Paris. Frühsommer 1989. Continental Opera. Halbdunkle Gänge in der Stadt der Liebe. Wir sind auf dem Rückweg von einem Urlaub an Frankreichs schwulen Stränden. Frank und ich sind uns einig, erst auf den letzten Drücker zurück nach Köln zu fahren, auf der Rückreise lieber noch einige Tage in Paris zu verbringen. Neben den Sehenswürdigkeiten besonders auch die Schwulenszene zu entdecken, zum wiederholten Mal. Die Bars und Cafés, aufregende Discos, die Saunen. Besonders die ‚Continental Opera‘, damals die wohl größte schwule Sauna die wir kennen. Nahe der ‚alten‘ Oper, noch weit vor deren späterem Umzug an die Bastille.
Eine Sauna, so groß dass Frank und ich uns beim Cruisen lange Zeit nicht begegnen. Ein Standard an Ausstattung, der die meisten deutschen Schwulen-Saunen damals alt aussehen lässt. Zudem ist die Sauna gut besucht, selbst tagsüber an einem Werktag viele junge, gut aussehende Gäste. Gäste, die wissen, aus welchem Grund sie in diese Sauna gegangen sind.
Einige Besuche in der Dampfsauna liegen hinter mir. Ich streife durch ein Labyrinth verwinkelter Gänge. Kabinen wie Karnickelställe über einander gestapelt liegen im Halbdunkel. Jungs und Männer streunen herum, scheinbar ziellos und doch offensichtlich ein klares Ziel vor Augen.
Viele Kabinen sind besetzt, die meisten mit offen stehender Tür. Ich beobachte die Insassen, oftmals anmutig posierend an der Wand gelehnt, oder lasziv auf der mit einer Art Gummituch bezogenen Matratze ausgestreckt. Durch Bewegungen ihrer Augen signalisieren sie, ob an einem der vorbei schlendernden Männer Interesse besteht. Ganz wie in deutschen Großstädten scheint der Durchschnitts-Pariser einer Interessenbekundung zunächst mit blasiertem Desinteresse zu begegnen. ‚Da kann ja jeder kommen‘, scheint der Blick zu sagen, oder abweisender ‚komm‘ mir ja nicht zu nahe!‘. Look, don’t touch.
Mir fällt ein junger Mann auf. Schlank, dunkle Haare, wir dürften ungefähr gleich alt sein. Ein wenig verschüchtert ob der bisherigen abweisend coolen Reaktionen lächle ich ihn an. ‚Der sieht ja gut aus‘, geht mir durch den Kopf, ‚mit dem hätt’ste gerne was. Aber bestimmt ist der genauso zickig und arrogant wie die anderen Bubis hier. Na, zumindest antesten, wer nicht wagt der nicht gewinnt.‘
Ich gehe mehrmals an seiner Kabine vorbei. Immerhin, gerade hat er gegrinst, mich angelächelt. Ich lehne mich schließlich an eine der Wände, so dass ich seine Kabine im Blick habe. Wir beobachten uns, schauen hin, schauen weg, nicht zu viel Interesse zeigen, oder doch? Schließlich,unsere Blicke begegnen sich. Er grinst wieder. Nein, eigentlich kein Grinsen, eher ein breites Lächeln, freundlich, aufmunternd. Ein Nicken seines Kopfes, als wolle er sagen ‚Na, komm doch rein‘. Er rückt beiseite, wie um zu signalisieren ‚Siehste, hier ist Platz für zwei‘. Ich klettere zu ihm, schließe die Kabinentür.
So lerne ich Jean-Philippe kennen. Anschließend sitzen wir gemeinsam an der Bar, unterhalten uns. Über unseren Urlaub, das Leben in Paris und Köln, Beziehung. Tauschen schließlich unsere Adressen aus.
