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HIV/Aids

HIV Heimtest Frankreich: Gesundheitsministerin für HIV Selbsttest, leitet für Zulassung erforderliches Bewertungsverfahren ein (akt.6)

HIV Heimtest in Frankreich auf dem Weg zur Zulassung – die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine hat sich für HIV Selbsttests ausgesprochen und leitet für den HIV Heimtest ( HIV Selbsttest )  in Frankreich die für eine Zulassung erforderlichen Bewertungsverfahren ein.

HIV Selbsttests zulassen, ja oder nein: Marisol Touraine, Ministerin für Gesundheit und Soziales,teilte am Samstag, 6. April 2013 ihre Entscheidung mit. Sie werde die für eine Zulassung (wörtlich: ‚Bereitstellung auf dem französischen Markt‘) des HIV-Selbsttest erforderlichen Bewertungsverfahren einleiten.

Sie werde die zuständige ‚Agence Nationale de Sécurité du médicament et des produits de santé‘ (ANSM) sowie die Haute Autorité de Santé (HAS) um ihre Einschätzung bitten, insbesondere welche Bedeutung Selbsttests innerhalb der Prävention haben können. Allerdings seien vor einer tatsächlichen Zulassung einige Voraussetzungen zu beachten, so insbesondere die Markt-Konformität (CE-Kennzeichen).

Touraine hatte am Tag zuvor ein Treffen mit dem Präsidenten des Ethik-Rats CCNE, Prof. Jean-Claude Ameisen. Bereits im Dezember 2012 hatte sich Touraine generell zugunsten von HIV Schnelltests ausgesprochen und eine breitere Verfügbarkeit angekündigt.

Derzeit findet in Frankreich ‚Sidaction 2013‚ statt, ein dreitägiger Spenden-Marathon für die Aids-Bekämpfung, der dieses Jahr am 5., 6. und 7. April unter dem Motto steht „Rufen wir nicht zu früh Sieg!“.

Marisol Touraine, Ministerin für Gesundheit und Soziales in Frankreich, im Juli 2007 (Foto: Ludovic Lepeltier)
Marisol Touraine, Ministerin für Gesundheit und Soziales in Frankreich, im Juli 2007 (Foto: Ludovic Lepeltier; Lizenz cc by-sa 2.5)

Marisol Touraine Juillet 2007I, Lepeltier.ludovicCC BY-SA 2.5

Zuvor hatte am 22. März 2013 der Nationale Aids-Rat Frankreichs CNS die Zulassung von HIV Heimtests empfohlen. Am 25. März 2013 hatte der Ethik-Rat sich ebenfalls positiv zum HIV Heimtest geäußert und Vorkehrungen anlässlich möglicher Probleme formuliert.

Jährlich werden etwa 5 Millionen HIV-Tests in Frankreich durchgeführt. Das französische Gesundheits-Institut ‚Institut de veille sanitaire‘ (INVS; 2016 aufgegangen in Santé public France) schätzt, dass in Frankreich zwischen 30.000 und 40.000 Personen mit HIV infiziert sind (Sidaction spricht sogar von 50.000, die Gesundheitsministerin in der Pressemitteilung von ‚annähernd 30.000), ohne von ihrer Infektion zu wissen, und dass diese für ca. 70% der HIV-Neuinfektionen in Frankreich verantwortlich seien.

6.100 HIV-Infektionen werden derzeit jährlich in Frankreich neu diagnostiziert, davon 60% bei sich als heterosexuell bezeichnenden Personen. 12% der HIV-Neudiagnosen erfolgen bei Menschen die jünger als 25 Jahre sind, 18% bei Menschen über 50 Jahre.

Der Nationale Aids-Rat Frankreichs schätzt, dass mit Hilfe von HIV Selbsttests jährlich etwa 4.000 HIV-Infektionen in Frankreich diagnostiziert und 400 HIV-Neuinfektionen vermieden werden könnten,

Eine jüngst in PLOS Medicine veröffentlichte Review (Meta-Auswertung von 21 Studien) hatte gezeigt, dass die Akzeptanz von HIV-Selbsttests sehr hoch sein kann, diese meist akkurate Ergebnisse liefern und es keine Hinweise auf größere Zwischenfälle (wie Selbstmorde nach HIV-Selbsttest) gebe.

