Kategorien
HIV/Aids

Erfindung des safer sex : Mai 1983 “How to Have Sex in an Epidemic“

Im Mai 1983 erschien die erste Broschüre, in der das HIV-Risiko vermindernde Sex-Verhaltensweisen für Schwule bejahend propagiert wurden – die Erfindung des safer sex :

30 Jahre safer sex “How to Have Sex in an Epidemic – die erste safer sex -Broschüre“

Im Mai 2013 jährt sich nicht nur die erstmalige Beschreibung von HIV als Erreger von HIV, sondern auch „die Erfindung von safer Sex“, die erstmalige Darstellung von ’safer sex‘ in einer Broschüre.

Am 20. Mai 1983 veröffentlicht Luc Montagniers Arbeitsgruppe ein Bild des neuen Erregers in der Zeitschrift “Science”. Und nahezu zeitgleich (und kurz nach Larry Kramers Wut-Rede „1,112 and counting“ vom 14. März 1983) erschien in den USA die Broschüre „How to have sex in an epidemic“ (Wie kann man Sex haben in Zeiten einer Epidemie?).

In den USA veröffentlichen der New Yorker Arzt Joseph Sonnabend (1933 – 2021) und zwei seiner Patienten, der 1993 verstorbene Schriftsteller und Musiker Michael Callen und Richard Berkowitz (portraitiert in dem Dokumentarfilm ‘Sex positive’), eine der ersten umfassenderen Aufklärungsschriften: “How to Have Sex in an Epidemic“.

30 Jahre safer sex : How to Have Sex in an Epidemic (Berkowitz Callen Sonnabend 1983, Cover)
30 Jahre safer sex : How to Have Sex in an Epidemic (Berkowitz Callen Sonnabend 1983, Cover)

How to have sex in an epidemic: one approach” war die erste Sex bejahende Anleitung für risikomindernde Praktiken für schwule Männer. Sonnabend, Berkowitz und Callen propagieren darin u.a. als eine der ersten ‘Safer Sex’:

Sex doesn’t make you sick – diseases do… Once you understand how diseases are transmitted, you can begin to explore medically safe sex.

Der Ratgeber stand damit damals im Gegensatz zu den Vorschriften, die Ärzte Schwulen zu machen versuchten.

Die 40 Seiten umfassende Broschüre erschien erstmals im Mai 1983 in einer Start-Auflage von 5.000 Exemplaren.

Bereits zuvor, im November 1982, hatten Callen und Berkowitz (gemeinsam mit Richard Dworkin) unter dem Titel “We know who we are: Two Gay Men Declare War on Promiscuity” [2] einen Text im New York Native veröffentlicht, ein Vorläufer ihrer safer sex Broschüre und geradezu eine Manifest gegen Promiskuität (die sie nicht als unmoralisch, sondern als „ganz simpel gefährlich“ bezeichneten:

Diejenigen unter uns, die ein Leben exzessiver Promiskuität gelebt haben im schwulen Grossstadt-Zirkus zwischen Saunen, Darkrooms, Sexclubs und Cruisingbars wissen wer wir sind … Die Promisken unter uns saßen bisher während dieser Epidemie eher schweigend am Rand, und durch unser Schweuigen haben wir stillschweigend Spekulationen um einen neuen, mutierten Andromeda-Virus befördert. Wir schwiegen, weil wir nicht willens waren die Verantwortung zu übernehmen für die Rolle, die unser ausschweifendes leben in der gegenwärtigen Gesundheitskrise spielt. Aber tief in unserem inneren wissen wir, wer wir sind, und warum wir krank sind.“ [[2], Übersetzung UW]

Sie zeigten sich damit damals als Vertreter der ‘multifaktoriellen Hypothese’ zum Entstehen von Aids. Die ‘single factor theory’ setzte sich letztlich mit dem Entfdecken von HIV und der Erkenntnis, dass HIV die Ursache von Aids ist durch – doch Berkowitz ist sich noch heute sicher, dass es nur den Anhängern der Multi-Faktoren-Theorie möglich war. das Konzept des safer sex zu entwickeln:

“Safe sex was never – and could never – have been proposed in the terrifying early years by those who believed that if you had one broken condom you were dead. It was therefore left to the multifactorialists to invent safe sex.”

Eine weitere, ebenfalls zu dieser Zeit erschienene Broschüre, gilt ebenfalls als weiterer ‘Urvater’ des Safer Sex Konzepts: das Flugblatt ‘Play Fair!’ der Sisters of Perpetual Indulgence San Francisco (unter Leitung der ausgebildeten Krankenpfleger Sr. Florence Nightmare und Sr. Roz Erection).

.

[1] Richard Berkowitz, Michael Callen: How to Have Sex in an Epidemic: One Approach
[2] Richard Berkowitz, Michael Callen, Richard Dworkin: “We know who we are: Two Gay Men Declare War on Promiscuity” New York Native, November 8—21, 1982
Michael H. Merson, Jeffrey O’Malley, David Serwadda, Chantawipa Apisuk: „The history and challenge of HIV prevention“ The Lancet. online, 6. August 2007 (pdf)
Huffington Post 06.02.2013: Saving Safe Sex: An Interview With Richard Berkowitz
International gay & Lesbian Review 2003: Stayin’ Alive: The Invention of Safe Sex
Sisters of Perpetual Indulgence: Play Fair! (1982)
.

Kategorien
Homosexualitäten

Guy Hocquenghem (1946 – 1988)

Guy Hocquenghem (geboren am 10. Dezember 1946 in Boulogne-Bilancourt; gestorben am 28. August 1988 in Paris) gilt als Galionsfigur der französischen Schwulenbewegung der 1970er Jahre.

Hocquenghem betrachtete Promiskuität, vielfältige sexuelle Erfahrungen als emanzipatorischen Akt. Durch ein offenes und fröhliches Sexleben weise der Schwule die gesellschaftliche Dämonisierung des Analverkehrs und ihre Fixierung auf das anale Tabu zurück.

