Am 29. September 2002 starb in Berlin der Historiker, Publizist und Schwulen-Aktivist Hans-Georg Stümke.
Ein junger Schüler wird wieder einmal von seinen Mitschülern gehänselt. Einer jedoch springt ihm bei, des öfteren. Der gehänselte Schüler hieß Hans-Georg, der ihm helfende heißt Gerhard. Gerne erzählte Hans-Georg Stümke die Anekdote, wie der Mit-Schüler Gerhard Schröder, der spätere Bundeskanzler, ihn in seiner Jugend unterstützte.
Hans-Georg Stümke wurde am 16. September 1941 in Königsberg geboren. Er wuchs in Celle auf, machte später auf dem zweiten Bildungsweg Abitur und studierte Geschichte in Berlin. Zunächst war Hans-Georg Stümke aktiv im ‘Kommunistischen Bund’ KB, engagierte sich bald in der westdeutschen Schwulenbewegung. Als erster berichtete er, gerade aus einem Urlaub in New York zurück, in der westdeutschen Homo-Presse über eine Schlägerei – über die Aufstände im Stonewall Inn gegen Polizei-Verfolgung.
Besondere Bedeutung erlangte Stümke mit einem Buch – erstmals überhaupt dokumentierte er umfassend, wie homosexuelle Männer in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt, unterdrückt und vernichtet wurden, schrieb über Nazi-Terror gegen Homosexuelle:
Hans-Georg Stümke, Rudi Finkler: “Rosa Winkel, rosa Listen: Homosexuelle und ‘gesundes Volksempfinden’ von Auschwitz bis heute” (1981)
Stümke prägte wesentlich mit die Unterscheidung zwischen vermeintlich unverbindlich agierenden ‚Spontis‘ und kontinuierlich ernsthaft aktiven ‚Kontis‘ (er sich selbst selbverstandlich zu letzteren zählend).
Bekanntheit erlangte später eine Kunstfigur Stümkes, sein ‘alter ego’ ‘Elvira Klöppelschuh’ mit ihrem Roman “Elvira auf Gran Canaria” (1994) – Stümke verbrachte seine Urlaube besonders gerne auf der Insel.
Hans-Georg Stümke starb am 29. September 2002, kurz nach seinem 61. Geburtstag, in Berlin an Krebs. “Ein Darling konnte er niemals sein“, begann Jan Feddersen seinen Nachruf auf den verstorbenen Weggefährten, und ergänzt “Hans-Georg Stümke darf als Nervensäge beschrieben werden.” Und prägte schon damals einen “-isten” (wie später den unsäglichen “Menschenrechtist”): “Stümke – das war ein, wenn es das Wort gäbe, Schwulist“.
Was haben wir damals in Köln debattiert, bitter gestritten um den Namen des Schwulen- und Lesbenzentrums- und dann mit einem Wettbewerb den Namen ‚SCHULZ‚ gefunden, der sich passenderweise auch noch aus den von der Vorbesitzerin hinterlassenen Buchstaben des 50er-Jahre Neon-Schriftzugs ‚Tanzschule Meyer‘ bilden ließ – viel zu banal, unverständlich für Hans-Georg, zudem von ihm als unpolitisch empfunden.
Mitte der 1990er Jahre wurden unsere Kontakte seltener – zu sehr war ich im Aids-Aktivismus engagiert, mit dem wohl er nur wenige (politische) Berührungspunkte empfand.
Der Politologe, Schwulen- und Aids-Aktivist Andreas Salmen wurde 1962 in Göttingen geboren. Er starb am 13. Februar 1992 in Berlin an den Folgen von Aids.
Andreas Salmen wurde am 26. Mai 1962 in Göttingen geboren. Seit seiner Jugend war er politisch engagiert; so recherchierte er Wikipedia zufolge undercover in der Berliner Neonazi-Szene und engagierte sich gegen die Volkszählung 1983.
