2001, in der Türkei (Strand an der lykischen Küste), vor einem Gleitschirm-Flug
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2001, in der Türkei (Strand an der lykischen Küste), vor einem Gleitschirm-Flug
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In Frankreich hat jüngst der Nationale Aids-Rat CNS eine positive Empfehlung zum HIV Heimtest gegeben, kurz darauf hat auch der Ethik-Rat CCNE sich positiv zum HIV Heimtest geäußert [1]. In Deutschland wird bisher kaum breiter über HIV Selbsttests debattiert. Das folgende Interview hat das Blog ‚Immunantwort‘ mit mir geführt (dort veröffentlicht am 29.03.2013: Schluß mit Angst: Schöner testen Zuhause? (Interview)):
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Immunantwort: Meine Geschichte der HIV-Tests verlief abenteuerlich. Meine ersten Tests kamen ziemlich unvermittelt und schlecht begleitet beim Hautarzt in Potsdam zustande. Zum Glück waren die Resultate damals alle negativ. Mein positiver Test, den ich von vornherein als positiv erwartete, fand dann im sicheren Setting einer HIV-Schwerpunktpraxis in Berlin statt. Ich war entspannt, denn ich hatte meine Ängste gegenüber HIV in der Zwischenzeit abgebaut. Trotzdem mag ich mir gar nicht vorstellen, wie Menschen reagieren die, erfüllt von der Angst vor Stigmatisierung, allein Zuhause mit zittrigen Händen ihren HIV-Test veranstalten. Das kann doch nicht gut gehen, oder?
Ulli Würdemann: Meine Test-Geschichte verlief ebenfalls abenteuerlich, wenn auch auf andere Weise und zu einer anderen Zeit. Ich wurde ohne mein Wissen (und gegen meinen erklärten Willen) auf HIV getestet. Damals gab es keinerlei Medikamente – ‘es’ zu wissen, darin sah ich keinerlei praktischen Nutzen für mich.
Ja, diese ‘zittrigen Hände’, angsterfüllt nicht nur vor Stigmatisierung sondern auch vor möglichen medizinischen wie auch biographischen Folgen im stillen Kämmerlein einen Test machen – das war immer ein starkes Argument gegen den HIV-Heimtest. Und es ist ja auch weiterhin zu berücksichtigen. HIV-positiv zu sein und dies zu wissen ist auch heute mit dem Risiko von Diskriminierung und Stigmatisierung verbunden. Und HIV-Therapie ist immer noch kein Zuckerschlecken. Deswegen ist ein HIV-Test, der in einen Beratungs- und ggf. Betreuungs-Kontext eingebunden ist, sicher eine gute Sache.
Aber vielleicht kann die Möglichkeit, einen Test auch selbst zuhause machen zu können, inzwischen eine sinnvolle Ergänzung sein?
Es geht ja nicht um Alternativen, sondern um eine weitere, komplementäre Möglichkeit. Vielleicht könnte dann eine Aufgabe von Prävention auch sein klarzumachen, dass eher ängstliche und HIV-unerfahrene Menschen in einer Beratungsstelle besser aufgehoben sind, während andere, die vielleicht auch schon Informationen zu HIV haben, mit einem Heimtest eine weitere praktikable Möglichkeit erhalten.
Immunantwort: Wo siehst Du die Vorteile und Chancen des Heimtest? Auch gegenüber der traditionellen Test-Infrastruktur?
Ein wesentlicher Vorteil: ein Heimtest ist (je nach Vertriebsweg) völlig anonym möglich. Es gibt immer noch viele Menschen, auch viele männerfickende Männer, die aus welchen Gründen auch immer nicht ‘out’ sind, oftmals auch nicht in eine Beratungsstelle, Gesundheitsamt oder Aidshilfe gehen würden – und es vorziehen sich zunächst einmal diskret und anonym Klarheit zu verschaffen. Deswegen werden in Frankreich auch verschiedene Vertriebswege für Heimtests erwogen, von Apotheken über Beratungsgruppen bis zum Internet.
Gerade die Aktivisten von Warning in Frankreich und Belgien betonen zudem immer wieder, ein selbst anwendbarer HIV-Heimtest stärke die Autonomie des Einzelnen, gerade im sensiblen Gesundheitsbereich. Autonomie werde zwar auch heute postuliert, bleibe aber doch Chimäre, da HIV-Tests bisher immer unter Aufsicht von Gesundheits-Profis stattfinden. Zukünftig könne jeder Anwender selbst aktiv Handelnder werden – auch im Bemühen, die HIV-Epidemie zu beenden. Und jeder könne zudem dabei gleichzeitig seine Privatsphäre wie auch seine Anonymität wahren.
Ein weiteres Argument ist ein ganz pragmatisches: HIV-Heimtests sind ja jetzt schon verfügbar, wenn auch nicht zugelassen: sie werden z.B. im Internet angeboten – und auch gekauft. Oft wird vor Test zweifelhafter Qualität gewarnt. Ist es da vielleicht besser, Tests kontrollierter Qualität in kontrollierten Settings verfügbar zu machen, als Test zweifelhafter Qualität und Herkunft?
Immunantwort: Was wird der Heimtest NICHT leisten können?
Hundert Prozent Sicherheit. Denn – auch Heimtests sind nicht zu 100% zuverlässig, sowohl die Tests selbst können (in seltenen Fällen) ein fehlerhaftes Ergebnis bringen (in beide Richtungen, falsch positiv oder falsch negativ), als auch die Anwendung kann fehlerhaft sein. Und es bleibt auch mit Heimtests das ‘diagnostische Fenster’, der Zeitraum zwischen Infektion und der Möglichkeit, diese nachweisen zu können.
Und Beratung – die kann kein Test ersetzen. Wie gehe ich mit dem Testergebnis um, egal wie es ausfällt? Welche Konsequenzen ziehe ich, auch und gerade für mein Sex-Leben? Kein Beipackzettel (wie jetzt in Frankreich geplant) wird das leisten können – hier wird weiterhin persönliche Beratung erforderlich und sinnvoll sein.
In der Frage ‘was heißt das für mein Sexleben’ liegt auch eines der Probleme des Heimtests: das Risiko besteht, dass er zum ‘schnellen HIV-Check vor dem Sex ohne Kondom’ verwendet wird. Aber genau diese Aussage kann er nicht sicher treffen.
Aus Sicht von Aidshilfen wie auch Gesundheitswesen wäre zudem zu bedenken, dass HIV-Heimtests möglicherweise zu einer weiteren Biomedikalisierung der HIV-Prävention führen können, zulasten sozialwissenschaftlicher Ansätze (mit denen wir ja viele Erfolge erzielt haben).
Immunantwort: Woher kommt der Sinneswandel in Frankreich? Vor einigen Jahren war die Front gegen den Heimtest doch noch absolut geschlossen
Zunächst: in Frankreich (wie übrigens auch in Belgien, wo derzeit eine ähnliche Debatte zum HIV-Heimtest läuft) ist die epidemiologische Situation eine andere als bei uns. Die HIV-Inzidenz (Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen pro Jahr und pro 100.000 Einwohner) lag in Frankreich in den letzten Jahren bei durchschnittlich 8,5 HIV-Neudiagnosen pro 100.000 Einwohner, in Deutschland bei 3,5 (und in Belgien sogar bei 10,5 bis 11). Ähnliches bei den Zahlen der an den Folgen von Aids Verstorbenen: während in Frankreich 2010 1,5 Aids-Tote pro 100.000 Einwohner verzeichnet wurden, lag dieser Wert in Deutschland bei 0,5 (und in Belgien bei 0,8). Der Handlungsdruck ist in Frankreich (wie in Belgien) vermutlich ein ganz anderer als bei uns.
