ACT UP – die Aids Aktionsgruppen ACT UP waren nicht nur ind en USA, sondern auch in Europa und Deutschland aktiv. Unter diesem Stichwort fidnest du alle 2mecs Texte zu Aids Aktivismus Aids Coalition to Unleash Power ACTUP
“ Aktivismus hat uns voran gebracht, nicht der schwule Mainstream …“, sagt Michelangelo Signorile anlässlich der heute beginnenden Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof über die Homo-Ehe.
In den USA entscheidet im Juni 2013 der Supreme Court (Oberste Gerichtshof, SCOTUS) darüber, ob gleichgeschlechtliche Ehen (Homoehen) mit der US-Verfassung vereinbar sind. In einem Artikel der HuffPost Gay Voices geht der US-Schriftsteller Michelangelo Signorile u.a. der Frage nach, wie Schwule und Lesben es geschafft haben, diese Frage bis zum Obersten Gerichtshof zu bringen:
„Ob es nun ACT UP war mit seinem Organisieren von zivilem Ungehorsam Ende der 1980er Jahre, als die US-Regierung die Aids-Krise völlig ignorierte, oder Mitglieder von Get Equal, die sich an den Zaun des Weißen Hauses ketteten, um den Präsidenten dazu zu bewegen, sich zu ‚don’t ask don’t tell‚ zu äußern – es brauchte mutige Menschen, die ihren guten Ruf, ihre Privatsphäre, ihre Zukunft, ihren Beruf, ihre Familien und manchmal sogar ganz wortwörtlich ihre Körper einsetzten, um die Dinge voran zu bringen. Sie widerstanden den Angriffen nicht nur der anti-schwulen Zeloten [Eiferer], der Polizei und der Medien, sondern auch denen des schwulen Establishments, das ihnen nahelegte doch brave Jungs und Mädchen zu sein.“
Der 1960 geborene Michelangelo Signorile ist Schriftsteller und Rundfunksprecher der wöchentlich in den ganzen USA und Kanada ausgestrahlten Sendung The Michelangelo Signorile Show. Signoriles Aktivismus wurzelt in Erfahrungen der Aids-Krise Ende der 1980er Jahre. Signorile engagiert sich seit 1988 in der Schwulenbewegung sowie bei ACT UP (wo er u.a. Vorsitzender des Media Committee war). Er war u.a. Mit-Gründer des Magazins OutWeek, schrieb für The Advocate und war Mit-Gründer der Aktivistengruppe Queer Nation. Signorile war früher Chefredakteuer der HuffPost Gay Voices.
In seinem zweiteiligen Artikel „Out at The New York Times“ thematisierte Signorile 1994 die jahrzehntelange Homophobie der New York Times, zahlreiche schwule und lesbische Mitarbeiter/innen der Zeitung, aber auch Chefredakteure und Herausgeber kamen zu Wort. Signorile hat zahlreiche Bücher über Schwule und Lesben geschrieben, u.a. Queer In America: Sex, Media, and the Closets of Power, in dem er sich mit den Folgen des versteckten Lebens als Homosexueller auseinander setzt und Outing in bestimmten Konstellationen befürwortet. Signorile outete während seiner Tätigkeit bei OutWeek u.a. den Hollywood-Produzenten David Geffen als schwul, der damals u.a. bei seinem Platten-Laben Musik der Gruppe Guns N’Roses herausbrachte, die für schwulenfeindliche Texte kritisiert wurde.
Der US-Autor und Aktivist Larry Kramer ist seit Anfang der 1980er Jahre eine der lautesten und engagiertesten Stimmen in den USA im Kampf gegen Aids. Am 14. März 1983 erschien mit 1,112 and counting einer seiner wichtigsten frühen Texte, um die Schwulen New Yorks wachzurütteln, ein Text der sich heute wie ein frühes ACT UP – Manifest liest. .
Kalenderblatt: 14. März 1983 – vor 30 Jahren: Larry Kramers Wut-Rede „1,112 and counting“
Am 14. März 1983 erscheint im New York Native als Cover-Story ein Artikel von Larry Kramer “1.112 und weiter ansteigend” (“1,112 and counting”). Der Text wird in 17 weiteren Schwulenmagazinen in den ganzen USA nachgedruckt. Er wird zu einem der Meilensteine des Kampfes gegen Aids.
„Wenn dieser Artikel nicht eure Wut weckt, euren Ärger, eure Rage, eure Aktion – dann haben Schwule auf dieser Erde keine Zukunft mehr.“ [1]
Larry Kramers Text war der vermutlich erste größere Essay über eine damals noch sehr neue Seuche, die noch kurz zuvor als „Schwulenkrebs“ oder GRID (gay related immune deficiency) bezeichnet wurde und gerade erst den Namen Aids erhalten hatte. Kramers „1,112 and counting“ im New York Native war eine einzige wütende Anklage gegen Schweigen, gegen Untätigkeit, gegen Desinteresse.
Der New York Native, eine 14tägig erscheinende schwule Stadtzeitung, war zu Beginn der Aids-Krise das einzige schwule Medium der US-Metropole und galt lange als eines der einflussreichsten Schwulen-Magazine der USA [5]. Und Kramer nutzte sie als sein Forum:
„Unsere weitere Existenz als schwule Männer in dieser Welt steht auf dem Spiel. Wenn wir nicht um unser Leben kämpfen, werden wir sterben…” [1]
Die steigende Anzahl der neuen Aids-Fälle und insbesondere der Toten sei erschreckend. Was auch immer es sei, es breite sich schneller und schneller aus, und selbst führende Ärzte und Forscher wüssten nicht was vor sich ginge (das auslösende Virus wurde Ende 1983 erstmals noch unter anderem Namen beschrieben und erst drei Jahre später als HIV bezeichnet).