Andreas gehörte 1981 zu den Mitbesetzern und Mitbegründern des Tuntenhauses in der Berliner Bülowstr. 55 (1981–1983). Es war ds ersten in einer Reihe weiterer Häuser in Berlin (Mainzer Straße und Kastanienallee) sowie auch in einigen anderen Städten (zum Beispiel Bremen (-> Tuntenhaus Bremen 1992), Bern und Genf, wo es „Tantenhaus“ hieß). Ende 1983 wurde das Haus geräumt und (teilweise) abgerissen (Zeitzeugenbericht von Andreas Salmen, 1986, nicht mehr online). Auf die Zeit im Tuntenhaus schaute Andreas auch später gelegentlich begeistert zurück:
„Alles im allem aber war das Haus ein tolles Erlebnis: wer wohnt schon mal mit zwanzig schwulen Burschen, Tunten, Spontis, Studies … zusammen? Sicher gab es auch schwule Besetzer in Bielefeld, Amsterdam, London und Paris, mit denen wir auch teilweise Kontakt hatten, aber nirgends wurde das Konzept eines schwulen besetzten Hauses so klar durchgezogen und nirgends sonst hielt es sich fast drei Jahre. Und nach drei Jahren des Wohnens allein oder zu zweit bekomme ich trotz all dem Nerv, dem Schmutz und Stress beim sehnsüchtigen Zurückblicken wieder Lust auf Ähnliches: denn da waren auch viele tolle Augenblicke.“
Andreas Salmen 1986
Nach seiner Zeit im Tuntenhaus begann Andreas 1984 mit dem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin. Seine Diplomarbeit (bei dem 2001 mit dem Fritz-Bauer-Preis ausgezeichneten Politikwissenschaftler Prof. Dieter Narr, 1937 – 2019) beschäftigte sich mit der neuen Schwulenbewegung in der Bundesrepublik ab 1971. Parallel war er im Frühjahr 1984 einer der Gründer des noch heute existierenden Berliner Monatsmagazins „Siegessäule“, das sich damals nur an Schwule richtete. In der „Siegessäule“ sowie im Schwulen-Magazin „Magnus“ (es erschien vom Juni 1989 bis 1996) und ab 1988 häufig für die „taz“ schrieb Andreas besonders über Themen aus der Schwulenbewegung (z. B. „Kein Asyl für schwule Pakistani“, 4.2.1989), zu HIV/Aids (z. B. „Das HIV-Modell als Mogelpackung?“, 31.10.1988, oder „Ministerin Lehr blockiert Safer-Sex-Projekt“, 26.5.1989) und von seinen USA-Aufenthalten über dortige Proteste (z. B. „AIDS in New York City“, 7.10.1988, und „Aidsaktionsgruppen belagern das Marriot-Hotel“, 21.6.1990). Früh engagierte sich Andreas nicht nur in der Schwulenbewegung, sondern auch im Kampf gegen Aids – wiederum auf seine ihm eigene Weise. Mit drastischen Formulierungen, manchmal im Stil von Larry Kramer (wie „Wir befinden uns im Krieg!“, siehe oben) eckte er an. Und er erwies sich immer wieder als unbequemer Denker und Aktivist, der auch vor Kritik an den eigenen Reihen nicht zurückscheute:
„Die Geschichte des Verhältnisses der Schwulenbewegung zu Aids ist die Geschichte von Verdrängung und einer Kette von Versäumnissen.“
(Haunss 2004, S. 232)
Mit deutlichen Worten kritisierte Salmen 1989 in der „Siegessäule“ das (aids-) politische Desinteresse vieler Schwuler:
„Schwule Emanzipationsbemühungen können sich nicht mehr an Aids vorbeidrücken, sie sind nur noch in einem Gang mitten durch Aids denkbar.“ (Salmen 1989, zitiert nach Hutter 1993)
Am Wissenschaftszentrum Berlin arbeitete Andreas in der Präventionsforschung; gemeinsam mit Rolf Rosenbrock gab er das Buch „Aids-Prävention“ (1990) heraus. Parallel versuchte er in Berlin ein „Stop-Aids-Projekt“ nach US-Vorbild zu initiieren (das Stop Aids Project war 1984 in San Francisco gegründet worden und bemühte sich um eine communitynahe und Sexualität bejahende Aidsprävention für schwule, bisexuelle und Trans*-Männer), was nicht nur begrüßt, sondern zum Teil auch massiv kritisiert wurde, unter anderem mit dem Argument, man habe dafür doch schon Aidshilfen. Zudem war Andreas zeitweise Redakteur der Positiven-Zeitung „Virulent“, die ab 1991 mit einer Startauflage von 25.000 Exemplaren drei- bis viermal pro Jahr erschien. Sie wurde von einem Redaktionsteam gemacht wurde, in dem u.a. der Germanist Michael Fischer (Lebenspartner von Andreas), und später auch ich selbst mitarbeiteten.