Dann, die Tests sind besser geworden, sowohl was die Zuverlässigkeit des Ergebnisses angeht, als auch die Anwendbarkeit. Inzwischen gibt es auch Tests, die einfach mit einer Speichelprobe funktionieren und ziemlich schnell ein Ergebnis liefern.
Hinzu kommt, dass sich in Frankreich (wie auch in Belgien) eine neue Generation von Aktivisten engagiert und insbesondere in der multinationalen Gruppe Warning organisiert. HIV-Positive und HIV-Negative, die ‘mit HIV groß geworden sind’, andererseits aber nicht mehr den heutigen Umgang mit HIV und HIV-Positiven hinnehmen wollen. In Frankreich heißt das ganz konkret: sowohl die Aidshifen (Aides) als auch die bisher sehr stark auf Kondome fixierten Aktivisten von ACT UP Paris haben Konkurrenz bekommen, haben nicht mehr das Monopol für Betroffene zu sprechen. Gerade Warning hat spätestens seit der XIX. Welt-Aids-Konferenz in Washington das Thema HIV-Heimtest in Frankreich (ebenso wie in Belgien) sehr stark gepusht. Das Votum des Nationalen Aids-Rats geht nicht zuletzt auf Druck zurück, den Warning auf die Gesundheitsministerin ausgeübt hat.
Immunantwort: Wie schätzt Du die Chancen für eine Zulassung des Heimtests in Frankreich heute ein?
Der Nationale Aids-Rat Frankreichs (CNS), der auf Bitte der Ministerin für Gesundheit und Soziales vom August 2012 aktiv wurde, hat am 22. März seine Empfehlung zur Zulassung von HIV-Heimtests in Frankreich publiziert, am 25. März hat der Ethik-Rat (CCNE) ein positives Votum zum HIV Heimtest bekannt gegeben.
Neben diesen beiden die französische Regierung beratenden Gremien fordern inzwischen auch viele Aids-Organisationen von der französischen Aidshilfe Aides über die Aktivisten von ACT UP und die Positiven- und Gesundheits-Gruppe Warning die Zulassung von HIV-Heimtests. Ich rechne einer baldigen Entscheidung der Gesundheitsministerin Marisol Touraine. Allerdings sind dann noch praktische Fragen zu klären, wie die erforderliche ‘CE-Kennzeichnung’, so dass es bis zur echten Verfügbarkeit noch ein wenig dauern könnte. [1]
Immunantwort: In wie weit sind uns die Franzosen in ihrer Diskussion voraus?
Im ‘voraus’ läge ja eine Wertung 😉
In Frankreich ebenso wie in Belgien ist eine Debatte angestossen darüber, wie will die Gesellschaft mit HIV leben, und welcher Werkzeuge bedient sie sich dabei. Auch in Frankreich nehmen an diesen Debatten nicht so viele Schwule teil, wie man angesichts der epidemiologischen Daten vielleicht wünschen könnte – aber ich habe den Eindruck mehr als hier in Deutschland. Das empfinde ich tatsächlich als ‘uns voraus sein’ – dass Debatten nicht nur in Insider-Kreisen wie in Aidshilfen oder unter manchen HIV-Positiven stattfinden, sondern offen, unter breiter Beteiligung.
In Frankreich wird der Autonomie des Einzelnen wesentlich mehr Bedeutung, auch in der öffentlichen Debatte, beigemessen. Diese Bedeutung der Autonomie kommt auch in der Sprache zum Ausdruck: während wir von ‘HIV-Heimtest’ sprechen, sagen Franzosen ‘HIV-Selbsttest’ (autotest VIH). Auch diesen Gedanken der Stärkung der Autonomie finde ich anregend für Debatten hierzulande.
Immunantwort: Wie verlaufen hier in Deutschland eigentlich die Diskussionslinien beim Heimtest? Wer hält welche Standpunkte?
Gibt es in Deutschland Diskussionen dazu? Hin und wieder (wie zuletzt als in den USA der HIV-Heimtest zugelassen wurde) äußert sich die Deutsche Aids-Hilfe, oder eine Bundeseinrichtung warnt vor Tests aus dem Internet. Aber eine breite Debatte zum Heimtest, in schwulen Szenen? Habe ich bisher hier nicht wahrgenommen. Manchmal scheint mir, in schwulen Szenen wird dem Thema HIV (wie auch Leben mit HIV) eher gelangweiltes Desinteresse entgegen gebracht.
Die Zeiten haben sich verändert. HIV hat sich verändert. Deswegen: zunächst braucht es meiner Meinung nach eine offene (und nicht nur verdeckte) Debatte über HIV-Heimtests bei uns, in und außerhalb von Aidshilfen. Und auch in schwulen Szenen (die ja immer noch am stärksten von HIV betroffen sind). Wir müssen als Schwule doch ein eigenes Interesse haben, dass sich nicht immer noch viele Hundert von uns jährlich mit HIV infizieren? Stört es uns nicht, dass immer noch viele mit HIV infizierte Menschen erst spät Zugang zu Therapie haben – weil sie nicht von ihrer Infektion wissen? Und wenn wir Positive selbst feststellen, dass das Aids der 1980er und 1990er Jahre nicht mehr das heutige ist, dass Leben mit HIV heute entspannter sein kann – vielleicht können wir dann auch überlegen, mit dem Thema HIV-Heimtest entspannter umzugehen? Und Nutzen und Risiken des HIV-Heimtest anders abwägen als in früheren Jahren?
Immunantwort: Der Heimtest, der in Deutschland offiziell zugelassen ist, sieht idealerweise wie aus? Und wer vertreibt und bezahlt ihn?
Derzeit ist es wohl zu früh, das zu sagen. Und auch, ob und für wen HIV-Heimtests überhaupt bei uns eine sinnvolle Ergänzung im ‘Köcher der Prävention’ sein können. Aber ich denke es ist an der Zeit, unaufgeregt eine breite und offene Debatte über HIV-Selbsttests zu führen.
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Aktualisierung
[1] Frankreichs Gesundheitsministerin Touraine hat am Freitag 05.04.2013 das für die Zulassung erforderliche Bewertungsverfahren eingeleitet.
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siehe auch
alivenkickin 10.04.2013: HIV Selbsttest? Wieviel Selbstbewußtsein und Eigenverantwortung darf s denn sein?
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Wie viele Jahre verbrachten wir auch 1987 unseren Sommer-Urlaub zum großen Teil in der Bretagne. Dieses Jahr allerdings war etwas anders … Ulli lief mit blondem Zopf herum:
‚Von vorne‘ sah ich übrigens ‚ganz normal‘ aus:
[und – der Attraktivität an den schwulen Stränden schadete der Zopf ganz und gar nicht … eher im Gegenteil 😉 ]
Kann schreiben, kann bloggen „die Welt verändern“? Nun … ich denke: ja! Seit vielen Jahren schreibe ich, und seit 2006 mit dem (nicht nur technischen) Mittel des Weblogs / Blogs. Den folgenden Text habe ich für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe verfasst, dort ist er am 21. März 2013 unter dem Titel „Bloggen kann die Welt verändern! – Positiv bloggen – Teil 2“ erstveröffentlicht als Teil 2 der Mini-Serie „Positiv bloggen“. Teil 1 stammt von Marcel Dams unter dem Titel „Ich mache es einfach selbst!„
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Welche Rolle spielen Blogs und positive Blogger für das Leben mit HIV? Ulli Würdemann sagt: Mit Blogs können wir informieren und Öffentlichkeit herstellen, kommentieren, dokumentieren, skandalisieren, bündeln und Bewegung machen – und so Schritt für Schritt die Wirklichkeit verändern.
Bloggen kann die Welt verändern? Ganz schön vermessener Gedanke, oder? Was kann ich als HIV-Positive(r) denn schon tun?
Ganz schön viel – gerade ein Blog ist eine einfache und wirksame Möglichkeit, seine Meinung zu äußern, seiner Stimme Gehör zu verschaffen und Schritt für Schritt die Wirklichkeit zu verändern.
