud (nahe Paris) geboren. 1977 veröffentlichte er sein erstes Werk La Mort propagande. Auch in Le Protocole compassionel (1991; deutsch 1992 Mitleidsprotokoll) behandelte Guibert intensiv das Leben mit HIV. Guibert arbeitete (in Deutschland weniger bekannt) sehr erfolgreich auch als Photograph, setzte sich auch hier mit dem Leben mit HIV aus einander.

Hervé Guibert, der 1988 von seiner Aids-Erkrankung erfuhr, starb am 27. Dezember 1991 in Clamart an den Folgen eines Selbstmordversuchs. Er ist auf Elba beigesetzt.

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Mairie de Paris: Attribution à une voie de la dénomination “rue Hervé Guibert” (14e) (pdf)

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Zum Verhältnis Foucault – Guibert lesenswert: Foucault et Hervé Guibert, le compagnon d’agonie

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HIV/Aids

ACT UP Köln – Ullis ACT UP Erinnerungen 3

 ACT UP Köln war ab 1990 Teil der deutschen ACT UP Gruppen, führte eigene lokale Aktionen durch und beteiligte sich an Deutschland-weiten ACT UP Aktionen.

Dies ist der dritte Teil der Mini-Serie Ullis ACT UP Erinnerungen. Im ersten Teil habe ich über die Entstehung von ACT UP in Deutschland geschrieben, im zweiten Teil über ACT UP in Deutschland.

ACT UP Köln bzw. zeitweise ACT UP Köln/Bonn wurde im März 1990 gegründet, von einem kleinen Kreis überwiegend HIV-positiver Menschen im Anschluss an eine spontanen größeren Aktion:

ACT UP Köln – Gründung

Jean Claude Letist, Schwulen-Aktivist und Doyen der Kölner Schwulenbewegung, war am 28. Februar 1990 an den Folgen von Aids gestorben. Das lokale (beinahe Monopol-) Medienorgan weigerte sich jedoch, eine Traueranzeige erscheinen zu lassen, die das Wort „schwul“ enthielt (wenn ich mich recht erinnere, sollte der Text u.a. lauten „Ein bewusst schwules Leben ging zuende.„) Nach langen Protesten kam aus der Chefredaktion der ‚Kompromissvorschlag‘ „homosexuell“ – dass sie damit genau das entwerteten, was wir hervorheben wollten, war ihnen vielleicht nicht klar. Empört versammelte sich eine große Menge Schwuler und Lesben vor dem Verlagsgebäude, das sich damals noch in der Kölner Innenstadt befand. Ein Teil von ihnen machte eine Aktion in Form eines ‚Die-Ins‘ vor dem Eingang. Es kam zu einem Gespräch einer kleinen Gruppe mit Verleger und Chefredaktion – und die Traueranzeige erschien schließlich doch so wie von uns beabsichtigt.

Kurze Zeit später traf sich die Kölner ACT UP Gruppe erstmals – mein Kalender vermerkt ein erstes Treffen am 15. März 1990 (drei Tage nach der Trauerfeier für Jean-Claude, die am Nachmittag des 12. März stattfand). Für mich selbst war dies im wesentlichen der Beginn meines aidspolitischen Engagements.  Vorher hatte ich mich jahrelang in Schwulenbewegungen engagiert, zuletzt besonders im Kölner Schwulen- und Lesbenzentrum SCHuLZ und dort zuletzt 1989/90 bei der Organisation der ‚Antifa-Reihe‘ „Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus?„.

Mitstreiter/innen und Aktionen

Mitstreiter/innen bei ACT UP Köln (bzw. Köln/Bonn) waren überwiegend schwule Männer im Lebensalter von Anfang 20 bis Ende 40 (größtenteils, aber nicht alle HIV-positiv). Unter ihnen der frühere Wirt der legendären Kölner Disco ‚Pimpernel‘ Jochen Saurenbach [3], und eine lesbische Frau, regelmäßigen Austausch hatten wir mit einem HIV-positiven Hämophilen. Bis auf sporadischen Gedankenaustausch ist es uns nie gelungen, Drogengebraucher/innen für ACT UP zu gewinnen.

ACT UP beteiligte sich an Protesten gegen geplante Kürzungen der Stadt Köln im Aids-Bereich, u.a. mit einem ‚Die-In‘ von 30 Positiven und Aids-Kranken, um (erfolgreich) ein Gespräch mit der Gesundheits-Dezernentin zu fordern; ein ‚Stein des Anstoßes‘ wurde durch die Innenstadt vor das Rathaus gerollt [2]. ACT UP Köln äußerte seine (kritische) Meinung zu Rosa von Praunheims Aids-Trilogie (bzw. der moralinsauren Haltung darin), als Praunheim im Mai 1990 in Köln war. Engagierte sich beim „Tag des positiven Coming Outs“ (SCHULZ 1991).

Die Kölner ACT UP Gruppe beteiligte sich an den bundesweit koordinierten Aktionen von ACT UP, so insbesondere am ‚Marlboro-Boykott‘ (sehr erfolgreich, nach intensiven Gesprächen führte bald nahezu keine schwule Kneipe in Köln mehr Zigaretten des Herstellers), an den ACT UP Protesten im Dom zu Fulda, an Aktionen auf dem 3 Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg und auf dem 4. Deutschen Aids-Kongress 1992 in Wiesbaden.

Und ACT UP Köln beteiligte sich an den Bundesweiten ACT UP Treffen und war schon im November 1990 erstmals selbst Gastgeber, und an den europaweiten Treffen (ich nahm u.a. an mehreren Treffen in Brüssel und Paris teil). Auflistung der Termine dieser Treffen ACT UP in Deutschland.