Liebe mit jedem machen und diesen jeden auch noch verändern: das haben wir unterschätzt, indem wir das homosexuelle Verlangen auf das Verlangen reduzierten, mit anderen Männern ins Bett zu gehen. … Unser Verlangen hat keinesfalls den Traum als Ziel, uns vor der Front der ‚Hetero‘-Normalität als homosexuelle Normalität einzurichten.“
(Guy Hocquenghem 1979)

Guy Hocquenghem studierte an der École normale supérieure,  wurde später Dozent für Philosophie an der Universität von Vincennes.

Hocquenghem war seit deren Gründung 1971 Mitglied der Front Homosexuel d’Action Révolutionaire (FHAR).

Guy Hocquenghem veröffentlichte 1972 mit „Le Désir Homosexuel“ (auf deutsch erschienen 1974 „Das homosexuelle Verlangen“) eines der wichtigsten Werke der französischen Schwulenbewegung der 1970er Jahre.

Zuvor hatte er am 10. Januar 1972 in einem Brief im Nouvel Observateur (‚Je m’appelle Guy Hocquenghem. J’ai 25 ans.‚) seine Homosexualität öffentlich gemacht. Es war das nach Verlaine 1888 vermutlich erst zweite öffentliche coming out in der französischen Presse.

Er gehörte Ende der 1970er Jahre mit zu den Initiatoren des schwulen Radiosenders Fréquence Gaie und schrieb sowohl in der Tageszeitung Libération als auch im legendären französischen Schwulen-Magazin Gai Pied. 1979 arbeitete er gemeinsam mit dem Regisseur Lionel Soukaz an einem Dokumentarfilm über Homosexualität ‚Race d’Ep!‘.

Hocquenghem prägt die Begriffe der ‚homosexualité blanche‚ und ‚homosexualité noir‚. Im Gegensatz zur ‚homosexualité blanche‚, austauschbar und ohne soziale Risiken, sei die ‚homosexulité noir‚ eine Art Wirbelwind, der die Situation und vor allem Identität des Subjekts in Frage stelle.

Später formuliert er (in Liberation 29. März 1976) „Ein Stereotyp eines Staats-Homosexuellen … ersetzt nach und nach die barocke Diversität traditioneller homosexueller Stile. … Kommt schließlich die Zeit in der der Homosexuelle nicht mehr ist als ein Sex-Tourist, ein höfliches Mitglied im Club Méditerranée …

Hocquenghem verfasste neben seinen aktivistischen Schriften auch zahlreiche Romane und andere Werke, so u.a. ‚L’amour en relief‚, ‚Voyages et aventures extraordinaires du frère Aneglo‚, ‚Eve‚, ‚Co-ire, album systématique de l’enfance‚ oder ‚Le Gay voyage‚.

Guy Hocquenghem starb am 28. August 1988 in Paris im Hôpital Claude-Bernard an den Folgen von Aids. Er ist im Kolumbarium des Pariser Friedhofs Père Lachaise beigesetzt (Division 87, Grab Nr. 392).

Guy Hocquenghem Urnen-Grab auf Père Lachaise, Paris (Foto: Pierre-Yves Beaudouin)
Guy Hocquenghem Urnen-Grab auf Père Lachaise, Paris (Foto: Pierre-Yves Beaudouin, cc by-sa 3.0)

Vue d’ensemblePierre-Yves Beaudouin / CC BY-SA 3.0

.

Guy Hocquenghem – Video

Hocquenghem 1979 im französischen TV über seine Aktivitäten, u.a. als Journalist der Tageszeitung ‚Liberation‘:
[ Video leider nicht mehr online ]

.

Welche Bedeutung Hocquenghem heute noch hat, wie sehr er im ’schwulen Gedächtnis‘ Frankreichs präsent ist, zeigt dass der schwule Buchladen von Paris ‚Les Mots à la Bouche‚ Mitte Februar 2017 eine Veranstaltung ‚Guy Hocquenghem, quel héritage aujourd’hui?‚ (Was hat uns Guy Hocquenghem heute zu sagen?; Übers. UW) durchführt.

.

Kategorien
Homosexualitäten

Guy Hocquenghem Das homosexuelle Verlangen (1974) – wiedergelesen nach 33 Jahren

Der französischer Soziologe und bedeutendes Mitglied der französischen Schwulenbewegung Guy Hocquenghem veröffentlichte im März 1972  „Le Désir Homosexuel“ (auf deutsch erschienen 1974 „Das homosexuelle Verlangen“). Einige sehr subjektive Gedanken nach einem erneuten Lesen 2013.

Guy Hocquenghem Das homosexuelle Verlangen (1974) – wiedergelesen nach 33 Jahren

Wohl 1980 oder 1981 kam dieses Bändchen in meine Büchersammlung, erstanden wie so vieles im ‚Männerschwarm‚ am Pferdemarkt. Damals war ich neu und ein ‚völlig unbeschriebenes Blatt‘ in schwulenbewegten Zusammenhängen, gerade auf dem Weg an meinem Studienort mit einigen Gefährten die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‚ zu gründen – hatte aber in Hamburg einen sehr engagierten schwulen Buchhändler, der mein Interesse und meinen Wissensdurst schnell erkannte und mich (u.a.) mit wichtigen Schriften der Schwulenbewegung der 1970er Jahre versorgte. So auch mit Guy Hocquenghem Das homosexuelle Verlangen .

Guy Hocquenghem analysiert darin, woher die Begriffe Homo- und Heterosexualität stammen, welche Ideologien seiner Ansicht nach dahinter stehen, und fragt nach gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sowohl der Repression als auch einer moderaten liberalen Haltung der ‚Duldung‘ von Homosexualität. Er nimmt dabei wesentlich Bezug auf Deleuze/Guattaris Anti-Ödipus [1] sowie immer wieder auf Freud.

