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Erinnerungen HIV/Aids

Virulent (1991 / 92)

Die bundesweite Positivenzeitung ‚ Virulent ‚ (Untertitel: „1. Krankheitserregent, ansteckend, giftig (med.) 2. drängend, heftig“) erschien in den Jahren 1991 und 1992.

Eine eigene Zeitung für HIV-Positive, in kurzen und regelmäßigen Abständen, die wünsche man sich – so wurde auf der Bundespositivenversammlung 1990 diskutiert. Für die Nullnummer, die im Februar 1991 in einer Auflage von 25.000 Exemplaren erschien, stellte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Mittel in Höhe von 30.000 DM zur Verfügung.

Aktuelle politische Berichte, ein Kalender mit regelmäßigen Angeboten sowie aktuellen Veranstaltungen für HIV-Positive in den Regionen, Berichte aus und über Positiven-Projekte, Kulturelles, dazu Fotos (besonders häufig vom dem Projekt verbundenen Berliner Fotografen Jürgen Baldiga) – das Spektrum der Artikel der ‚Virulent‘ war breit.

Virulent (Bundesweite Positivenzeitung) 1991 / 92
Virulent (Bundesweite Positivenzeitung) 1991 / 92

Von Beginn an war die Finanzierung des Projekts ‚Virulent‘ schwierig. Heft 5 (2. Jahrgang, November ’92) berichtet: „Bereits nach der zweiten Ausgabe wurde die staatliche Förderung wegen politischer Differenzen eingestellt„. Die hohen Produktionskosten waren dann auch einer der Gründe für die Einstellung der ‚Virulent‘. Doch weitere kamen hinzu, insbesondere die stetig schrumpfende Redaktion (in der ich zeitweise mitarebitete) und fehlende Unterstützung: „es fand sich niemand, der für den Versand der Zeitung verantwortlich zeichnete„. Der Tod von Michael Fischer [1], der das Projekt von Beginn an wesentlich mit voran gebracht hatte, war ein weiterer Schlag.

Die sechste und letzte Ausgabe der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‘ erschien (soweit mir bekannt) im November 1992.

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Anmerkungen:
[1] Der Germanist Michael Fischer war Lebensgefährte des Politologen und Aids-Aktivisten Andreas Salmen. Andreas Salmen starb am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids. Michael Fischer beendete sein Leben kurze Zeit später im Sommer 1992 selbst.

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Erinnerungen Homosexualitäten Köln

Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus? (1989)

Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus?“ war der Titel einer Veranstaltung (im Rahmen der Antifa-Veranstaltungsreihe), die die glf – Politgruppe am 6. September 1989 im Kölner Schwulen- und Lesbenzentrum SCHULZ durchführte.

'Schwule gegen Faschismus' (Aufkleber, ca. 1991)
‚Schwule gegen Faschismus‘ (Aufkleber, ca. 1991)

Für diese Veranstaltung verfasste ich damals in Abstimmung mit der Politgruppe den folgenden Text für einen ‚Reader‘ (für den ich auch ViSdP zeichnete):

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HIV/Aids

Schuld und Sühne? (Kommentar, 1993)

Schuld und Sühne? Gibt es „unschuldige“ und ergo auch „schuldige“ HIV-Infizierte? Welche Denkweise steht hinter dieser Formulierung? Damit beschäftigte ich mich 1993 in einem Kommentar – zu einem Zeitpunkt, als gerade der Untersuchungs-Ausschuss des Deutschen Bundestags zum so genannten „Blut-Aids-Skandal“ [1] eingesetzt wurde.
Der Kommentar erschien in der Bonner Monats-Magazin ‚MixTour‘, Ausgabe Nr. 19 Dezember 1993. Die Anmerkungen in  [ ] sind von heute (18.1.2013).

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Schuld und Sühne ?

Wie kaum ein Thema beschäftigt der „Blut-Aids-Skandal“ [1] in den letzten Wochen die Medien. Meldungen überschlagen sich, beinahe täglich vermeintliche neue (?) Skandale, Minister und Beamte üben sich in Krisen-Aktionismus. Nach mehr als zehn Jahren Aids, nach Jahren, in denen Aids kaum mehr als eine Meldung in den Klatschspalten wert war, jetzt Wirbel, Panik, hektisches Herum-Agieren.

Die Schicksale und Situationen Tausender HIV-Infizierter und Aidskranker, ebenso wie Tausender HIV-Neuinfektionen jedes Jahr waren keine Meldung mehr wert, kein Thema. Jetzt aber – Wirbel allerorten. Und warum? Schon die Sprache verrät, wes Geistes Kind da schreibt, redet, handelt. Jetzt, bei Blutkonserven und -produkten, geht’s um die „unschuldigen Opfer“. Wir infizierten Schwulen, Junkies, Knackies, die Schmuddel-Minderheiten von Aids, sind weder „unschuldig“ noch „unschuldige Opfer“. Wie sagte Heitmann, CDU-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten [2], am Beispiel der Schwulen? Das seien Minderheiten, und die müßten eben „die damit verbundenen Nachteile“ in Kauf nehmen. Jetzt aber geht’s um die Mehrheit, Risiko (vermeintlich) für jedermann/frau. Und das lohnt doch allemal mehr die Hektik, als die paar Schwulen, Junkies, Knackies. Klar, welche politische Gesinnung da spricht.