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ACT UP Köln – wärmer leben: der Versuch der Fusion von schwulem und Aids-Aktivismus

ACT UP Köln war nie ’nur‘ ACT UP – sondern immer ‚mit Untertitel‘. Einige ACT UP – Gruppen trugen ‚Untertitel‘, so die Berliner: ‚ACT UP – Feuer unter’m Arsch‘. Die Kölner Gruppe nannte sich ‚ACT UP Köln – wärmer leben‘, und dieser Untertitel sollte programma­tischen Anspruch ausdrücken. Wir wollten neben dem hauptsächlichen Augenmerk HIV und Aids auch schwulen Realitäten mit thematisieren.

Mit diesem Untertitel griffen wir eine Formulierung von Joachim Schönert [1] auf, der 1982 einen Text unter dem Titel „wärmer leben – eine sexuelle alternative?“ veröffentlicht hatte. ‚Vater des Gedankens‘ war vielleicht auch eine ‚Schwule Zukunftswerkstatt‘, an der ich teilgenommen hatte, und die sich mit „schwulen Utopien für Köln“ beschäftigte.

„Wärmer leben“ – Realität des Handelns bzw. der Aktionen der Gruppe war dieser Untertitel nur in der frühen Phase von ACT UP Köln. In der ersten Phase versuchten wir, Alternativen schwulen Lebens und Aids-Politik gleichberechtigt als Themen und Inhalte von ACT UP Aktionen zu haben. Zum Beispiel mit ei­ner „Aufforstungs-Aktion“, nach einem Kahlschlag des Gartenbauamts am beliebten Kölner Crui­sing-Gebiet ‚Aachener Weiher: am 1. Mai 1990 veranstaltete ACT UP daraufhin die Aktion „Den Aachener Weiher begrünen“:

ACT UP begrünt den Aachener Weiher (1990) – Fotos

ACT UP Köln / Aktion 'Aachener Weiher begrünen', 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion ‚Aachener Weiher begrünen‘, 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion 'Aachener Weiher begrünen', 1. Mai 1990
ACTUP Köln / Aktion ‚Aachener Weiher begrünen‘, 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion 'Aachener Weiher begrünen', 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion ‚Aachener Weiher begrünen‘, 1. Mai 1990

Doch dieses Miteinander schwuler und Aids-Themen hielt nicht lange an. Schnell gewannen auch bei uns (wie bei den anderen ACT UP Gruppen) die Aids-Themen eindeutig die Oberhand. Wir konnten eine kritische lokale Schwulenbewegung nicht ersetzen. Und wir wollten es auch zunehmend nicht – HIV, auch (überwiegend) unser eigenes HIV brannte uns viel zu sehr unter den Nägeln.

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Aids-Aktivismus in Köln vor ACT UP

ACT UP Köln fiel nicht vom Himmel – schon in Zeiten vor Gründung von ACT UP gab es Aktionen zivilen Ungehor­sams als Protestaktionen, unter großer Beteiligung HIV-Positiver.

So am 5. Mai 1988, zu einer Zeit als in Deutsch­land die Debatte um die weitere Richtung der Aids-Politik geführt wurde. Peter Gauweiler, damals Staatssekretär im Bayrischen Innenministerium und Exponent der ‚Hardliner‘-Position in der Aids-Politik, besuchte eine Veranstaltung der lokalen CDU im beschaulich-wohlhabenden Kölner Nachbarort Rösrath. Und mehr als hundert Demonstranten, Schwule, Lesben, Aktive in Aidshilfe, Positive, demonstrierten vor Ort in Rösrath gegen Peter Gauweiler.

Zwar gelang es uns nicht, die Anreise von Gauweiler zu verhindern. Aber die lautstarken Proteste waren, so war anschließend zu hören, auch im Ver­sammlungssaal deutlich wahrzunehmen. Und nach Veranstaltungsende konnte die Abfahrt Gauwei­lers mit Straßenblockaden vor dem Veranstaltungsort verzögert werden, es kam zu zahlreichen vor­läufigen Festnahmen durch die Polizei (die uns dann auf eine möglichst weit vom Ort des Gesche­hens entfernte Wache brachte).

Aktionen dieser Art waren zwar in Köln im Aids-Bereich nicht häufig, aber es gab sie, auch vor ACT UP.

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Unterlagen von ACT UP Köln befinden sich heute im CSG Centrum schwule Geschichte, Köln (Dank an Reinhard für den Hinweis – ich hab da ja auch Unterlagen hingegeben …).

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Anmerkungen:
[1] Joachim Schönert: „wärmer leben – eine sexuelle alternative?“, Selbstverlag, Wiesbaden 1982 (antiquarisch erhältlich)
[2] vgl. Reinhard Klenke: Rede zum Jubiläumsempfang aus Anlass von 15 Jahren Kölner Lesben- und Schwulentag am 25. November 2006 (pdf)
[3] vgl. Box-Interview mit Jochen Saurenbach

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ACT UP Erinnerungen:

1. Entstehung von ACT UP
2. ACT UP in Deutschland
3. ACT UP Köln
4. ACT UP Deutschland und die USA
5. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda
6. Das Ende von ACT UP in Deutschland
7. nach ACT UP – was bleibt?
Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!

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HIV/Aids

Marcel Dams Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (akt.)

Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung an Marcel Dams für sein Video-Blog ‚TeilzeitVLogger‘

Marcel Dams Medienpreis – der Blogger und Vlogger Marcel Dams erhält den Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung. Der Preis wird auf dem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongress verliehen.