Ein Beispiel: Ein junger Mann, schwul, HIV-positiv, kehrt nach zehn Jahren im europäischen Ausland in seine Heimatstadt zurück, möchte ein Restaurant eröffnen. Alles scheint gut zu laufen, der Pachtvertrag, die Gespräche mit der Bank. Er ist Sternekoch, sein Geschäftsmodell verspricht Erfolg. Doch plötzlich versagt die Bank den Kredit. Drohbriefe treffen bei ihm ein, niemand im Dorf wolle „eine schleichende Infizierung“ – solche wie ihn brauche man nicht. Schließlich erhält die Lokalzeitung Briefe, die ihn als HIV-positiv denunzieren. Und schließlich ruft die Redaktion an, möchte Details einer Todesanzeige abklären – seiner eigenen, wie sich herausstellt. Ein anonymer Fremder hat sie aufgegeben.
Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie massiv HIV-Positive immer noch Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind. Öffentlich wahrgenommen wurde das kaum. Einzig zwei Medien berichteten in ihren Regionalausgaben darüber, das „Bayern-Blatt“ der Süddeutschen Zeitung sowie eine Boulevard-Zeitung. Alle anderen Medien haben diesen Vorfall, soweit ich feststellen konnte, ignoriert, verschwiegen.
Hetze und Psychoterror gegen einen HIV-Positiven – nicht der Rede wert? Ist es nicht der Rede wert, ist es belanglos, was hier einem HIV-Positiven geschieht? Macht es nicht wütend zu sehen, dass derartige Jagdszenen heute immer noch zur Realität des Lebens mit HIV gehören? Genau hier setzen die Möglichkeiten des Bloggens an:
Über den Vorfall wurde nur in Bayern berichtet. Im Rest Deutschlands: Fehlanzeige. Ein Blogger hat hier schnell eine erste Nachricht erstellt (Anhaltspunkt: die „journalistischen W-Fragen“ Wer?, Was?, Wann?, Wo?, Wie?, Warum?, möglichst auch: Woher/welche Quelle?). Mit wenigen Mitteln kann er gerade die Zielgruppen informieren, die dieser Vorfall betrifft, kann Aidshilfen und HIV-Positive aufmerksam machen. Öffentlichkeit herstellen ist der erste Schritt, Dinge zu verändern. Und kann ein wichtiger Schritt sein, dem jungen Mann in Bayern zu zeigen: „Du bist nicht allein, nicht vergessen.“
Bei Vorfällen wie dem obigen fällt es vielen vermutlich schwer, nur eine neutrale, die Fakten darstellende Nachricht zu verfassen. In einem Kommentar kann ein Blogger auch „klare Kante“ zeigen und seine Meinung äußern, kann zuspitzen, Fragen scharf auf den Punkt bringen, nach Konsequenzen fragen. Dabei hat sich bewährt, Nachricht und Meinung zu trennen, sei es in getrennten Texten oder zum Beispiel durch Kursivsetzen der Meinungs-Teile. Leser/innen haben so die Möglichkeit, sich zunächst einmal zu informieren und sich dann selbst eine Meinung zu bilden.
Bei Nachrichten wie auch Meinungen hat der Blogger und die Bloggerin in der Regel einen großen Vorteil: Er oder sie muss nicht „staatstragend“ sein, unterliegt meistens nicht den berühmt-berüchtigten „Sachzwängen“, mit denen so gerne begründet wird, warum man nur vorsichtig agieren oder gar nicht aktiv werden könne. Blogger sind meist nicht eng in Machtgefüge und Hierarchien eingebunden, sind nicht von öffentlichen Geldgebern oder Sponsoren abhängig. Hierin liegt eine große Freiheit: Blogger können (innerhalb des medienrechtlichen Rahmens) vergleichsweise frei und unabhängig agieren, können sagen, was andere (auch in Aidshilfen, Behörden oder Ministerien …) vielleicht im Stillen denken, aber aus (begründeter oder falscher) Rücksichtnahme nicht sagen – eine Freiheit, die wir nutzen sollten!
„Das ist ein bedauerlicher Einzelfall“ – das hören wir nur allzu oft, schütteln den Kopf, sind aber auch ratlos. Wie können wir das Gegenteil beweisen? Hier setzen die Möglichkeiten für den Blogger an: Er kann all diese „kleinen“, vermeintlich unbedeutenden Einzelfälle (die anderen Medien oft keine Nachricht „wert“ sind) sammeln, kann immer wieder, und sei es mit einer kurzen Notiz, darüber berichten, sie dokumentieren und so im Laufe der Zeit deutlich sichtbar machen: Das sind keine Einzelfälle. Hier findet strukturelle Diskriminierung statt. Hier ist ein Missstand, der behoben werden muss.
Ein gutes Beispiel dafür sind die zahlreichen Fälle, in denen HIV-Positive in Zahnarztpraxen diskriminiert werden oder sich diskriminiert fühlen, was ebenso ernst zu nehmen ist. Das kann so weit gehen, dass ihnen eine erforderliche Behandlung wegen ihres HIV-Status erschwert oder verweigert wird (oder dass sie zumindest diesen Eindruck haben). „Bedauerlicher Einzelfall“ – immer wieder ist dann dieser Kommentar zu hören, oft mit einem Achselzucken verbunden. Einzelfall: Das soll meist auch heißen, dass keine strukturellen Konsequenzen gezogen werden müssen.
Doch durch das Sammeln und Immer-wieder-öffentlich-Machen von Fällen, in denen HIV-Positive Probleme bei der zahnärztlichen Behandlung haben, können wir zeigen: Bei dieser Häufigkeit kann es sich nicht um Einzelfälle handeln, hier besteht ein strukturelles Problem. Aidshilfen konnten aktiv werden, Medien, Verbände und Politiker auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Erst dadurch kam es zu Bewegung – und Gesprächen mit den zuständigen Berufsverbänden.
Neben dem Informieren und Herstellen von Öffentlichkeit, dem Kommentieren sowie dem Dokumentieren bieten Blogs aber noch weitere Möglichkeiten – Bloggerinnen und Blogger können skandalisieren, deutlich machen, welche Bedeutung ein Thema für Menschen mit HIV hat, scharf zuspitzen, und sie können bündeln und in Bewegung setzen, zum Beispiel, indem sie Leser/innen die Möglichkeit geben, Artikel zu kommentieren, Menschen mit ähnlichen Interessen oder Meinungen in Kontakt mit einander bringen und so Handlungsmöglichkeiten schaffen.
Kann man so die Welt verändern? Ja, man kann. Und der HIV-positive Sternekoch? Ein schwuler Landrat eines Nachbarkreises bot ihm medienwirksam Asyl an (TZ). Und auch wenn dies nur die zweitbeste Lösung ist – dem Aufsuchen eines Asyls, eines Zufluchtsorts, geht ja immer eine Flucht als letzter Ausweg vor Verfolgung voraus –, so ist dies doch immerhin ein Schritt. Die bessere Lösung aber wäre wohl, sich zusammenzuschließen, sich der Situation zu stellen und gemeinsam zu versuchen, sie zu ändern.
Bloggen kann hierbei ein starkes Werkzeug sein – ein Beitrag dazu, die Welt zu verändern.
“ Aktivismus hat uns voran gebracht, nicht der schwule Mainstream …“, sagt Michelangelo Signorile anlässlich der heute beginnenden Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof über die Homo-Ehe.