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Aktualisierung
05.04.2013, 22:00: (Link zur Pressemitteilung des französischen Gesundheitsministeriums nachgetragen)
06.04.2013, 09:00:  Zunächst soll die ANSM Empfehlungen für begleitende Anwender-Empfehlungen geben, die HAS Empfehlungen, wie Selbsttests in die Gesamtstrategie der Prävention und HIV-Tests passen. Vor einem Inverkehrbringen des HIV-Selbsttest in Frankreich sind Voraussetzungen zu klären, diese sind die Einhaltung der europäischen Markt-Konformitäts-Vorschriften (CE-Kennzeichen [1]), sowie die Bereitstellung von Anwender-Information und -Unterstützung insbes. bei erforderlichen Bestätigungstests.
Touraine betont, HIV-Selbsttests sollten die vorhandenen Testangebote nicht ersetzen, sondern um ein weiteres Angebot ergänzen. Das Haupt-Augenmerk müsse weiterhin auf der Vermeidung von HIV-Neuinfektionen liegen.
06.04.2013, 11:00: Die Aktivistengruppe Warning begrüßte in einer Stellungnahme die positive Entscheidung der Ministerin und macht fünf Vorschläge für eine zügige Bereitstellung von HIV-Selbsttests in Frankreich. Um insbesondere auch Menschen mit HIV-Infektionsrisiko, die weitgehend isoliert leben, Zugang zum Selbsttest zu ermöglichen, sei eine Ermöglichung breiter Vertriebswege erforderlich. Um Speichel- und Bluttests zu vernünftigen Kosten (unter 10 Euro) zu ermöglichen, sei die Schaffung von Wettbewerbs-Bedingungen anzustreben. Die Frage der Kostenübernahme (z.B. einmal jährlich) sei zu klären. Ziel sei es, den HIV-Test zu ent-tabuisieren und die Angst um ein Wissen des eigenen HIV-Status zu bekämpfen. Warning fordert die Gesundheitsministerin zu einer breiten Kampagne gegen Serophobie und Angst vor HIV-Positiven auf.
06.04.2013, 11:00: Frankreichs Gesundheitsministerin Marisol Touraine betonte gegenüber dem französischen Radiosender Europe 1, „ich bin für eine Bereitstellung von HIV-Selbsttests.“ HIV-Selbsttests seien „Kein Allheilmittel, aber eine sinnvolle Ergänzung„.
In französischen Medien wird die Entscheidung Tourianes als „Kickoff“ oder „Grünes Licht für HIV-Selbsttest “ kommentiert.
09.04.2013: Kann man Menschen mit einer möglichen Diagnose HIV-positiv im Augenblick der Diagnose allein  lassen? Dies ist eines der wesentlichen Argumente, das gegen HIV-Selbsttests vorgebracht wird. Man kann, meint Prof. Patrick Yeni, Präsident des Nationalen Aids-Rats Frankreichs CNS, gegenüber der französischen Tageszeitung Le Monde: „Das Argument der Einsamkeit von Menschen mit dem Testergebnis ist nicht verschwunden, aber es verliert an Gewicht.“ Ein positives Testergebnis bedeute nicht mehr die gleiche schreckliche Prognose wie in der Vergangenheit.
11.04.2013: Die deutsche Aids-Hilfe spricht sich auch angesichts aktueller Entwicklungen dennoch weiterhin gegen die Einführung von HIV-Selbsttests in Deutschland aus – wird aber „Menschen, die sich für solch einen Test entscheiden, in Zukunft verstärkt durch Informationen zur richtigen Durchführung und zur Interpretation der Ergebnisse unterstützen“.
12. August 2013: Auch in Großbritannien wird die Legalisierung des HIV Selbsttest geplant.

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siehe auch
Ministère des Affaires sociales et de la Santé 05.04.2013: Dépistage du VIH : poursuite de la procédure d’évaluation de la mise à disposition d’autotests
Pant Pai N et al. Supervised and unsupervised self-testing for HIV in high- and low-risk populations: a systematic review. PLoS Medicine
aidsmap 04.04.2013: Review shows HIV self-testing to be acceptable, accurate and feasible, but finds little data on linkage to care for those testing HIV positive
Science Codex 02.04.2013: HIV self-testing: The key to controlling the global epidemic
Warning 05.03.2013: La ministre dit oui aux autotests du VIH. Warning fait 5 propositions pour une mise en place rapide et efficace
Courier de l’Ouest 06.04.2013: Coup d’envoi du Sidaction: Touraine favorable aux autotests
Europe 1 05.04.2013: Sida : feu vert pour les autotests en France
DAH 08.04.2013: HIV-Selbsttests bald auch in Frankreich?
LeMonde 09.04.2013: „Un dépistage positif ne comporte plus le même pronostic effroyable que par le passé“
Deutsche Aids-Hilfe 11.04.2013: HIV-Test für den Hausgebrauch?
pinknews 12.08.2013: UK: Sexual health charities welcome legalisation of HIV self-testing kits

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[1] Das CE-Kennzeichen ist eine Erklärung des Herstellers oder Importeurs in den Bereich der Europäischen Union gemäß EU-Verordnung 765/2008, „dass das Produkt den geltenden Anforderungen genügt, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft über ihre Anbringung festgelegt sind.“

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HIV/Aids

ACT UP Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992

ACT UP musste sich beim 3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990 noch im Rahmen einer ACT UP Aktion überhaupt Zutritt verschaffen. (siehe auch Fotos hier). Beim 4. Deutschen Aids-Kongress Wiesbaden 1992 (25. bis 28. März 1992) erhielten Positive immerhin schon in begrenztem Umfang die Möglichkeit teilzunehmen – mehr aber auch nicht. „Nicht über uns – mit uns“ war also weiterhin unsere Devise, „Schweigen = Tod“. Positiven-Beteiligung an Aids-Kongressen war damals noch ein sehr neues Thema, besonders für Mediziner und Politik.

Eines der Themen: Ignoranz und Desinteresse der Politik. Aus aktuellem Anlass – die damalige Bundesgesundheitsministerin Gerda Hasselfeldt (CDU) zeigte sich nicht eben engagiert beim Thema Aids, und blieb auch dem Kongress fern. Der Spiegel bemerkte damals lakonisch

„Als vor zwei Wochen in Wiesbaden der Vierte Deutsche Aids-Kongreß stattfand, ließ die Ministerin sich gar nicht erst blicken.“

Die Situation hatte sich für Menschen mit HIV gegenüber 1990 nicht wesentlich verändert. Noch immer gab es kaum Medikamente (mit ddI war kurz zuvor nach AZT und ddC erst das dritte Medikament in den USA zugelassen worden). Studien dauerten, der bisherige Fortschritt erschien zäh und zu langsam, die bisherigen Medikamente hatten enorme Nebenwirkungen und wirken nicht lange.