Marcel Dams engagiert sich seit Jahren – angesichts seines jungen Lebensalters ist allein dies bereits bemerkenswert – für HIV-Prävention und HIV-Positive, mit einem eigenen Blog, als Rollenmodell bei der Präventions-Kampagne ‚ich weiss was ich tu!‘ der Deutschen Aids-Hilfe sowie mit seinen Videos.

Dams betreibt einen eigenen Video-Kanal ‚TeilzeitVlogger‘ auf der weit verbreiteten Plattform YouTube, den er regelmäßig (derzeit wöchentlich) mit neuen Videos beschickt.

Er ist damit aktiv mit einem Medium (Videos) und auf einem Kanal (YouTube), den sehr viele Menschen nutzen, aber mit/auf dem bisher nur wenige Menschen sich für das Thema HIV / Aids engagieren, präsent sind – und noch weniger als offen HIV-Positive.

Marcel Dams macht dies mit bemerkenswertem Erfolg und beeindruckender Reichweite: binnen kurzer Zeit wurden seine Videos bereits über 110.000 Mal gesehen (Stand 8. Juni 2013: 117.624 Aufrufe). Annähernd 1.200 YouTube-Nutzer haben seinen Kanal abonniert und sehen seine Videos regelmäßig.

Marcel Dams, Träger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: privat)
Marcel Dams, Träger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: privat)

Dams erreicht über das Medium YouTube mit seinem Kanal TeilzeitVlogger Menschen, die ansonsten wenig mit den Themen HIV und Aids, mit der Lebenssituation HIV-Positiver oder den Problemen von Stigmatisierung und Diskriminierung als HIV-Infizierter in Berührung kommen. In besonders großem Umfang erreicht er dabei junge Menschen. Durch seine Art, HIV und Aids persönlich zu thematisieren, erreicht er zudem viele Menschen auf eine andere Weise als dies redaktionelle Artikel vermögen. Viele seiner Beiträge führen zu intensiven Diskussionen, sowohl auf YouTube als auch in sozialen Netzwerken. Und er hat mit zahlreichen anderen Bloggern und Vloggern Zusammenarbeiten aufgebaut – Vernetzung mit Menschen, die selbst Aktive sind, zu HIV / Aids aber bisher keinerlei Bezug hatten.

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Marcel Dams Medienpreis 2011/12 Deutsche Aids-Stiftung – Fotos der Preisverleihung

Marcel Dams Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: Patrik Maas)
Marcel Dams Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: Patrik Maas)

Preisträger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung, in der Mitte Marcel Dams (Foto: Patrik Maas)
Preisträger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung, in der Mitte Marcel Dams (Foto: Patrik Maas)

Danke Patrik Maas für die Fotos!

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Marcel Dams selbst kommentierte die Preisverleihung

„Wie oft wird uns vorgeworfen wir würden uns nicht für Politik und unsere Zukunft interessieren… Doch! Aber wir wollen eine Politik, bei der wir mitbestimmen können …
Das Internet bietet uns die Möglichkeiten neue Wege zu gehen und uns einzubringen. Wir erheben unsere Stimme, nicht nur virtuell, dass funktioniert alleine nicht, aber immer dann, wenn es uns hilft unseren Forderungen Gehör zu verschaffen. …
Ich bin stolz auf diesen Preis, aber Lorbeeren sind nicht dafür da, um sich auf ihnen auszuruhen! Die Reise geht weiter!“

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Weitere Preisträger sind
– Kai Kupferschmidt für seine Reportage „Positiv oder negativ“, in der er darüber schreibt, wie er eine Zeitlang davon ausging, sich möglicherweise mit HIV infziert zu haben
– Jobst Knigge für seine Dokumentation „Der Aids-Krieg“ über die Auseinandersetzungen zur HIV/Aids-Politik in den 80er Jahren
– Mira Thiel und Benjamin Cantu für ihre Dokumentation „Der Berliner Patient – Geheilt von Aids“

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Du hast es dir verdient – ganz herzlichen Glückwunsch Marcel!

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Marcel Dams bloggt als Teilzeitblogger

Marcel Dams Video-bloggt als TeilzeitVlogger

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HIV/Aids

ACT UP Gruppen in Deutschland – Ullis ACT UP Erinnerungen 2

ACT UP in Deutschland – das hieß zahlreiche lokale und lokal agierende Gruppe, die sich regelmäßig unter einander abstimmten und Aktionen koordinierten.

Dies ist der zweite Teil der Mini-Serie Ullis ACT UP Erinnerungen. Im ersten Teil habe ich über die Entstehung von ACT UP in Deutschland geschrieben.

ACT UP in Deutschland

ACT UP – das waren (wie in den USA so auch in (West-) Deutschland) lokale, von einander unabhängige Gruppen, die aber obwohl unabhängig von einander, mit einander kooperierten und sich koordinierten. Die sowohl lokale Aktionen durchführten, als auch gemeinsame deutschlandweit koordinierte Aktionen.

ACT UP – Gruppen gab es m.W. (laut einer Adressenliste in meinem Kalender 1992) in folgenden Städten:

  • Berlin
  • Bochum (ACT UP im Pott)
  • Bonn
  • Dortmund
  • Frankfurt
  • Hamburg
  • Köln (auch als ACT UP Köln / Bonn)
  • Karlsruhe (laut Wikipedia)
  • Mainz
  • München
  • Nürnberg
  • Stuttgart
  • Würzburg

Im Februar 1992 nennt die Traueranzeige für den am 13.2.1992 verstorbenen Andreas Salmen für ACT UP in Deutschland sieben Gruppen : Berlin – Köln – Hamburg – Frankfurt – München – Dortmund – Nürnberg.