Und: Politiker, Bürokraten, Industrielle, die wissentlich oder fahrlässig zu HIV-Infektionen beigetragen haben, werden an den Pranger gestellt, richtigerweise eine Strafverfolgung in’s Auge gefaßt. Nur – Politiker, oftmals dieselben, streichen die oft  eh‘ schon lächerlichen Mittel für Aids-Prävention und -Projekte, kürzen, spielen mit dem Gedanken, Zuschüsse ganz einzustellen. Jede gekürzte, gestrichene Mark, jede fehlende Beratung, Betreuung, Prävention wird neue HIV-Infektionen zur Folge haben. Diejeingen, die Mittel streichen, dadurch neue Infektionen mit verursachen, werden jedoch nicht an den Pranger gestellt, kein Aufschrei des Protests oder Entsetzens, nicht einmal von uns selbst mehr. Das Thema läßt sich halt auch nicht so gut mit „unschuldigen Opfern“ emotional in die Medien bringen.

Es wird Zeit, daß wir erkennen, was hier vor sich geht. Gerade bei dem Gerede von „unschuldigen Opfern“, der impliziten Unterstellung, andere seien schuld an ihrer Infektion, wird eine Gesinnung deutlich, die wir schon vor Jahren überwunden glaubten. „Unschuldige Opfer“ werden bemitleidet, erhalten Entschädigungen, „Schuldige“ werden verurteilt, weggekürzt. Der Gestank der Aids-Hysterie kriecht wieder hervor, der Zeiten unsäglicher Maßnahmen-Kataloge [3], Gauweilereien, Zwangstests. … Es wird Zeit, daß wir unseren Mund aufmachen, protestieren, unsere Forderungen vorbringen. Gerade auch jetzt, mit dem Super-Wahljahr ’94 [4] vor der Tür.

Und – es wird Zeit, daß wir unser Leben wieder mehr selbst in die Hand nehmen. Uns nicht nur auf Politiker, Bürokraten, Verbände verlassen. Selbst akiv werden, bei Projekten mitmachen oder auch in unserer Aids-Hilfe unsere Forderungen deutlich machen. Aktiv werden.

Ulrich Würdemann

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Anmerkungen:
[1] Anfang der 1980er Jahre infizierten sich viele Bluter durch mit HIV kontaminierte Blutprodukte. Im Mai 1983 hatten Forscher das HI-Virus isoliert. Ab diesem Zeitpunkt hätten konkrete Maßnahmen ergriffen werden können. Schutzmaßnmahmen wurden verspätet umgesetzt (Hitzeinaktivierung z.B. in Deutschland erst 1984/85 flächendeckend) und wenig konsequente eingeführt (Poolen von Blutspenden). Zudem wurden in manchen Staaten weiterhin Blut-Produkte verwendet, deren Kontamination mit HIV bekannt war.
Der Bundestag richtete 1993 den Untersuchungsausschuss „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ ein, der 1994 seinen Abschlussbericht vorlegte.
In der Folge wurde 1995 die ‚Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen‘ gegründet.
[2] Steffen Heitmann, *1944 in Dresden, Theologe und ehemaliger CDU-Politiker, 1990 bis 2000 Justizminister in Sachsen, war 1993 Wunsch-Kandidat des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl für die Wahl des Bundespräsidenten. Er verzichtete auf seine Kandidatur, nachdem zahlreiche seiner Äußerungen (u.a. zu Holocaust oder Ausländer-Politik) als ultrakonservativ bis reaktionär in die Kritik geraten waren. Als Bundespräsident gewählt wurde Roman Herzog (Bundespräsident 1994 – 1999).
[3] Der Bayrische Maßnahmen-Katalog zur Verhütung und Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS von 1987 wurde von dem bayrischen CSU-Politiker Peter Gauweiler forciert. Er sah u.a. Zwangsmaßnahmen und polizeiliche Vorführungen vor und sprach u.a. von „Ausscheidern“ und „Verdächtigen“. Gauweiler und seine Berater wie der Münchner Virologe Frösner konnte ihre Vorstellungen auf Bundesebene nicht durchsetzen.
[4] Im Jahr 1994 standen mit Bundestag, Europäisches Parlament und sieben Landtagswahlen insgesamt 19 Wahlen an.

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Erinnerungen Hamburg HIV/Aids

ACT UP Aids Kongress Hamburg 1990: ‘Nicht über uns, mit uns’ – HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt

Aktion ACT UP Aids Kongress Hamburg 1990 wird zum Meilenstein der Positivenbeteiligung an Aids-Kongressen – was heute Normalität ist, war 1990 für manche ein Skandal (siehe auch Artikel 2mecs 17.01.2013: Positiven-Beteiligung an Aids-Kongressen – vor 20 Jahren ein Skandal, heute Normalität ).

ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker

1990: ‚Nicht über uns, mit uns‘ – 3. Deutscher Aids Kongress Hamburg 1990: HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt

Vom 24. bis 27. November 1990 fand in Hamburg der 3. Deutsche Aids-Kongress statt. Es waren die Früh-Jahre der Aids-Krise, auch die Anfänge der Konferenzen zu HIV und Aids. Ich kann mich gut an die Zeit damals erinnern: es wurde im Medizinsystem zwar viel über uns gesprochen, aber nur selten mit uns.