Kramer kritisiert nicht nur die Untätigkeit von Politik, Gesundheitsbehörden, Forschung – er greift vor allem die Schwulen und ihre Medien (wie den Advocate, eines der auflagenstärksten US-Homo-Magazine) für Ihr Schweigen an:
„Ich habe die Schnauze voll vom Advocate… Ich habe die Schnauze voll von Schwulen, die keine Wohltätigkeitsveranstaltungen für Schwule unterstützen … Ich habe die Schnauze voll von Klemmschwestern … Ich habe die Schnauze voll von all jenen in dieser Community, die mir sagen ich solle aufhören eine Panik auszulösen. Ich will nicht sterben. Ich kann nur annehmen, dass auch ihr nicht sterben wollt. Können wir gemeinsam kämpfen?“ [1]
Wie viele Schwule müssten noch sterben, bevor ihr endlich den Arsch hoch bekommt, fragt Kramer. Die Kritik an Untätigkeit, Desinteresse, Schweigen verdichtet sich wenig später in dem Slogan „Schweigen = Tod“ (Silence = Death). Er wurde zu einer der Kern-Aussagen von ACT UP, der Aids-Aktions-Gruppe, die Larry Kramer 1987 mit gründete. Das Schweigen bringt Kramer auch nahezu 30 Jahre später (anlässlich des 20jährigen Bestehens von ACT UP) noch in Rage:
“Es fällt mir schwer diese Überbleibsel früherer Größe anzuklagen, wenn die Schwulen in diesem Land weiterhin in dermaßen großer Passivität und Apathie verharren, so ‚ach-halt-die Fresse-mit-deinen-ewigen-Warnungen‘.“ [3]
Kramers Text trug wesentlich mit dazu bei, nicht nur die Reaktion von Schwulen auf Aids in den USA zu verändern, sondern auch das US-amerikanische Medizinsystem. Ein im Jahr 2002 im The New Yorker veröffentlichtes Larry-Kramer- Portrait [2] betont die Breite und Wucht der Anklage, die Kramer mit „1,112 and counting“ 1983 formulierte: Schreie die heute beinahe sanftmütig klängen und doch weitreichende Folgen hatten. Viele Patienten informieren sich heute selbst und wollen an ärztlichen Entscheidungen beteiligt sein. Ärzte haben einen großen Teil ihres „Halbgott in weiß“ – Images eingebüßt. Patienten werden bei Erforschung und Zulassung von Arzneimitteln einbezogen. Konkret am Beispiel Aids betont Kramer 2007:
„Jedes einzelne dieser Medikamente gegen HIV ist auf den Markt gekommen, weil Aktivisten es heraus quetschten aus diesem System, aus Laboren, aus Pharma-Konzernen, aus der Regierung, ins reale Leben hinein.“ [3]
Für Kramer selbst, der schon 1983 in seinem Text Aktionen zivilen Ungehorsams forderte, ist es seit „1,112 and counting“ die wesentliche Erkenntnis, aus der Passivität auszubrechen, sich zusammen zu schließen und für die eigenen Belange zu kämpfen:
“Du bekommst gar nichts, wenn du nicht dafür kämpfst, vereint und in wahrnehmbarer Anzahl. Wenn ACT UP uns eines gelehrt hat, dann dies.“ [4]
Larry Kramer mag von so manchem als „schwuler Extremist“ betrachtet werden, und als arrogante, gelegentlich auch demagogische alternde Tunte verschrien sein – seine Worte haben dazu beigetragen, die Realität nicht nur von HIV-Positiven sondern von Patienten im Gesundheitssystem generell zu verändern.
Larry Kramer ist Mitgründer von Gay Men’s Health Crisis GMHC (1982) sowie von ACT UP New York (1987). Er ist Autor von Theaterstücken wie „The Normal Heart“ (1985) und Sachbüchern wie „ Reports from the Holocaust: The Story of an AIDS Activist“ (1989/94). Kramer ist mit HIV und Hepatitis B infiziert und erhielt 2001 als einer der erste HIV-Positiven der USA eine Leber-Transplantation. Kramer lebt mit seinem Partner, dem Architekten David Webster, in New York.
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Larry Kramer starb am 27. Mai 2020 im Alter von 84 Jahren in New York.
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[1] Larry Kramer: 1,112 and Counting – A historic article that helped start the fight against AIDS. Erstveröffentlicht in New York Native 14.03.1983 [2] Michael Specter: Public Nuisance, in: New Yorker 13.05.2002 [3] Ulrich Würdemann: Larry Kramer: Happy Birthday, ACT UP, ondamaris 02.04.2012 Larry Kramer: We are not crumbs; we must not accept crumbs – Rede zum 20. Geburtstag von ACT UP. [4] Happy Birthday, ACT UP, Wherever You Are. Larry Kramer. Huffington Post 28.3.2012 http://www.huffingtonpost.com/larry-kramer/act-up_b_1382314.html [5] Der New York Native, der zu Beginn der Aids-Krise ein wichtiges Medium darstellte und Pionierarbeit leistete, wurde später eher zu einem Forum für Verschwörungs-Theorien rund um Aids und wurde von Gruppen wie ACT UP boykottiert.
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In einem ‚Kalenderblatt‘ habe ich für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe an diesen Text Kramers erinnert, dort ist dieser Text (mit 2 weiteren Fotos) zuerst erschienen am 14. März 2013.
Am 9. Februar 2003 starb Frank Rauenbusch (vormals Frank Schwarz) an den Folgen von Aids. Frank wurde am 1. August 1968 geboren. Frank war Weggefährte seit Zeiten von ACT UP. Er war später wesentlich am Entstehen der Email-Diskussionsliste „HIVTherapie“ und des ersten Internetauftritts der ‚HIV Nachrichten‚ beteiligt. In den HIV Nachrichten Nr. 66 März 2003 erinnerte ich so an ihn:
Frank Rauenbusch †
Am 9. Februar 2003 starb in Nürnberg Frank Rauenbusch geb. Schwarz an den Folgen von AIDS.
Frank bezeichnete sich selbst als „Computer – Freak“. Er war einer der ersten schwulen „Elektroniker“. Einer der ersten, die die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation, von Mailboxen, Chat und später Internet sehr früh erkannten. Und diese (in ihren Anfängen ja sehr „hetero“-) Techniken für Schwule und später für Positive nutzbar machten. So gründete Frank u.a. das schwule Mailbox-System ManBox, das noch bis weit in die Zeiten des Internets weiterlebte www.manbox.com.
Ich lernte Frank kennen in, wie er einmal schrieb, „guten alten Tagen von ACT UP“. Frank war maßgeblich an ACT UP Nürnberg und bundesweiten ACT UP – Aktionen beteiligt, das „Highlight“ waren sicher die ACT UP Proteste im Dom zu Fulda.
Nach den ACT UP – Tagen arbeitet Frank überwiegend in Nürnberger Zusammenhängen, insbes. auch in der Nürnberger AIDS-Hilfe. Dort war er von 1991 bis 1994 im Vorstand, und organisierte unter anderem z.B. den regionalen Positiven-Ratgeber. Viele Positive kennen ihn auch von Positiventreffen (und z.B. seinen Workshops „Internet für Einsteiger“) oder seinen Besuchen auf den Münchner AIDS-Tagen.
Aber auch AIDS im Internet war ein Thema, bei dem Frank viel bewegte. Die HIV Nachrichten hätten sich ohne Frank anders entwickelt. Die erste Website der HIV Nachrichten war weitestgehend sein Produkt, mit auf seine Anregung entstanden und von ihm realisiert. Auch zum Start des AIDSfinders www.aidsfinder.org trug Frank mit seinen Internet- und Computerkenntnissen wesentlich bei. Und die Email-Diskussionsliste „HIVTherapie“ gründete Frank zusammen mit mir 1997. Inzwischen sind auf dieser Liste mehrere Hundert Positive Mitglied und diskutieren über Fragen ihrer HIV-Therapie.