ACT UP in Deutschland : DAH Forum Sonderband - ACT UP Feuer unterm Arsch.(Grafik: DAH)
ACT UP in Deutschland : DAH Forum Sonderband – ACT UP Feuer unterm Arsch.(Grafik: DAH)

ACT UP in Deutschland – lokal und koordiniert

Die lokalen ACT UP Gruppen in Deutschland trafen sich regelmäßig, um Erfahrungen auszutauschen, Themen und Aktionen zu koordinieren oder gemeinsame bundesweite Aktionen zu planen. Oder ganz banal über die Finanzierung unserer Aktionen zu sprechen (und einige der dafür zentralen ACT UP T-Shirts zu planen, bestellen und auf die Gruppen zu verteilen).

Zahlreiche dieser ‚Bundesweiten ACT UP Treffen‘ fanden im Waldschlößchen statt (mindestens 4, für das 5. Treffen finde ich den Termin eines Vorbereitungstreffens, nicht jedoch des Treffens selbst), weitere bei einzelnen Gruppen als Gastgeber.
Aus meinen Kalendern lassen sich folgende Bundesweite ACT UP Treffen ermitteln:

  • ACT UP bundesweites Treffen in Köln, 9. – 11. November 1990
  • 2. Bundesweites ACT UP Treffen im Waldschlößchen, Treffen 15.-17.2.1991
  • ACT UP bundesweites Treffen in Hamburg, 24. – 26. Mai 1991
  • ACT UP bundesweites Treffen in Frankfurt, 30. August -1. September 1991
  • 3. Bundesweites ACT UP Treffen im Waldschlößchen, Treffen 14.-18.10.1991
  • ACT UP bundesweites Treffen in Berlin, 22. – 24. November 1991
  • ACT UP bundesweites Treffen der Arbeitsgruppe ‚Treatment‘ in Hamburg, 6. – 8. Dezember 1991
  • 4. Bundesweites ACT UP Treffen im Waldschlößchen, 14.-16.2.1992
  • ACT UP bundesweites Treffen in Dortmund, 1. – 3. Mai 1992
  • ‚Mourning and Militancy‘ (Teilnahme zahlreicher ACT UP Mitglieder), Waldschlößchen 29. – 31. Januar 1993

Immer wieder wurde auf den Treffen auch deutlich, dass ACT UP vielfältig ist, verschiedene Sichtweisen hat, keine festgefügte Gruppe mit einheitlicher Meinung und Ideologie ist (und auch der Begriff ‚Mitglieder‘ eigentlich nicht zutreffend ist, es gab keine Mitgliedschaft). So konnten wir uns wunderbar und zutiefst streiten. Ich erinnere mich an lange erregte Debatten u.a. mit Andreas Salmen, ob Schwule „sich doch immer noch verantwortungslos verhalten in der Aids-Krise“, und wie wir damit umgehen. Nein, wir hatten oft keine einheitliche Meinung – aber wir fanden oft zu gemeinsamen Aktionen. Auch das machte unsere (zeitweise) Stärke aus.

Die Treffen reichten über Koordination und Austausch weit hinaus. Wir absolvierten auf diesen Treffen z.B. Trainings zur Vorbereitung auf unsere Aktionen, Trainings die wir selbst organi­sierten und meist im ‚Waldschlößchen‘ durchführten. Zu denen wir uns Referentinnen selbst aus den USA einlu­den, wie z.B. ein Training, in dessen Mittelpunkt Gewaltfreiheit stand, sowohl ‚wie verhalte ich mich bei Aktionen gewaltfrei‘, als auch besonders ‚wie gehe ich damit um, wenn mir von außen bei Aktionen Gewalt begegnet?‘ (Paula, Training „non-violent action“, Waldschlößchen, ca. 1991) [Zu ‚gewaltfreier Aktion‘ siehe auch Beitrag über Gene Sharp: Die Macht-Frage].

Und Koordination bedeutete auch: wir erstellten zu nahezu allen größeren Aktionen vorab umfangreiche Dokumentationen. Doku­mentationen, die eine breite Material-Sammlung umfassten, sowie eine Auswertung dieser Quellen, Analyse und daraus Entwicklung und Begründung unserer Forderungen. Diese Dokumentationen erweisen sich als bedeutendes Werkzeug, unsere Aktionen und Forderungen in die Medien zu be­kommen, eine intensivere und tiefergehende Berichterstattung zu erreichen.

Über die (internen) Treffen hinaus waren ACT UP Mitglieder immer wieder auch auf den Bundesweiten Positiventreffen im Waldschlößchen präsent (ich selbst z.B. im April 1992) sowie auf Aids-Kongressen (wie z.B. der Welt-Aids-Konferenz 1992 in Amsterdam).

ACT UP – in Europa

Die Koordination unserer Aktivitäten ging über den deutschen Raum hinaus. ACT UP Gruppe waren auch in anderen europäischen Staaten entstanden, so u.a. in Frankreich (Paris), den Niederlanden (Amsterdam) und Belgien (Brüssel). Und trafen sich (u.a. kann ich mich an Treffen in Paris und Brüssel erinnern), um ihre Aktionen europaweit abzustimmen und soweit sinnvoll und möglich zu koordinieren.

Aus meinen Kalendern lassen sich folgende ACT UP Europa Treffen ermitteln:

  • ACT UP Europa Treffen in Brüssel, 21.4.1991
  • ACT UP Europa Treffen in Brüssel, 20. – 22.9.1991
  • ACT UP Europa Treffen in Paris, 10. – 12.1.1992
  • ACT UP Europa Treffen in Amsterdam, 10. – 12.4.1992

Von den ACT UP Gruppen in Europa existierte ACT UP Paris am längsten – die Gruppe ging 2014 in Insolvenz.