„Das homosexuelle Verlangen“ ist Teil einer Trilogie mit den weiteren Teilen  „L’Après-Mai des faunes“ (1974) und „Le dérive homosexuelle“ (1977). “ Das homosexuelle Verlangen “ wurde damals als ‚Manifest der homosexuellen Revolution‚ betrachtet. Es gilt inzwischen als eines der ersten Bücher der Queer-Theory.

.

Ich frage mich beim erneuten Lesen zunächst längere Zeit erstaunt, was bedeutete mir dieses Buch damals, und warum? Und was bewirkte es?
Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Texten der damaligen Zeit finde ich hier kaum eigene Anmerkungen, Notizen, Markierungen im Buch, die mir Aufschluss geben können. So bleibt Verwunderung.  Das viele Psychologisieren sagt mir heute nur noch wenig. Der Text mutet mir in weiten Teilen ‚gestrig‘ an, führt Debatten die mir selbst heute nicht (wirklich: nicht mehr?) relevant erscheinen (wie Ödipus-Komplex, Psychiatrie-Debatte,  antihomosexuelle Paranoia).

Spannend und des weiteren Nachdenkens immer wieder wert hingegen scheinen mir auch heute seine politischen (anstelle: psychologischen) Analysen (z.B. Beginn von Teil III. ‚Familie, Kapitalismus, Anus‘), ebenso wie seine Gedanken zu Phallus, Männern und Herrschaft, oder (Deleuze / Guattari folgende) Gedanken zum Wesen der Lust (Phallus – Anus, S. 74 ff.). Gedanken wie diese:

  • Der Kapitalismus macht seine Homosexuellen zu mißratenen Normalen, ganz wie er seine Arbeiter zu falschen Bourgeois macht. Mehr als alle anderen manifestieren die falschen Bourgeois die Werte der Bourgeoisie (vgl. die proletarischen Familien), und die mißratenen Normalen betonen die Normalität und übernehmen ihre Werte für sich (Treue, Liebesverhalten etc.).“  (S. 72)
  • die Furcht vor Geschlechtskrankheiten als Schutzgitter der sexuellen Normalität dient.“ (S. 37)

Stellenweise erweckt der Text den Eindruck des Durchscheinens späterer queertheoretischer Gedanken, etwa wenn Hocquenghem vom „Ende der sexuellen Norm überhaupt“ spricht (S. 139)  – oder ist dies eine ‚Vereinnahmung im Nachhinein‘?

  • der Undifferenziertheit des Verlangens begegnen“ (S. 80)
  • Eher schon wäre das homosexuelle Verlangen zu beschreiben als ein Verlangen nach Lust unabhängig vom System, nicht bloß innerhalb oder außerhalb des Systems.“ (S. 102, Hervorhebung im Original)
  • Doch anstatt diese Streuung der Liebesenergie als Unfähigkeit zur Orientierung auf ein Zentrum zu interpretieren, kann man in ihr das System des nicht-exklusiven Schweifens und Sichverbindens des polymorphen Verlangens erblicken.“ (S. 127)

Gegen Schluss des Buches, lesenswert auch heute Hocquenghems – auch aus der Zeit der 1970er Jahre- Schwulenbewegung heraus zu betrachtenden – Gedanken zu „Der homosexuelle Kampf“ (Kap. V), den er auch den „gesellschaftlichen Kampf des Verlangens“ nennt, insbes. Überlegungen zum Begriff der Revolution wie

  • Hier ist es den homosexuellen Bewegungen gemeinsam mit andere gelungen, einen Bruch aufzureißen, durch den schlagartig deutlich geworden ist, wie reaktionär die Erwartung eines Umsturzes ist, der von einem virilen, breitschultrigen Proletariat herbeigeführt werden soll“ (S. 133)
    [dies eine der wenigen bereits damals markierten Stellen – ich erinnere mich an erregte Debatten mit Vertretern gewisser ‚linker‘ Gruppierungen über Haupt- und Nebenwiderspruch, und warum mein Engagement in der Schwulenbewegung der falsche Ansatz sei].
  • Das traditionell-revolutionäre Denken und Handeln hält an der Trennung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten wie an etwas selbstverständlichem fest. Kennzeichen der homosexuellen Intervention ist dagegen, daß sie das Private, die schamhafte kleine Heimlichkeit der Sexualität, in die Öffentlichkeit, in die gesellschaftliche Organisation eingreifen lässt.“ (S. 134)

.

Letztlich bleibt mir nach dem erneuten Lesen mit über 30 Jahren Abstand zunächst der Eindruck eines in weiten Teilen ein wenig ‚abgestandenen‘ Buches – mit einigen auch heute noch recht frisch anmutenden Passagen, wie z.B.

  • Es kommt also nicht einmal so sehr darauf an, ob man mit Knaben Geschlechtsverkehr hat oder nicht, sondern ob man ein guter Homosexueller ist. Wenn ihr nicht sublimiert, so seid euch eurer Verworfenheit bewußt!“  (S. 61; Hervorhebung im Original)
  • Der produzierte Homosexuelle braucht nun nur noch den Platz einzunehmen, den man ihm reserviert hat, er braucht nur noch die Rolle zu spielen, die man für ihn programmiert hat, – und er tut es mit Begeisterung und will immer noch mehr davon.“  (S. 56; Hervorhebung im Original)

Allein, diese Sätze könnten heute Ausgangspunkt sein für womöglich spannende Gedanken, Fragen an die heutige Situation, jedoch als Sätze, die ich losgelöst vom Kontext ihres Entstehens verwenden würde.

Ein Buch als ‚Satz-Steinbruch‘ – welch seltsamer Gedanken. Doch – durchhalten!, die Lektüre lohnt, gerade gen Schlusskapitel V und Schlußfolgerung.