In den USA entscheidet im Juni 2013 der Supreme Court (Oberste Gerichtshof, SCOTUS) darüber, ob gleichgeschlechtliche Ehen (Homoehen) mit der US-Verfassung vereinbar sind. In einem Artikel der HuffPost Gay Voices geht der US-Schriftsteller Michelangelo Signorile u.a. der Frage nach, wie Schwule und Lesben es geschafft haben, diese Frage bis zum Obersten Gerichtshof zu bringen:
„Ob es nun ACT UP war mit seinem Organisieren von zivilem Ungehorsam Ende der 1980er Jahre, als die US-Regierung die Aids-Krise völlig ignorierte, oder Mitglieder von Get Equal, die sich an den Zaun des Weißen Hauses ketteten, um den Präsidenten dazu zu bewegen, sich zu ‚don’t ask don’t tell‚ zu äußern – es brauchte mutige Menschen, die ihren guten Ruf, ihre Privatsphäre, ihre Zukunft, ihren Beruf, ihre Familien und manchmal sogar ganz wortwörtlich ihre Körper einsetzten, um die Dinge voran zu bringen. Sie widerstanden den Angriffen nicht nur der anti-schwulen Zeloten [Eiferer], der Polizei und der Medien, sondern auch denen des schwulen Establishments, das ihnen nahelegte doch brave Jungs und Mädchen zu sein.“
Michelangelo Signorile at the New York City protest outside the Lincoln Center Mormon temple he helped organize in protest of California Proposition 8. – David Shankbone – CC BY-SA 3.0
Der 1960 geborene Michelangelo Signorile ist Schriftsteller und Rundfunksprecher der wöchentlich in den ganzen USA und Kanada ausgestrahlten Sendung The Michelangelo Signorile Show. Signoriles Aktivismus wurzelt in Erfahrungen der Aids-Krise Ende der 1980er Jahre. Signorile engagiert sich seit 1988 in der Schwulenbewegung sowie bei ACT UP (wo er u.a. Vorsitzender des Media Committee war). Er war u.a. Mit-Gründer des Magazins OutWeek, schrieb für The Advocate und war Mit-Gründer der Aktivistengruppe Queer Nation. Signorile war früher Chefredakteuer der HuffPost Gay Voices.
In seinem zweiteiligen Artikel „Out at The New York Times“ thematisierte Signorile 1994 die jahrzehntelange Homophobie der New York Times, zahlreiche schwule und lesbische Mitarbeiter/innen der Zeitung, aber auch Chefredakteure und Herausgeber kamen zu Wort. Signorile hat zahlreiche Bücher über Schwule und Lesben geschrieben, u.a. Queer In America: Sex, Media, and the Closets of Power, in dem er sich mit den Folgen des versteckten Lebens als Homosexueller auseinander setzt und Outing in bestimmten Konstellationen befürwortet. Signorile outete während seiner Tätigkeit bei OutWeek u.a. den Hollywood-Produzenten David Geffen als schwul, der damals u.a. bei seinem Platten-Laben Musik der Gruppe Guns N’Roses herausbrachte, die für schwulenfeindliche Texte kritisiert wurde.
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Michelangelo Singnorile: How We Got to the Supreme Court. in: HuffPost Gay Voices Blog 25.03.2013
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Das Comité consultatif national d’éthique (CCNE), der französische Ethik-Rat, hat sich in einer heutigen Stellungnahme zum HIV Heimtest geäußert. Er spricht sich für, nicht mehr wie in seiner früheren Stellungnahme gegen HIV Heimtest aus, und formuliert Vorkehrungen aus ethischer Sicht.
Am Freitag, 22. März 2013 hatte der Nationale Aids-Rat Frankreichs die Zulassung des HIV Heimtest empfohlen. Vor einer Entscheidung der Ministerin für Gesundheit und Soziales Marisol Touraine war noch die Stellungnahme des Ethik-Rats erforderlich. Die Entscheidung des Ministeriums wird nun für die kommenden Tage erwartet.
Der Ethik-Rat CCNE betont in seiner heute publizierten Stellungnahme (Avis No. 119, siehe Link unten) einen Bedeutungswandel in der Abwägung der schon früher geäußerten Argumente. Die HIV-Infektion und sowohl die individuelle als auch die gesellschaftliche Bedeutung von HIV hätten sich im Laufe der vergangenen zehn Jahre verändert, selbst wenn psychosoziale wie auch emotionale Probleme und Risiken von Diskriminierung weiterhin bestünden. Zudem sei der Wunsch nach Freiheit und Autonomie auch auf dem Gebiet der Gesundheit in der Bevölkerung inzwischen stärker ausgeprägt. Zudem weist das CCNE auf Vorteile für die öffentliche Gesundheit hin, ohne mögliche Risiken z.B. hinsichtlich Privatsphäre oder eines möglichen Drucks (zum Test) auf Menschen zu leugnen. Er betont zudem Herausforderungen wie die Notwendigkeit einer CE-Kennzeichnung [1].
„… la perception actuelle de l’intérêt de ces autotests pour le dépistage de l’infection VIH s’écarte de celle retenue dans les avis antérieurs. L’infection par le VIH et sa représentation individuelle et collective ont, en effet, nettement évolué depuis dix ans, même si le handicap psycho social et affectif ainsi que le risque de discrimination demeurent importants. L’accès actuel au dépistage, largement organisé et solidaire, n’est cependant pas utilisé par un nombre suffisant de personnes à haut risque de contamination : constatation essentielle qui fait échec à la diminution franche de l’épidémie. Des autotests fiables de dépistage de l’infection VIH pourraient aider à combler cet échec et répondre à une nécessité de santé publique.„
Insgesamt sei die Situation nicht mehr zu vergleichen mit derjenigen bei der vorausgegangenen Entscheidung des CCNE zum HIV Heimtest . Für eine Vermarktung des HIV-Selbsttest seien wesentliche Vorkehrungen zu treffen. Diese betreffen insbesondere Aspekte der biomedizinsichen Ethik, die im Detail erläutert werden.
Das CCNE betont, es sei seine Aufgabe, ethische Aspekte der Vermarktung des HIV Heimtest zu prüfen, nicht jedoch sich zu dessen Zweckmässigkeit zu äußern.
Das CCNE hatte sich bereits in einer früheren Stellungnahme mit HIV Heimtest beschäftigt: Avis N0. 86 vom November 2004. In diesem hatte sich das Ethik-Gremium damals gegen den HIV-Selbsttest ausgesprochen.
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Anmerkung:
[1] Das CE-Kennzeichen ist eine Erklärung des Herstellers oder Importeurs in den Bereich der Europäischen Union gemäß EU-Verordnung 765/2008, „dass das Produkt den geltenden Anforderungen genügt, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft über ihre Anbringung festgelegt sind.“
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Aktualsisierung
06.04.2013: Am Freitag, 05. April 2013, hat sich Frankreichs Gesundheitsministerin Tourain für die Zulassung von HIV-Selbsttests ausgesprochen und angekündigt, die erforderlichen Bewertungsverfahren in die Wege zu leiten.
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CCNE 25.03.2013: Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH (Avis No. 119, pdf)
Harry Pauly (auch bekannt als Pauline Courage ) betrieb Mitte bis Ende der 1970er Jahre in Hamburg ein kleines Keller-Theater, zunächst unter dem Namen ‘MC Club’ (MC = Mutter Courage), ab 1976 bis 1982 dann als ‚Kellerbühne‘. In den 1950er Jahren lebte Harry Pauly in Berlin, war dort u.a. als Schauspieler und Theater-Direktor aktiv. Aus dieser Zeit stammt das Plakat einer Aufführung des ABC-Theater ‚ Direktion Harry Pauly ‚:
Mit dem Thema “sexuelle Zufriedenheit” ( sexual happiness ) bei schwulen und bisexuellen Männern habe ich mich in einer zweiteiligen Artikel-Miniserie für das Internetportal queer.de auseinander gesetzt.
Der erste Teil erschien am 18.03.2013: Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa. Teil 2 wurde zuerst veröffentlicht auf queer.de am 22.03.2013: „Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland„.
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Wie zufrieden sind wir hierzulande mit unserem Sexleben? Ganz wesentlich scheint dabei zu sein, wie mit dem eigenen Schwulsein umgegangen wird.