Andreas Salmen brachte, frisch zurück von einem einjährigen USA-Aufenthalt, politischen Aids-Aktivismus in Form von ACT UP mit nach Deutschland.
Andreas Salmen war außerdem Herausgeber des meines Wissens einzigen Buches über ACT UP, das damals aus ACT-UP-Zusammenhängen heraus in Deutschland veröffentlicht wurde: „ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS Aktionsgruppen in Deutschland und den USA“. In diesem im Herbst 1991 erschienenen Band, den Salmen seinem langjährigen Lebenspartner widmete, wurden einige Grundlagentexte aus US-amerikanischen ACT-UP-Kontexten erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Obwohl er zwei Jahre nach Gründung der ersten ACT-UP-Gruppe in Deutschland erschien, enthält der Band aber bemerkenswerterweise neben einer Liste der deutschen ACT-UP-Gruppen nur einen einzigen Text zur Situation in Deutschland, nämlich einen Beitrag zu Mängeln in der medizinischen Versorgung. Andererseits ist mit der „AIDS Treatment Agenda“ von ACT UP New York bereits ein Beitrag enthalten, der sich genau auf der Bruchlinie von Aids- und Therapieaktivismus bewegt, die später zum Ende des „klassischen“ ACT-UP-Aktivismus beitrug.
Ohne Andreas wäre ACT UP in Deutschland vermutlich kaum denkbar gewesen. Nachdem er am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids gestorben war, erfuhren seine Aktivisten-Kolleg_innen auf einem Koordinierungstreffen deutscher ACT-UP-Gruppen im Waldschlösschen davon – an eben jenem Ort, an dem er im Dezember 1988 zur Gründung von ACT-UP-Gruppen in Deutschland aufgerufen hatte.
Manfred Kriener beschrieb Andreas’ Haltung in einem Nachruf in der „taz“ 1992 wie folgt:
„Mit ‚Act Up‘ und dem von ihm vorangetriebenen Berliner ‚Stop-Aids-Projekt‘ wollte Andreas die Passivität der Betroffenen in der Aidskrise durchbrechen, er wollte Gegenwehr mobilisieren statt stummer Erduldung.“
Manfred Kriener, Nachruf auf Andreas Salmen, taz 1992
In einem Nachruf der deutschen ACT-UP-Gruppen, der als Anzeige in der „taz“ sowie in einigen Schwulen-Blättern wie zum Beispiel „First“ erschien, hieß es:
„Die Königin hat ihr Königreich selbst geboren. … Andreas war derjenige, der die US-amerikanische ACT-UP-Idee aufgegriffen und auf unsere Verhältnisse übertragen hat. … Andreas war sicherlich ein schwieriger Mensch; es fiel uns nicht immer leicht, mit seiner kompromisslosen und fordernden Art umzugehen. Er war voller Ideen und Konzepte für neue Aktionen, mit denen er den Kampf gegen die Aidskrise aufgenommen hatte. Die ungeheure Energie, die er dabei entfaltete, war nicht zuletzt auch Ausdruck seiner eigenen Betroffenheit. Dabei verstand er die Aids-Epidemie nicht als isoliertes medizinisches, sondern vor allem auch als politisches Problem. Seine Arbeit war geprägt von seiner Fähigkeit, analytisch zu denken und gleichzeitig leidenschaftlich zu denken. Er hat uns vorgelebt, was SILENCE = DEATH / ACTION = LIFE bedeuten kann.“
Die Trauerfeier für Andreas fand am 21. Februar 1992 im Krematorium Ruhleben statt. Am 30. März 1992 starb Andreas’ Lebensgefährte Michael Fischer. Eine Erinnerungsfeier für Andreas und Michael fand am 25. Mai 1992 im Rathaus Berlin-Charlottenburg statt.