Doch wir wollten mitsprechen – Teilnehmer, nicht nur ‚Gegenstand‘ sein. Vom Objekt zum Subjekt werden. Nicht über uns – mit uns! Die Aktionen wurden zu einem Meilenstein des Aids-Aktivismus:

'Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen - ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )
‚Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen – ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )

Einen guten Anlass bot der 3. Deutsche Aids Kongress in Hamburg 1990. Wir (d.i. insbesondere Mitglieder verschiedener ACT UP – Gruppen sowie Vertreter der Aids-Hilfe Hamburg) bemühten uns, Zugang zum Kongress zu erhalten, suchten den Dialog mit dem damaligen Kongress-Präsidenten.

Professor Manfred Dietrich, damals Vorsitzender der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG und in dieser Funktion Kongress-Präsident (und 2002 in den Ruhestand verabschiedet, späterer Honorarkonsul der Republik Uganda), reagierte kühl und abweisend. „Dies ist ein Kongress für Experten“ und „dies ist ein wissenschaftlicher Kongress„. Das waren stereotyp immer wieder Antworten die wir zu hören bekamen, wenn es um die Möglichkeit der Teilnahme für HIV-Positive und Vertreter aus dem Aidshilfe-Bereich ging. Der Arzt, der seit 1983 am Hamburger Tropen-Institut HIV-Positive behandelte, grenzte diese von einem Kongress, bei dem es um eben sie ging, schlicht aus.

Doch dieses mal nahmen wir diese Ausgrenzung nicht mehr hin. Schließlich waren wir es, die mit HIV infiziert waren, die an Aids erkrankten, die keine Medikamente hatten, die Angst hatten zu sterben, die ihre Freunde und Lover sterben sahen. Wir wollten endlich mitreden.

Wir (insbesondere ACT UP Hamburg, Ernst Meibeck und Klaus Knust sind mir auch hier in besonderer Erinnerung) besorgten Krankenhaus-Betten sowie ‚medizinisch‘ aussehende Kleidung (Kittel etc.). Und am Tag der Kongresseröffnung standen wir plötzlich und unangekündigt vor dem Eingang des Hamburger Kongresszentrums CCH. Die überrumpelten Einlass-Kontrollen ließen uns verdutzt passieren – wir waren drin, einige Medien-Vertreter mit uns im Schlepptau.

Schnell war nicht nur die ‚Krankenhaus-Betten-Installation‘ vor dem Eingang des Kongresses aufgebaut, mit der wir auf die schwierige Situation bei der Pflege Aids-Kranker aufmerksam machen wollten. Ein Krankenbett schaffte es auch in den Kongress, darin ACT UP Aktivisten, als ‚Aids-Kranke‘ geschminkt und mit Infusionsschläuchen ‚verkabelt‘, anklagend stand nahe der Teilnehmer-Registrierung. Im Konferenzgebäude war ein improvisierter Stand von ACT UP, mit vorbereiteten Info-Tafeln, die neben dem Pflege- und Versorgungsnotstand u.a. den damaligen ‚Marlboro-Boykott‘ thematisierten, mit einer Geldsack-Aktion (siehe Fotos unten) die Preispolitik bei AZT angriffen, oder von uns als verharmlosend empfundene Aids-Kampagnen kritisierten.

Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung“, war unsere Maxime. Zwar nahmen wir noch nicht aktiv an den Veranstaltungen und Diskussionen teil, erst recht nicht an der Planung des Kongress-Programms – aber der erste Schritt war demonstrativ getan, wir waren ‚drin‘.

In der Nullnummer der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‚ (Februar 1991) berichtet Michael Fischer †, Partner von Andreas Salmen:

So genügte es auch den Veranstaltern des 3. AIDS-Kongresses in Hamburg im November vergangenen Jahres, in ihrer Einladung „auf die Nöte infizierter Menschen und ihrer Umgebung“ hinzuweisen. Auf die Idee, Positive oder Vertreter ihrer Organisationen aktiv am Kongress zu beteiligen, kam den Verantwortlichen [sic] mit ganz wenigen Ausnahmen nicht – wozu auch, wahrscheinlich hätten sie nur gestört.
Das haben sie denn auch wirklich. Vertreter aller zur Zeit in Deutschland existierenden ACT UP – Gruppen aus Berlin, Bonn, Hamburg, Köln und München organisierten während der gesamten Kongressdauer einen Stand und versuchten mit einigen „direkten Aktionen“ Kritik zu üben. …
Der spektakuläre Höhepunkt fand am Montagmorgen statt, als sich die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Lehr anschickte, eine Rede zu halten. Ungefähr zwanzig ACT UP – Aktivisten stürmten mit Trillerpfeiffen und Transparenten das Podium und erzwangen so eine kurze Rede, in der die AIDS-Politik der Bundesregierung kritisiert wurde. …
Auf einem sonst eher langweiligen Kongreß ist es so den Mitgliedern von ACT UP gelungen, berechtigte Forderungen von Positiven vorzutragen und ihnen auf diesem Weg Öffentlichkeit zu sichern. Denn, so lautet das Motto der Gruppe: SCHWEIGEN = TOD.“

Mehr zu den ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in dem Buch Schweigen = Tod, Aktion = Leben – ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993

Fotos der ACT UP Aktionen beim 3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990

ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP Proteste 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP  protestiert gegen Pflegenotstand, 1990 Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
Protest gegen Pflegenotstand,  1990 Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg, Bildmitte Andreas Salmen (neben mir) © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
Stand von ACT UP, rechts Andreas Salmen (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Stand von ACT UP, rechts Andreas Salmen (Foto © Florian Wüst, 1990 )
 Stand von ACT UP beim Aids-Kongress 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Stand von ACT UP beim Aids-Kongress 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Geldsack-Aktion gegen die AZT Preispolitik. ACT UP 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Geldsack-Aktion gegen die AZT Preispolitik. ACT UP 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
'Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen - ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )
‚Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen – ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Foto © Florian Wüst, 1990
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Erinnerungen HIV/Aids

Community Beteiligung an Aids-Kongressen – 1990 noch Skandal, heute Normalität

Community Beteiligung – HIV-Positive nehmen am Aids-Kongress teil, diese Nachricht wäre heute kaum noch eine. Die Teilnahme HIV-Positiver an Aids-Kongressen, und zwar nicht ’nur‘ als Teilnehmer, sondern auch in der Planung und Vorbereitung, ist inzwischen selbstverständlich. Doch was heute Normalität ist, war vor wenig mehr als 25 Jahren noch Skandal.

Community Beteiligung an Aids-Kongressen – 1990 noch Skandal, heute Normalität

Die Community Beteiligung an Aids-Kongressen in Deutschland hat eine längere und wechselvolle Geschichte. Sie beginnt 1990:

3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990

Am 24. November 1990 begann in Hamburg der 3. Deutsche Aids-Kongress. Es waren die Früh-Jahre von Aids, von Konferenzen zu HIV und Aids. HIV-Positive und Aids-Kranke auch nur als Teilnehmer zuzulassen, dies schien den meisten Ärzten ein absurder Gedanke.

„Dies ist ein Kongress für Experten“ und „dies ist ein wissenschaftlicher Kongress“, das waren stereotyp immer wieder Antworten, die wir zu hören bekamen auf unser Begehren, auch nur als Teilnehmer zugelassen zu werden.

Doch dieses mal nahmen wir diese Ausgrenzung nicht mehr hin. Wir verschafften uns im Rahmen einer ACT UP – Aktion Zugang: wir waren drin, erstmals nahmen HIV-Positive und Aids-Kranke an einem Aids-Kongress in Deutschland teil.

Ein Bericht darüber in den getrennten Artikeln: 2mecs 17.01.2013: 1990: ‚Nicht über uns, mit uns‘ – HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt zum 3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990 und 2mecs 21.01.2013: „Fotos: ACT UP Aktion beim Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990“.

In den Folgejahren erhielten HIV-Positive die Möglichkeit, an Deutschen Aids-Kongressen teilzunehmen. Doch was wurde dort vorgestellt, beraten, präsentiert – und wie wirkten wir daran mit?

4. Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992

Vom 25. bis 28. März 1992 fand in Wiesbaden der 4. Deutsche Aids-Kongress statt. Noch immer gab es kaum Medikamente (mit ddI war kurz zuvor nach AZT und ddC erst das dritte Medikament in den USA zugelasen worden). Studien dauerten, der bisherige Fortschritt erschien zäh und zu langsam, die bisherigen Medikamente hatten enorme Nebenwirkungen und wirken nicht lange.

Wir wollten nicht weiter „zusehen“, wollten „rein“ – nicht nur rein in den Kongress, sondern auch rein in Plaung und Vorbereitung, in HIV-Studien und Aids-Forschung. Forderten ‚echte‘ Community Beteiligung. ACT UP protestierte erneut, dieses mal während einer Plenar-Veranstaltung vor allen Teilnehmern während der Eröffnung des Kongresses: ACT UP Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992.

Am 1.12.1994 verabschiedeten die Staats- und Regierungs-Chefs von 42 Staaten eine Erklärung zu HIV / Aids, die ‚Paris Declaration‘. Sie gilt als das zentrale Grundlagen-Dokument der Community Beteiligung, zur Beteiligung von HIV-Positiven an sie betreffenden Entscheidungen (GIPA – greater involvement of people with HIV / Aids).

1998 wurde die Community Beteiligung in Aids-Kongressen international erstmals konsequent umgesetzt, bei der Welt-Aids-Konferenz in Genf. Der Ort prägte auch den Namen – fortan sprach man vom ‚Genfer Prinzip‚.

7. Deutscher Aids-Kongress Essen 1999

Bei deutschsprachigen Aids-Kongressen wurde das Genfer Prinzip erstmals 1999 umgesetzt, beim 7. Deutschen Aids-Kongress, der vom 2. bis 6. Juni 1999 in Essen stattfand (Präsident Prof. Norbert Brockmeyer).

Zum ersten mal waren HIV-Positive und Community-Vertreter nicht nur als Teilnehmer/innen im Kongress, sondern von Beginn an bei Planung und Organisation beteiligt, und zwar auf allen Ebenen des Kongresses – vom eigenen Community Board bis zu Community-Vertretern im Steering Committee des Kongresses (bei beidem war ich auch selbst aktiv, sowohl im Community Board wie auch als Community-Vertreter im Steering Committee). Das ‚Essener Prinzip‘ war geboren.

Dieses ‚Essener Prinzip‘ wurde unverändert auch beim folgenden Kongress umgesetzt, dem 8. Deutschen Aids-Kongress 2001 in Berlin. Wieder gab es ein Community Board, und Community Vertreter im Kongress-Präsidium.

SÖDAK St. Gallen 2009

Der Schweizerisch-Österreichisch-Deutsche Aids-Kongress in St. Gallen 2009 wurde zu einem Rückschlag für die Community Beteiligung – oder er machte bereits zuvor schleichend eingetretene Veränderungen deutlich sichtbar.