Wir wollten nicht weiter “zusehen”, wollten “rein” – nicht nur rein in den Kongress, sondern auch rein in Planung und Vorbereitung, in HIV-Studien und Aids-Forschung. ACT UP protestierte erneut, dieses mal während einer Plenar-Veranstaltung vor allen Teilnehmern während der Eröffnung des Kongresses:

ACT UP Aktion beim 3. Deutschen Aids-Kongress Wiesbaden 1992
3. Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992, ACT UP Aktion

Auf dem Bild zu sehen am Mikrophon: der 1996 im Alter von 31 Jahren an den Folgen von Aids verstorbene ACT UP Aktivist Ingo Schmitz aus Köln.

(Und der in der roten Hose und mit ACT UP T-Shirt bin ich …)

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Persönliches

Ulli 1988

So ein Bad im Pool kann ganz schön erfrischend sein, so am Rand der Wüste …

Ulli 1988 USA, Beaumont CA, im Pool
Ulli 1988 USA, Beaumont CA, im Pool

… Juni 1988, Pool des ‚Windsor Motel‘ in Beaumont CA (Riverside County)

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Homosexualitäten

Therapien für „ungewollte Heterosexualität“ – LSVD Sachsen gründet Deutsches Institut zur Heilung von Heterosexualität

01.04.2013: Anlässlich der Gründung des Deutschen Instituts zur Heilung von Heterosexualität (DIHH) durch den LSVD Sachsen erklärt Dr. h. c. Christel Rebecca von Holdt, Leiterin des DIHH:

Dr. h. c. Christel Rebecca von Holdt, DIHH: Heilung von Heterosexualität ist möglich !
Dr. h. c. Christel Rebecca von Holdt, DIHH: Heilung von Heterosexualität ist möglich !

Tagtäglich haben sich Menschen, die unter ihren unerwünschten heterosexuellen Gefühlen leiden an den Lesben- und Schwulenverband Sachsen gewandt. Sie wünschten sich eine Entwicklung ihres homosexuellen Potentials, doch mussten sie lange Zeit enttäuscht weggeschickt werden. Mit dem Deutschen Institut zur Heilung von Heterosexualität (DIHH) können wir nun endlich fachkompetente Heteroheilungskurse anbieten.

Denn Heterosexualität ist nicht angeboren. Oftmals ist sie Folge sexuellen Missbrauchs, Verführung oder anderen traumatischen Erfahrungen. Laut langjährigen, intensiven Forschungen können heterosexuelle Empfindungen auch als Versuch angesehen werden, chronische Bindungsverletzungen aus der Kindheit auszugleichen. In der Heterosexualität werden aus der Kindheit stammende, ungestillte emotionale Bedürfnisse nach Zuwendung und Wertschätzung durch den gegengeschlechtlichen Elternteil sexualisiert. Allerdings bleibt Heterosexualität immer ein vergeblicher Versuch, denn sexuelles Verhalten kann niemals emotionale Verletzungen heilen.

Das DIHH bietet den betroffenen Heterosexuellen an, über mehrere Jahre bei uns zu leben. Mit vorurteilsfreien Gesprächen über ihre Sexualität, aber auch mit Hilfe von Rollenspielen und psychotherapeutischer Begleitung können sie ihre heterosexuellen Gefühle bei uns überwinden. Sie werden selbstbewusste, stabile und glückliche Lesben und Schwule. Diese Therapien werden häufig auch von den Krankenkassen übernommen.

Wir verstehen uns als Pendant zum bereits bestehenden „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG)“ und möchten nun ebenfalls als Mitglied des Diakonie-Dachverbandes die Wahlmöglichkeiten in Sexualitätsheilungsfragen erweitern. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem DIJG, der Evangelischen Allianz oder der Organisation Wüstenstrom.

Der LSVD-Bundesverband begrüßt die Gründung des Instituts und wünscht zahlreiche Therapieerfolge. Bündnis 90/Die Grünen, die Linke, FDP und SPD haben ebenfalls ihre Unterstützung zugesagt. Einzig Bundeskanzlerin Merkel sowie einzelne Unionspolitikerinnen und -politiker zeigen sich skeptisch. Sie befürchten die Diskriminierung heterosexueller Minderheiten.

Mehr Informationen unter: www.mission-aufklaerung.de ; www.sachsen.lsvd.de

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Pressemitteilung des LSVD Sachsen

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Persönliches

Wo sind die Eier ?

Dabei waren wir ganz brav …

Frohe Ostern ... oder: wo sind die Eier ?
Frohe Ostern … oder: wo sind die Eier ?

(und er war Hete …)

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(1989)

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Homosexualitäten

IHWO und Praunheim -Film – „wir werden in unserem Bemühen um Anerkennung zurückgeworfen“

Vorauseilend brav und gehorsam sein, oder emanzipatorisch eigene Wege gehen – dieser Konflikt wird immer wieder sichtbar, in Positiven- wie auch in schwulen Bewegungen. Ein guter Reibungspunkt dafür war immer wieder Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt„. Konflikte um diesen Film waren letztlich mit für das Zerfallen der IHWO verantwortlich.

Die IHWO ‚Internationale Homophile Welt-Organisation‘ wurde 1969 in Hamburg gegründet, 1974 löste sich die Gruppe auf. Kurz zuvor wurde sie u.a. mit einer Veranstaltung im Reichshof bekannt, auf der der CDU-Politiker Rollmann von Corny Littmann geoutet (und das Outing von der IHWO vertuscht) wurde.
Auftreten und Handeln der Gruppe war geprägt vom Gedanken der Respektabilität – Anerkennung als Homosexueller erreichen mit Anpassung. Anpassen oder die Dinge ändern wollen – diese Frage sollte mit zum Bruchpunkt der Gruppe werden.

