Nackte Tatsachen gegen Homophobie – nackte Schüler werben für Toleranz, mit dieser Aktion machen Schülerinnen und Schüler in der Schweiz auf ihre Aktion für mehr Toleranz aufmerksam.
Nackte Schülerinnen und Schüler werben für Toleranz, fragen ‚wie lesbigayfriendly bist du?‘ – eine Aktion, die in der Schweiz Aufsehen erregt.
Der Verein ‚HalloWelt! – Schwule und Lesben an Schulen‘ verschickte die Plakate an über 400 Schulen in der Schweiz.Man wolle durch diese Blickfänger zu Diskussionen anregen, betonte der 23jährige Präsident der Gruppe gegenüber der Presse.
Verbunden ist die Aktion mit einem ausführlichen ‚Akzeptanz-Test‘ „Wie LesBiGayfriendly bist du?“. Die Aktion entstand im Umfeld des Coming Out Day. Man wolle „auf die Dazugehörigkeit von Lesben und Schwulen in unserem Alltag aufmerksam“ machen, so die Veranstalter.
Der Verein ‚HalloWelt!‘ „ist aus der Maturarbeit ‚Aktion HalloWelt!‘ entstanden und wurde am 8. September 2005 von einer Hand voll Kantischüler aller sexuellen Ausrichtungen gegründet“.
Das Gedenken an die früheren KZ und Strafgefangenenlager im Emsland, die so genannten Emslandlager, ist bisher eher karg. Besonders der (in einzelnen Emslandlagern zeitweise sehr zahlreichen) homosexuellen NS-Opfer wird bisher kaum gedacht. Die neu zu konzipierende Dauerausstellung der zukünftigen ‘Gedenkstätte Esterwegen’ bietet die Chance, dies zu ändern.
Anfang August hatte ich einige der Emslandlager (der KZs und späteren Strafgefangenenlager im Emsland) besucht (Esterwegen, Börgermoor und Neusustrum). Und war unangenehm überrascht, sowohl was allgemein die Art des Gedenkens in der Region und an den Orten der früheren Lager angeht, als auch in welcher Form den homosexuellen NS-Opfern in den Lagern gedacht (bzw. nicht gedacht) wird.
Am Ort des ehemaligen KZ und Strafgefangenenlagers Esterwegen befindet sich inzwischen eine Gedenkstätte im Aufbau. Getragen wird sie von der vom Landkreis Emsland eingerichteten ‘Stiftung Gedenkstätte Esterwegen’. In der zukünftigen Gedenkstätte soll eine neu zu konzipierende Ausstellung über die Emslandlager informieren. Diese Ausstellung wird von der Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (getragen vom privaten Verein “Aktionskomitee für ein DIZ Emslandlager e.V.”) konzipiert.
Dem Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums DIZ Emslandlager habe ich am 14.8.2008 über meine Eindrücke geschrieben und das weitgehende Fehlen eines Gedenkens der homosexuellen Opfer moniert:
“Ich habe nach der Gedenkstätte Esterwegen noch das ehem. Lager Neusustrum sowie schon vorher das ehem. Lager Börgermoor besucht. Und war erschrocken über die Art, wie derzeit gedacht wird. Wie schwer die Gedenkorte zu finden sind, wie ‘mickrig’ diese sind – und wie verfälschend, einseitig beleuchtend ich die Texte teilweise empfinde.
Besonders betroffen hat mich gemacht, dass der homosexuellen Opfer meiner Ansicht nach kaum entsprechend würdig gedacht wird.
“an keinem Ort im Deutschen Reich [waren] mehr Homosexuelle in Haft … als in den Emslandlagern*”, schreibt Hoffschild 1999. Doch – an diesem für die Verfolgung der Homosexuellen in der NS-Diktatur so bedeutenden Ort findet ein angemessenes Gedenken an diesen Sachverhalt bisher nicht statt.