Im Vergleich zu medizinischen und Grundlagen-Fragen wurden ganze Bereiche vernachlässigt. Bereiche, die für Menschen mit HIV und von HIV bedrohte Communities von besonderer Bedeutung sind, wie zum Beispiel sozialwissenschaftliche Fragen, aber auch Zahnheilkunde oder Psychiatrie. Im Auswahl-Prozess des Kongresses schien die Relevanz der Themen für das Leben von Menschen mit HIV nahezu keine Rolle gespielt zu haben. Hinzu kam, dass von Anfang an keine breite Teilnahme von Positiven erwünscht schien, sondern eher eine gezielte Einladung ausgewählter Berichterstatter. Aus diesen Gründen zog das Community-Board dieses Kongresses geschlossen seine Mitarbeit zurück. Sowohl die AIDS-Hilfe NRW  als auch die Deutsche AIDS-Hilfe schlossen sich diesem Rückzug aus dem SÖDAK an.

Doch der Kongress in St. Gallen war nicht nur Rückschlag, er war auch Anlass für einen neuen Auftakt in Sachen Community-Beteiligung im Rahmen deutschsprachiger Aids-Kongresse:

Gemeinsame Erklärung 2010

Nach intensiven und in der Schlussphase öffentlichen Diskussionen unterzeichneten Deutsche Aids-Gesellschaft DAIG sowie Deutsche Aids-Hilfe (DAH), LHIVE (für die Schweiz) und Positiver Dialog (für Österreich) am 22. Juli 2010 die „Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress„. Erstmals ist Community Beteiligung schriftlich fixiert.

Diese ‚Gemeinsame Erklärung‘ legt „Eckpunkte zur aktiven Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress“ fest. Sie ist seitdem Basis der Zusammenarbeit, auch im Rahmen des 6. Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses DÖAK  2013 in Insbruck – und seines Nachfolgers 2015 in Düsseldorf.

Community Beteiligung: Logo des Community Boards des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses (Logo: Community Board, www.http://www.cbdoeak.net)
Logo des Community Boards des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses (Logo: Community Board, www.http://www.cbdoeak.net)

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Politisches

Élysée-Vertrag 1963 und 2018 – Frankreich und Deutschland rücken zusammen

Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den Élysée-Vertrag, der die Grundlagen der deutsch-französischen Zusammenarbeit legte. 2018 soll mit einem neuen Elysée-Vertrag die Zusammenarbeit vertieft werden.

Unterzeichnung Élysée-Vertrag, Paris 22. Januar 1963 (Bundesarchiv, B 145 Bild-P106816 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0)
Unterzeichnung Élysée-Vertrag, Paris 22. Januar 1963 (Bundesarchiv, B 145 Bild-P106816 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0)

Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle unterzeichneten am 22.1.1963 im Pariser Elysée-Palast einen Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit, der politische Konsultationen beider Regierungen und eine verstärkte Zusammenarbeit in der Außen- und Verteidigungspolitik sowie in Erziehungs- und Jugendfragen festgelegt. Regelmäßige Treffen zwischen den Regierungschefs und den zuständigen Ressortministern beider Länder sollen die praktische Durchführung des Vertrages gewährleisten. Im Bild (v.l.n.r.) am Tisch: Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Gerhard Schröder, Bundeskanzler Konrad Adenauer, Staatspräsident Charles de Gaulle, Premierminister Georges Pompidou und der französische Außenminister Maurice Couve de MurvilleBundesarchiv, B 145 Bild-P106816 / Unknown / CC BY-SA 3.0 de

Seit dem 22. Januar 2003 wird dieser Tag als ‚Deutsch-französischer Tag‘ begangen.

Denkmal Elysee Vertrag, Berlin
Denkmal Elysee Vertrag, Berlin

Bereits ein halbes Jahr zuvor, am 8. Juli 1962, hatten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in Reims die Versöhnung von Frankreich und Deutschland besiegelt:

Gedenkstein für die Versöhnung von Frankreich und Deutschland1962, vor der Kathedrale von Reims
Gedenkstein für die Versöhnung von Frankreich und Deutschland1962, vor der Kathedrale von Reims

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Stéphane Hessel (22.10.1917 Berlin – 27.2.2013 Paris), deutsch-französischer Abstammung, Diplomat, Überlebender des KZ Buchenwald, Resistance-Kämpfer und Autor (u.a. „Indignez-vous!“ 2010, deutsch: Empört Euch!) erzählt:

Stéphane Hessel : une vie entre la France et…

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2017 – ein  neuer Elysée-Vertrag ?

Emmanuel Macron, am 7. Mai 2017 neu gewählter Präsident Frankreichs, schlug in einer Rede an der Sorbionne am 28. September 2017 vor, den Elysée-Vertrag zu ‚überarbieten‘.

Am 22. Januar 2017, dem Jahrestag des Elysée-Vertrags von 1963, werden der Deutsche Bundestag und die französische Nationalversammlung in gleichlautenden Resolutionen empfehlen, einen neuen Freundschaftsvertrag zwischen beiden Staaten abzuschliessen, um die Zusammenarbeit zu vertiefen.

Die Parlamentarier Deutschlands hatten zu dieser gemeinsamen Resolution am 11. November aufgefordert. Bundestagspräsident Schäuble und Nationalversammlungs-Präsident de Rugy hattendem am 13. Dezember prinzipiell zugestimmt. Am 29. Dezember wurde der Resolutions-Entwurf den Parlamentariern beider Häuser vorgelegt.

