Aktivismus als Form politischen Handelns – in ‚das System‘ hinein gehen, es reformieren, oder von außen protestieren, mit Aktionen auf Missstände aufmerksam machen und verändern?
Was ist ein Aktivist? Was ist Aktivismus? Führt er zum Ziel, oder eher der integrationistische Weg? Aktivismus als Gegenmodell zum passiven Hinnehmen:
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Aktivismus – das ist was?
Der Duden bestimmt Aktivismus als
„aktives (1) Verhalten, [fortschrittliches] zielstrebiges Handeln, Betätigungsdrang„.
Ein Aktivist wird bei Wiktionary definiert als
„oft politisch engagierte, zielbewusst handelnde Person„.
Der Philosoph Karl Popper (1902 – 1994) bezeichnete die Haltung des Aktivisten als
„die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens.„
Karl Popper, in: Das Elend des Historizismus
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Aktivismus – Geschichte eines Begriffs
Der deutsche Philosoph Rudolph Eucken (1846 Aurich – 1926 Jena) propagierte einen nach-kantianischen „neuen Idealismus“. Er bezeichnete ihn auch als „schöpferischen Aktivismus“ (ab 1907, Aktivierung der gemeinsamen schöpferischen Kraft aller Menschen).
Der Begriff erfuhr bald eine Wandlung und wird verwendet als Bezeichnung für politisches Handeln.
Ende der 1960er und in den 1970er Jahren entstanden mit den ‚neuen sozialen Bewegungen‚ (Frauenbewegung, Schwulenbewegung, Umweltbewegung) vielfältige Formen von Aktivismus. Sie waren oft gekennzeichnet von einer Kombination aus dem Übernehmen als wirksam etablierter Strategien der Organisation und neuen offenen, demokratischen Handlungsformen.
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Aktivismus als politisches Handlungskonzept
Auf konkrete Missstände und Defizite hinweisen, auf konkrete Veränderung bestehender Verhältnisse hinwirken, mit diesen Anliegen ist Aktivismus eine Form politisches Handelns.
Michel Foucault beschäftigte sich intensiv mit dem Machtbegriff und der Analyse von Machtverhältnissen. Er zeigt bei der Frage des politischen Handelns, des Infragestellens vorhandener Machtverhältnisse auf die (seiner Ansicht nach den Machtverhältnissen bereits innewohnenden, „wesenhafter Antagonismus„) Handlungsmöglichkeiten der „widerspenstigen Freiheit„, die Machtbeziehungen ändert [2].
Foucault sieht Kritik als Mittel, sich von der Macht eines anderen zu befreien und sich frei in Bezug auf eine Sache zu verhalten.
„Aber zugleich muß die Freiheit sich einer Machtausübung widersetzen, die die letztlich danach trachtet, vollständig über sie zu bestimmen.“
Miche3l Foucault, Subjekt und Macht, S. 287
Hannah Arendt beschreibt den in ihrem handlungs-orientiertes Politikverständnis wesentlichen Begriff ‚ziviler Ungehorsam‚:
„wenn eine Reihe von Menschen in ihrem Gewissen übereinstimmen und sich diese Verweigerer entschließen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich Gehör zu verschaffen.„
Hannah Arendt, Rede ‚Ziviler Ungehorsam‘, S. 71
Einer der Väter der ‘gewaltfreien Aktion’ als Form politischen Engagements ist der US-Politikwissenschaftler Gene Sharp. Macht ist Sharp zufolge das Ergebnis einer Übereinkunft. Ausüben von Macht setzt das stillschweigende Zustimmen der (oft ‘schweigenden’) Mehrheit voraus.
Wer nicht mehr schweigt, bekommt Werkzeuge in die Hand, Gesellschaft so zu gestalten, dass sie im Interesse der Menschen ist. Mittel der Wahl dazu ist Sharp zufolge die ‘gewaltfreie Aktion’ (Gewaltfreiheit war später auch eines der wesentlichen Merkmale der Aids-Aktionsgruppen ACT UP).
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Aktivismus – Attentismus – Aktionismus
Das Spannungsfeld wäre damit definiert :
- Aktivismus: nicht untätig abwarten, aber auch nicht in formelle politische Prozesse (als Teilnehmer) hinein gehen, sondern über z.B. Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen, über Aktionen aktiv werden.
- Attentismus: dem gegenüber wäre Gegenpol zum Aktivist der Attentist (attendre frz. = abwarten): jemand der untätig bleibt, abwartet, in Passivität verharrt.
- Aktionismus: Eine Fehlentwicklung des Aktivismus wäre der Aktionismus – die Aktionen geraten zum Selbstzweck, ein Ziel wird nicht mehr erkennbar. (Übersetzt in Zeiten des Internet: Follower alleine sind noch kein politisches Handeln)
(Nebenbei, der Begriff ‚Aktivismus‘ wird gelegentlich auch in anderen Kontexten verwandt. Kurt Hiller gründete eine (dem Expressionismus nahestehende) pazifistisch-sozialistische Bewegung, die er ‚Aktivismus‘ nannte, die eine „Aktivierung des Geistigen zur Herbeiführung einer neuen Menschheitsära“ [1] zum Ziel hatte. Mit-Denker und -streiterin waren u.a. Magnus Hirschfeld und die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Hedwig Dohm.)