Ich bin sehr traurig, einen langjährigen Wegbegleiter verloren zu haben. Franks Rat, seine Erfahrung, seine Kritik und konstruktiven Vorschläge werden mir sehr fehlen, noch mehr sein Lachen, sein Optimismus.
In Gedanken bin ich auch bei seinem langjährigen Freund und Mann und Franks Freunden und Familie.
„Puh, ganz schön heftig„, kommentiert Steven. „AIDS ist kein Spiel, AIDS ist Krieg „, hatten wir ein Plakat kommentiert, auf dem heiter lächelnde Personen an Spielregeln erinnert wurden.
Was war das für ein Jahr, das mich die Gleichsetzung von Aids und Krieg hinnehmen, vielleicht auch selbst sagen ließ?
Ich versuche ein Jahr in Erinnerungen und Gedanken zu rekonstruieren.
1990 – es war nur ein Jahr …
Versuche 1990 zu erinnern
1. Januar. Das Neue Jahr beginnt für uns in Paris. Bei Jean-Philippe, den ich einige Monate zuvor kennen gelernt habe, und seinem Mann. Genauer, in einem Haus in einer der Pariser Vorstädte, bei seiner Mutter, eine kleine Feier, mehr ein Essen mit anschließender Party unter Freunden.
Immerhin ein kleiner Fortschritt: In den USA wird am 29. Januar 1990 Fluconazol (unter dem Handelsnamen Diflucan®) für die Verwendung gegen zwei bei AIDS häufigen Erkrankungen (Kryptokokken-Meningitis, Candidiasis) zugelassen. Heute kann man die Bedeutung dieser Zulassung nur noch schwerlich ermessen – welcher HIV-Positive erkrankt heute noch an Kryptokokken-Meningitis? Früher war ‚Krypto‘ einer der großen Schrecken vieler HIV-Positiver und Aids-Kranker. Ein kleiner Hefepilz, der nur zu schnell lebensbedrohliche Erkrankung und Tod bringen konnte. Und damals als sicheres Zeichen galt ‚jetzt geht’s los, spätestens jetzt wird’s schlimm.‘. Kryoto Toxo PcP, Vokabeln des Aids-Schreckens.
28. Februar. Eigentlich sollte ich feiern heute. Mir ist nicht zum Feiern. Jean-Claude Letist ist tot. Jean Claude, der Weggefährte in Zeiten von glf und SCHULZ, Begleiter auf so mancher Reise oder nächtlichen Exkursionen. Es ist Aschermittwoch.
Anfang März, kurz nach Jean-Claudes Tod. Der nahezu-Monopol-Verleger Kölner Tageszeitungen macht Schwierigkeiten. Die Formulierung „Ein beispielgebendes schwules Leben ist zu Ende gegangen“, mit der wir Jean-Claude in der Traueranzeige würdigen wollen, wird vom Kölner Stadtanzeiger nicht akzeptiert. Das Wort ’schwul‘ komme auf keinen Fall in eine Traueranzeige, das habe da gar nichts zu suchen. Nach Protesten bieten sie an „ein bewusstes Leben ging zuende“, wollen sich, als wir so gar nicht nachgeben, einlassen auf „ein bewusstes homosexuelles Leben ging zuende“. Dass es genau darum geht, ‚homosexuell‘ oder ’schwul‘, verstehen sie nicht. Nach dem ersten Entsetzen über das Verhalten der Verlagsleitung organisieren wir ein Sit-In vor dem Verlagsgebäude (das damals noch mitten in der Kölner Innenstadt ist). Nach erneuten Gesprächen, wenn ich mich recht erinnere bis hoch zu Herrn Dumont, wird der ursprügliche Text der Traueranzeige akzeptiert. „Machen wir eine Aggsion„, Gutemiene, wir haben’s geschafft. Dieses eine letzte Mal für dich. [vgl. hierzu Stonewall Momente: Traueranzeige Jean Claude Letist – homosexuell oder schwul ? (Video)]
9. – 11. März 1990. Die zweite ‚Schwule Zukunftswerkstatt schwule Utopien‘ (war schon das ‚Schwule Netzwerk‘ Veranstalter? meine Erinnerungen sind hier lückenhaft), Fortsetzung der ersten vom November ’89. Zehn Schwule versuchen an zwei Wochenenden gemeinsam Utopien für ein ‚wärmers Köln‘ zu finden. Mein Tagebuch vermerkt die Hoffnung dass „etwas Neues entstanden ist, eine neue Kraft, etwas ändern zu wollen, eine Vorstellung, wie es sein könnte, Menschen, mit denen zusammen ich Schritte dahin machen kann.„ Wenige Tage später wird ‚ACT UP Köln – wärmer leben‚ geboren, die Kölner ACT UP Gruppe. Die Gruppe, die schnell auf zehn Mitstreiter wächst (Bernhard, wo bist du?), trifft sich mindestens wöchentlich, um zu diskutieren, Aktionen zu planen.
Am 17. April führen ACT UP Berlin und die Positiven Aktionsfront Frankfurt eine Belagerung des Büros von Bristol-Myers Squibb durch, um gegen das Design geplanter ddI-Studien zu protestieren und Änderungen zu erreichen. ddI – zu dieser Zeit die grosse Hoffnung vieler Positiver. Endlich eine neue Substanz, die verspricht gegen HIV zu wirken. Und zwar auch dann, wenn das eh gefürchtete AZT nicht mehr funktioniert. Leider brauchen die Studien enorm viel Zeit, während Positive sterben, weil wirksame Medikamente fehlen. Und nicht nicht einmal an Studien teilnehmen dürfen. Sie sind schon zu krank, würden die Ergebnisse ‚versauen‘. Forschung kann tödlich zynisch sein.
14. Juli. Französischer Nationalfeiertag. Gerne waren wir früher zu diesem Anlass in Paris. Was für Feiern, Nächte haben wir durchtanzt, die tollen schwulen Feten am ‚quai de la tournelle‘. Dieses Jahr ist alles anders. Tristesse, Hoffnunglosigkeit, Traurigkeit. Mein Tagebuch vermerkt lakonisch „Mit der Metro zur Clinique Henner. Je näher ich der Klinik komme, desto größer wird meine Eile, meine Angst, etwas könnte passiert sein, er könnte gestorben sein.“ Jean-Philippe ist in der Klinik, wieder einmal. Am 17. Juli ‚feiern‘ wir seinen Geburtstag. 26 wird er.