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ACT UP Aktionen in Deutschland

Neben ihren lokalen Aktionen und Themen führten die ACT UP Gruppen in Deutschland auch zahlreiche gemeinsame koordinierte Aktionen durch, unter anderem:

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1993, nach der Welt-Aids-Konferenz in Berlin, war für ACT UP in Deutschland  „die Luft im Wesentlichen raus„, wie Corinna Gekeler (u.a. ACT UP Amsterdam) 2012 bemerkte – doch dazu später mehr …

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DAH-Blog 24.03.2012: Die Kraft der Wut

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ACT UP Erinnerungen:
1. Entstehung von ACT UP
2. ACT UP in Deutschland
3. ACT UP Köln
4. ACT UP Deutschland und die USA
5. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda
6. Das Ende von ACT UP in Deutschland
7. nach ACT UP – was bleibt?

Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!

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HIV/Aids

Entstehung von ACT UP – Ullis ACT UP Erinnerungen 1

Die Entstehung von ACT UP – die politischen Aids-Aktionsgruppen ACT UP gab es ab 1988 auch in Deutschland. Was führte zu ihrem Entstehen? Warum ACT UP?
Teil 1 von Ullis persönlichen ACT UP Erinnerungen.

„ACT UP – Fight back – Fight Aids!“

Dies war das zentrale Motto von ACT UP, der Aids Coalition to Unleash Power (Aids-Koalition, um Energie freizusetzen) [1]. ACT UP entstand zuerst 1987 in New York, die erste ACT UP Gruppe in (West-) Deutschland wurde 1988 im Sommer 1989 [6] in Berlin gegründet. In welchem Umfeld?

Pogromstimmung

Die Entstehung von ACT UP fand in einer Zeit statt, in der es um die grundlegenden Weichenstellungen der (west-) deutschen Aids-Politik ging, um den Streit zwischen (vereinfacht) Old-School-Public Health mit Repression und Verfolgung einerseits und New Public Health mit Aufklärung und Information andererseits. In einer Situation die geprägt war von Diskussionen über Meldepflicht, einem Bayrischen Maßnahmenkatalog (1987) [3], apokalyptischen Visionen und Horror-Szenarien mit riesigen Infektionszahlen binnen Kürze, Hardliner-Parolen à la ‚Absonderung‘, Drohung der „Zerschlagung der schwulen Infrastruktur“, Hetze und (Angst vor) Pogromstimmung.

an der Entstehung von ACT UP indirekt nicht ganz unbeteiligt: Peter Gauweiler (hier am 5.4.1987, Foto: Michael Lucan / Lizenz: GFDL)1987
an der Entstehung von ACT UP indirekt nicht ganz unbeteiligt: Peter Gauweiler (hier am 5.4.1987, Foto: Michael Lucan / Lizenz cc by-sa 3.0)

Peter Gauweiler, deutscher Politiker (CSU). Hier am 5. April 1987 in München-Fürstenried – Michael Lucan, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Sterbt doch aus …

Die damalige Stimmung, die Ängste, die Gefühle von Bedrohung sind heute, auch für heutige HIV-Positive, oft nicht (mehr) nachzuvollziehen. Ein Beispiel mag diese Stimmung vielleicht verdeutlichen:

Ende der 1980er Jahre nahm die Zahl der HIV-Infizierten deutlich zu, die Zahl der Menschen stieg, die an den Folgen von Aids starben. Auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis waren viele mit HIV infiziert, erkrankten. Die Zahl der Trauerkarten in unserem Briefkasten stieg stetig, ich begann nicht mehr zu jeder Trauerfeier, zu jeder Beisetzung zu gehen – es war mir im wahrsten (emotionalen) Sinn zu viel, nicht mehr auszuhalten.

Medikamente gab es lange Zeit keine gegen HIV. Erst im März 1987 wurde AZT in den USA als erstes Medikament zugelassen, und es war lange Zeit wegen seiner (aufgrund zu hoher Dosierung besonders stark ausgeprägten) Nebenwirkungen gefürchtet [2] – so sehr, dass viele den Eindruck hatten ihre Aids-kranken Freunde und Lover stürben nicht an Aids sondern an AZT.
Angesichts dieses großen Sterbens war die Sehnsucht groß nach wirksamen und halbwegs (v)erträglichen Medikamenten.

In dieser Situation befasste sich auch der Münchner Virologe (und Berater von Peter Gauweiler) Prof. Frösner in einer der damals bedeutendsten deutschen Zeitschriften zu Aids mit der Frage wirksamer Medikamente und deren Auswirkungen. Er kam kühl und kurz zu dem Schluss

Eine lebensverlängernde Therapie der Erkrankten könnten das AIDS-Problem der Bevölkerung vergrößern

(in ‚AIDS-Forschung‘, Juni 1988)

Die Sorge galt nicht der Situation Hunderter, Tausender HIV-Positiver und Aids-Kranker, der Frage, wie ihr Lied, ihr Sterben verringert werden könne. Die Sorge galt (einzig) der Allgemeinbevölkerung, und wir verstanden genau, was er uns sagen wollte.

DAS sollte genau die Lösung sein? Sollten wir HIV-Positiven, wir Aids-Kranken am besten ‚einfach‘ (aus) sterben – um das Problem so zu lösen?

DAS sollten wir hinnehmen? Hinnehmen, dass diese Menschen, solche Denkweisen über unsere Leben bestimmen?