Der Nachlass von Andreas Salmen wird im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung (Sondersammlung „Protest, Widerstand und Utopie in der Bundesrepublik Deutschland“) bewahrt.
Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland für Andreas Salmen
Salmen, A.: AIDS. Solidarität als Alternative. 1988. In: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Jahrbuch 1987. Sensbachtal/Odenwald
Salmen, A.: “Wir werden die Krise überleben.” Stop-AIDS-Projekte. 1988. In: Siegesäule 5 (6), 1988
Salmen, A.: “Schwulenbewegung und AIDS – Endlich aus der Opferrolle herauskommen!” 1989. In: Siegessäule 6 (1), 1989
Salmen, A.; Eckert, A. (Hrsg.): 20 Jahre bundesdeutsche Schwulenbewegung. 1969-1989 Bundesverband Homosexualität, Köln 1989
Salmen, A.: “Ein Scharlatan findet seine Jünger. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Duesbergs.” 1989. In: Siegessäule 6 (7), 1989
Salmen, A.; Rosenbrock, R.: (Hg.) AIDS-Prävention. 1990. Berlin Edition Sigma Bohn
Salmen, A.: (Hg.) “ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS-Aktionsgruppen in Deutschland und den USA” 1991. AIDS-Forum DAH Sonderband, Berlin, 1991 [letzte Veröffentlichung von Andreas Salmen]
“Hier in dieser öden Heide ist das Lager aufgebaut, wo wir ferne jeder Freude hinter Stacheldraht verstaut.” (Moorsoldatenlied)
Das KZ Esterwegen, schon im Sommer 1933 eingerichtet, war neben dem KZ Börgermoor und dem KZ Neusustrum eines der ersten KZ überhaupt, die die Nazis errichten ließen.
Das Lager Esterwegen ist das bekannteste der sogenannten Emslandlager. Esterwegen selbst war von 1933 bis August September 1936 Konzentrationslager (danach Verlegung nach Sachsenhausen), danach ebenfalls (wie zahlreiche andere Emslandlager) Strafgefangenenlager.
Zu den bekannteren Insassen von Esterwegen gehörten der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky, der SPD-Politiker Julius Leber, Wilhelm Leuschner, Ernst Heilmann, der Kabarettist Werner Fink.
Bekannt wurden die Emslandlager insbesondere auch durch das ‘Lied der Moorsoldaten’ (Johann Esser & Wolfgang Langhoff). Es entstand 1933 jedoch (entgegen weit verbreiteter Annahme) nicht in Esterwegen, sondern im nahe gelegenen KZ Börgermoor.
Esterwegen war ein so genanntes ‘Muster-Lager’ – es diente als Vorbild für den Bau weiterer KZs in Nazi-Deutschland. Und – die Existenz des KZ Esterwegen war keineswegs ein Geheimnis im Umland. Im Gegenteil, es finden sich Berichte in der Presse, der Papenburger Karnevalsverein kam ebenso zu Besuch wie eine internationale Juristen-Kommission, und Frauen aus der Umgebung berichteten später dem Dokumentationszentrum, sie seien in ihrer Jugend zu Tanz und Kino ins Lager gekommen (in den Bereich der Wachmannschaften).