Schwule wollen nicht schwul sein

Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ wurde am 3. Juli 1971 im Rahmen der Berlinale uraufgeführt. In Hamburg wurde er erstmals am 2. Dezember 1971 im Abaton-Kino gezeigt. Zwei Tage vorher, die Ausstrahlung im Fernsehen war für den Herbst angekündigt, forderte die IHWO den WDR per Brief auf, Praunheims Film nicht auszustrahlen. Werde der Film gesendet, habe dies für die Homosexuellen verheerende Wirkungen; sie würden in ihren bisherigen Bemühungen um Anerkennung weit zurück geworfen.

Kurz nach dem ersten Brief der IHWO schrieben die beiden IHWO-Vorstände Carl Stoewahs und Claus Fischdick erneut an den WDR, diesmal als Privatpersonen, betonten ihre Bedenken, dass der Praunheim-Film Klischeevorstellungen von Homosexuellen verfestigen würde. Sie forderten den WDR auf, ein zuvor gegebenes Interview der beiden nicht zu senden. In zwei weiteren Briefe der IHWO sowie beider als Privatpersonen an den WDR tragen sie am 23. Dezember 1971 erneut ihre Bedenken gegen Praunheims Film vor.

„Schwule wollen nicht schwul sein, sondern so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger.“
Rosa von Praunheim / Martin Dannecker: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

Ohnmacht und Aufbegehren - Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik (Pretzel/Weiß 2010, Männerschwarm)
Ohnmacht und Aufbegehren – Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik (Pretzel/Weiß 2010, Männerschwarm)

IHWO „zu etabliert“? – Praunheim „ungeeignete Sensationsmache“?

Praunheims Film wurde im Januar 1972 ausgestrahlt – im Sendebereich des WDR, zuvor war der Film aus dem Gemeinschaftsprogramm der ARD gestrichen worden.

Bei einem Treffen West-Berliner Interessenten an einer lokalen IHWO -Gruppierung, zu dem der Hamburger IHWO -Vorstand angereist war, kam es zum Eklat: Praunheim und Begleiter waren anwesend, kritisierten die Arbeit der IHWO als „zu etabliert“. Kurze Zeit später stellten sich zwei IHWO-Vorstände nicht mehr zur Wiederwahl.

Im Januar 1973 wurde der Praunheim-Film endlich bundesweit ausgestrahlt (nur Bayern blendete sich aus), gefolgt von einer 100-minütigen Diskussionssendung mit u.a. Rosa von Praunheim und Martin Dannecker. Im Studio anwesend war auch ein neues IHWO -Vorstandsmitglied, er beteiligte sich jedoch nicht aktiv an der Diskussion.

Nach der bundesweiten Ausstrahlung des Praunheim-Films begründete der IHWO -Vorstand die Ablehnung von Praunheims (als Sensationsmache kritisiertem) Film, dieser sei „als gesellschaftliches Mittel absolut ungeeignet, die allgemeine Haltung Homosexuellen gegenüber zu revidieren„.

Nicht alle Mitglieder allerdings folgten dem IHWO-Vorstand in seiner Einschätzung des Films, einige kritisierten „ein fantastisches Fehlverhalten unserer Vertreter„, andere bemerkten es seien künstliche Fronten geschaffen worden.

„Die Mehrzahl der Homosexuellen gleicht dem Typ des unauffälligen Sohnes aus gutem Hause, der den größten Wert darauf legt, männlich zu erscheinen. Sei größter Feind ist die auffällige Tunte. Tunten sind nicht so verlogen, wie der spießige Schwule. Tunten übertreiben ihre schwulen Eigenschaften und machen sich über sie lustig. Sie stellen damit die Normen unserer Gesellschaft in Frage und zeigen, was es bedeutet, schwul zu sein.“
Rosa von Praunheim / Martin Dannecker: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

Der antihomosexuelle Stein des Anstoßes

Die Positionierung der IHWO, besonders ihrer Vorstände, zu (bzw. gegen) Praunheims Film sollte zum Bruchpunkt werden. Die Folgen skizziert Wolfert (2010) mit seiner Bemerkung, Praunheims Film sei „der Stein des Anstoßes, an dem die Organisation zerbrechenn sollte'“‚.

Martin Dannecker beschreibt in einem Radio-Feature 1998 (nachzulesen im Webarchiv) die Situation generell so:

„Für diejenigen, die gemeint haben, daß die Homosexuellenpolitik aus einer geschickten Anpassung, aus einem vorauseilendem Gehorsam und aus einem Verleugnen der Differenz besteht, war das antihomosexuell. Das konnte gar nicht anders verstanden werden. Für diejenigen, wie ich, die gesagt haben, Homosexualität ist im Zweifelsfall das Ganze, auch etwas ganz Unanständiges, das charakterisiert sie nämlich, war das Politik für Homosexuelle.“

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mehr über die IHWO auf Homowiki: IHWO
Raimund Wolfert: “‘Sollen wir der Öffentlicheeit noch mehr Anlass geben, gegen die ‘Schwulen’ zu sein?’ – Zur Position der Internationalen Homophilen Welt-Organisaton (IHWO)”, in: Pretzel / Weiß: Ohnmacht und Aufbegehren – Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik, Hamburg 2010
-> homophil

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Persönliches

Ulli 2001

2001, in der Türkei (Strand an der lykischen Küste), vor einem Gleitschirm-Flug

Ulli Sommer 2001 in der Türkei
Ulli Sommer 2001 in der Türkei

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HIV/Aids

HIV Heimtest – Zeit für eine breite unaufgeregte Debatte ?