Irgendwann stößt auch Frank zu uns, zu dritt sitzen wir eine Weile plaudernd bei einander. „Warum kommt ihr eigentlich nicht zu uns, statt viel Geld für ein ödes Hotel zu zahlen?“, fragt Jean-Philippe überraschend. Wir schauen uns an. Lehnen zunächst ab, mehr aus Höflichkeit. Schließlich, wir kennen uns ja kaum. Obwohl, praktisch wär’s ja schon. Und eh nur für ein oder zwei Nächte, spätestens für übermorgen ist eh die Rückfahrt nach Köln geplant. Fragend sehe ich Frank an, sein Blick signalisiert, wir denken ähnlich. Jean-Philippe beharrt unterdessen grinsend auf seinem Vorschlag, findet immer neue Argumente, dabei eine Hand auf meinem Knie. Wir willigen schließlich nur zu gerne ein. „Sag nur bitte meinem Freund nicht, dass wir uns in der Sauna kennen gelernt haben, ja? Der mag nicht, wenn ich so häufig hierher gehe.“ Ich sehe ihn etwas erstaunt an. „Wir haben uns einfach in einem Café kennen gelernt, okay?“ Klar, ich nicke. Er will aufbrechen, wir noch in der Sauna bleiben. Wir verabreden abends miteinander zu telefonieren.
Rue de Vaugirard [1]. Fast mühelos haben wir die Straße nahe Odéon und dem Jardin du Luxembourg gefunden, stehen etwas unsicher vor der Wohnungstür. Jean-Philippe strahlt mich an, lacht. Ein braungebrannter junger Mann mit schwarzen Haaren und flammenden Augen lugt ihm von hinten über die Schulter. „Salut, ich bin Syriac, Jean-Philippes Freund“, begrüßt er uns nach einem musternden Blick herzlich, „kommt rein“. Ein wenig bange hatte ich diesem Augenblick entgegen gesehen, schließlich – was wird sein Lover denken? Der kann doch auch eins und eins zusammenzählen. Aber ganz im Gegenteil, keine zickigen Eifersüchteleien, Syriac erweist sich als der perfekte Gastgeber – und als ein bildschöner zudem. Aus dem französischen Baskenland stammend, markante Gesichtszüge, in denen über braunen Augen breite, beinahe schon buschige Augenbrauen thronen. ‚Was für ein attraktiver Mann‘, geht es mir durch den Kopf. Doch schon schaut mich Jean-Philippe wieder mit seinem ins Herz gehenden warmen Blick an …
Einen Kir in der Hand plaudern wir etwas, sehen uns um. Nicht ohne Erstaunen. Eine gemütliche Wohnung, nur – ein wenig klein. Wahrscheinlich keine 30 m². Wo sollen wir hier wohl schlafen? Aber alles findet sich, die nächsten zwei Nächte verbringen Frank und ich auf einer großen Luftmatratze im Wohnzimmer, ein wenig unbequem zum Liegen, aber umso herzlicher bei Jean-Philippe und Syriac willkommen.
Am nächsten Tag spaziere ich mit Jean-Philippe durch den nahen Jardin du Luxembourg. Ein ruhiger Nachmittag. Ein Eis in der Hand schlendern wir durch den gepflegten Park, setzen uns eine Zeit auf eine der Bänke. Unterhalten uns über ihn, mich, unsere Beziehungen, unsere Arbeit. Entdecken einiges an Gemeinsamkeiten, wechselseitigen Interessen. Selbst beruflich stellen wir Berührungspunkte fest. Den ganzen Tag mit dabei: seine Video-Kamera, mit der er nicht nur beruflich unterwegs ist, sondern auch seinen Alltag filmisch dokumentiert.
Bis zu unserer Abfahrt verbringen wir zwei Tage voller schöner Momente miteinander. Ich mag Jean-Philippe ziemlich gern, merke ich bald. Auch Frank hat meine Verliebtheit früh bemerkt. Mit flauem Gefühl sitze ich neben ihm in einem Café, wir sprechen darüber, was geschieht, was geht und was nicht. Erleichterung. Welch ein Glück, einen solch wunderbaren Mann zu haben, der mir diese Freiheiten gibt!
Der Abschied von Paris, von Jean-Philippe ist ein wenig wehmütig, zu schön waren die gemeinsamen Tage. Schon bald, versprechen wir uns,sehen wir uns wieder.
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[1] Dass Michel Foucault, 1984 an Aids verstorbener französischer Philosoph , unweit seine Pariser Wohnung hatte, erfuhr ich erst später …
Hier ein Video, das einen Eindruck auch von Foucaults Wohnung in der Rue de Vaugirard gibt.
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Einige Tage mit dir
1. Conti & co.
2. Sternenhimmel
3. Fühlt euch wie zuhause
4. Tristesse in Pigalle
5. Allooo, isch Jean-Philippe Muutti
6. Le Vaudeville
7. Wo bin ich?