Nach dem Krieg wurde Esterwegen zunächst Lager für Internierte und frühere ‘Gauleiter’, Strafanstalt, Flüchtlings-Durchgangslager (1953-59) und als Wohnanlage für Justizbedienstete, von 1963 bis 2001 dann als Bundeswehr-Bekleidungsdepot benutzt. Die originalen Baracken wurden mit der Auflösung des Lagers 1959 versteigert (z.B. an Städte im Umland für Schulen, sowie an Bauern), der Rest in den 60er Jahren abgerissen. An Erhaltung, gar Gedenken dachte man nicht – nicht nur damals.
Die Bäume entlang der ehemaligen Lagerstraße sind heute das einzig ‘Authentische’.
Gedenken an das KZ Esterwegen beginnt -’offiziell’ erst 1980. Ein Schüler fragte zunächst sich, warum denn am Standort des ehemaligen KZ nichts daran erinnerte, und dann das Bundesverteidigungsministerium als Nutzer der Liegenschaft. Das Verteidigungsministerium ließ dann 1980 vor dem Eingang zum ehemaligen KZ einen Gedenkstein aufstellen:
1994 folgten dann zwei weitere Gedenksteine – auf Initiative des ehemaligen ‘Moorsoldaten’ Georg Gumpert. Sie wurden rechts hinter dem Eingangstor aufgerichtet und erinnern an Carl von Ossietzky sowie an die ‘Hölle im Moor’:
Die Gedenkstätte Esterwegen ist noch im Aufbau (vorläufiger Betrieb seit 2006; Ausbau zur Gedenkstätte 2008 begonnen) und derzeit nur gelegentlich sonntags im Rahmen von Führungen zugänglich. Seit Herbst2007 befindet sich auf dem ehemaligen Bundeswehr-Depot-Gelände (außerhalb des ehemaligen KZ-Geländes, nahe dem ehemaligen Sportplatz der Wachmannschaften) ein kleines Kloster.
Dokumente:
Erwin Schulz berichtet über seine Zeit in den KZ Esterwegen und Börgermoor (Video)
‘Was geschah in dern Emslandlagern?‘ Schülerinnen und Schüler der Klasse 3b der Grundschule Friedrichsfehn stellen Fragen zur Gedenkstätte Esterwegen und zu den Emslandlagern (2005) NS-Gedenkstätten und Dokumentationszentren in der Bundesrepublik Deutschland
Die ‘Gedenkstätte Esterwegen’ ist von der Bundesstraße aus ausgeschildert. Da die Gedenkstätte noch im Aufbau ist, sind Besichtigungen derzeit nur im Rahmen von Führungen möglich. Diese finden i.d.R. am ersten und dritten Sonntag im Monat statt, 2008 noch am 17. August sowie 7. und 14. September.
Schon in meiner Schulzeit haben mich die ‘Moorsoldaten’ beschäftigt, ihre Geschichte, die des KZ Esterwegen, die Ossietzkys. Erst viel später habe ich erfahren, dass die Emslandlager auch einer der wesentlichen Orte des NS-Terrors gegen Schwule waren.
Damals (in meiner Schulzeit in den 70ern) war Esterwegen wenig mehr als ein nicht zugängliches Bundeswehr-Gelände ‘mit Geschichte’, umgeben von Moor, das weiterhin ringsum abgebaut wurde (und wird).
Es ist befremdlich, heute, 2008, 63 Jahre nach Befreiung von Faschismus und NS-Terrorherrschaft zu erleben, dass eine KZ-Gedenkstätte immer noch ‘im Aufbau’ befindlich ist.