In Frankreich hat jüngst der Nationale Aids-Rat CNS eine positive Empfehlung zum HIV Heimtest gegeben, kurz darauf hat auch der Ethik-Rat CCNE sich positiv zum HIV Heimtest geäußert [1]. In Deutschland wird bisher kaum breiter über HIV Selbsttests debattiert. Das folgende Interview hat das Blog ‚Immunantwort‘ mit mir geführt (dort veröffentlicht am 29.03.2013: Schluß mit Angst: Schöner testen Zuhause? (Interview)):

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Immunantwort: Meine Geschichte der HIV-Tests verlief abenteuerlich. Meine ersten Tests kamen ziemlich unvermittelt und schlecht begleitet beim Hautarzt in Potsdam zustande. Zum Glück waren die Resultate damals alle negativ. Mein positiver Test, den ich von vornherein als positiv erwartete, fand dann im sicheren Setting einer HIV-Schwerpunktpraxis in Berlin statt. Ich war entspannt, denn ich hatte meine Ängste gegenüber HIV in der Zwischenzeit abgebaut. Trotzdem mag ich mir gar nicht vorstellen, wie Menschen reagieren die, erfüllt von der Angst vor Stigmatisierung, allein Zuhause mit zittrigen Händen ihren HIV-Test veranstalten. Das kann doch nicht gut gehen, oder?

Ulli Würdemann: Meine Test-Geschichte verlief ebenfalls abenteuerlich, wenn auch auf andere Weise und zu einer anderen Zeit. Ich wurde ohne mein Wissen (und gegen meinen erklärten Willen) auf HIV getestet. Damals gab es keinerlei Medikamente – ‘es’ zu wissen, darin sah ich keinerlei praktischen Nutzen für mich.

Ja, diese ‘zittrigen Hände’, angsterfüllt nicht nur vor Stigmatisierung sondern auch vor möglichen medizinischen wie auch biographischen Folgen im stillen Kämmerlein einen Test machen – das war immer ein starkes Argument gegen den HIV-Heimtest. Und es ist ja auch weiterhin zu berücksichtigen. HIV-positiv zu sein und dies zu wissen ist auch heute mit dem Risiko von Diskriminierung und Stigmatisierung verbunden. Und HIV-Therapie ist immer noch kein Zuckerschlecken. Deswegen ist ein HIV-Test, der in einen Beratungs- und ggf. Betreuungs-Kontext eingebunden ist, sicher eine gute Sache.
Aber vielleicht kann die Möglichkeit, einen Test auch selbst zuhause machen zu können, inzwischen eine sinnvolle Ergänzung sein?

Es geht ja nicht um Alternativen, sondern um eine weitere, komplementäre Möglichkeit. Vielleicht könnte dann eine Aufgabe von Prävention auch sein klarzumachen, dass eher ängstliche und HIV-unerfahrene Menschen in einer Beratungsstelle besser aufgehoben sind, während andere, die vielleicht auch schon Informationen zu HIV haben, mit einem Heimtest eine weitere praktikable Möglichkeit erhalten.

Immunantwort: Wo siehst Du die Vorteile und Chancen des Heimtest? Auch gegenüber der traditionellen Test-Infrastruktur?

Ein wesentlicher Vorteil: ein Heimtest ist (je nach Vertriebsweg) völlig anonym möglich. Es gibt immer noch viele Menschen, auch viele männerfickende Männer, die aus welchen Gründen auch immer nicht ‘out’ sind, oftmals auch nicht in eine Beratungsstelle, Gesundheitsamt oder Aidshilfe gehen würden – und es vorziehen sich zunächst einmal diskret und anonym Klarheit zu verschaffen. Deswegen werden in Frankreich auch verschiedene Vertriebswege für Heimtests erwogen, von Apotheken über Beratungsgruppen bis zum Internet.

Gerade die Aktivisten von Warning in Frankreich und Belgien betonen zudem immer wieder, ein selbst anwendbarer HIV-Heimtest stärke die Autonomie des Einzelnen, gerade im sensiblen Gesundheitsbereich. Autonomie werde zwar auch heute postuliert, bleibe aber doch Chimäre, da HIV-Tests bisher immer unter Aufsicht von Gesundheits-Profis stattfinden. Zukünftig könne jeder Anwender selbst aktiv Handelnder werden – auch im Bemühen, die HIV-Epidemie zu beenden. Und jeder könne zudem dabei gleichzeitig seine Privatsphäre wie auch seine Anonymität wahren.

Ein weiteres Argument ist ein ganz pragmatisches: HIV-Heimtests sind ja jetzt schon verfügbar, wenn auch nicht zugelassen: sie werden z.B. im Internet angeboten – und auch gekauft. Oft wird vor Test zweifelhafter Qualität gewarnt. Ist es da vielleicht besser, Tests kontrollierter Qualität in kontrollierten Settings verfügbar zu machen, als Test zweifelhafter Qualität und Herkunft?

Immunantwort: Was wird der Heimtest NICHT leisten können?

Hundert Prozent Sicherheit. Denn – auch Heimtests sind nicht zu 100% zuverlässig, sowohl die Tests selbst können (in seltenen Fällen) ein fehlerhaftes Ergebnis bringen (in beide Richtungen, falsch positiv oder falsch negativ), als auch die Anwendung kann fehlerhaft sein. Und es bleibt auch mit Heimtests das ‘diagnostische Fenster’, der Zeitraum zwischen Infektion und der Möglichkeit, diese nachweisen zu können.

Und Beratung – die kann kein Test ersetzen. Wie gehe ich mit dem Testergebnis um, egal wie es ausfällt? Welche Konsequenzen ziehe ich, auch und gerade für mein Sex-Leben? Kein Beipackzettel (wie jetzt in Frankreich geplant) wird das leisten können – hier wird weiterhin persönliche Beratung erforderlich und sinnvoll sein.

In der Frage ‘was heißt das für mein Sexleben’ liegt auch eines der Probleme des Heimtests: das Risiko besteht, dass er zum ‘schnellen HIV-Check vor dem Sex ohne Kondom’ verwendet wird. Aber genau diese Aussage kann er nicht sicher treffen.