Ich bin viel in Paris in diesen Monaten. Wie es mir geht? Mein Tagebuch vermerkt „Sehnsucht. Kälte und Einsamkeit in der Großstadt. Paris, geliebte Stadt, Stadt der emotionalen Abstürze„. Einem Bekannten schreibe ich aus Paris: „Es ist nicht leicht, jetzt hier am Bett von Jean-Philippe zu sitzen. Sein Zustand ist sehr schlecht (was er selbst auch weiß); laut seiner Mutter hat der Arzt nicht mehr sehr viel Hoffnung, daß er die Klinik noch einmal lebend verläßt. Er hat stark abgenommen, immer noch hoch Fieber, kann kaum Essen (wegen des Pilzbefalls in der Speiseröhre), die Toxoplasmose führt zu zeitweiligen Gedächtnisstörungen. Gottseidank ist sein Freund heute Morgen aus Biarritz zurückgekommen, so daß wir abwechselnd jeweils möglichst lange bei Jean-Philippe sein können.„
Und doch – es gibt auch Ausbrüche. Nächte im geliebten ‚Broad‘, unserer damaligen Pariser Lieblings-Disco, den ein oder anderen jungen Mann kennen gelernt (salut, Thierry!). Und häufiger zu Treffen von ACT UP Paris. Aktionen mit gemacht, Diskussionen, Anregungen für unsere Gruppe.
26. Juli. „Gründung Pflegeverein„, ist im Kalender notiert. HIV-Positive, die erkranken, stehen vor grossen Problemen. Schwul, HIV, Aids – viele Pflegedienste scheuen vor uns zurück. Ausreden wie ‚fehlende Qualifikation für so spezielle Fragen‚ sind häufiger als die ehrliche Antwort ‚wir haben Angst‚ oder ‚wir wollen mit solchen Leuten wie Ihnen nichts zu tun haben‚. Streng katholisch ausgerichtete Pflegedienste, ihre Moral, ihre gelebten Wertvorstellungen, ihr Verständnis von Sozialarbeit und Barmherzigkeit empfindet nicht gerade jeder emanzipierte schwule Mann als Lösung. ‚Dann machen wir es eben selbst‚. SchwIPS wird gegründet, die ‚Schwule Initiative für Pflege und Soziales‘. Sie wird einige Jahre lang der beduetendste Aids-Spezialpflegedienst im Kölner Raum sein.
August. ACT UP Gruppen in Deutschland beginnen gemeinsam den ‚Marlboro Boykott‘ zu organisieren, eine die Brüder und Schwestern in den USA (wo wegen Jesse Helms‚ Kunst-feindlicher Politik auch viele Künstler mit Aktionen mitmachen, z.B. ‚Helmsboro‘) unterstützende Aktion. Sie wendet sich gegen den offen massiv antihomosexuellen Jesse Helms, US-Politiker der äußeren Rechten, der u.a. für das Einreiseverbot für HIV-Positive in die USA maßgeblich verantwortlich ist. Dank breiter Unterstützung in schwulen Szenen sowie großer medialer Wahrnehmung ist die Aktion so erfolgreich, dass der Hersteller (der Jesse Helms mit Spenden sehr großzügig unterstützt) sich zu Gesprächen mit ACT UP Deutschland genötigt sieht. Problematisches Resultat der über einjährigen Aktionen: der Hersteller zahlt schließlich hohe Spenden an Aidshilfe-Organisationen.
Ende August. Urlaubstage in Frankreich. Zunächst eine Woche in Arès am Atlantik, danach durch die Landes, Toulouse und durch die französischen Pyrenäen. Macht Spaß, steile Pässe und enge Serpentinen fahren mit meinem spritzigen Renault 11 Turbo. Testosteronspielereien. Auf dem Rückweg einige Tage in Paris. Denkwürdiges Essen mit Jean-Philippe und Syriac.
Vom 27. bis 30. September findet in Frankfurt am Main die erste Bundespositivenversammlung (einschließlich Demonstration am 30.9.) statt. Sie steht unter dem Motto ‘Keine Rechenschaft für Leidenschaft – positiv in den Herbst’. Aktivistisch formulieren die Teilnehmer „So unterschiedlich wir auch leben mögen, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren, gerade nicht in dem zentralen Punkt: Unser Leben – und sei es auch zeitlich noch so begrenzt – wollen wir selbst bestimmen und in allem, was unser Leben von außen beeinflusst, wollen wir selbstbewusst und selbstverständlich mitentscheiden …„. Ich bin nicht dabei bei der ersten BPV. ‚Keine Rechenschaft für Leidenschaft‚, klasse Titel, klasse Kombination. Bringt es auf den Punkt. ‚Positiv in den Herbst‚ hingegen, einmal mehr mag ich dieses ‚positiv-Wortspiel‘ nicht. Schaudern lässt mich dieser Untertitel, so wie das Jahr bisher war.
2. Oktober. Jean-Philippe ist tot. 10. Oktober. Trauerfeier für Jean-Philippe, Einäscherung, auf dem Père Lachaise in Paris.
Leere. Absturz. Ende.
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November. Der 3. Deutscher Aids-Kongress findet in Hamburg statt. Menschen mit HIV und Aids teilnehmen lassen? Oder zumindest ihre Organisationen wie die Aids-Hilfe? Kein Interesse seitens der Veranstalter (‚kein Interesse‘ ist höflich formuliert. War da eher Abscheu, Widerwille, ihre Ablehnung uns gegenüber auch nur begründen zu müssen?). Vom Präsidenten des Kongresses ist gleichtönig immer wieder zu hören, dies sei ein wissenschaftlicher Kongress, nichts für Laien. Sie wollen über uns reden, nicht mit uns. Mit medienwirksamen Aktionen verschaffen sich die deutschen ACT UP Gruppen und Aids-Hilfe-Aktive Zutritt. Zum ersten Mal sind wir drin, im Kongress. Dabei statt außen vor. Hier, bei einer Aktion auf diesem Kongress, benutzen wir die Formulierung ‚Aids ist Krieg‚.
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Versuche 1990 zu durchdenken
‚Aids ist Krieg‚ – geht das? Nein. Die Formulierung ist nicht nur ‚ganz schön heftig‘, sondern ziemlich daneben. Aus heutiger Sicht.
Die Jahre wie 1990 eines war haben mir viel genommen und wenig gegeben. Verwüstungen Narben Schmerzen hinterlassen die ich heute noch spüre.
Krankheit Angst Entsetzen Sterben Verzweiflung waren in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, unter Weggefährten und in Szenen in denen ich mich bewegte, in einem Ausmaß das unvorstellbar scheint und schien, und manchens mal nicht aushaltbar war. Und doch, es war kein Krieg.