Mir ist bewusst, dass Homosexuelle nur eine Opfergruppe unter vielen waren, und auch nicht die zahlenmäßig stärkste. Aber für die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus scheinen die Emslandlager von ausgesprochen besonderer Bedeutung – wie ja auch aus zahlreichen Zeitzeugen-Berichten hervor geht (Links in meinem Neusustrum-Blogpost, s.u.).
Ich würde mich freuen, wenn die Neu-Konzeption der Gedenkstätte Esterwegen und der für dort vorgesehenen Ausstellung die Möglichkeit bieten würde, auch klarer auf die besondere Bedeutung einzugehen, die die Emsland-Lager bei der Verfolgung der Homosexuellen in der NS-Zeit haben.”
Kurt Buck, Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager, hat am 27.8.2008 geantwortet:
“Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 14. August und für die zahlreichen Hinweise, die ich durch Ihre Verweise auf Links erhalten habe. … Ich stimme Ihnen völlig zu, dass Homosexuelle als Verfolgte und Inhaftierte in den Emslandlagern bisher kaum und in jedem Fall unzureichend in Darstellungen über die Emslandlager und auch in unserer 1993 fertig gestellten Ausstellung eine Erwähnung finden.”
Er erläutert auch, dass dies zeitweise anders war und wie es zu dieser jetzigen Unter-Repräsentation kam:
“Wir hatten ab 1993 im Aufgang zwischen unseren beiden Ausstellungsräumen einzelne ehem. Häftlinge, die exemplarisch für sechs Verfolgtengruppen standen, mit Foto und Kurzbiographie auf Stofffahnen dargestellt, darunter auch Paul Gerhard Vogel, der uns vor vielen Jahren für mehrere Tage besucht hatte. Einige Jahre später ergaben Recherchen, dass Gerhard Vogel u.a. wegen “sexueller Handlungen mit Kindern” verurteilt worden war, und wir haben uns dann entschlossen, die Fahne abzunehmen und ihn nicht beispielhaft für die Verfolgtengruppe der Homosexuellen darzustellen.”
Buck berichtet über konkrete weitere Anläufe, der Opfergruppe der Homosexuellen zu gedenken:
“Vor einigen Jahren hatte ich Besuche und mehrere Gespräche mit Mitgliedern der schwul-lesbischen Studentengruppe an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, die initiativ werden wollte, um einzelne Biographien von Homosexuellen der Emslandlager aufzuarbeiten, uns zur Verfügung zu stellen und beispielhaft eine Person auf einer Fahne im Treffenaufgang vorzustellen. Möglicherweise durch Wechsel in der Gruppe (Studienabschluss?) kam es dann aber nie zu einem Ergebnis.”
Buck sieht auch weiterhin Möglichkeiten beim DIZ, deren Umsetzung derzeit jedoch an der sehr engen Mittel-Situation des Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager (zur Erinnerung: getragen von einem kleinen privaten Verein) scheitern:
“Denkbar wäre es durchaus, aufgrund vorliegender Arbeiten einzelne Biographien zu erarbeiten, aber auch das können wir personell aufgrund des “Tagesgeschäfts” nicht leisten. Ein grundsätzliche Problem für unsere Einrichtung ist es, dass wir mit nur zwei festen hauptamtlichen Mitarbeitern (Leitung und Verwaltung) keine eigenständige Forschung zu Einzelthemen der Lagergeschichte betreiben können und in der Darstellung der Geschichte auf anderswo stattfindende Forschungsarbeiten angewiesen sind.”
Eine gewisse Hoffnung besteht allerdings – denn die Gedenkstätte Esterwegen wird neu konzipiert:
“Ich gehe davon aus (und anders kann es eigentlich nicht sein), dass für eine neue Ausstellung in der Gedenkstätte Esterwegen, die unter Trägerschaft der vom Landkreis Emsland eingerichteten Gedenkstätte Stiftung Esterwegen und in Zusammenarbeit mit uns konzipiert werden soll, Recherchen zu allen in den Emslandlagern inhaftierten Opfergruppen stattfinden und diese Gruppen auch anders als bisher eine breitere Erwähnung/Darstellung finden müssen. Durch mehrere Arbeiten, die Sie auch erwähnen, gibt es hierfür einige Grundlagen. Bisher haben allerdings noch keine Diskussionen über eine Ausstellungskonzeption stattgefunden.”