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Aktivismus oder Integrationismus – was führt zum Ziel?
Ist Aktivismus geeignet, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken? Oder ist es sinnvoller, sich integrationistisch ‚in das System‘ zu begeben?
Der US-Schriftsteller, Radio-Moderator und Schwulenaktivist Michelangelo Signorile hat eine klare Antwort. Er betont die Bedeutung von Aktivismus anhand von Beispielen wie ACT UP und der US-Aids-Politik oder Protesten gegen den Umgang des US-Militärs mit Homosexuellen:
„Aktivismus hat uns vorangebracht, nicht der schwule Mainstream“ (Artikel Michelangelo Signorile)
Soziale Bewegungen stehen immer wieder vor der sich ewig wiederholenden und immer wieder neue Auseinandersetzung hervorrufenden Frage: hinein gehen in’s System, es verändern? Oder von außen kritisieren und Neues schaffen? Welcher Weg führt zum Ziel?
Ist der Integrationist erfolgreich, der in’s System hinein geht, mitmacht, dessen Positionen damit zunächst akzeptiert und es eventuell schafft, von innen etwas zu verändern?
Oder ist es zielführender, autonom eigene Position zu entwickeln und sich zu bemühen, diese zu realisieren, ggf. in Protest gegen ‚das System‘ von außen?
Mit dem Strom, oder gegen den Strom, was führt zum Ziel?
in or out – das Beispiel Aids-Aktivismus
Auch bei Aids stellte sich diese Frage immer wieder. Gerade beim Aids-Aktivismus und seinen Projekten und Resultaten wurde dabei ein Wechselspiel zwischen integrationistischem Weg und autonomem Vertreten von Positionen deutlich.
Anfang der 1990er Jahre weigerten sich die Veranstalter von Aids-Konferenzen (nicht nur in Deutschland), Menschen mit HIV und Aids, und auch Vertreter von Aidshilfen an Aids-Kongressen teilnehmen zu lassen. Damals war es vermutlich der schnellere und damit auch effizientere Weg, den ACT UP gegangen ist: nicht (nach einigen vorangegangenen, kläglich gescheiterten Versuchen) weiter auf Dialog, Bitten und Gespräche mit Kongresspräsidium und Veranstalter setzen. Sondern stattdessen durch konkrete Aktionen unser Aussperren, unsere Ausgrenzung erfahrbar, erlebbar (auch medial) machen. Und sie mit dieser Aktion zugleich zu durchbrechen.
Einige Aktionen, einige Aids-Kongresse, und einige Jahre später nahmen HIV-Positive und Aids-Kranke, Aidshilfen und andere Organisationen an Kongressen teil. Nach und nach erhielten sie auch Rederecht (zuerst in Form einer Podiums-Besetzung), später Mitbestimmungs-Möglichkeiten. In den folgenden Jahren etablierte sich die Zusammenarbeit, wurde Positiven-Beteiligung im Genfer Prinzip festgeschrieben und schriftlich vereinbart, und ist heute Normalität.
Aktivismus (hier in Form von ACT UP) war vermutlich die geeignete Form politischen Handelns, auf die ursprüngliche Ausgrenzung und Diskriminierung hinzuweisen und sie zu durchbrechen. Integationismus, Gespräche und Verhandlungen mit Veranstaltern, Vereinbarungen waren auf den Anfangs-Schritten des Aktionismus aufbauend die geeigneten Wege, darauf aufbauend die erzielten Erfolge auszubauen und langfristig zu sichern.
Aktivismus und Integrationismus müssen nicht in Widerspruch zu einander stehen – bei geschicktem Agieren können sie sich sinnvoll ergänzen und gemeinsam als sehr zielführende Strategien erweisen.
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Tucholsky
„Im Übrigen gilt in Deutschland derjenige,
der auf den Schmutz hinweist,
für viel gefährlicher als derjenige,
der den Schmutz macht.“
Kurt Tucholsky
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[1] Kurt Hiller: Der Aufbruch zum Paradies. Ein Thesenbuch. München 1952
Vgl. auch: Kurt Hiller Gesellschaft: Aktivismus und Expressionismus – Der Literat greift in die Politik ein
[2] „Das Machtverhältnis und das Aufbegehren der Freiheit sind also nicht zu trennen …; im Zentrum der Machtbeziehung stecken die Widerspenstigkeit des Wollens und die Intransitivität der Freiheit, die diese Machtbeziehung ständig ‚provozieren‘.“ (Michel Foucault, Warum ich Macht untersuche, 1987, S. 256) Ähnlich in ‚Analyse der Macht‚ (Hg. Daniel Defert), Frankfurt am Main 2005, S. 257.
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Das Thema Aktivismus war eines der Themen des Summerbreak 2013, das unter dem Motto „Mit oder gegen den Strom?“ vom 15. bis 18. August 2013 im Waldschlößchen stattfand. In Vorbereitung auf den Workshop „Solidarität endet nicht am eigenen Horizont“, den ich dort gemeinsam mit Marcel Dams angeboten habe, ist dieser Text entstanden.
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Mein eigener Aktivismus? Der erwachte wohl unter anderem bei einem umsonst und draußen Festival – bei dem ich lernte, wenn du etwas ändern willst, pack mit an. Handele.
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Wäre eigentlich der Gegenpart des Aktivist der Inaktivist?
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