Am 19. Januar 2018 trafen Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Macron in Paris zu einem Arbeitstreffen und Konzertbesuch zusammen. Dabei wurde auch über einen neuen Elysee-Vertrag und eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland diskutiert.

Am 22. Januar, Jahrestag des Elysee-Vertrags, werden beide eine gemeinsame Erklärung veröffentlichen. Darin werden beide das Ziel eines neuen Vertrags (Neu-Verhandlung des bestehenden Vertrages) bekannt geben. Dieser hatte eigentlich anläßlich des Jahrestages am 22. Januar geschlossen werden. Aufgrund der noch ausstehenden Regierungsbildung in Deutschland soll dies n un im Laufe des Jahres 2018 erfolgen.

Assemblée national und Bundestag werden am gleichen Tag erstmals  gemeinsame Sitzungen abhalten und sich ebenfalls zu einem neuen Elysée-Vertrag äußern. Hier werden u.a. eine europaweite Harmonisierung sozialer Recht sowie europaweites Unternehmensrecht gefordert, zudem eine weitere Verzahnung der Außen- sowie der Verteidigungspolitik.

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Erinnerungen

Stonewall 1983 – Party

“Für die Vielfalt der Liebe – gegen Diskriminierung“ war das Motto von ‚Stonewall 1983‚ in Hamburg (dem, was heute CSD heißt) … natürlich auch mit großer Fete:

Stonewall 1983, Ulli mit Freunden auf der Party
Stonewall 1983, Ulli mit Freunden auf der Party

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HIV/Aids

HIV Generika – same same but different?

Generika? Das sind doch diese Pillen, bei denen Oma sich jedes mal in der Apotheke fragt, ob sie wirklich die gleichen Medikamente wie letztes Mal bekommt? Das hat doch nichts mit mir als HIV-Positivem zu tun. Oder? Oh doch, hat es – 2013 werden auch wir „Kontakt aufnehmen“, um es mit dem Titel eines Science-Fiction-Films zu sagen. Mit HIV-Generika nämlich, wirkstoffgleichen Kopien von HIV-Markenmedikamenten.

Arzneimittel haben nach ihrer Zulassung für eine bestimmte Zeit einen Schutz. Nur der  Inhaber des Patentrechts darf die Substanz herstellen und vermarkten – eine Art ‚Monopol‘, mit dem der ‚Erfinder‘ geschützt werden soll. Nach Ablauf des Patentschutzes (Marktexklusivität in der EU bei Medikamenten i.d.R. 15 Jahre nach Erstzulassung) darf der Wirkstoff auch von anderen Unternehmen hergestellt werden.

Generika spielen bisher in der HIV-Therapie bei uns keine große Rolle. Zwar ist schon bei einigen Substanzen der Patentschutz auch in Europa ausgelaufen, so bei Zidovudine (AZT) im Jahr 2006, Didanosin (ddI) 2006, Saquinavir sowie Lamivudine (3TC) 2011 und Stavudin (d4T) 2011. Kaum ein HIV-Positiver allerdings nimmt diese Medikamente heute noch im Rahmen seiner Kombinationstherapie ein.

Erste Hersteller sollen schon in den Startlöchern stehen

Im Juni 2013 jedoch verliert Nevirapin den Patentschutz, ein häufig verordnetes HIV-Medikament, das gemäß den Europäischen Therapieleitlinien auch für den Therapiebeginn empfohlen wird. Dann können auch andere Unternehmen die Substanz, die bisher exklusiv vom Pharmakonzern Boehringer Ingelheim unter dem Handelsnamen Viramune® vermarktet wird, herstellen und auf den Markt bringen.

Erste Hersteller, so ist zu hören, stehen bereits in den Startlöchern, um den für sie interessanten Markt zu bedienen. Das dürfte zu einem sinkenden Preis führen, vermutlich auch beim Original-Präparat Viramune®.

Und Nevirapin ist erst der Anfang. Bereits im November 2013 folgt Efavirenz. Bisher wird die Substanz unter dem Handelsnamen Sustiva® (in manchen Staaten auch unter dem Handelsnamen Stocrin®) vermarktet. Enthalten ist sie auch im Kombinationspräparat Atripla®. Auch hier gilt: ab November 2013 können generische Versionen von Efavirenz in Europa vermarktet werden. Und ein israelischer Generika-Hersteller soll bereit stehen, ab dem Tag des Patent-Endes auch tatsächlich Efavirenz-Generika liefern zu können.

Ritonavir (Handelsname Norvir®) verliert ebenfalls Ende 2013 den Patentschutz (allerdings nur in der Kapsel-Formulierung, die hitzestabile Pille ist weiterhin patentiert). Und in den kommenden Jahren folgen weitere Substanzen: Abacavir (Handelsname Ziagen®) Anfang 2016, Lopinavir (Kaletra®) Ende 2016. Und 2017 dann Tenofovir (Viread®, auch in Truvada®, Atripla® und Eviplera®).

Wir werden uns nicht nur an neue Namen gewöhnen müssen

Nun könnten Tom Positiv und Vera Positiva denken: Was geht mich das mit den Patenten und dem Generika an.

Nun, das geht ihn, sie, uns vermutlich recht bald ‚was an‘.