Von Ulrich Würdemann
Schwule und bisexuelle Männer in Europa sind zu einem beträchtlichen Teil unzufrieden mit ihrem Sexleben. Dies zeigte uns die Auswertung der ersten europäischen Befragung EMIS (queer.de berichtete) Wie aber steht es um uns in Deutschland? Sind wir sexuell zufriedener?
Auch hierzu gibt es erstmals Daten – sie stammen aus der deutschlandweiten Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) [1].
62% aller Befragten aus Deutschland sagten: „Ja, ich bin zufrieden mit meinem Sexleben“. Aber immerhin 38% verneinten dies. Nahezu 40 Prozent der schwulen und bisexuellen Männer sind unzufrieden mit ihrem Sexleben? Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Wer? Und warum?
Warum ist wer zufrieden mit seinem Sexleben? Liegt es an der Großstadt? Stimmt gar die These „Dumm fickt gut“? Beide oft zu hörenden Vorurteile konnten die Forscher nicht bestätigen – es ließ sich kaum ein Zusammenhang feststellen zwischen Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben und der Größe des Wohnorts, mit dem sozioökonomischen Status oder mit dem Bildungsniveau. Großstadt-Homos sind also nicht zufriedener mit ihrem Sex als Provinzschwule, reiche Tucken und arme Stecher sexuell kaum unterschiedlich zufrieden, und auch mit Doktortitel reicht’s (was die eigene sexuelle Zufriedenheit angeht) nicht weit, Studenten wie Grundschul-Absolventen sind sexuell gleich glücklich.
Deutlich allerdings war der Zusammenhang von sexueller Zufriedenheit und Zahl der Sexpartner: Befragte, die angaben, innerhalb der letzten zwölf Monate keinen Sexpartner gehabt zu haben, waren nur zu 28% mit ihrem Sexleben zufrieden – hingegen 56% derer mit zwei bis fünf Sexpartnern, 65% mit 6 bis 10, 72% derer mit 11 bis 50 und 82% der MSM mit mehr als 50 Sexpartnern innerhalb der letzten zwölf Monate.
Wer viele Sexpartner hat, ist also zufriedener mit seinem Sexleben? Nicht ganz – es gibt eine bemerkenswerte Ausnahme: Stolze 68% der Männer, die angaben, einen einzigen Sexpartner zu haben, waren zufrieden mit ihrem Sexleben. 80% von ihnen, merken die Forscher an, leben nach eigenen Angaben in einer eher monogamen Beziehung. Generell meinten drei Viertel aller Männer in einer festen Beziehung, sie seien zufrieden mit ihrem Sexleben.
Männer, die Analverkehr haben, sind zu 76% zufrieden mit ihrem Sexleben – Männer ohne Analverkehr hingegen nur zu 47%. Die Schwulenszene scheint zudem ein wichtiger Faktor des sexuellen Wohlbefindens zu sein: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben steigt mit der Zahl der im vorangegangenen Jahr besuchten Szeneorte (bei „keinen Szeneort besucht“ 50% unzufrieden, 1-2 Orte = 41%, 3-4 = 35%, 5-6 = 31%, 7-8 = 21%).
Die Daten aus Deutschland wurden (anders als die europaweiten EMIS-Daten [2]) auch gezielt zur sexuellen Zufriedenheit HIV-Positiver ausgewertet. Generell zeigte sich zunächst kein großer Unterschied: 67% der HIV-positiv Getesteten und 65% der HIV-negativ getesteten Männer gaben an, mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein.
Allerdings kämpfen nennenswert viele HIV-Positive mit Beeinträchtigungen ihrer Sexualität: Von den HIV-Positiven, die mit ihrem Sexleben nicht zufrieden sind, führte ein Drittel diese Unzufriedenheit auf gesundheitliche Probleme zurück, und ein Viertel berichtete von Erektionsstörungen (beide Werte deutlich über dem Durchschnitt aller Befragten).
38% der befragten schwulen und bisexuellen Männer erklärten sich unzufrieden mit ihrem Sexleben – aber warum? Was beeinträchtigt ihr Sexleben? Ganz wesentlich scheint die Frage zu sein, wie mit dem eigenen Schwulsein umgegangen wird:
Männer, die Sex mit Männern haben und verdeckt leben, beklagen deutlich häufiger einen Mangel an Sexkontakten. War dagegen ihre Homosexualität bei allen oder fast allen in ihrem Umfeld bekannt (11.008 Befragte), klagten nur 10,9%, sie hätten überhaupt keinen Sex, und 32,8% gaben an, gern mehr Sexpartner haben zu wollen. Bei Männern, bei denen niemand im Umfeld ‚davon‘ wusste (n = 2.891), hatten hingegen 13,5% überhaupt keinen Sex, und 44,5% hätten gerne mehr Sexpartner.
Bei den „verdeckt lebenden“ Homosexuellen lag auch der Anteil derer höher, die sich als sexuell unsicher wahrnahmen: 41% bezeichneten sich als sich „in sexueller Hinsicht nicht so selbstsicher, wie ich es gerne wäre“ (im Vergleich zu 37,1% der Männer, bei denen alle oder fast alle von ihrer Homosexualität wissen). Wesentlich deutlicher waren bei ihnen auch Befürchtungen, sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken: 33,9% der „verdeckt lebenden“ MSM gaben dies an im Vergleich zu 22,8% derer, bei denen ihre Homosexualität im Umfeld bekannt ist.
In allen Gruppen nahezu gleich hoch ausgeprägt war mit durchschnittlich 48,3% der Wunsch nach einer festen Beziehung – außer bei Männern, bei denen niemand in ihrem Umfeld „davon“ wusste, sie wünschten sich nur zu 33,7% eine feste Beziehung.
Stehen sich verdeckt lebende Homosexuelle mit ihrem Bestreben, ihr sexuelles Interesse an anderen Männern zu verbergen, nicht offen sichtbar werden zu lassen, „selbst im Weg“ bei ihren Wünschen nach mehr und zufriedenstellender Sexualität? Vermissen sie weniger als andere eine feste Beziehung, weil diese die weitere Verheimlichung ihrer Homosexualität gefährden könnte? Und spiegelt sich in ihrer deutlicher ausgeprägten Angst vor HIV- und STD-Ansteckungsrisiken ein schlechterer Informations-Stand?
Fragen, die nun von den Präventionsexperten in den Beratungsstellen und Verbänden diskutiert werden müssen…
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Weitere Infos zu EMIS / Fußnoten
Die “sexual happiness”, übersetzt als ‘Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben’, ist bis 2010 in Befragungen in Deutschland und Europa nie ein Kriterium gewesen. Erstmals überhaupt wurde sie im Rahmen des europaweiten Projektes EMIS [2] (European MSM Internet Survey) sowie der im Rahmen von EMIS stattfindenden deutschlandweiten Befragung Schwule Männer und Aids (SMA) thematisiert [1].
“Sind Sie mit Ihrem Sexleben zufrieden?”, wurden die Teilnehmer im deutschen EMIS-Fragebogen gefragt. Im englischen Original heißt es “Are you happy with your sex life?”, die Autoren empfanden für die deutsche Übersetzung “glücklich” als zu pathetische Formulierung und entschieden sich für “zufrieden”. Die Frage konnte von den Teilnehmern mit ‘ja’ und ‘nein’ beantwortet werden, und in einem zweiten Schritt konnten sie begründen, warum sie nicht mit ihrem Sexleben zufrieden sind.
Für die Auswertung standen insgesamt Daten von 180.000 schwulen und Bi-Männern (MSM, Männer die Sex mit Männern haben) aus 38 Ländern in Europa zur Verfügung. Aus Deutschland konnten über 14.000 Fragebögen EMIS und über 40.000 Zusatzfragebögen SMA ausgewertet werden.