Schweigen = Tod
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Aids ist politisch

Die oben erwähnte Aussage des Münchner Virologen und Gauweiler-Beraters  (die nur ein Beispiel ist für eine Geisteshaltung, wie sie HIV-Positiven und Aids-Kranken oft damals entgegen gebracht wurde) verdeutlicht auch gut, worum es ACT UP zentral ging:

Aids ist nicht (nur) als medizinisches Problem zu begreifen. Aids als politisches Problem. Das war eines unserer zentralen Anliegen.

Dabei ging es immer auch um uns, um unsere Leben als Schwule, als HIV-Positive, als Aids-Kranke. Dies verdichtete sich in unseren Slogans.

Schweigen = Tod
Wut = Aktion

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Aufstand der Positiven

In Deutschland gab es im Aids-Bereich Ende der 1980er Jahre außerhalb von Aidshilfe kaum Personen, geschweige denn Organisationen, die kritische Positionen zu HIV/Aids, zum Leben mit HIV und Aids entwickelten. Schwulengruppen hatten – insbesondere auf Bundesebene – das Thema HIV/Aids schnell an die neu entstandenen Aidshilfen delegiert. Und es machte oft den Eindruck, sie seien nicht nur froh, dieses Thema los zu sein, sondern zudem auch recht desinteressiert daran [4].

Aber auch Aidshilfe(n) widmeten sich nicht jedem Thema, das HIV-Positiven unter den Nägeln brannte. Und taten sie es, konnten sie sich oft, z.B. begründet mit den beliebten realen oder empfundenen ‚Sachzwängen‘ (wie Förderung durch öffentliche Stellen) nicht in der Klarheit und Deutlichkeit äußern, wie es wünschenswert ge­wesen wäre.

HIV-Positive fühlten sich in vielen Aidshilfen damals nicht oder nur wenig willkommen – beziehunsgweise wenn, dann als ‚Klienten‘. Die Forderung vieler Positiver, „nicht über uns, mit uns“, sie wurde auch in vielen Aidshilfen nicht erfüllt. Von den Lebensrealitäten HIV-Positiver, von Möglichkeiten der Eigen-Interessenvertretung hatten sich viele Aidshilfen entfernt (wenn sie diese je zuvor gehabt hatten).

Nicht umsonst kam es 1988 im Dachverband der Aidshilfen, der Deutschen Aids-Hilfe, zum „Aufstand der Positiven“ – HIV-Positive wehren sich und protestieren gegen die „Klientelisierung der Positiven“, fordern aktive Einbeziehung und Mitsprache.

Schweigen = Tod
Wut = Aktion
Aktion = Leben

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Entstehung von ACT UP

Das Gefühl zunehmend bedrängt, in die Ecke gestellt zu werden, Desinteresse und Ignoranz auch bei Aidshilfen und in Schwulenszenen, und vor allem Pogromstimmung und Hetze gegen Schwule, HIV-Positive und Aids-Kranke – dies war das Umfeld der Entstehung von ACT UP auch in Deutschland.

„Wir befinden uns im Krieg.
Im Krieg um unsere Menschenwürde,
ja um unser einfaches Recht zu leben.
Wann wehren wir uns endlich?“

(Andreas Salmen, Kommentar „Wir sind im Krieg!“ [5], Siegessäule Januar 1988)

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Spiegel 17.03.2007: 20 Jahre Act Up – Wut der Ohnmacht

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[1] Die Verwendung des Begriffs „Power“ im Namen ACT UP wurde (insbesondere in Deutschland, bemerkenwerterweise) von interessierter Seite immer wieder (in vermutlich demagogischer Absicht) dazu zum Anlass genommen, den ACT UP – Gruppen Gewalttätigkeit vorzuwerfen, den Gruppennamen gar als „Koalition um Gewalt zu erzeugen“ zu übersetzen, diese Form des Aktivismus zu diskreditieren versuchen. ACT UP war von seinen Grundgedanken her immer eine Bewegung von Aktionsgruppen, die auf Gewaltfreiheit setzten und sich auch in umfangreichen Trainings zu „non-violent action“ ausbilden ließ.
Zu ‚gewaltfreier Aktion‘ siehe auch Beitrag über Gene Sharp: Die Macht-Frage
[2] Zu AZT siehe auch Axel Schock / DAH-Blog 20.03.2012: 25 Jahre AZT: Geldschränke, große Hoffnungen, gravierende Nebenwirkungen
[3] zum Bayrischen Maßnahmen-Katalog siehe auch DAH-Blog 24.02.2012: „Die schwule Infrastruktur zerschlagen“
[4] Wut und Frust über diese empfundene Mischung aus Desinteresse und Ignoranz hat – aus Sicht der Situation in den USA – der Autor und Mit-Gründer von ACT UP New York Larry Kramer sehr eindrucksvoll bereist 1983 in seiner Wutrede „1,112 and counting“ zum Ausdruck gebracht.
[5] Andreas‘ Formulierung, wir seien im Krieg, war damals und auch in den Jahren danach auch unter ACT UP Aktivisten nicht unumstritten, u.a. weil dies als Militarisierung der Sprache empfunden wurde, sowie als eher aus US- denn aus deutschen Lebensrealitäten gespeiste Metapher.
[6]  andere Quellen sprechen von 1989 als Gründungsjahr von ACT UP Berlin, u.a. M. Wienold (Aids-Aktivismus in Deutschland, in: U. Marcus (Hg.): Glück gehabt? Zwei Jahrzehnte Aids in Deutschladn, Berlin Wien 2000)

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ACT UP Erinnerungen:
1. Entstehung von ACT UP
2. ACT UP in Deutschland
3. ACT UP Köln
4. ACT UP Deutschland und die USA
5. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda
6. Das Ende von ACT UP in Deutschland
7. nach ACT UP – was bleibt?

Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!

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Berlin

Cafe Achteck in Berlin am Gendarmenmarkt

Ein Cafe Achteck schmückt seit einiger Zeit die Nordost-Ecke des Gendarmenmarkts, eine jener für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Berlin so typischen gusseisernen ‚Öffentlichen Bedürfnisanstalten‘.

Cafe Achteck, Berlin Gendarmenmarkt
Cafe Achteck, Berlin Gendarmenmarkt

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Homosexualitäten

Schwule Regungen, Schwule Bewegungen / Willi Frieling 1985

Schwule Regungen, Schwule Bewegungen (Herausgegeben von Willi Frieling) erschien 1985 im (leider inzwischen nicht mehr bestehenden) Verlag Rosa Winkel.

Das Gefühl der Stagnation schwuler Bewegungen ist so verbreitet, daß es mir an der Zeit schien, ein Buch zusammenzustellen„,
begann Willi Frieling sein 1985 erschienenes Buch, schon im ersten Satz des Vorworts Stagnation konstatierend, und fuhr kurz darauf fort mit Verweis auf die „weitverbreitete Rat- und Perspektivlosigkeit zahlreicher Schwulengruppen„, aufgrund derer er mit seinem Buch 1985 „eine Situationsbeschreibung der [westdeutschen, Anm.d.Verf.] ‚Schwulenbewegung‘ der Siebziger Jahre“ geben wollte.

Einige der Texte, manche der diskutierten Themen haben auch heute, 28 Jahre nach Erscheinen des Buches, eine bemerkenswerte Frische – oder nein, vielleicht nicht Frische, sondern eher Frische-Potential, vermitteln ein ‚Warten auf Entdeckung‘. Andere muten ein wenig abgestanden an, wie Debatten um das (damals recht verkrampfte) Verhältnis von Schwulenbewegung(en) und (kommerzieller) schwuler ‚Subkultur‘. Wieder andere sind heute eher von historischem Interesse (Aids) oder Partikular-Themen (Lehrer, Kirche, Gewerkschaft).

Schwule Bewegungen – war da was?

Die [sic] Schwulenbewegung, glücklich über jede Form der Diskriminierung, dankbar selbst für die belanglosesten Beschimpfungen des letzten Hetero-Idioten, sind im gummiartigen Reformklima der sozialliberalen Ära die Zähne ausgefallen„, stellt Matthias Frings fest (S.171).

Das war zuvor anders – dies wird in zahlreichen Texten des Buches aus verschiedensten Blickwinkeln deutlich. Schwulenbewegung – das waren „Glücksinseln im Vorgriff auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen„, meint Elmar Drost (S. 15).

Auch um CSDs schien es schon damals nicht recht gut bestellt: „Gay-pride weeks werden trotz flammender Reden der Politfreaks zur Rechtfertigung der Feten, auf denen die Glücklicheren nen Kerl aufreißen und die weniger Glücklichen im eigenen Saft schoren.“ (Elmar Drost, S. 17)

Schwulenbewegung – das war aber lange Zeit mehr als „nur“ politisch aktiv zu sein. Hinzu kam, was Michael Holy die „sogenannte ‚Innenarbeit'“ nannte: Selbsterfahrungsgruppen. Corny Littmann erinnert sich zu diesen Selbsterfahrungsgruppen [an eine solche SE erinnere ich mich auch recht gut …, d. Verf.]

Das war zwar eine politisch notwendige Bedingung für die Leute da drin, aber in der Außenwirkung völlig irrelevant. Aber jeder ‚Neue‘ kam erstmal in ’ne Selbsterfahrungsgruppe. Die wollten das auch.“ (S.30)

Lust und Frust? Theorieschwestern und Lustfraktion – warum macht Mensch Schwulenbewegung?

Sehr (auch heute) spannende Einblicke in das ‚Innenleben‘ schwulenbewegten Engagements bietet ein Gespräch zwischen Egmont Fassbinder, Michael Holy, Corny Littmann, Rainer Marbach und Andreas Meyer-Hanno † (stattgefunden auf dem Ostertreffen 1983).

Gibt es eine ’schwule Identität‘? Gab es gar etwas wie ein ‚Pflichtbewusstsein‘?  „Dieses Gefühl seine Pflicht zu tun„, auch z.B. um ein Schwulenzentrum aufrecht zu erhalten. Was bewegte Menschen, sich in der Schwulenbewegung zu engagieren, was sahen sie als ihren persönlichen Nutzen? Welche Intensität an Erfahrung bietet eine Zusammenarbeit als Gruppe, als ‚Bewegung‘? Gibt es gar eine ‚Angst vor dem Loch, nach der Gruppe‘? Welche Vorbedingungen brauchte es, damit Projekte wie das Waldschlößchen entstehen konnten? Und wie kann ein Generationswechsel gelingen – genügt es, sich „einfach zurück zu ziehen“?

Schwulenbewegung – in der Sackgasse?

Schwul sein heißt sich wehren„, hieß es einst – warum, das macht Elmar Drost erlebbar. Oder „Macht euer Schwulsein öffentlich!