Schon bald werden Handelsnamen, die uns lange begleiteten, vielleicht seltener auftauchen. Wir werden uns stattdessen an andere Namen gewöhnen müssen, an die INN, die International Nonpropietory Names, die bei der Welt-Gesundheits-Organisation WHO registriert sind und weltweit und Hersteller-unabhängig gelten (wie ‚Nevirapin‘ für den Wirkstoff des Präparats, das bisher unter dem Namen Viramune® patentgeschützt war).

Doch die Veränderungen, die sich durch die Verfügbarkeit von Aids-Generika ergeben, werden weitreichender sein als reines ‚Name-Dropping‘:

Bisher interessiert sich kaum ein HIV-Positiver für die Kosten seiner Kombi und Therapie. Das dürfte sich ändern, Diskussionen dürften aufkommen, denn Generika kosten oftmals nur einen Bruchteil des Preises patentgeschützter Medikamente.

Krankenkassen werden sich vermutlich bald die Frage stellen, warum sie teure patentgeschützte Aids-Medikamente zahlen sollen, wenn es doch vielleicht auch Generika tun würden?

Ist die Therapie-Freiheit in Gefahr?

Das könnte auch Ärzte unter Druck setzen, wenn sie weiterhin teure Patent-Medikamente verordnen? Ist der Vorteil der Therapie mit den „Originalmedikamenten“ wirklich so gravierend, dass er die Mehrkosten wert ist? Die bisherige Therapie-Freiheit könnte angesichts der Kosten-Diskussion in Gefahr geraten. Kein rein abstrakter Gedanke, wie ein Beispiel zeigt:

Kein rein abstrakter Gedanken, wie ein Beispiel zeigt:
Nehmen wir an, Tom Positiv nimmt heute Atripla®. Bei Atripla® kostet eine Monats-Ration (30 Tage) derzeit 1.239,86 Euro.
Atripla® ist eine Kombi-Pille aus den Substanzen Emtricitabine, Tenofovir und Efavirenz. Efavirenz verliert im kommenden November seinen Patentschutz, und Emtricitabine (das weiterhin Patentschutz hat) ließe sich leicht durch das äußerst ähnliche Lamivudine (Patentschutz abgelaufen) ersetzen. Tom Positiv könnte also vielleicht anstelle von Atripla® auch generisches Efavirenz, generisches Lamivudin sowie (weiterhin patentgeschütztes) Tenofovir einnehmen. Kostensenkungen von über 50% seien auf diese Weise möglich, kalkulieren Forscher, bei nahezu gleicher Wirkung … wenn der Patient statt einer nun zwei oder drei Pillen nimmt.

Das Kostensenkungs-Potential scheint beträchtlich: Forscher haben in den USA bereits genauer ausgerechnet [1], welchen Betrag das US-Gesundheitssystem sparen könnte, wenn statt Atripla® zukünftig generische Versionen von Lamivudin sowie Efavirenz plus (weiterhin patentgeschützes) Tenofovir verordnet werden würden. Ihr Ergebnis: 920 Millionen US-Dollar – jährlich. Dimensionen, bei denen auch das Gesundheitssystem in Deutschland sich Fragen stellen wird …

Generische Versionen von Aids-Medikamenten werden vermutlich bald auch bei uns Teil der Lebensrealität HIV-Positiver werden. Und sie könnten zu weitreichende Konsequenzen führen. Die Kosten einer Therapie werden mehr zum Thema werden. Die Gefahr besteht, dass Therapie-Entscheidungen nicht mehr nur aus medizinischen Gründen getroffen werden, sondern zunehmend auch wirtschaftliche Aspekte einfließen. Und mittelfristig die Therapiefreiheit in Bedrängnis geraten könnte.

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[1] R.P. Walensky et al.: The clinical and economic impact of a generic first-line antiretroviral regimen in the U.S.. XIX International Aids Conference, Washington 2012, abstract

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Text für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe, dort veröffentlicht am 08.01.2013

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Nachtrag
26.02.2013
: Substanzen, die es lange am Markt geht, kann es auch anders ergehen: Zulassung erloschen statt Generika. So der Fall bei dem Proteasehemmer Nelfinavir (vom Pharmakonzern Roche unter dem Handelsnamen Viracept® vermarktet). Für Nelfinavir erlosch die Zulassung für die Europäische Union zum 23. Januar 2013, die EMA (European medicines Agency) vermeldet zu der Substanz trocken „This medicine is now withdrawn from use in the European Union“.
28.03.2013: „Erstes HIV-Generikum auf dem deutschen Markt„, berichtet die DAH am 28.3.2013.

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Persönliches

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Hamburg Homosexualitäten

Stonewall Hamburg 1982 und 1983 – Schwulen- und Lesben-Demonstrationen, getrennt oder gemeinsam?

Stonewall Hamburg – Schwule und Lesben gehen auf die Straße, in Hamburg Anfang der 1980er Jahre unter dem Namen „Stonewall“, der an die Aufstände Schwuler gegen Polizei-Willkür und Unterdrückung in New York 1969 erinnert, die vom Stonewall Inn ausgingen. Der ersten „Homosexuellen Aktionswoche“ (auch: „Hamburger Stonewall-Aktionswoche“) 1980 mit der erfolgreichen Abschluss-Kundgebung (1.500 Teilnehmer/innen) und einer breit durch die Medien gehenden Aktion gegen Rosa Listen und Schwulen-Überwachung (‚Hamburger Spiegel-Affäre‚) folgten weitere unter dem Namen ‚Stonewall‘ in den folgenden Jahren.