Die homosexuelle Bewegung zeigt auf, daß die Zivilisation jene Falle ist, in der sich das Verlangen verfängt.“ (S. 136)

Hocquenghems ‚ Das homosexuelle Verlangen ‚ ist eine letztlich lohnenswerte Lektüre, auch über 40 Jahre nach seinem ursprünglichen Erscheinen. Mit Gedanken, die auch heute noch die Debatte bereichern könnten.

Am 10. Mai 2010 erschien das Buch in Frankreich in einer Neu-Auflage.

.

Flugblatt der FHAR 1971
Flugblatt der FHAR 1971 [2]

.

Guy Hocquenghem – Video

Guy Hocquenghem 1979 im französischen TV über den französischen Dokumentarfilm ‚Race d’Ep‚, an dem er beteiligt war:
[ Vieo leider nicht mehr online ]

.

Guy Hocquenghem
Das homosexuelle Verlangen – „Nicht das homosexuelle Verlangen ist problematisch, sondern die Angst vor der Homosexualität“
München 1974
(nur noch antiquarisch erhältlich)
in Frankreich 2000 neu erschienen mit einem (neuen) Vorwort des französischen Philosophen René Schérer

siehe auch:
Bill Marshall: Guy Hocquenghem. Theorising the Gay Nation, London 1996
(US-Ausgabe Durham 1997 mit dem Untertitel ‚Beyond Gay Identity‚)

.

[1] Gilles Deleuze (frz. Philisoph, 1925 – 1995) und Félix Guattari (frz. Psychoanalytiker, 1930 – 1992): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I (mit einem Vorwort von Michel Foucault; Frankfurt 1974; original 1972: L’anti-Oedipe), Kritik der Psychoanalyse nach Freud, die als Instrument der Aufrechterhaltung von Repression betrachtet wird.
[2] Der Text des Flugblattes der FHAR 1971 lautet etwa: „Wir sind über 343 Schlampen. Wir haben uns von Arabern in den Arxxx fxxxen lassen. Wir sind stolz darauf und wir werden es wieder machen. Unterzeichne, und lass auch andere dies mit unterzeichnen!“ [Übers. UW] Der Text nimmt Bezug auf das (in Frankreich damals breit bekannte) Manifest der 343, eine Anzeige im Nouvel Obervateur (5. April 1971), in der 343 Frauen bekannten abgetrieben zu haben.

.

in der Reihe „Wiedergelesen“ siehe auch:
2mecs 05.06.2013: Schwule Regungen, Schwule Bewegungen / Willi Frieling 1985 – wiedergelesen nach 28 Jahren
2mecs 21.08.2013: Drei Milliarden Perverse / Diekmann, Pescatore 1980 – wiedergelesen nach 33 Jahren

.

Kategorien
Berlin

Polnische Botschaft Berlin : Piepmatz mit traurigen Aussichten (akt.)

Polnische Botschaft Berlin :  ein Vogel, der sich auf ein Lindenblatt gesetzt hat. Motiv auf der (wundervollen) Eingangs-Verkleidung der früheren (und  nicht mehr lange stehenden) Botschaft Polens in Berlin Unter den Linden.

Polnische Botschaft Berlin – Lindenblatt-Plastik, Prof. Fritz Kühn, Detail

Piepmatz, Polnische Botschaft Berlin (Metallplastik, Prof. Fritz Kühn 1964)
Piepmatz, Polnische Botschaft Berlin (Metallplastik, Prof. Fritz Kühn 1964)

Das Botschaftsgebäude wurde als Stahlskelettbau von der DDR errichtet 1963/64 nach Entwürfen der Architekten Emil Leybold und Christian Seyfarth.

Kategorien
HIV/Aids

Aids-Überlebende fragen: Ist das mein wunderbares Leben? [Video]

„Ist das mein wunderbares Leben? Perspektiven der Überlebenden der Aids-Generation“ war der Titel einer Panel-Diskussion in New York, die Situation, Lebensgefühl und Perspektiven von Schwulen über 40 thematisierte, die die Aids-Krise ‘überlebt’ haben (‚ Aids-Überlebende ‚). Nun ist ein erstes zusammenfassendes Video über die Diskussion online verfügbar.

Das gut zehnminütige Video gibt einen guten Einblick in ein über 3 Stunden dauerndes Forum, das am 9. Mai 2013 im Baruch College in New York City stattfand. Teilnehmer der Podiums-Diskussion waren Jesus Aguais, Dr. L. Jeannine Bookhardt-Murray, Dr. Mark Brennan-Ing, Jim Eigo, Joe Jervis und Peter Staley (Kurz-Biographien hier). Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Perry N. Halkitis.

Schock, Alptraum, Unverständnis, Ignoranz – mit vielfältigen Gefühlen beschrieben Panel-Diskutanten und Zuhörer ihre Wahrnehmungen und Gefühle, ihre Lebenssituationen als ‚ Aids-Überlebende ‚. Oft mit im Spiel: Erschütterung und Hilflosigkeit angesichts von Desinteresse und Unverständnis ihres Umfeldes.

Michelangelo Signorile, bekannter US-Radiomoderator und Aids-Aktivist, hat diese Gefühle jüngst so beschrieben:

Für Schwule über 40 ist es als seien wir aus einem Krieg zurückgekehrt, einem Krieg der den meisten weit weit weg und entfernt war, selbst als er stattfand.“

Peter Staley, langjähriger ACT UP Aktivist und Mitgründer der Treatment Action Group TAG, fragt,

was sagt das alles über uns selbst? Wie geht es uns heute? Wie gehen wir selbst mit einander um? Gibt es überhaupt eine Community, die sich um uns Gedanken macht?

Jesús Aguais berichtete zur Situation bei Migranten über bemerkenswerterweise nahezu identische Ergebnisse aus Befragungen in New York und in Lateinamerika:

Das höchste Ausmaß an Isolation: Meine letzte Frage lautete, was wissen Sie über Menschen wie Sie selbst, vor 1996 HIV-positiv getestet? Und 100 Prozent der Befragten sagten: absolut nichts. Darüber sprechen wir nicht.