Aus Sicht von Aidshilfen wie auch Gesundheitswesen wäre zudem zu bedenken, dass HIV-Heimtests möglicherweise zu einer weiteren Biomedikalisierung der HIV-Prävention führen können, zulasten sozialwissenschaftlicher Ansätze (mit denen wir ja viele Erfolge erzielt haben).

Immunantwort: Woher kommt der Sinneswandel in Frankreich? Vor einigen Jahren war die Front gegen den Heimtest doch noch absolut geschlossen

Zunächst: in Frankreich (wie übrigens auch in Belgien, wo derzeit eine ähnliche Debatte zum HIV-Heimtest läuft) ist die epidemiologische Situation eine andere als bei uns. Die HIV-Inzidenz (Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen pro Jahr und pro 100.000 Einwohner) lag in Frankreich in den letzten Jahren bei durchschnittlich 8,5 HIV-Neudiagnosen pro 100.000 Einwohner, in Deutschland bei 3,5 (und in Belgien sogar bei 10,5 bis 11). Ähnliches bei den Zahlen der an den Folgen von Aids Verstorbenen: während in Frankreich 2010 1,5 Aids-Tote pro 100.000 Einwohner verzeichnet wurden, lag dieser Wert in Deutschland bei 0,5 (und in Belgien bei 0,8). Der Handlungsdruck ist in Frankreich (wie in Belgien) vermutlich ein ganz anderer als bei uns.

Dann, die Tests sind besser geworden, sowohl was die Zuverlässigkeit des Ergebnisses angeht, als auch die Anwendbarkeit. Inzwischen gibt es auch Tests, die einfach mit einer Speichelprobe funktionieren und ziemlich schnell ein Ergebnis liefern.

Hinzu kommt, dass sich in Frankreich (wie auch in Belgien) eine neue Generation von Aktivisten engagiert und insbesondere in der multinationalen Gruppe Warning organisiert. HIV-Positive und HIV-Negative, die ‘mit HIV groß geworden sind’, andererseits aber nicht mehr den heutigen Umgang mit HIV und HIV-Positiven hinnehmen wollen. In Frankreich heißt das ganz konkret: sowohl die Aidshifen (Aides) als auch die bisher sehr stark auf Kondome fixierten Aktivisten von ACT UP Paris haben Konkurrenz bekommen, haben nicht mehr das Monopol für Betroffene zu sprechen. Gerade Warning hat spätestens seit der XIX. Welt-Aids-Konferenz in Washington das Thema HIV-Heimtest in Frankreich (ebenso wie in Belgien) sehr stark gepusht. Das Votum des Nationalen Aids-Rats geht nicht zuletzt auf Druck zurück, den Warning auf die Gesundheitsministerin ausgeübt hat.

Immunantwort: Wie schätzt Du die Chancen für eine Zulassung des Heimtests in Frankreich heute ein?

Der Nationale Aids-Rat Frankreichs (CNS), der auf Bitte der Ministerin für Gesundheit und Soziales vom August 2012 aktiv wurde, hat am 22. März seine Empfehlung zur Zulassung von HIV-Heimtests in Frankreich publiziert, am 25. März hat der Ethik-Rat (CCNE) ein positives Votum zum HIV Heimtest bekannt gegeben.
Neben diesen beiden die französische Regierung beratenden Gremien fordern inzwischen auch viele Aids-Organisationen von der französischen Aidshilfe Aides über die Aktivisten von ACT UP und die Positiven- und Gesundheits-Gruppe Warning die Zulassung von HIV-Heimtests. Ich rechne einer baldigen Entscheidung der Gesundheitsministerin Marisol Touraine. Allerdings sind dann noch praktische Fragen zu klären, wie die erforderliche ‘CE-Kennzeichnung’, so dass es bis zur echten Verfügbarkeit noch ein wenig dauern könnte. [1]

Immunantwort: In wie weit sind uns die Franzosen in ihrer Diskussion voraus?

Im ‘voraus’ läge ja eine Wertung 😉

In Frankreich ebenso wie in Belgien ist eine Debatte angestossen darüber, wie will die Gesellschaft mit HIV leben, und welcher Werkzeuge bedient sie sich dabei. Auch in Frankreich nehmen an diesen Debatten nicht so viele Schwule teil, wie man angesichts der epidemiologischen Daten vielleicht wünschen könnte – aber ich habe den Eindruck mehr als hier in Deutschland. Das empfinde ich tatsächlich als ‘uns voraus sein’ – dass Debatten nicht nur in Insider-Kreisen wie in Aidshilfen oder unter manchen HIV-Positiven stattfinden, sondern offen, unter breiter Beteiligung.

In Frankreich wird der Autonomie des Einzelnen wesentlich mehr Bedeutung, auch in der öffentlichen Debatte, beigemessen. Diese Bedeutung der Autonomie kommt auch in der Sprache zum Ausdruck: während wir von ‘HIV-Heimtest’ sprechen, sagen Franzosen ‘HIV-Selbsttest’ (autotest VIH). Auch diesen Gedanken der Stärkung der Autonomie finde ich anregend für Debatten hierzulande.

Immunantwort: Wie verlaufen hier in Deutschland eigentlich die Diskussionslinien beim Heimtest? Wer hält welche Standpunkte?

Gibt es in Deutschland Diskussionen dazu? Hin und wieder (wie zuletzt als in den USA der HIV-Heimtest zugelassen wurde) äußert sich die Deutsche Aids-Hilfe, oder eine Bundeseinrichtung warnt vor Tests aus dem Internet. Aber eine breite Debatte zum Heimtest, in schwulen Szenen? Habe ich bisher hier nicht wahrgenommen. Manchmal scheint mir, in schwulen Szenen wird dem Thema HIV (wie auch Leben mit HIV) eher gelangweiltes Desinteresse entgegen gebracht.