Besonders sehenswert und anrührend dagegen ist das Projekt der Grundschulklasse (“‘Was geschah in den Enslansdlagern?‘) – anklicken! Und – ein gutes Beispiel, was durch entsprechend engagierten und fächerübergreifenden Unterricht alles möglich ist …
Gelegentlich wird ja darüber geklagt, dass sich auf schwulen Portalen wie den ‘blauen Seiten‘ auch homosexuelle Herren äußerst rechter Gesinnung herumtreiben braune Schwule.
Allerdings kann man beim Stöbern in den weiten Welten des Internets auf weit schlimmere Auswüchse stoßen.
So zum Beispiel auf “Yahoo 360°”. Dieses Portal, noch als ‘Beta-Stadium’ gekennzeichnet, soll wohl ein MySpace – Clone à la Yahoo werden. Bilder, Blog, persönliche Seite, Vorlieben zu Büchern Filmen und Musik, Freunde – halt ein weiterer Versuch, eine “Web 2.0 Community” auf die Beine zu stellen. “Finden Sie neue Freunde und bleiben Sie in Kontakt mit alten Bekannten”, wirbt Yahoo für den Dienst.
Wie in vielen Online-Communities, so treiben sich auch auf Yahoo 360° viele Schwule herum. Allerdings – auch erstaunlich viele Schwule tiefbrauner Gesinnung, und erstaunlich offen und freizügig zudem.
Da wird munter mit Gesten gegrüßt, die eindeutig die Gesinnung zeigen. Mit Waffen posiert, oder vor einschlägigen Flaggen. Über ‘Widerstandsaktionen’ berichtet. In Blogs für Demonstrationen für die “Opfer des alliierten Bombenterrors” geworben. Mit Ziffern-Codes auf NS-Inhalte Bezug genommen oder aus der ‘RHS’ gegrüßt. Oder unter Musik-Vorlieben auf besonders nationale Gruppen und Sänger Bezug genommen. Untereinander in eindeutigen Buchstaben- oder Ziffern-Kombinationen gegrüßt. Und gern wird bei allen sich bietenden Gelegenheiten der Buchstabe ‘S’ in doppelter, groß geschriebener Ausführung verwendet.
Das ganze wird auch so gemacht, dass man unter den verwendeten Codes (die teilweise eindeutig verfassungswidrig sein dürften) auch noch durch direktes Anklicken suchen kann nach ‘Gleichgesinnten’.
Und, um einem Vorurteil zu begegnen, die Herren, die sich unter diesen Symbolen und Begriffen tummeln, leben nach ihren Angaben keineswegs nur in den neuen Bundesländern, sondern genauso im Harz, in Lübeck, Köln oder München. Allerdings – sie scheinen gut vernetzt zu sein, immer wieder sind die gleichen Personen als ‘Freunde’ gespeichert, tauchen auch als ‘Freunde’ auf in Profilen, die an sich keine rechtslastigen Hinweise tragen.
Man scheint sich sicher zu fühlen. Selbst auf den deutschen Yahoo-Seiten (auch wenn die User mit den derbsten Auswüchsen wohlweislich nicht auf der deutschen 360°-Seite liegen). So sicher, dass einige User mit vollem Profilbild online sind, und manche zudem sogar auch direkt auf ihre Profile bei anderen Anbietern (u.a. bei Gayromeo oder Barebackcity) verlinken. Zahlreiche Schwule, die aufgrund ihres eigenen Profils eher nicht der rechten, sondern irgendwelchen Fetisch-Szenen zuzurechnen wären, scheinen auch gar nichts dabei zu finden, zahlreiche mit NS-Symbolen geschmückte Profile als ihre Freunde zu verlinken, und selbst dort verlinkt zu sein. Und einige Hetero-User mit eindeutigen braunen Symbolen auf ihrer Seite scheinen es für nötig zu halten in ihrem Profil anzugeben, dass sie “keine gay Interessen” hätten – das werden sie wohl nicht ohne Grund schreiben …
Dass für Sites, die nicht in Deutschland liegen, nicht die deutschen Gesetze (sondern z.B. die in Sachen ‘Freedom of Speech’ nahezu grenzenlos freizügigen US-Gesetze) gelten, ist mir klar.