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„Wenn ich meine Kalender von damals durchsehe, von den dort eingetragenen Freunden lebt kaum noch jemand“ – mit Bildern wie diesen versuchen wir ‚Überlebenden‘ (auch ich) gelegentlich zu illustrieren, welche Verwüstungen in unserem Freundes- und Bekanntenkreis Aids angerichtet hat. Nein, ich erliege dieser Versuchung heute nicht, um das Jahr 1990 zu erfassen. Kein statistisches Kräftemessen, kein ‚Schwanzvergleich des Leids‘. Den Schmerz dieser Jahre können Zahlen nicht erfassen.
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Eine noch stärkere Metapher als ‚Aids ist Krieg‚ benutzten einige (nicht wenige) US- Aids-Aktivisten: „AIDS is the gay holocaust“ [1], Aids als Holocaust der Schwulen.
Wir bemühen uns – nicht eben grundlos – mit Sprache bewusst umzugehen. In den USA sind starke Metaphern sehr beliebt, gelegentlich auch wenig reflektiert oder über das Ziel hinausschiessend. Aids, die Auswirkungen von Aids auf schwule Szenen gleichzusetzen mit dem Holocaust, nie konnte dich dieses Bild gut finden, geschweige denn akzeptieren. Und doch, so sehr ich damals protestierte, auf den Holocaust, den organisierten Mord an Millionen jüdischer Mitbürger als singuläres Ereignis verwies, ich konnte das dieser Metapher zugrunde liegende Gefühl verstehen.
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Jack Fritscher, Herausgeber des legendären ‚Drummer‘, eines 1975 bis 1999 erschienenen Schwulen-Magazins, bezeichnete die Jahre zwischen 1984 und 1995 als „the Decade of Death“ – das Jahrzehnt des Todes. Klingt ein wenig nach ‚drama queen‘ – trifft aber den Nerv, bringt dieses damalige Gefühl ‚rings um uns herum sterben sie, unsere Zukunft, unsere Kultur, unsere Szenen krepieren‘ auf den Punkt.
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Die Situation damals, Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre, ist Menschen die sie nicht mit erlebt haben, heute nur noch schwer vermittelbar. Es gibt einige Bücher und Filme, die Stimmungen der Zeit recht gut einfangen (empfehlenswert m.E.: ‚Les Temoins‘ / ‚Die Zeugen‘ von André Téchiné). Aber dieses vielschichtig dunkle bedrückende Gefühl ‚hier stirbt eine ganze, meine ganze Szene weg, und niemand tut etwas, es gibt keinen Ausweg‘, dieses Gefühl ist heute kaum übermittelbar.
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Nein, Aids war hierzulande nie gleich Krieg. Die Formulierung ‚Aids ist Krieg‚ wirkt auf mich heute eher wie der hilflose Versuch, sich gegen Verharmlosung zu wehren. Den Schmerz und die Angst auszudrücken, dass eine ganze Szene zu sterben schien.
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Anmerkungen: Über meine Zeit mit dem in diesem Text mehrfach erwähnte Jean-Philippe habe ich in einer Mini-Serie erzählt: 1989 / 90: Einige Tage mit dir – Jean-Philippe [1] Zu ‚Aids is the gay holocaust‘: Aids als schwulen Holocaust zu betrachten war in schwulen Szenen der USA (besonders New Yorks) Anfang der 1980er Jahre ein weit verbreiteter und diskutierter Gedanke (siehe z.B. ‚Aids and the holocaust‘, Leserbrief des US-Schriftstellers William F. Hoffman, New York Times 23.10.1988). Larry Kramer verwandte die Formulierung von Aids als ‚gay holocaust gerne und oft, erstmals öffentlich meines Wissens 1985 in ‚The Normal Heart‘. Die Sammlung seiner frühen Aids-Texte aus der Zeit bei ACT UP und im GMHC wurde unter dem Titel „Reports from the Holocaust: The Story of an AIDS Activist“ 1989 und erneut 1994 veröffentlicht. Kramer hielt die Verwendung des Begriffs Holocaust im Zusammenhang mit Aids besonders für zutreffend wegen des Unvermögens der US-Regierung zu einer schnellen und ausreichenden Reaktion auf die Aids-Krise – es betraf ja ’nur Schwule‘, und später Arme und Menschen ohne politischen Einfluss. Nachlässigkeit, Desinteresse und Apathie in der US-Regierung sei, so Kramer, mit verantwortlich für die hohe Zahl von Aids-Toten, und rechtfertige die Verwendung des Begriffes ‚Holocaust‘. Die Verwendung des Begriffes ‚Holocaust‘ im Kontext von Aids wurde auch in den USA viel diskutiert und besonders Kramer dafür heftig kritisiert.
1990: ‚Nicht über uns, mit uns‘ – 3. Deutscher Aids Kongress Hamburg 1990: HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt
Vom 24. bis 27. November 1990 fand in Hamburg der 3. Deutsche Aids-Kongress statt. Es waren die Früh-Jahre der Aids-Krise, auch die Anfänge der Konferenzen zu HIV und Aids. Ich kann mich gut an die Zeit damals erinnern: es wurde im Medizinsystem zwar viel über uns gesprochen, aber nur selten mit uns.
Doch wir wollten mitsprechen – Teilnehmer, nicht nur ‚Gegenstand‘ sein. Vom Objekt zum Subjekt werden. Nicht über uns – mit uns! Die Aktionen wurden zu einem Meilenstein des Aids-Aktivismus:
Einen guten Anlass bot der 3. Deutsche Aids Kongress in Hamburg 1990. Wir (d.i. insbesondere Mitglieder verschiedener ACT UP – Gruppen sowie Vertreter der Aids-Hilfe Hamburg) bemühten uns, Zugang zum Kongress zu erhalten, suchten den Dialog mit dem damaligen Kongress-Präsidenten.
Professor Manfred Dietrich, damals Vorsitzender der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG und in dieser Funktion Kongress-Präsident (und 2002 in den Ruhestand verabschiedet, späterer Honorarkonsul der Republik Uganda), reagierte kühl und abweisend. „Dies ist ein Kongress für Experten“ und „dies ist ein wissenschaftlicher Kongress„. Das waren stereotyp immer wieder Antworten die wir zu hören bekamen, wenn es um die Möglichkeit der Teilnahme für HIV-Positive und Vertreter aus dem Aidshilfe-Bereich ging. Der Arzt, der seit 1983 am Hamburger Tropen-Institut HIV-Positive behandelte, grenzte diese von einem Kongress, bei dem es um eben sie ging, schlicht aus.
Doch dieses mal nahmen wir diese Ausgrenzung nicht mehr hin. Schließlich waren wir es, die mit HIV infiziert waren, die an Aids erkrankten, die keine Medikamente hatten, die Angst hatten zu sterben, die ihre Freunde und Lover sterben sahen. Wir wollten endlich mitreden.