Die Zeiten haben sich verändert. HIV hat sich verändert. Deswegen: zunächst braucht es meiner Meinung nach eine offene (und nicht nur verdeckte) Debatte über HIV-Heimtests bei uns, in und außerhalb von Aidshilfen. Und auch in schwulen Szenen (die ja immer noch am stärksten von HIV betroffen sind). Wir müssen als Schwule doch ein eigenes Interesse haben, dass sich nicht immer noch viele Hundert von uns jährlich mit HIV infizieren? Stört es uns nicht, dass immer noch viele mit HIV infizierte Menschen erst spät Zugang zu Therapie haben – weil sie nicht von ihrer Infektion wissen? Und wenn wir Positive selbst feststellen, dass das Aids der 1980er und 1990er Jahre nicht mehr das heutige ist, dass Leben mit HIV heute entspannter sein kann – vielleicht können wir dann auch überlegen, mit dem Thema HIV-Heimtest entspannter umzugehen? Und Nutzen und Risiken des HIV-Heimtest anders abwägen als in früheren Jahren?

Immunantwort: Der Heimtest, der in Deutschland offiziell zugelassen ist, sieht idealerweise wie aus? Und wer vertreibt und bezahlt ihn?

Derzeit ist es wohl zu früh, das zu sagen. Und auch, ob und für wen HIV-Heimtests überhaupt bei uns eine sinnvolle Ergänzung im ‘Köcher der Prävention’ sein können. Aber ich denke es ist an der Zeit, unaufgeregt eine breite und offene Debatte über HIV-Selbsttests zu führen.

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Aktualisierung
[1] Frankreichs Gesundheitsministerin Touraine hat am Freitag 05.04.2013 das für die Zulassung erforderliche Bewertungsverfahren eingeleitet.

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siehe auch
alivenkickin 10.04.2013: HIV Selbsttest? Wieviel Selbstbewußtsein und Eigenverantwortung darf s denn sein?

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Persönliches

Sommer 1987 – Ulli mit Zopf

Wie viele Jahre verbrachten wir auch 1987 unseren Sommer-Urlaub zum großen Teil in der Bretagne. Dieses Jahr allerdings war etwas anders … Ulli lief mit blondem Zopf herum:

Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne
Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne

Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne
Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne

Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne
Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne

Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne
Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne

‚Von vorne‘ sah ich übrigens ‚ganz normal‘ aus:

Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne
Ulli, Sommer 1987, in der Bretagne

[und – der Attraktivität an den schwulen Stränden schadete der Zopf ganz und gar nicht … eher im Gegenteil 😉 ]

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Politisches

Bloggen kann die Welt verändern!

Kann schreiben, kann bloggen „die Welt verändern“? Nun … ich denke: ja! Seit vielen Jahren schreibe ich, und seit 2006 mit dem (nicht nur technischen) Mittel des Weblogs / Blogs.  Den folgenden Text habe ich für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe verfasst, dort ist er am 21. März 2013 unter dem Titel „Bloggen kann die Welt verändern! – Positiv bloggen – Teil 2“ erstveröffentlicht als Teil 2 der Mini-Serie „Positiv bloggen“. Teil 1 stammt von Marcel Dams unter dem Titel „Ich mache es einfach selbst!

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Bloggen kann die Welt verändern!

Positiv bloggen – Teil 2

Welche Rolle spielen Blogs und positive Blogger für das Leben mit HIV? Ulli Würdemann sagt: Mit Blogs können wir informieren und Öffentlichkeit herstellen, kommentieren, dokumentieren, skandalisieren, bündeln und Bewegung machen – und so Schritt für Schritt die Wirklichkeit verändern.

Bloggen kann die Welt verändern? Ganz schön vermessener Gedanke, oder? Was kann ich als HIV-Positive(r) denn schon tun?

Ganz schön viel – gerade ein Blog ist eine einfache und wirksame Möglichkeit, seine Meinung zu äußern, seiner Stimme Gehör zu verschaffen und Schritt für Schritt die Wirklichkeit zu verändern.

Ein Beispiel: Ein junger Mann, schwul, HIV-positiv, kehrt nach zehn Jahren im europäischen Ausland in seine Heimatstadt zurück, möchte ein Restaurant eröffnen. Alles scheint gut zu laufen, der Pachtvertrag, die Gespräche mit der Bank. Er ist Sternekoch, sein Geschäftsmodell verspricht Erfolg. Doch plötzlich versagt die Bank den Kredit. Drohbriefe treffen bei ihm ein, niemand im Dorf wolle „eine schleichende Infizierung“ – solche wie ihn brauche man nicht. Schließlich erhält die Lokalzeitung Briefe, die ihn als HIV-positiv denunzieren. Und schließlich ruft die Redaktion an, möchte Details einer Todesanzeige abklären – seiner eigenen, wie sich herausstellt. Ein anonymer Fremder hat sie aufgegeben.

Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie massiv HIV-Positive immer noch Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind. Öffentlich wahrgenommen wurde das kaum. Einzig zwei Medien berichteten in ihren Regionalausgaben darüber, das „Bayern-Blatt“ der Süddeutschen Zeitung sowie eine Boulevard-Zeitung. Alle anderen Medien haben diesen Vorfall, soweit ich feststellen konnte, ignoriert, verschwiegen.