[1] “Sexual happiness”. In: Michael Bochow, Stefanie Lenuweit, Todd Sekuler, Axel J. Schmidt: “Schwule Männer und HIV/Aids: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“. Aids-Forum DAH Nr. 60, Berlin Dezember 2012 [Anmerkung: Die Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) findet bereits seit 1987 statt. Aids-Forum DAH Nr. 60 berichtet über die Befragung 2010, die im Rahmen des Projektes EMIS stattfand]
[2] “Sexual Unhappiness” in: “The EMIS Network: The European MSM Internet Survey 2010 -Descriptive report of survey results”, Stockholm, ECDC; 2013 (forthcoming / Veröffentlichung geplant)
[3] Weltgesundheitsorganisation WHO: Sexuelle und reproduktive Gesundheit (Definition)
[4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Definitionen von sexueller und reproduktiver Gesundheit
Der Nationale Aids-Rat Frankreichs hat am Freitag 22. März 2013 die Zulassung von HIV-Schnelltests für die eigene Anwendung ( HIV Heimtest ) empfohlen und seine jahrelang ablehnende Haltung revidiert. In Deutschland sind selbst angewendete HIV-Schnelltests (HIV Heimtest) derzeit verboten.
Auf einer Veranstaltung am 22. März 2013 unter Leitung von Prof. Patrick Yeni, seit Mai 2012 Präsident des Nationalen Aids-Rats (Conseil national du sida, CNS), im Ministerium für Gesundheit und Soziales wurden zunächst ein Bericht und eine Stellungnahme zu HIV-Heimtests vorgestellt. Anschließend wurden in 2 Workshops mögliche Risiken und Nutzen von HIV-Heimtests (im Französischen: autotest VIH) sowie mögliche Vertriebs-Kanäle und unterstützende Maßnahmen diskutiert. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter der französischen Aidshilfe-Organisation Aides sowie von ACT UP Paris und der HIV-Aktivistengruppe The Warning. Der Nationale Aids-Rat CNS berät die französische Regierung in Aids-Fragen, er entspricht ungefähr dem nationalen Aids-Beirat in Deutschland.
Die neue Haltung des Nationalen Aids-Rats (CNS) Frankreich lautet nun:
„Considérant l’importance de l’enjeu d’améliorer la précocité du dépistage en France, les propriétés des autotests, la place qu’ils sont susceptibles de prendre dans l’offre de dépistage et leur rapport bénéfices / risques, le Conseil national du sida se prononce en faveur de la mise à disposition des autotests de dépistage de l’infection à VIH.“
(„In Anbetracht der Bedeutung der Frage der Verbesserung der Früherkennung in Frankreich, sowie der Eigenschaften des HIV-Heimtest , des Platzes den sie vermutlich im Rahmen von Testangeboten einnehmen werden, und des Verhältnisses von Risiken und Nutzen spricht sich der Nationale Aids-Rat für die Bereitstellung von HIV-Tests für die Selbstanwendung aus.“, Übers. UW)
Vor einer Zulassung des HIV Heimtest in Frankreich ist noch die Position des Comité consultatif national d’éthique (CCNE) erforderlich. Dieses Ethik-Beratungsgremium hatte sich 2005 nach Beratungen (bei denen auch Mitarbeiter der französischen Aidshilfe-Organisation Aides konsultiert wurden) ebenfalls gegen den HIV Heimtest ausgesprochen. Über eine neue Position ist noch nichts bekannt. Einer Pressemitteilung der französischen Aidshilfe-Organisation Aides zufolge ist die neue Empfehlung bereits in Abstimmung mit dem CCNE erfolgt. (siehe auch Aktualisierungen unten)
Der Nationale Aids-Rat erließ zusätzliche Empfehlungen, „um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser neuen Screening-Tools zu optimieren“. So sollen Selbsttests bestehende Angebote ergänzen, diese nicht ersetzen sondern vielmehr durch konventionelle Tests bestätigt und durch verschiedene Präventuionsansätze, auch zu sexuell übertragbaren Krankheiten, ergänzt werden.
Der HIV Heimtest soll in Frankreich rezeptfrei in Apotheken, Drogerien sowie über das Internet angeboten werden, empfiehlt der Rat. Gerade mit der Zulassung von Internet-Vertrieb solle das Risiko fehlerhafter oder gefälschter HIV-Heimtests reduziert und zugleich auch eine anonyme Zugangsmöglichkeit geboten werden. Er soll besonders Menschen mit einem hohen HIV-Infektionsrisko angeboten werden, hierzu sollen auch Verbände und Beratungsstellen genutzt werden. Jeder HIV Heimtest soll zusammen mit Informationsmaterial u.a. zu Bestätigungstest, Zugang zu medizinischer Behandlung oder Grenzen des Heimtests abgegeben werden. Für eine erfolgreiche Bereitstellugn von HIV-Heimtests sei eine „breite Mobilisierung, auch über die traditionellen Akteure im Kampf gegen HIV / AIDS“ von wesentlicher Bedeutung. Ein Jahr nach Einführung der HIV-Selbsttests soll eine Evaluation erfolgen.
Der 1989 gegründete Nationale Aids-Rat Frankreichs revidiert damit eine zuvor jahrelang geäußerte ablehnende Haltung zu HIV-Heimtests. Noch anlässlich des Welt-Aids-Tags 2008 hatte der Nationale Aids-Rat Frankreichs HIV-Heimtests als „eine falsche gute Idee“ bezeichnet. Man wolle zwar einen breiteren Zugang zu HIV-Tests, auch um die Zahl später HIV-Diagnosen zu reduzieren, Heimtests seien aber abzulehnen u.a. wegen fehlender direkter Anbindung an Pflege und Betreuung sowie der Möglichkeit, dadurch zu Sex ohne Kondomen zu ermuntern. Eine ähnliche Haltung hatte der CNS auch bereits 2004 und 1998 eingenommen und damals besonders die Notwendigkeit ärztlicher Aufsicht über HIV-Tests betont.
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte sich insbesondere die Aktivistengruppe The Warning zugunsten von HIV-Heimtests eingesetzt. Mit Hilfe selbst angewendeter HIV-Schnelltests könne jeder Benutzer Akteur seiner eigenen Gesundheit werden. Der HIV Heimtest seien ein sinnvolles Werkzeug um die HIV-Epidemie zu beenden. Unter dem bisherigen Verbot seien nur über das Internet aus dem Ausland bezogene HIV-Heimtests unsicherer Qualität möglich gewesen. Angesichts von mindestens 20 bis 30% der HIV-Infizierten, die in Europa nicht von ihrer Infektion wüssten, sei der HIV Heimtest eine weitere Möglichkeit des HIV-Screenings und stärke zudem die Autonomie der Anwender.
The Warning fordert bereits seit 2008 in Frankreich die Zulassung von Selbsttests. Bereits am Rand der XIX. Internationalen Aids-Konfernez in Washington im August 2012 hatte Georges Sidéris, Präsident von The Warning, die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine auf HIV-Heimtests angesprochen. Die Ministerin zeigte sich offen für das Thema, sie sei sich dieser Frage bewusst. Im Anschluss hatte Touraine den Nationalen Aids-Rat des Landes um eine Stellungnahme gebeten.
Die heutige Empfehlung des Nationalen Aids-Rats, den HIV Heimtest in Frankreich zuzulassen, begrüßten die Aktivisten von The Warning (die jüngst in Belgien mit dem Start der Kampagne Mr. HIV für Aufmerksamkeit sorgten). Nun sei das Ministerium gefordert, die notwendigen administrativen Schritte zügig umzusetzen, um eine baldige Verfügbarkeit zu erreichen.
In den USA wurden HIV-Schnelltests für die Selbstanwendung zuhause bereits im Juli 2012 zugelassen und sind dort seit Oktober 2012 über Apotheken verfügbar. In Australien hatte jüngst ACON, eine Aidshilfe-Gruppe die sich besonders in LGBT-Szenen engagiert, die Legalisierung von HIV-Selbsttest gefordert.