Wir (insbesondere ACT UP Hamburg, Ernst Meibeck und Klaus Knust sind mir auch hier in besonderer Erinnerung) besorgten Krankenhaus-Betten sowie ‚medizinisch‘ aussehende Kleidung (Kittel etc.). Und am Tag der Kongresseröffnung standen wir plötzlich und unangekündigt vor dem Eingang des Hamburger Kongresszentrums CCH. Die überrumpelten Einlass-Kontrollen ließen uns verdutzt passieren – wir waren drin, einige Medien-Vertreter mit uns im Schlepptau.
Schnell war nicht nur die ‚Krankenhaus-Betten-Installation‘ vor dem Eingang des Kongresses aufgebaut, mit der wir auf die schwierige Situation bei der Pflege Aids-Kranker aufmerksam machen wollten. Ein Krankenbett schaffte es auch in den Kongress, darin ACT UP Aktivisten, als ‚Aids-Kranke‘ geschminkt und mit Infusionsschläuchen ‚verkabelt‘, anklagend stand nahe der Teilnehmer-Registrierung. Im Konferenzgebäude war ein improvisierter Stand von ACT UP, mit vorbereiteten Info-Tafeln, die neben dem Pflege- und Versorgungsnotstand u.a. den damaligen ‚Marlboro-Boykott‘ thematisierten, mit einer Geldsack-Aktion (siehe Fotos unten) die Preispolitik bei AZT angriffen, oder von uns als verharmlosend empfundene Aids-Kampagnen kritisierten.
Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung“, war unsere Maxime. Zwar nahmen wir noch nicht aktiv an den Veranstaltungen und Diskussionen teil, erst recht nicht an der Planung des Kongress-Programms – aber der erste Schritt war demonstrativ getan, wir waren ‚drin‘.
In der Nullnummer der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‚ (Februar 1991) berichtet Michael Fischer †, Partner von Andreas Salmen:
„So genügte es auch den Veranstaltern des 3. AIDS-Kongresses in Hamburg im November vergangenen Jahres, in ihrer Einladung „auf die Nöte infizierter Menschen und ihrer Umgebung“ hinzuweisen. Auf die Idee, Positive oder Vertreter ihrer Organisationen aktiv am Kongress zu beteiligen, kam den Verantwortlichen [sic] mit ganz wenigen Ausnahmen nicht – wozu auch, wahrscheinlich hätten sie nur gestört. Das haben sie denn auch wirklich. Vertreter aller zur Zeit in Deutschland existierenden ACT UP – Gruppen aus Berlin, Bonn, Hamburg, Köln und München organisierten während der gesamten Kongressdauer einen Stand und versuchten mit einigen „direkten Aktionen“ Kritik zu üben. … Der spektakuläre Höhepunkt fand am Montagmorgen statt, als sich die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Lehr anschickte, eine Rede zu halten. Ungefähr zwanzig ACT UP – Aktivisten stürmten mit Trillerpfeiffen und Transparenten das Podium und erzwangen so eine kurze Rede, in der die AIDS-Politik der Bundesregierung kritisiert wurde. … Auf einem sonst eher langweiligen Kongreß ist es so den Mitgliedern von ACT UP gelungen, berechtigte Forderungen von Positiven vorzutragen und ihnen auf diesem Weg Öffentlichkeit zu sichern. Denn, so lautet das Motto der Gruppe: SCHWEIGEN = TOD.“
Community Beteiligung – HIV-Positive nehmen am Aids-Kongress teil, diese Nachricht wäre heute kaum noch eine. Die Teilnahme HIV-Positiver an Aids-Kongressen, und zwar nicht ’nur‘ als Teilnehmer, sondern auch in der Planung und Vorbereitung, ist inzwischen selbstverständlich. Doch was heute Normalität ist, war vor wenig mehr als 25 Jahren noch Skandal.
Community Beteiligung an Aids-Kongressen – 1990 noch Skandal, heute Normalität
Die Community Beteiligung an Aids-Kongressen in Deutschland hat eine längere und wechselvolle Geschichte. Sie beginnt 1990:
3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990
Am 24. November 1990 begann in Hamburg der 3. Deutsche Aids-Kongress. Es waren die Früh-Jahre von Aids, von Konferenzen zu HIV und Aids. HIV-Positive und Aids-Kranke auch nur als Teilnehmer zuzulassen, dies schien den meisten Ärzten ein absurder Gedanke.
„Dies ist ein Kongress für Experten“ und „dies ist ein wissenschaftlicher Kongress“, das waren stereotyp immer wieder Antworten, die wir zu hören bekamen auf unser Begehren, auch nur als Teilnehmer zugelassen zu werden.
Doch dieses mal nahmen wir diese Ausgrenzung nicht mehr hin. Wir verschafften uns im Rahmen einer ACT UP – Aktion Zugang: wir waren drin, erstmals nahmen HIV-Positive und Aids-Kranke an einem Aids-Kongress in Deutschland teil.
In den Folgejahren erhielten HIV-Positive die Möglichkeit, an Deutschen Aids-Kongressen teilzunehmen. Doch was wurde dort vorgestellt, beraten, präsentiert – und wie wirkten wir daran mit?
4. Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992
Vom 25. bis 28. März 1992 fand in Wiesbaden der 4. Deutsche Aids-Kongress statt. Noch immer gab es kaum Medikamente (mit ddI war kurz zuvor nach AZT und ddC erst das dritte Medikament in den USA zugelasen worden). Studien dauerten, der bisherige Fortschritt erschien zäh und zu langsam, die bisherigen Medikamente hatten enorme Nebenwirkungen und wirken nicht lange.
Wir wollten nicht weiter „zusehen“, wollten „rein“ – nicht nur rein in den Kongress, sondern auch rein in Plaung und Vorbereitung, in HIV-Studien und Aids-Forschung. Forderten ‚echte‘ Community Beteiligung. ACT UP protestierte erneut, dieses mal während einer Plenar-Veranstaltung vor allen Teilnehmern während der Eröffnung des Kongresses: ACT UP Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992.
1998 wurde die Community Beteiligung in Aids-Kongressen international erstmals konsequent umgesetzt, bei der Welt-Aids-Konferenz in Genf. Der Ort prägte auch den Namen – fortan sprach man vom ‚Genfer Prinzip‚.
7. Deutscher Aids-Kongress Essen 1999
Bei deutschsprachigen Aids-Kongressen wurde das Genfer Prinzip erstmals 1999 umgesetzt, beim 7. Deutschen Aids-Kongress, der vom 2. bis 6. Juni 1999 in Essen stattfand (Präsident Prof. Norbert Brockmeyer).