Erstaunlich ist allerdings schon, dass einige der Seiten mit NS-Inhalten auf dem deutsche Yahoo-360° -Angebot liegen (mit der ‘de’- Subdomain -Kennzeichnung).
Ich nenne hier keine User-Namen. Es geht nicht darum, Einzelne zu denunzieren. Mich erschüttert, wie normal es anscheinend auch in Teilen schwuler Szenen schon wieder ist, sich mit Nazi-Symbolen und Devotionalien schmücken zu können, und dies in aller Öffentlichkeit zu zeigen. Egal ob es sich “nur” um eine Art “Fetisch” handelt (wie bei einigen Profilen vermutet werden kann, schon dabei wird mir übel), oder ob es um “Ideologie” geht (was m.E. keines weiteren Kommentars bedarf). Und es erschüttert immer wieder zu bemerken, wie desinteressiert großen Teile schwuler Szenen hierauf immer wieder reagieren. Desinteresse? Stille Zustimmung? Oder einfach Dummheit?
Und es geht sehr wohl darum, was Yahoo, und wohl auch Yahoo Deutschland, da alles ‘im Angebot’ hat. Wie ernst Yahoo es nimmt, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Nazistische Sachverhalte nicht zu dulden. Oder zumindest die Einhaltung seiner eigenen Geschäftsbedingungen durchzusetzen.
Ist Yahoo, bzw. seine deutsche Dependance, nicht in der Lage hier einzuschreiten? Oder sind Symbole und Codes, die Neonazis verwenden, bei Yahoo Deutschland nicht bekannt? Ist es technisch etwa nicht möglich, derartige Profile, Codes und Begriffe zu sperren?
Der Hinweis tief in den Hilfeseiten versteckt, bei Beschwerden gegen Inhalte könne man sich an Yahoo wenden, und es gebe ja einen Knopf ‘Missbrauch melden’ ist da vielleicht doch ein bisschen wenig, oder? Und der Hinweis auf das Beta-Stadium wohl auch …
Morgens. Immer noch schönstes Spätsommer-Wetter in Berlin.
Spontan entschließe ich mich zu einer Motorrad-Tour, gen Südosten von Berlin, um den Müggelsee und angrenzende Seen.
Genieße die ruhige, unaufgeregte Landschaft.
Stopp in Königs Wusterhausen. Besuch und Führung im Schloss des „Soldatenkönigs“.
Im Ort auffallend viele junge Männer mit T-Shirts, auf denen Aufdrucke prangen wie ‘White Power’ oder ähnliche nazistische Sprüche und Symboliken. Mir scheint, die tragen das so selbstverständlich, wie ich damals ‘Atomkraft – nein Danke’ getragen habe. Sind wir schon soweit, dass das heute für das gleiche gehalten wird? Statt demokratischem Bürgerprotest heute Nazi-Parolen? Die Selbstverständlichkeit erschreckt mich, auch, dass niemand etwas sagt an der Supermarkt-Kasse, niemand protestiert gegen das Nazi-Logo auf dem T-Shirt vor mir in der Warteschlange. Ist das schon Selbstverständlichkeit geworden? Normal und akzeptiert? Mir wird übel, ich gehe zum Motorrad und verlasse den Ort schnellstmöglich, fahre weiter.
Durchgerüttelt von mit Asphalt notdürftig geflickten Kopfsteinpflaster-Straßen freue ich mich auf eine wohlverdiente Entspannung im ‘Rübezahl’, mit Blick auf den Müggelsee …
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