Schwule Bewegungen : Homosexuelle Aktion Westberlin, Pfingst-Demo 9. Juni 1973 (Foto: Rüdiger Trautsch)
Schwule Bewegungen : Homosexuelle Aktion Westberlin, Pfingst-Demo 9. Juni 1973 (Foto: Rüdiger Trautsch, public domain)

Demonstration (Pfingstdemo) of Homosexuelle Aktion Westberlin – file upload: James Steakley Photograph: Rüdiger Trautsch on display in the Schwules Museum, Berlin; released to the public domain by the photographer, Rüdiger Trautsch

Und das Resultat? „Die Helden sind müde„, bemerkt Andreas Meyer-Hanno †. Rainer Marbach konstatiert Rat- und Perspektivlosigkeit, besonders aufgrund der „weitgehenden Beschränkung auf Antidiskriminierungspolitik„, und warnt vor „antiemanzipatorischen Zügen“  – bereits 1984/85:

Nun soll nicht in Abrede gestellt werden, daß der Kampf gegen Diskriminierung mit all seinen Aspekten zu den legitimen und notwendigen Inhalten schwuler Politik gehört. Als Perspektive einer autonomen schwulen Politik reicht es freilich nicht aus.“ (S. 47)

und erläutert kurz darauf

Kernpunkt integrationistischer Politik ist die Forderung nach Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, Gleichstellung der Homosexuellen vor dem Hintergrund vielfältiger Formen von Diskriminierung und Unterdrückung. Die Einlösung dieser Forderung nach Gleichstellung besitzt freilich bei den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen einen Doppelcharakter: sie bringt zwar auf der einen Seite zunehmende Erleichterungen der Lebenssituation der Homosexuellen, dient aber auf der anderen Seite durch deren Integration auch der Stabilisierung der spätkapitalistischen Gesellschaft, um zu verhindern, daß Unterdrückte aus ihrer Unzufriedenheit heraus radikale Fragen und Forderungen ableiten.“ (S. 49)

Rainer Marbach betont, die Begrenztheit integrationistischer Antidiskriminierungspolitik führe auch zur „Verdrängung der ‚andersartigen‘ Möglichkeiten von Homosexualität„.

Schwulenbewegung – Perspektive?

Es kann doch nicht Bewegung sein, daß Schwulsein anders kommerzialisierbar ist als vor zehn Jahren„,

empört sich Corny Littmann schon 1983, nicht ohne Beigeschmack von Frustration.

Schwule Bewegungen – haben sie heute Perspektive? Oder hat Littmann recht, der ein ‚Drehen im Kreis‘ befürchtet?

„Es kommen immer wieder neue Leute; es kommt immer wieder an die selben Themen“

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Schwule Regungen schwule Bewegungen “ – dieses Buch ist heute, 28 Jahre nach seinem Erscheinen, nicht nur ein in weiten Teilen spannender Blick (weit) zurück. Es ist auch Dokument erkannter Probleme – und inzwischen auch gescheiterter Hoffnungen?

Oder ist es auch Chance, frühere Positionen, Ansätze und Perspektiven wieder zu entdecken, neu für Ansätze zu nutzen?

Die, wie Rainer Marbach es in seinem (auch heute immer noch sehr lesenswerten) Beitrag formuliert, „andersartigen Möglichkeiten von Homosexualität„, das Potential zu „Gegenentwürfen“ zum Beispiel scheinen mir heute weitgehend in Vergessenheit geraten ob der Gleichstellungspolitik auf allen möglichen Feldern – und ein Gedanke, der neu und wieder zu entdecken wert wäre.

Marbachs Resüme von 1985 scheint heute einerseits seltsam ‚aus der Zeit gefallen‘ – und zugleich Perspektiven für die Zukunft bietend:

Schwule Bewegung muß ein Gegengewicht  gegen den Zwangscharakter gesellschaftlich anerkannter Formen von Homosexualität bieten, das attraktiv genug ist, sich der ‚Lust zur Unterwerfung‘ zu entziehen.

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Willi Frieling (Herausgeber)
Schwule Regungen – schwule Bewegungen
Berlin 1985
antiquarisch erhältlich

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in der Reihe „Wiedergelesen“ siehe auch:
2mecs 26.05.2013: Das homosexuelle Verlangen / Guy Hocquenghem 1974 – wiedergelesen nach 33 Jahren
2mecs 21.08.2013: Drei Milliarden Perverse / Diekmann, Pescatore 1980 – wiedergelesen nach 33 Jahren

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HIV/Aids

Aids Walk 1988 San Francisco

„AIDS Walk“ – unter diesem Motto finden seit 1985 Benefiz-Events in den USA statt, die dazu beitrugen, Millionen-Beträge für die Aids-Bekämpfung zu sammeln, so auch der Aids Walk 1988.

Der erste Aids-Walk fand 1985 in Los Angeles statt, zwei Jahre später auch in New York und San Francsico. Max Kirkeberg, inzwischen 80 Jahre alt, der erstmals 1988 am Aids-Walk in San Francisco teilnahm, weist darauf hin, dass zu Beginn vor allem Schwule, die meisten von ihnen HIV-positiv, am Aids-Walk teilnahmen

„In the early years of the AIDS Walk, most of the walkers were gay men and most of them were infected with HIV.“

Aids Walk 1988 – Fotos

Plakat für den Aids Walk 1988
Plakat für den Aids Walk 1988

Plakat für den Aids Walk 1988
Plakat für den Aids-Walk 1988

Fotos: Juni 1988, San Francisco, während der ‚Carnival procession & market‘

Den ‚ Aids Walk ‚ gibt es in den USA immer noch. 2013 findet er in San Francisco am 21. Juli statt (New York: 19. Mai, Los Angeles 13. Oktober).

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Hamburg Homosexualitäten

30 Jahre mhc Hamburg – Fotos vom Jubiläum 2013

30 Jahre mhc Hamburg: Am 30. Mai 2013 feierte das Magnus Hirschfeld Centrum in Hamburg sein 30-jähriges Jubiläum unter dem Motto „30 Jahre Einsatz für queere Emanzipation“.

mhc Magnus Hirschfeld Centrum Hamburg
mhc Magnus Hirschfeld Centrum Hamburg