Gegen Ende des Videos fragt Peter Staley nüchtern:

Viele von uns sehen, wie unsere landesweiten Schwulengruppen, ebenso wie unsere großen Stiftungen, all dieses viele ’schwule Geld‘ [gay money], wie sie sich alle ausschließlich auf den Wohlfühl-Kampf für die Homo-Ehe konzentrieren. So wertvoll dieser Kampf auch ist, stellen wir uns nicht selbst eine Falle mit dieser Konzentration auf nur ein einziges Thema? Schweigen mag nicht weiterhin in einem Ausmaß wie früher Tod bedeuten [Staley spielt an auf den ACT UP Slogan SILENCE = DEATH, SCHWEIGEN = TOD], aber es ist weiterhin Triebfeder eines alarmierenden Anstiegs von HIV-Infektionen bei jungen Schwulen, besonders bei den offensichtlich besonders leicht zu ignorierenden jungen schwulen Farbigen.

Durch das ganze Video ziehen sich als (sehr unter die Haut gehender) ‚roter Faden‘ Tagebuch-Auszüge, die Joe Jervis (dem Autor des nicht nur in den USA beliebten Blogs Joe.My.God) als Selbst-Therapie schrieb, über einen Bekannten der an Aids erkrankte.

.

In Kürze soll auf YouTube ein umfangreicheres Video über die Veranstaltung online verfügbar sein.

Die Medius Working Group wurde gegründet in Erinnerung an Spencer Cox (1968 – 2012), der als Aids- / ACT UP – und Therapie-Aktivist sowie  Mitbegründer der Treatment Action Group TAG einer der Vorkämpfer dr Vertretung der Interessen HIV-Positiver insbesondere in klinischen Studien und Aids-Forschung war.

.

Medius Working Group: „Is this my beautiful life“ Trailer (11:35 min.)

siehe auch
2mecs 10.05.2013: Als kämen wir aus einem Krieg zurück, der viele kaum interessierte

.

Must-see!

Warum bekommen wir so etwas , solch ein Podium, solch ein öffentliches Reflektieren nicht hin?
Wo ist unsere Nachdenklichkeit?
Wo ist unsere Wut?
Unsere gemeinsame Stimme?

.

Kategorien
HIV/Aids

Pozitively Healthy – neue US-Positiven-Organisation?

Pozitively Healthy – heißt so die neue US-weite HIV-Positiven-Interessenvertretung in den USA, Nachfolger der erst jüngst in Insolvenz gegangenen NAPWA?

Eine neue Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, USA-weit für die Interessen der Communities von HIV-Positiven einzutreten. Pozitively Healthy, so der Name der neuen Organisation, sei Teil der Aids-Organisation HealthHIV aus Washington, so die Organisatoren in einer Mitteilung vom 10. Mai 2013.

Pozitively Healthy (Logo, Grafik HealthHIV)
Pozitively Healthy (Logo, Grafik HealthHIV)

Das Ziel von Pozitively Healthy ist es, eine starke unabhängige Stimme der 1,3 Millionen Menschen mit HIV/Aids in den USA sicherzustellen“. Ziel sei es, den Zugang zu qualitativ hochwertiger gesundheitlicher Versorgung und bestmöglicher Prävention sicherzustellen in Zeiten der Umsetzung der US-Gesundheitsreform.

An der Organisation beteiligen sich, so die Mitteilung Presseberichten zufolge, u.a. auch das Names Project und Aids-Publikationen. Hauptsitz werde Washington sein. Aids-Aktivisten überall aus den USA seien eingeladen sich zu beteiligen.

Die bisherigen USA-weite HIV-Positiven-Organsaition National Association of People With AIDS (NAPWA) hatte erst jüngst im Februar 2013 ihree Insolvenz erklärt.

Unter den 16 Mitgliedern des Vorstands von Pozitively Healthy sind auch 5 Mitglieder des ehemaligen Vorstands von NAPWA, darunter dessen ehemaliger Direktor Frank Oldham.

Aids-Aktivisten wie Michael Petrelis warnen angesichts der personellen Nähe zur früheren NAPWA zur Vorsicht.

.

HealthHIV: Pozitively Healthy – A National Coalition Advocating for HIV-positive Communities
Washingtion Balde 16.05.2013: New AIDS group debuts as NAPWA successor
Michael Petrelis 13.05.2013: Meet the New NAPWA, Same as the Old NAPWA?

.

Kategorien
HIV/Aids

Orgasmus Woche Lyon – Prävention à la francaise

Die Orgasmus Woche Lyon (‚ Orgasm‘ Week Lyon ‚) – eine „festliche und kulturelle Woche zum Thema Lust und sexuelle Gesundheit“, findet unter dem Mottto „Stöhnen in Lyon“ vom 18. bis 26. Mai 2013 statt.

Clubbings, Veranstaltungen, Konferenzen, Tagungen, Literatur … die Orgasmus-Woche Lyon versteht sich als ein ‚Marathon der sexuellen Wohlbefindens‘, in dem alle Themen rund um die fleischliche Lust und Unlust frei diskutiert werden können.

Orgasmus Woche Lyon (Grafik: Aides)
Orgasmus Woche Lyon (Grafik: Aides)

Zudem finden im Rahmen der Orgasmus Woche Lyon zwei Konferenzen statt, die eine unter dem Titel „Comment jouirons-nous dans 20 ans ?“ (übers. Wie genießen wir in 20 Jahrne, aber vulgo auch ‚Wie spritzen wir in 20 Jahren ab?‘), die zweite unter dem Titel „Le trou du cul expliqué aux enculé-e-s“ (vulgo ‚Das Arschloch, den Gefickten erklärt‘).