In Deutschland sind HIV-Tests für die Selbstanwendung derzeit nicht zugelassen (Verbot seit dem 21.03.2010, ‚Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften‘). HIV-Tests, auch Schnelltests, dürfen nur im Beisein eines Arztes / einer Ärztin durchgeführt werden.
Die Zulassung eines HIV-Schnelltests zur Selbstanwendung in den USA hatte die Deutsche Aids-Hilfe im Juli 2012 als „Ausdruck der Verzweiflung“ angesichts der sich immer weiter ausbreitenden HIV-Epidemie eingeschätzt und darauf hingewiesen, dass Beratung entscheidend sei: „Auch wenn der Heimtest vielleicht attraktiv erscheint, weil man ihn völlig anonym machen kann – Antworten auf Fragen und Beratung zu HIV, Safer Sex und anderen sexuell übertragbaren Infektionen kann er nicht liefern.“
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Aktualisierung:
22.03.2013, 14:00: Die französische Aidshilfe-Organisation Aides betonte ihre Unterstützung für den HIV-Heimtest und die neue Empfehlung des CNS.
ACT UP Paris stimmte der neuen Empfehlung des CNS zu. Die Gruppe hatte sich in den Jahren zuvor gegen Heimtesst ausgesprochen. Allerdings sollte der HIV-Heimtest mit Bedacht eingesetzt werden, und komplementär zur Verwendung von Kondomen.
22.03.2013, 16:00: Die französsiche Presse berichtet breit über die neue Empfehlung des CNS. Eine Zulassung der HIV-Heimtests könne zur Verringerung der Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen um 400 führen, berichtet Ouest-France (die auflagenstärkste französische Regionalzeitung). 2011 seien 6.100 HIV-Infektionen in Frankreich diagnostiziert worden. 30.000 bis 40.000 Menschen lebten in Frankreich mit einer HIV-Infektion, ohne von dieser zu wissen.
Das Schwulen-Magazin Tetu konnte aufgrund eines Streiks bisher nicht berichten.
22.03.2013, 18:30: Die Position des Ethik-Gremiums CCNE wird Montag (25.3.2013) gegen 14:00 Uhr bekannt gegeben werden. Eine Entscheidung der zuständigen Gesundheitsministerin über die Zulassung des HIV-Heimtest in Frankreich wird anschließend für die folgenden Tage erwartet.
25.03.2013, 14:00: Das CCNE hat seine 30 Seiten umfassende Stellungnahme („Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH“ vom 21.2.2013) am 25.3.2013 um 14:00 Uhr veröffentlicht. Details siehe 2mecs 25.03.2013: HIV-Heimtest: Ethik-Gremium CCNE spricht sich nicht gegen HIV-Heimtest aus, formuliert Vorkehrungen
29.03.2013: Iast auch bei uns Zeit für eine unaufgeregte Debatte zum HIV-Selbsttest? (Interview mit Blog Immunantwort)
03.04.2013: Sind HIV-Selbsttests eine gute Alternative für Menschen, die nicht in Beratungseinrichtungen gehen wollen? Diese Frage hat ein Übersichtsartikel behandelt, der in PLOS Medicine publiziert ist: Nitika Pant Pai et al.: Supervised and Unsupervised Self-Testing for HIV in High- and Low-Risk Populations: A Systematic Review, PLOS Medicine
„In Deutschland sind HIV-Selbsttests auch nicht sinnvoll“, sagt Holger Rabenau vom Nationalen Referenzzentrum für Retroviren in Frankfurt.
06.04.2013: Am Freitag, 05. April 2013, hat sich Frankreichs Gesundheitsministerin Tourain für die Zulassung von HIV-Selbsttests ausgesprochen und angekündigt, die erforderlichen Bewertungsverfahren in die Wege zu leiten.
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weitere Informationen:
Conseil national du sida 22.12.2012: Avis sur les autotests de dépistage de l’infection à VIH (pdf)
Conseil national du sida 22.12.2012: Rapport sur les autotests de dépistage de l’infection à VIH (pdf)
Conseil national du sida 22.03.2013: Autotests de dépistage de l’infection à VIH : présentation de l’Avis du CNS
Conseil national du sida 01.12.2008: Dépistage et autotest : une fausse bonne idée
Conseil national du sida 09.12.2004: Note valant avis sur la commercialisation des autotests VIH
Conseil national du sida 19.06.1998: Rapport sur l’opportunité de la mise sur le marché français des tests à domicile de dépistage du VIH
Comité consultatif national d’éthique 2005: Avis No. 86: Problèmes posés par la commercialisation d’autotests permettant le dépistage de l’infection VIH et le diagnostic de maladies genetiques (pdf)
ondamaris 05.05.2012: Frankreich: Patrick Yeni zum neuen Präsident des ‘Conseil national du sida’ nominiert
Warning 06.08.2012: Marisol Touraine se montre ouverte à la question des autotests VIH
Warning 21.03.2013: Pourquoi Warning soutient la légalisation des autotests VIH
Warning 15.03.2013: Autotest VIH: chaque utilisateur est acteur de sa santé et de la lutte pour la fin de l’épidémie
Warning 13.03.2013: «Ma séropositivité, c’est par un autotest que je l’ai apprise»
ACON Februar 2013: ACON’s Position Statement on Home Based HIV Testing & Gay Men (komplette Pressemitteilung als pdf)
DAH 17.06.2009: Bundestag sichert Qualität des HIV-Test
DAH 04.07.2012: „Die Zulassung der HIV-Heimtests in den USA ist ein Ausdruck der Verzweiflung“
ACT UP Paris 22.03.2013: Le Conseil national du sida (CNS) rend un avis favorable à la mise à disposition des autotests de dépistage de l’infection à VIH
Aides 22.03.2013: Aides dit „oui“ aux autotests
Ouest-France 22.03.2013: Dépistage du sida. Les autotests reçoivent un avis favorable
CCNE 25.03.2013: Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH (Avis No. 119, pdf)
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Mit dem Thema „sexuelle Zufriedenheit“ ( sexual happiness ) bei schwulen und bisexuellen Männern habe ich mich in einer zweiteiligen Artikel-Miniserie für das Internetportal queer.de auseinander gesetzt.
Der erste Teil erschien dort am 18.03.2013: Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa:
Teil 2 “ Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland“ erschien bei queer.de am 22.3.2013.
Schwule haben viel Sex und sind ständig bereit, so das Klischee. Aber haben wir auch guten Sex? Unsere Sex-Zufriedenheit im europäischen Vergleich.
Von Ulrich Würdemann
Unzufrieden mit seinem Sexleben zu sein, das ist offenbar ein in ganz Europa weit verbreitetes Phänomen. Das ergibt sich aus den Zahlen des Projekts EMIS, bei dem 2010 in 38 Staaten Männer, die mit Männern Sex haben, zu ihrem Liebesleben Auskunft gaben.
Immerhin 38,6% aller befragten schwulen und bisexuellen Männer der europaweiten EMIS-Befragung (180.000 ausgefüllte Fragebögen!) gaben an, nicht mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein! Die Gründe für diese sexuelle Unzufriedenheit sind vielfältig, reichen von Lebensalter über Bildungsniveau über die Wohnortgröße bis zur Frage, wie offen man(n) mit seinem sexuellen Interesse an Männern umgeht.
[Alle Werte berücksichtigen bereits etwaige Unterschiede hinsichtlich Alter, Ausbildung, Wohnortgröße, bisherigen HIV-Tests, sexueller Identität, Offenheit im Umgang mit dem eigenen sexuellen Interesse an Männern und Quelle des Fragebogens (AOR, adjusted odds ratio)]
Es mag eine Vielzahl von Gründen geben, die dazu beitragen, dass jemand mit seinem Sexleben unzufrieden ist. Für die in Europa befragten schwulen und bisexuellen Männer allerdings gab es einen Grund, der klar heraus ragt: in 35 der 38 teilnehmenden Staaten war der meist genannte Grund sexueller Unzufriedenheit: sich eine beständige sexuelle Beziehung mit einem Partner zu wünschen, diese aber nicht zu haben.