Hetze und Psychoterror gegen einen HIV-Positiven – nicht der Rede wert? Ist es nicht der Rede wert, ist es belanglos, was hier einem HIV-Positiven geschieht? Macht es nicht wütend zu sehen, dass derartige Jagdszenen heute immer noch zur Realität des Lebens mit HIV gehören? Genau hier setzen die Möglichkeiten des Bloggens an:

Öffentlichkeit herstellen

Über den Vorfall wurde nur in Bayern berichtet. Im Rest Deutschlands: Fehlanzeige. Ein Blogger hat hier schnell eine erste Nachricht erstellt (Anhaltspunkt: die „journalistischen W-Fragen“ Wer?, Was?, Wann?, Wo?, Wie?, Warum?, möglichst auch: Woher/welche Quelle?). Mit wenigen Mitteln kann er gerade die Zielgruppen informieren, die dieser Vorfall betrifft, kann Aidshilfen und HIV-Positive aufmerksam machen. Öffentlichkeit herstellen ist der erste Schritt, Dinge zu verändern. Und kann ein wichtiger Schritt sein, dem jungen Mann in Bayern zu zeigen: „Du bist nicht allein, nicht vergessen.“

Kommentieren

Bei Vorfällen wie dem obigen fällt es vielen vermutlich schwer, nur eine neutrale, die Fakten darstellende Nachricht zu verfassen. In einem Kommentar kann ein Blogger auch „klare Kante“ zeigen und seine Meinung äußern, kann zuspitzen, Fragen scharf auf den Punkt bringen, nach Konsequenzen fragen. Dabei hat sich bewährt, Nachricht und Meinung zu trennen, sei es in getrennten Texten oder zum Beispiel durch Kursivsetzen der Meinungs-Teile. Leser/innen haben so die Möglichkeit, sich zunächst einmal zu informieren und sich dann selbst eine Meinung zu bilden.

Bei Nachrichten wie auch Meinungen hat der Blogger und die Bloggerin in der Regel einen großen Vorteil: Er oder sie muss nicht „staatstragend“ sein, unterliegt meistens nicht den berühmt-berüchtigten „Sachzwängen“, mit denen so gerne begründet wird, warum man nur vorsichtig agieren oder gar nicht aktiv werden könne. Blogger sind meist nicht eng in Machtgefüge und Hierarchien eingebunden, sind nicht von öffentlichen Geldgebern oder Sponsoren abhängig. Hierin liegt eine große Freiheit: Blogger können (innerhalb des medienrechtlichen Rahmens) vergleichsweise frei und unabhängig agieren, können sagen, was andere (auch in Aidshilfen, Behörden oder Ministerien …) vielleicht im Stillen denken, aber aus (begründeter oder falscher) Rücksichtnahme nicht sagen – eine Freiheit, die wir nutzen sollten!

Dokumentieren

„Das ist ein bedauerlicher Einzelfall“ – das hören wir nur allzu oft, schütteln den Kopf, sind aber auch ratlos. Wie können wir das Gegenteil beweisen? Hier setzen die Möglichkeiten für den Blogger an: Er kann all diese „kleinen“, vermeintlich unbedeutenden Einzelfälle (die anderen Medien oft keine Nachricht „wert“ sind) sammeln, kann immer wieder, und sei es mit einer kurzen Notiz, darüber berichten, sie dokumentieren und so im Laufe der Zeit deutlich sichtbar machen: Das sind keine Einzelfälle. Hier findet strukturelle Diskriminierung statt. Hier ist ein Missstand, der behoben werden muss.

Ein gutes Beispiel dafür sind die zahlreichen Fälle, in denen HIV-Positive in Zahnarztpraxen diskriminiert werden oder sich diskriminiert fühlen, was ebenso ernst zu nehmen ist. Das kann so weit gehen, dass ihnen eine erforderliche Behandlung wegen ihres HIV-Status erschwert oder verweigert wird (oder dass sie zumindest diesen Eindruck haben). „Bedauerlicher Einzelfall“ – immer wieder ist dann dieser Kommentar zu hören, oft mit einem Achselzucken verbunden. Einzelfall: Das soll meist auch heißen, dass keine strukturellen Konsequenzen gezogen werden müssen.

Doch durch das Sammeln und Immer-wieder-öffentlich-Machen von Fällen, in denen HIV-Positive Probleme bei der zahnärztlichen Behandlung haben, können wir zeigen: Bei dieser Häufigkeit kann es sich nicht um Einzelfälle handeln, hier besteht ein strukturelles Problem. Aidshilfen konnten aktiv werden, Medien, Verbände und Politiker auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Erst dadurch kam es zu Bewegung – und Gesprächen mit den zuständigen Berufsverbänden.

Neben dem Informieren und Herstellen von Öffentlichkeit, dem Kommentieren sowie dem Dokumentieren bieten Blogs aber noch weitere Möglichkeiten – Bloggerinnen und Blogger können skandalisieren, deutlich machen, welche Bedeutung ein Thema für Menschen mit HIV hat, scharf zuspitzen, und sie können bündeln und in Bewegung setzen, zum Beispiel, indem sie Leser/innen die Möglichkeit geben, Artikel zu kommentieren, Menschen mit ähnlichen Interessen oder Meinungen in Kontakt mit einander bringen und so Handlungsmöglichkeiten schaffen.

Kann man so die Welt verändern? Ja, man kann. Und der HIV-positive Sternekoch? Ein schwuler Landrat eines Nachbarkreises bot ihm medienwirksam Asyl an (TZ). Und auch wenn dies nur die zweitbeste Lösung ist – dem Aufsuchen eines Asyls, eines Zufluchtsorts, geht ja immer eine Flucht als letzter Ausweg vor Verfolgung voraus –, so ist dies doch immerhin ein Schritt. Die bessere Lösung aber wäre wohl, sich zusammenzuschließen, sich der Situation zu stellen und gemeinsam zu versuchen, sie zu ändern.

Bloggen kann hierbei ein starkes Werkzeug sein – ein Beitrag dazu, die Welt zu verändern.