OrgasmWeek Lyon (Grafik: Aides)
OrgasmWeek Lyon (Grafik: Aides)

Die Orgasmus Woche Lyon wird von der französischen Aidshilfe-Organisation Aides veranstaltet in Kooperatrion mit dem INPES (Institut national de prévention et d’éducation pour la santé, Nationales Institut für Prävention und Gesundheitserziehung; 2016 aufgegangen in Santé public France), mit dem Lavoir Public und den Écrans Mixtes, Keep Smiling sowie der Vereinigung schwuler und lesbischer Unternehmer/innen SNEG.

.

Aides Lyon: ORGASM’WEEK : RUGIR À LYON ! (auch Programm)

.

Kategorien
HIV/Aids

Benetton Werbung HIV 1993: Positive abgestempelt ?

“ H.I.V. positive “ – ein Arsch, tätowiert mit diesen Buchstaben, ein Motiv der Benetton Werbung (HIV-Kampagne) sorgte 1993 für Aufregung. Die HIV-Kampagne des Textilienkonzerns wurde Gegenstand nicht nur breiter Entrüstung, sondern auch langwieriger juristischer Auseinandersetzungen, die erst nach zehn Jahren im Mai 2003 endeten. Photograph  Oliviero Toscani beendete seine Arbeit für den Textilkonzern 2000, kehrte jedoch im Dezember 2017 im Alter von 75 Jahren für eine neue Werbekampagne zurück.

Abgestempelt – Sozialkritik oder Mode-Marketing?

Groß war die Aufregung 1993. Darf man einen Arsch mit „HIV-positiv“ stempeln, das ganze photographieren und für Benetton Werbung verwenden? Auf dem Höhepunkt der Aids-Krise? Erinnert das nicht an die Tätowierungen der Häftlingsnummern, mit denen die SS Insassen im KZ Auschwitz kennzeichnete? Kann man Stigma sichtbarer machen? Werbung als sichtbarer Ausdruck des Makels Stigma HIV? Und das für kommerzielle Zwecke? Ein wohlkalkulierter, aufmerksamkeitheischender Werbeskandal? Oder lag darin ein früher Anklang HIV-positiven Selbstbewusstseins? Ein Diskriminierung bekämpfender, gar emanzipatorischer Akt?

Die Anzeige der ‚Benetton Aids-Werbung‘ erregte (wie viele der damaligen, meist vom für die Benet­tonWerbung zuständigen Oliviero Toscani konzipierten Anzeigen von Benetton, so das „Blut – T-Shirt“) die Gemüter, führte zu Diskussionen über die Grenzen der Werbung, beschäftigte den Deutschen Presserat. Harmlose Lifestyle-Werbung? Kalkulierter Werbeskandal? Entsetzliche Schockwerbung?

Viele Aids-Gruppen weltweit wenden sich gegen dieses Motiv. In Frankreich lehnen u.a. Aides, Arcat und die AFLS es ab. Anders hingegen ACT UP Paris, die sich nicht gegen diese Kampagne ausspricht. Im Gegenteil, für die spektakulärste Aktion der Gruppe, die Verhüllung des Obelisken im gleichen Jahr am 1. Dezember 1993 mit einem ‚Riesen-Kondom‘ aus Stoff, arbeitet die Gruppe mit dem Modekonzern zusammen, lässt sich sponsorn.

Oliviero Toscani selbst erläuterte später, auf die Idee zu diesem Motiv der Benetton HIV Kampagne habe ihn ein US-amerikanischer Schüler gebracht, der sich „H.I.V. positive“ auf dem Arm tätowiert habe und dann nackt zur Schule gegangen sei. Man habe ihn festgehalten und „man bedeckte schleunigst … nicht seine Blöße, sondern die tätowierte Haut!“ [4]

Oliviero Toscani, Schöpfer der umstrittenen Benetton Werbung HIV
Oliviero Toscani, Schöpfer der umstrittenen Benetton HIV Kampagne, im Sommer 2007 (Foto: Leandro Emede; Lizenz GNU freie Dokumentation)

Oliviero ToscaniLeosugar at it.wikipediaCC BY-SA 3.0

Kann man nie zu weit gehen?

„Wenn es nicht provoziert, taugt es nichts.“
(Oliviero Toscani)

Toscanis ‚HIV-Tattoo-Foto‘ für das Benetton HIV Plakat war nicht die erste Auseinandersetzung mit dem Thema Aids in Benetton-Kampagnen. Bereits ein im Magazin ‚Life‚ publiziertes Photo des an den Folgen von Aids sterbenden David Kirby (1991 mit dem ‚World Press Photo Award‘ ausgezeichnet) [1] wurde mit Einwilligung der Angehörigen für ein Plakat des Modekonzerns verwendet. Benneton spendete großzügig für eine Aids-Stiftung [2]; das Motiv wurde mit dem Preis des ‚European Art Directors Club‘ als beste Kampagne des Jahres 1991 ausgezeichnet. Das Photo wurde durch die Life-Veröffentlichung sowie die Benetton-Kampagne zu einer Ikone der frühen Visualisierung von Aids.

Oliviero Toscani arbeitete 14 Jahre lang von 1986 bis 2000 für den Modekonzern [3]. Inhaber Luciano Benetton distanzierte sich von ihm ohne Angabe eines Grundes, nachdem eine von Toscani gestaltete Kampagne dazu geführt hatte, dass zahlreiche US-Kaufhäuser die Textilien des Konzerns aus dem Programm nahmen.

Man kann nie zu weit gehen„,

soll Toscani einmal gesagt haben. Hier war er scheinbar doch zu weit gegangen, zumindest für Familie Benneton. Im Dezember 2017 allerdings waren die Bedenken der Bennetons offensichtlich nicht mehr so gravierend – Photograph Toscani kehrte für eine neue Werbekampagne zurück. Toscani kommentierte „Wir werden wieder Spaß haben„.