Die zweite Hamburger ‚Stonewall-Demonstration‘ fand 1981 statt, während des Deutschen Evangelischen Kirchentags (mit verdoppelten Teilnehmer/innen-Zahlen). Allerdings stand Stonewall 1981 (‚Hamburger Lesben- und Schwulenwochen, 14. – 27. Juni 1981) auch für eine weitere Entwicklung: Streit unter den Veranstaltern. Stonewall 1980 war noch von einem breiten Bündnis Hamburger Schwulen- und Lesbengruppen (dem HLSV Hamburger Lesben- und Schwulenverbund) veranstaltet worden. 1981 brach jedoch ein Konflikt [letztlich der darum, wie ‚alternativ‘ oder wie ‚angepasst‘ Schwulen-Bewegung sein solle] offen aus – eine Gruppe um Corny Littmann, Teile des Hamburger Tuntenchors, der HAH sowie anderer spaltete sich ab und veranstaltete vom 14. bis 27. Juni 1981 die ‚Lesben- und Schwulentage Interschwul. 1981 gab es zwei Schwulen- und Lesben-Demonstrationen: Stonewall 1981 und Interschwul.

Der Wechsel von Stonewall ’82 (unter dem Motto „Für das Recht auf Homosexualität„, Veranstalter UHA) zu Stonewall ’83 (Motto: „Für die Vielfalt der Liebe – gegen Diskriminierung„) stand dann auch für den großen Schritt von einem einzigen Veranstalter wieder zu einer Gemeinschaftsveranstaltung vieler Hamburger Lesben- und Schwulengruppen.
Die „Schwusel-Nachrichten“ (Nr. 2/1983) vermelden:

„Stonewall ’83 wird zum ersten Mal von ALLEN Schwulen- und Lesbengruppen Hamburgs organisiert und durchgeführt. Bisher war es die UHA, die organisierte, Programme erstellte, Gruppen ansprach, Öffentlichkeitsarbeit machte und sich überhaupt um den ganzen Kram, der zu solchen Wochen gehört, kümmerte.
Dieses Jahr wird alles anders?
Trotz der großartigen Arbeit der UHA zu Stonewall in den letzten Jahren ist es ein guter Schritt, wenn das Forum Hamburger Lesben und Schwule (FHLS) jetzt die ganze Vorbereitung in die Hand nimmt.“

Stonewall Hamburg 1983: Für die Vielfalt der Liebe - gegen Diskriminierung
Stonewall Hamburg 1983: Für die Vielfalt der Liebe – gegen Diskriminierung

Doch der Wechsel vom Einzel-Veranstalter UHA zum Forum FHLS 1983 verlief weitaus nicht ohne Reibungen:

Die Zusammenarbeit mit der UHA hätte besser sein können; sie hat uns nicht ihre Erfahrung konstruktiv zur Verfügung gestellt, aber dafür sind viele (neue) Ideen gekommen, die diese Schwulen-, Lesben-, Transi-, Pädo- Wochen bunter und vielleicht auch interessanter machen als zuvor.“

Stonewall 1983 Programmheft
Stonewall 1983 Programmheft

Der Name ‚Stonewall‘ blieb den Hamburgern noch einige Jahre erhalten für Schwulen- und Lesben-Demonstrationen. 1989 allerdings musste Bea Trampenau (Schwusel, Intervention e.V.) die Teilnehmer/innen [wie Bernd Rosenkranz in ‚Hamburg auf anderen Wegen‘ berichtet] auffordern, sich zu verteilen – damit der Demonstrationszug nach mehr Teilnehmern aussähe. Das Konzept vieler Wortbeiträge, Grußbotschaften und Statements aller denkbaren Gruppierungen ging zunehmend an den Interessen Hamburger Schwulen und Lesben vorbei.

1992 wurde ein Neu-Anfang gestartet – zunächst rein schwul, ohne Lesben-Beteiligung. Auch der Name ‚Stonewall‘ wurde gestrichen – von nun an hieß es statt Stonewall Hamburg schlicht ‚Christoper Street Day‘ (CSD), 1992 unter dem Motto ‚Das Wärmste im Norden‘.

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Der Konflikt, der 1981 um ‚Stonewall‘ offen zutage trat, befasste sich letztlich mit der Frage, soll Schwulen- und Lesbenpolitik Alternativen aufzeigen, experimentieren, Chancen des ‚Andersseins‘ nutzen (auch zu dem preis,. dass sich nicht alle Homosexuellen darin wiederfinden) – oder soll Schwulen- und Lesbenbewegung möglichst viele Homosexuelle mit einbeziehen, und entsprechend weniger radikal, angepasster, bürgerlicher sein, auch in Auftreten und Angeboten? Vertreter beider Linien schafften es 1981 nicht mehr, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, Unterschiede zu leben und dennoch Gemeinsamkeiten zu nutzen. Statt Gemeinsamkeiten wurde oft Trennendes kultiviert, zelebriert.

Dieser Konflikt (der nicht nur in Hamburg die damalige bundesrepublikanische Schwulenbewegung beschäftigte) durchzog in den Folgejahren viele Hamburger schwulenbewegte Prozesse. Auch die Gründung des Magnus-Hirschfeld-Zentrums 1982 durch eine einzige Gruppe ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Ein Konflikt, der viele Resourcen band, viele Energien verbrauchte und viele Aktive zermürbte.

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