Zum ersten mal waren HIV-Positive und Community-Vertreter nicht nur als Teilnehmer/innen im Kongress, sondern von Beginn an bei Planung und Organisation beteiligt, und zwar auf allen Ebenen des Kongresses – vom eigenen Community Board bis zu Community-Vertretern im Steering Committee des Kongresses (bei beidem war ich auch selbst aktiv, sowohl im Community Board wie auch als Community-Vertreter im Steering Committee). Das ‚Essener Prinzip‘ war geboren.
Dieses ‚Essener Prinzip‘ wurde unverändert auch beim folgenden Kongress umgesetzt, dem 8. Deutschen Aids-Kongress 2001 in Berlin. Wieder gab es ein Community Board, und Community Vertreter im Kongress-Präsidium.
SÖDAK St. Gallen 2009
Der Schweizerisch-Österreichisch-Deutsche Aids-Kongress in St. Gallen 2009 wurde zu einem Rückschlag für die Community Beteiligung – oder er machte bereits zuvor schleichend eingetretene Veränderungen deutlich sichtbar.
Im Vergleich zu medizinischen und Grundlagen-Fragen wurden ganze Bereiche vernachlässigt. Bereiche, die für Menschen mit HIV und von HIV bedrohte Communities von besonderer Bedeutung sind, wie zum Beispiel sozialwissenschaftliche Fragen, aber auch Zahnheilkunde oder Psychiatrie. Im Auswahl-Prozess des Kongresses schien die Relevanz der Themen für das Leben von Menschen mit HIV nahezu keine Rolle gespielt zu haben. Hinzu kam, dass von Anfang an keine breite Teilnahme von Positiven erwünscht schien, sondern eher eine gezielte Einladung ausgewählter Berichterstatter. Aus diesen Gründen zog das Community-Board dieses Kongresses geschlossen seine Mitarbeit zurück. Sowohl die AIDS-Hilfe NRW als auch die Deutsche AIDS-Hilfe schlossen sich diesem Rückzug aus dem SÖDAK an.
Doch der Kongress in St. Gallen war nicht nur Rückschlag, er war auch Anlass für einen neuen Auftakt in Sachen Community-Beteiligung im Rahmen deutschsprachiger Aids-Kongresse:
Diese ‚Gemeinsame Erklärung‘ legt „Eckpunkte zur aktiven Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress“ fest. Sie ist seitdem Basis der Zusammenarbeit, auch im Rahmen des 6. Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses DÖAK 2013 in Insbruck – und seines Nachfolgers 2015 in Düsseldorf.
ACT UP T-Shirt der Aids-Aktionsgruppen ACT UP (Aids Coalition to Unleash Power), wiederentdeckt:
ACT UP war (auch) Mode
Die T-Shirts hatten für ACT UP allerdings mehr als ’nur‘ die Funktion einer Mode – sie waren Objekte der Identifikation, Instrument für ACT UP – Messages, und nicht zuletzt (durch den Verkauf) auch Finanzierungs-Quelle für unsere Aktionen.
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Das am schönsten gestaltete ACT UP T-Shirt hat sich leider in meiner Sammlung nicht erhalten, eines mit einem Motiv das Jimmy Somerville (der sich auch ansonsten viel für ACT UP engagierte) entwarf.
Rosa von Praunheim wird 70 – und Magazine, Feuilletons, TV-Sender und nicht zuletzt Schwule jubeln. Messias in rosa … Alle jubeln? Nein … eine kleine Schar reibt sich nachdenklich die Augen, erinnert sich.
Rosa von Praunheim stand für Emanzipation, besonders mit seinem Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“. Und Rosa stand für eine nicht eben emanzipatiorische Haltung – mit seiner jahrelang immer wieder deutlich gemachten Haltung zu Aids, Aids-Prävention und HIV-Positiven.
Ich kann mich gut erinnern, welche Kontroversen, welche Proteste Rosa und seine Haltung zu Aids auslösten, als er, zurück aus den USA, meinte uns mit paternalistischem und beserwisserischem Gestus seine vor Moral triefende Vorstellung von Aids-Politik und -Prävention aufzudrängen. Dass ich einmal gegen Rosa protestieren würde, lange konnt ich’s mir nicht vorstellen – aber bei diesen Filmen und dieser Haltung war’s soweit. Als Rosa von Praunheim seinen Film in Köln vorstellte, gab es doch tatsächlich lautstarke Proteste, auch zu Rosas Irritation und Verärgerung … es waren die Zeiten von ACT UP, und Ulli konnte, wollte seinen Mund nicht halten.
In seinem Beitrag „Der Antipode wird 70“ auf dem Blog der Deutschen Aids-Hilfe bringt Dirk Hetzel heute die Situation auf den Punkt:
„Genauso wie Praunheims großartige Kampfansage aus den 70er – „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ – noch heute gilt, hat auch sein Schlagwort aus den 80er Jahren Gültigkeit bewahrt; „Ein Virus kennt keine Moral.“
Warum in alles in der Welt hat man jedoch bis heute das Gefühl, dass viele Äußerungen Praunheims zum Thema HIV mehr von moralinsaurer Bevormundung als von respektvoller Zugewandtheit geprägt sind?“
Russo wurde am 11. Juli 1946 in New York geboren. Bekannt wurde er insbesondere durch sein Buch „The Celluloid Closet“ (1981), in dem er untersuchte wie Schwule und Lesben in (insbesondere Hollywood-) Filmen dargestellt werden. Das Buch wurde die Basis für den Dokumentarfilm „The Celluloid Closet – gefangen in der Traumfabrik“ (1995) von Rob Epstein und Jeffrey Friedman.
Russo war Mit-Gründer der ‚Gay and Lesbian Alliance Against Defamation‚ (GLAAD), einer Organisation, die die Darstellung von Lesben und Schwulen in Mainstream-Medien beobachtet und jährlich die ‚GLAAD Media Awards‘ (darunter auch den ‚Vito Russo Award‘) verleiht. Russo engagierte sich zudem bei der Aids-Aktionsgruppe ACT UP.
Russo starb am 7. November 1990 in New York City an den Folgen von Aids. Sein Nachlass befindet sich in der New York Public Library.
Russo wurde in einer HBO-Dokumentation portraitiert, die am 23. Juli 2012 (in den USA) erstausgestrahlt wurde (Uraufführung beim 50. New York Film Festival am 23. Juni 2012).
Ernst Meibeck, Schauspieler, Musiker, Sänger, Kabarettist und ACT UP Aktivist, wurde am 14. April 1950 in Essen geboren. Ernst Meibeck starb am 10. Oktober 1995 im Alter von 45 Jahren in Hamburg.