Die Kampagne mit dem HIV-positiv-Motiv allerdings ging offensichtlich für Benetton auch damals schon nicht „zu weit“ – allerdings landete sie jedoch in Deutschland vor Gericht.

Benetton Werbung HIV Plakat – ein Motiv vor Gericht

Um das ‚ H.I.V. positive -Motiv‘ mit dem tätowierten Arsch, das im Laufe des Jahres 1993 entwickelt und im Herbst 1993 erstmals plakatiert wurde, entspann sich in Deutschland eine bis zum Mai 2003 andauernde juristische Auseinandersetzung.

Die ‚Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs‘ hatte vor Gericht seit 1992 durch mehrere Instanzen ein Verbot des Abdrucks diverser Motive von Benetton Werbung erreicht, darunter auch eben jenes Motiv ‚HIV-positiv‘ (das in der Anzeige international lautet “ H.I.V. positive „). Der Verlag Gruner & Jahr (u.a. ‚Stern‘) wandte sich per Verfassungsbeschwerde gegen dieses Verbot des Abdrucks dreier Motive, darunter auch des Motivs ‚HIV-positiv‘. Der BGH jedoch wies die Beschwerde ab und stellte fest

Wer Gefühle des Mitleids in so intensiver Weise wie in den beanstandeten Anzeigen zu kommerziellen Zwecken ausnutzt, handelt wettbewerbswidrig.

Insbesondere das Motiv HIV-positiv verstoße, so der BGH damals, in grober Weise gegen die Grundsätze der Wahrung der Menschenwürde, in dem es HIV-Infizierte und Aids-Kranke als abgestempelt und damit als aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt darstelle.

Im Jahr 2000 hob das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese Verbote der Benetton Werbung wieder auf, insbesondere unter Verweis auf die Pressefreiheit. Zum Motiv ‚HIV-positiv‘ merkte das BVerfG an, es könne ja nicht ausschließlich so verstanden werden wie es der BGH interpretiert habe. Vielmehr könne gerade dieses Motiv auch als anklagender Hinweis auf die diskriminierende Behandlung HIV-Positiver gesehen werden. Der BGH habe sich mit diesen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinander setzen müssen.

Nach erneuter Verhandlung verbot der BGH 2001 aus der Benetton Werbung das Motiv ‚ H.I.V. positive ‚ erneut [5]. Zwar könne man die Anzeige als „aufrüttelnd“ verstehen. „Weit überwiegend“ jedoch werde die Anzeige als Werbung für Benetton wahrgenom­men, nicht als sozialkritische Stellungnahme des Konzerns. Damit diene die Anzeige auch dazu, die Not der AIDS-Kranken zum wirtschaftlichen Vorteil des Konzerns auszubeuten, urteilte der BGH.

2003 hob das BVerfG auch dieses Verbot erneut auf [6].

Im Mai 2003 zog die ‚Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs‘ ihre die Verfahren auslösende Klage gegen das Benetton Werbung HIV Plakat zurück. Die gerichtliche Auseinandersetzung um das Motiv ‚HIV-positiv‘ fand endlich ihr überraschendes Ende.

.

[1] Life: LIFE Behind the Picture: The Photo That Changed the Face of AIDS
[2] iconic photos 05.10.2009: Benetton pieta
[3] Spiegel 29.04.2000: Skandalbilder: Benetton trennt sich von Fotograf Toscani
[4] Toscani, Oliviero: Die Werbung ist ein lächelndes Aas, Mannheim 1996, S. 77
[5] Urteil des Bundesgerichtshofs vom 06.12.2001 (pdf)
[6] Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2003
.

Kategorien
HIV/Aids

Aids Veteranen : Als kämen wir aus einem Krieg zurück, der viele kaum interessierte

Michelangelo Signorile, Aids-Aktivist und in den USA sehr bekannter Rundfunk-Moderator, stellt die Frage der Aids Veteranen, befasst sich in einem sehr lesenswerten Artikel mit dem Lebensgefühl von Schwulen über 40, die die Aids-Krise ‚überlebt‘ haben.

Ein mir wesentlich erscheinender Passus:

Für Schwule über 40 ist es als seien wir aus einem Krieg zurückgekehrt, einem Krieg der den meisten weit weit weg und entfernt war, selbst als er stattfand – anders als die aktuellen Kriege der  vergangenen zehn Jahre. Alle unter uns, die diese Phase von Aids mitmachten, haben heute mit Trauer und der Schuld der Überlebenden zu kämpfen. Manche kämpfen gar mit tieferen Narben und etwas das Posttraumatischen Belastungsstörungen nahe kommt. Vieles vermengt sich mit anderen Themen, wie der Frage des Älterwerdens. Aber, wie John Voelkers jüngst bemerkte, anders als für die Veteranen anderer Kriege gibt es für die Überlebenden des Aids-Kriegs keine Unterstützungsstrukturen, ganz zu schweigen von massenhafter Trauer wie bei Kriegsopfern oder anderen Denkmalen, Trauer über all die Tausenden die an Aids gestorben sind.“ [freie Übersetzung, UW]

Michelangelo Signoriles Artikel basiert auf seinem Beitrag für ein Symposium unter dem Titel „Ist das mein schönes Leben? Perspektiven von Überlebenden der Aids-Generation“ („Is this my beautiful life? Perspectives from survivors of the Aids generation“)

.

Michelangelo Signorile in New York währned der (von ihm mit organisierten) Proteste gegen 'Proposition 8' vor dem Lincoln Center Mormonen-Versammlungsraum (Foto: David Shankbone)
Michelangelo Signorile in New York während der (von ihm mit organisierten) Proteste gegen ‚Proposition 8‘ vor dem Lincoln Center Mormonen-Versammlungsraum (Foto: David Shankbone, Lizenz cc by-sa 3.0)

Michelangelo Signorile at the New York City protest outside the Lincoln Center Mormon temple he helped organize in protest of California Proposition 8.David ShankboneCC BY-SA 3.0

.