Die Sehnsucht nach einer stabilen sexuellen Beziehung wurde selbst häufiger genannt als der Wunsch nach mehr Sex oder nach mehr Sexpartnern – und auch häufiger als der Wunsch nach mehr sexuellem Selbstvertrauen. Typischerweise war ein Viertel der Männer in jedem Land deswegen sexuell unzufrieden, weil sie Single sind.
Innerhalb Europas schwankt der Anteil der schwulen und bisexuellen Männer, die unzufrieden mit ihrem Sexleben sind, ausgesprochen stark.
Ausgesprochen hoch ist der Grad an sexueller Unzufriedenheit bei schwulen und bisexuellen Männern in Bosnien-Herzegowina (61,3%), Mazedonien (55,4%) und Zypern (53,7%), dicht gefolgt bemerkenswerterweise von Schweden mit 47,8%. MSM in Deutschland sind mit 38,4% annähernd im Durchschnitt aller Befragten (38,6%), während es schwulen wie bisexuellen Männern in Belgien (31,7% unzufrieden), den Niederlanden (30,7%), Spanien (31,9%) und der Schweiz (31,2% unzufrieden) scheinbar sexuell recht gut zu gehen scheint. Und am besten scheint es – wer hätte es vermutet – den Franzosen zu gehen. Nur 27,8% gaben an: „Nein, ich bin nicht zufrieden mit meinem Sexleben.“
Nun mag man gegen diesen Ländervergleich einwenden, nicht aus allen Staaten nahmen Männer im gleichen Alter teil – und sicherlich ist z.B. der Anteil offen schwul lebender MSM in manchen Staaten höher als in anderen. Die Forscher haben dies berücksichtigt: Sie haben diese Unzufriedenheits-Werte zur besseren Vergleichbarkeit justiert (AOR, adjusted odds ratio) nach Alter, Ausbildung, Wohnortgröße, bisherigen HIV-Tests, sexueller Identität, Offenheit im Umgang mit dem eigenen sexuellen Interesse an Männern und auch nach Quelle des Fragebogens (z.B. Internetsite, Magazin etc.). Das Ergebnis veränderte sich hierdurch nicht gravierend. In Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Zypern und Schweden ist sexuelle Unzufriedenheit am weitesten unter MSM verbreitet, MSM in Deutschland geht es mit einem Wert von 0,85 leicht besser als dem Referenz-Mittelwert Großbritannien (1,0), und die geringsten Werte an Unzufriedenheit stammen aus Spanien, Portugal, der Schweiz und Frankreich.
In welchem Staat ein Mann, der sexuell Männer begehrt, in Europa lebt, ist damit der wichtigste Faktor für das Risiko, sexuell unzufrieden zu sein! Das Risiko eines schwulen oder bisexuellen Mannes, unzufrieden mit seinem Sexleben zu sein, ist in Bosnien-Herzegowina über zweieinhalb mal so hoch wie in Frankreich!
Wir fassen zusammen: Sexuelle Unzufriedenheit ist unter Männern, die Sex mit Männern haben, in Europa weit verbreitet. Für Männer, die nicht offen mit ihrem sexuellen Interesse für andere Männer umgehen, ist das Risiko sexueller Unzufriedenheit deutlich erhöht, ebenso für Männer die sich nicht als homosexuell oder schwul bezeichnen. Wer in Kleinstädten oder Dörfern lebt, hat ein höheres Risiko sexueller Unzufriedenheit, ebenso Männer die sich noch nie auf HIV haben testen lassen.
Unzufriedenheit mit dem eigenen Single-Sein, die Sehnsucht nach einer stabilen sexuellen Beziehung sind für schwule und bisexuelle Männer in allen Staaten Europas ein wichtiges Thema und Quelle sexueller Unzufriedenheit. Werden unsere derzeitigen Szenen, ob Bars und Kneipen, Saunen und Partys, Internetportale und Magazine dieser Sehnsucht gerecht?
Innerhalb Europas sind die Unterschiede sexueller Zufriedenheit bei schwulen und bisexuellen Männern groß. Bis alle schwulen und bisexuellen Männer so zufrieden mit ihrem Sexleben sind wie die Franzosen, ist es offensichtlich noch ein weiter Weg. Eine Europäische Union, die sich zum Ziel setzt, allen Europäern gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen, hat auf dem Gebiet sexueller Zufriedenheit schwuler und bisexueller Männer also noch viel zu tun!
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Weitere Infos zu EMIS / Fußnoten
Die „sexual happiness“, übersetzt als ‚Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben‘, ist bis 2010 in Befragungen in Deutschland und Europa nie ein Kriterium gewesen. Erstmals überhaupt wurde sie im Rahmen des europaweiten Projektes EMIS [2] (European MSM Internet Survey) sowie der im Rahmen von EMIS stattfindenden deutschlandweiten Befragung Schwule Männer und Aids (SMA) thematisiert [1].
„Sind Sie mit Ihrem Sexleben zufrieden?“, wurden die Teilnehmer im deutschen EMIS-Fragebogen gefragt. Im englischen Original heißt es „Are you happy with your sex life?“, die Autoren empfanden für die deutsche Übersetzung „glücklich“ als zu pathetische Formulierung und entschieden sich für „zufrieden“. Die Frage konnte von den Teilnehmern mit ‚ja‘ und ’nein‘ beantwortet werden, und in einem zweiten Schritt konnten sie begründen, warum sie nicht mit ihrem Sexleben zufrieden sind.
Für die Auswertung standen insgesamt Daten von 180.000 schwulen und Bi-Männern (MSM, Männer die Sex mit Männern haben) aus 38 Ländern in Europa zur Verfügung. Aus Deutschland konnten über 14.000 Fragebögen EMIS und über 40.000 Zusatzfragebögen SMA ausgewertet werden.
[1] „Sexual happiness“. In: Michael Bochow, Stefanie Lenuweit, Todd Sekuler, Axel J. Schmidt: „Schwule Männer und HIV/Aids: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“. Aids-Forum DAH Nr. 60, Berlin Dezember 2012 [Anmerkung: Die Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) findet bereits seit 1987 statt. Aids-Forum DAH Nr. 60 berichtet über die Befragung 2010, die im Rahmen des Projektes EMIS stattfand]
[2] „Sexual Unhappiness“ in: „The EMIS Network: The European MSM Internet Survey 2010 -Descriptive report of survey results“, Stockholm, ECDC; 2013 (forthcoming / Veröffentlichung geplant) s.u.
[3] Weltgesundheitsorganisation WHO: Sexuelle und reproduktive Gesundheit (Definition)
[4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Definitionen von sexueller und reproduktiver Gesundheit
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Aktualisierung
27.05.2013: Der 200-seitige EMIS-Schlußbericht (Autor: „The EMIS network“, Herausgeber: „European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)“) ist inzwischen publiziert und steht als Download zur Verfügung auf http://www.emis-project.eu/. Zudem sind für ausgewählte Staaten EMIS-Länder-Reports verfügbar: Russland, Norwegen, Österreich, Schweiz, Irland (Republik Irland sowie Nord-Irland), Estland, Dänemark, Deutschland, and Lettland. EMIS -Zusammenfassungen sind erschienen für England, Schottland, Wales und Nord-Irland.
6.10.2019: Ergebnisse der Nachfolge-Studie EMIS 2017 zu Sexualverhalten und Gesundheit von rund 128.000 Männern, die Sex mit Männern haben: „EMIS-2017: The European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey“ (PDF, englisch)
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