Ernst Meibeck lernte ich kennen, kurz nachdem er sein HIV-positives Testergebnis bekommen hatte, Ende der 1980er oder ganz zu Beginn des Jahres 1990 muss das gewesen sein. Wir waren zu einem Koordinierungs-Treffen der ACT UP– Gruppen in Deutschland, und Ernst war einer der aktivsten Hamburger ACT UP Aktivisten.
Der Präsident des Deutschen Aids-Kongresses, der bald in Hamburg stattfinden sollte, wollte uns nicht teilnehmen lassen? ‚Da machen wir ne Aktion draus!‚, Ernst hatte gleich eine Idee, ein Bild im Kopf, ‚die sollen schon mal sehen, ob sie uns draußen halten können‘. Bald waren Krankenhaus-Klamotten, ein Krankenbett und allerlei medizinisches Zubehör organisiert, eine Gruppe HIV-Positiver, teils als Patient im Krankenbett, teils als ‚Professor‘ (‚Dr. Meibeck-Makarowsky‚) vorneweg, steuerte direkt auf den Eingang des Kongresses zu – und war bald drin. ‚Nicht über uns, mit uns‘, ‚Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung‘.
Auch in den folgenden Jahren war Ernst (oft gemeinsam mit Klaus Knust) engagierter Mitstreiter, Strippenzieher, Organisator, so z.B. beim damals recht erfolgreichen ‚Marlboro Boykott‘, bei dem ACT UP weltweit dagegen protestierte, dass der Marlboro herstellende Zigarettenkonzern den ultrarechten und inzwischen längst verstorbenen US-Politiker Jesse Helms unterstützte – eben jenen Helms, dem wir das erst Anfang 2010 wieder abgeschaffte Einreiseverbot für HIV-Positive in die USA zu ‚verdanken‘ hatten.
Irgendwann konzentrierte sich Ernst mehr auf die Fragen Hospiz und Pflegedienst – er hatte bei einem Besuch in London (wieder: mit Klaus Knust) das ‚London Lighthouse‘ besucht, brachte die Idee mit nach Hamburg – und wurde einer der aktiven Mitstreiter für ein ähnliches Hamburger Projekt. ‚Hamburg Leuchtfeuer‚ wurde 1994 gegründet – und Ernst konnte als er selbst schwer erkrankte längere Zeit von Ehrenamtlichen von ‚Leuchtfeuer‘ zuhause in seiner Wohnung auf der ‚Langen Reihe‘ gepflegt und betreut werden.
Multitalent Ernst Meibeck
Ernst Meibeck wurde am 14. April 1950 in Essen geboren. Nach einem BWL-Studium wurde er Leiter eines Jugendzentrums in Duisburg. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war er Mitglied der 1976 gegründeten schwulen Theatergruppe Brühwarm (Corny Littmann, Danny Lewis, Ralph Mohnhaupt, Ernst Meibeck, Lutz Ulbrich, Claus Plänkers und Götz Barner). Ernst ist u.a. der Sänger des wunderbaren Liedes „Sie ham mir ein Gefühl geklaut …“ auf der ‚Brühwarm‘-LP ‚entartet‚.
1979 trennte sich die Gruppe Brühwarm. Ernst machte Solo-Programme, sang mit im Hamburger Tuntenchor, jobbte als Modell. Er war Herausgeber der ersten beiden Ausgaben von ‚Hamburg von hinten‚ (1982, 1984/85).
HIV-positiv getestet, engagierte sich Ernst ab 1989 in der Aids-Bekämpfung.
Ernst Meibeck starb am 10. Oktober 1995 in Hamburg – nicht zuhause, wie er es sich gewünscht hatte, sondern im UKE (Universitäts-Krankenhaus Eppendorf). Beigesetzt ist er auf dem Friedhof Hamburg Ohlsdorf in der Gemeinschaftsgrabstätte ‚Memento 1‚ (Lageplan K10, 13-22).
Das ‚virtuelle Kulturhaus‘ auf der (längst eingestellten, aber seit 2013 wieder online als Archiv verfügbaren) schwulen Platform etuxx wurde ihm zu Ehren am 12. Dezember 2001 „Kulturhaus Ernst Meibeck“ benannt.
Ernst Meibeck – Grab
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Memento 1 – Ruhezeit Ende 2022 abgelaufen
Am 24. Oktober 2022 teilte Memento e.V. mit
„Ende dieses Jahres wird die 25-jährige Ruhezeit nach der letzten Beisetzung auf der ersten Grabstätte unseres Vereines:MEMENTO I ablaufen. Somit wird der Patenschaftsvertrag dieser Grabstätte mit zugehörigem historischem Grabmal zum 31. Dezember enden. Das Grabmal wird dauerhaft an seinem jetzigen Standort verbleiben, da es vom Friedhof als erhaltenswert eingestuft wurde und unter Denkmalschutz steht. Auch unsere Vereinsbeschriftung, die ersten 10 in den Sockel eingravierten Namen der Verstorbenen, sowie die Namenstafel mit den übrigen 22 Namen verbleiben vorerst an ihrem Standort. Sollte sich eines Tages eine Person, Familie oder Verein finden, welche einen neuen Patenschaftsvertrag mit dem Friedhof für diese Grabstätte abschließt, könnten diese dann natürlich ihre eigenen Namen am Grabmal anbringen. In diesem Falle würde unsere Namenstafel auf der Grabstätte MEMENTO II integriert werden. Auch die ersten 10 Namen aus dem Sockel des Grabmals würden dann, sobald dies finanziell machbar wäre, in irgendeiner Weise auf MEMENTO II eingefügt werden. Am Totensonntag dieses Jahres wird also das letzte gemeinsame Grabbegängnis des Vereines am Grabmal MEMENTO I stattfinden und wir wollen die Grabstätte dabei mit einer kleinen Zeremonie verabschieden.“
Memento e.V., 24.10.2022
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Ernst war eine Inspiration. Ernst war anstrengend. Ernst war liebenswert. Ernst war eine Bereicherung. Ernst – ich vermisse dich.
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Ernst Meibeck hören?
Das geht noch – sich um die Brühwarm-LP ‚entartet‘ bemühen, und das wirklich wunderbare Lied ‚Sie ham mir ein Gefühl geklaut‘ anhören.
Oder bei radioaton anhören, wie Ernst Meibeck und Onan Onair Weihnachten 1987 von der Talstrasse zur Hafenstraße pilgern, in der Heiligen Nacht auf der Suche nach dem wahrhaft Heiligen.
Oder bei Monty Arnold Songs gesungen von Ernst Meibeck hören: Paris Barhier, Letztes Geleithier, Cocteaus letzter Einkaufszettelhier, Steife Brisehier, Geiles Gerüchthier; (Komponist jeweils Erwin Spinger, außer ‚Paris Bar (dort Nach-Mischung)).
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