Viele von Signoriles Gedanken sagen mir einiges. Das Gefühl eines gepflegten (manchmal auch gelangweilten, seltener auch ruppigen) Desinteresses, das einem begegnet wenn man endlich doch einmal darüber sprechen mag, was für Verwüstungen Schmerzen Narben Aids im eigenen, in meinem Leben hinterlassen hat, und wie ich damit (oder auch nicht) klar komme. Die Gefühle stiller Bestürzung, wenn ich sehe wie (in welcher Form, an welchen Orten, zu welchen Zeiten, mit welcher Resonanz usw.) bei uns der an Aids Verstorbenen gedacht wird. Das Gefühl der Schuld des Überlebens (über das ich schon vor einigen Jahren kurz geschrieben habe). Usw usw.
‚Opa erzählt vom Krieg‘, nennen wir auf Positiventreffen schmunzelnd die Programm-Ecke, in der „altes Aids“ biographisch erzählt wird. Wenige bemerken, was alles in dieser ‚lustigen‘ Formulierung stecken mag. Auch wenn der begriff Aids veteranen befremdlich klingen mag …
Die Aufarbeitung der ersten Aids-Jahre, wie sie in den USA nun beginnt (siehe das genannte Symposium), ist in Europa und Deutschland noch weitgehend unerforschtes Territorium …

.

Michelangelo Signorile 09.05.2013 (in Huffington Post): The First AIDS Generation: Grappling With Why We’re Alive and What It Means

.

siehe auch: Michelangelo Signoriles Bemerkungen zu „Aktivismus hat uns voran gebracht, nicht schwuler Mainstream

.

Kategorien
HIV/Aids

Aids-Angst im Schwarzwald 2013 (akt.2)

Aids-Angst im Schwarzwald 2013. Die regionale Aids-Hilfe kann eine Beratungsstelle nicht eröffnen – der Vermieter knickt ein, eine Wohnungs-Eigentümerin im Haus habe ein „Veto“ eingelegt, aus Angst vor Junkies und Spritzen.

Die Aids-Hilfe Schwarzwald-Baar-Heuberg plant in Rottweil, der ältesten Stadt Baden-Württembergs und Mittelzentrum der umliegenden Kreis-Gemeinden, eine Beratungsstelle zu eröffnen. Bald ist ein geeignetes Ladenlokal gefunden, ebenerdig und barrierefrei. Der Vermieter sagt schriftlich zu, für den nahen 1. Juni 2013. Doch während die Aids-Hilfe sich um Förderung bemüht, kommt die Überraschung: statt eines Mietvertrages kommt die Absage des Vermieters. Die Besitzerin einer anderen Wohnung im Haus habe, so berichtet der ‚Schwarzwälder Bote‘, ein „Veto“ eingelegt, Begründung: ihre Angst dass „hier dann lauter Spritzen rumliegen“.

Blick auf Rottweil (Foto: Christoph Probst)
Blick auf Rottweil (Foto: Christoph Probst, public domain)

Blick auf Rottweil, Baden-Württemberg, Deutschland fotografiert vom HochturmChristoph ProbstPublic Domain

Der Vorfall erinnert frappierend an ein Ereignis aus Berlin, aus dem Jahr 1986. Die frisch gegründete Deutsche Aids-Hilfe bezog in Berlin neue Räume, endlich raus aus dem ersten Büro, das ganze 10 m² ‚groß‘ war. Doch im neuen Gebäude gab es massiven Widerstand – andere Mieter schlossen sich zusammen, übten Druck auf Eigentümer und Vermieter aus. Die widerspenstigen anderen Mieter waren – Ärzte. Sie hatten Angst, um sich, um ‚die Gesundheit ihrer Patienten‘, und wohl auch um ihre Umsätze.

Im Gegensatz zum Vermieter im Schwarzwald 2013 war der Vermieter in Wilmersdorf 1986 resolut und aufgeklärt: er stand zu seinem Wort, setzte sich über die Beschwerden der anderen Mieter hinweg. Die deutsche Aids-Hilfe bekam und behielt ihren Mietvertrag.

Solche Courage scheint selbst 27 Jahre später im Schwarzwald zu fehlen. Der Vermieter steht nicht zu seiner schriftlichen Zusage, beugt sich vielmehr einem ominösen ‚Veto‘ einer Mit-Eigentümerin. Und der Vorsitzende des Aids-Hilfe-Vereins? Er gibt sich laut Bericht des ‚Schwarzwälder Boten‘ kämpferisch. Er würde sich am liebsten „reinklagen“ – leider trotz laut Anwalt guter Aussichten auf Erfolg aber nur im Konjunktiv. Auch 2013 noch.

.

Zum Welt-Aids-Tag 2012 habe ich für queer.de einen ‚Standpunkt‘ geschrieben mit dem Titel „Der alte Dämon Aids verliert seinen Schrecken“ … im Schwarzwald scheinen der Schrecken der Vergangenheit noch sehr real zu sein …

.

Aktualisierung
30.05.2013: Die Aids-Hilfe Schwarzwald-Baar-Heuberg hat inzwischen doch in Rottweil Räume anmieten können, an anderer Stelle, und eröffnet dort Anfang Juli 2013. Man fürchte den schlechten Einflusss auf eigene und Kinder in der Nachbarschaft, soll einer der geäußerten gründe für die Ablehnung seitens der vorherigen Vermieter gewesen sein, berichtet Bernd Ayasse vom Vorstand der Aidshilfe nach einem Gespräch mit einer der dortigen Bewohnerinnen.
06.06.2013: Seit dem 27.05.2013 ist die Aids-Hilfe Schwarzwald-Baar-Heuberg nach eigenen Angaben assoziiertes Mitglied der Aids-Hilfe Baden-Württemberg.

.