Herrn Buck sei auch an dieser Stelle nochmals gedankt für seine sehr informative, ausgewogene und wertfreie Führung durch die Gedenkstätte sowie die Offenheit, auch bisher unterrepräsentierten Opfergruppen zukünftig größeren Raum zu gewähren. Es bleibt zu hoffen, dass die Stiftung bei der Konzeption der neuen Ausstellung zu einer über die bisherigen, eher beklemmenden Formen des Gedenkens in der Region hinausreichenden Form des Gedenkens kommt – und auch homosexuelle NS-Opfer würdig in dieses Gedenken und in die neuen Dauerausstellung mit einbezieht.
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Emslandlager
Als Emslandlager wird eine Gruppe von Strafgefangenen-, Konzentrations- sowie Keriegsgefangenenlagern im Emsland sowie der angrenzenden Grafschaft Bentheim bezeichnet:
Samstag 13. September 2008, ein recht kleiner Kreis von Menschen diskutiert während der Konferenz ‚HIV im Dialog‘ über die Versorgungssituation HIV-Positiver auf dem Land.
Völlig zusammenhanglos (diskutiert wird gerade die ärztliche Versorgung auf dem Land) ist plötzlich vom Podium, von einem der Referenten der Satz zu hören:
„In Hannover ist es übrigens gerade in Mode, nach Berlin zu fahren um sich infizieren zu lassen.“
Etwaiger lauter Protest ist aus dem Publikum oder vom Podium nicht zu vernehmen.
(Pastor Ernst-Friedrich Heider, / Aids-Pastor, HIV/AIDS-Seelsorger in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und Regionalkoordinator Nord des Aktionsbündnisses gegen Aids)
Leider taucht derartiger Unsinn immer wieder in Debatten, Foren, Stammtisch-Runden auf.
Spannend ist ja zunächst, was der Erzähler dieser Märchen damit sagen will.
Sind die Züge von Hannover nach Berlin voll mit jungen attraktiven Menschen, zutiefst bereit sich in Berlin hemmungslos in die Sünde zu begeben, wissentlich darin sich größtes Leid zu holen? Ist in Hannover so wenig los? Kann man sich gar in Hannover überhaupt nicht mit HIV infizieren und muss dazu reisen?
Oder sind Hannoveraner dazu nur zu unwissend?
Oder die Aids-Hilfe vor Ort besonders unfähig oder untätig?
Oder meint der Erzähler, gerade Berlin sei das große Sünden-Babel Deutschlands? Erst recht für unschuldige Hannoveraner?
Wahr ist vermutlich nichts davon, nicht einmal letzteres.
Indirekt aber wird damit vielleicht ganz anderes gesagt, ob absichtlich oder nicht. Seht her, die Schwulen sind so blöde, so dermaßen verantwortungslos, wenn nicht gar menschenverachtend, die wollen sich sogar schon absichtlich infizieren. Oder: soweit haben wir es schon kommen lassen, dass die Schwulen gar keine Angst mehr vor Aids haben (sondern es toll finden, infiziert zu sein).
Derartige Mythenvon verantwortungslosen Schwulen, ebenso wie der Mythos von verantwortungslosen Positiven immer wieder gerne kolportiert, sind im Kern zutiefst schwulen- und positiven-feindlich. Sie befördern unterschwellig Diskriminierung und Stigmatisierung – und schaffen ein Klima, das populistische Parolen begünstigt.
Information, Prävention hingegen enthalten derartige Mythen nicht.
Warum werden solche Märchen immer noch laut kolportiert, und das gerade auch auf einem Aids-Kongress? Und niemand widerspricht?
Dass dieses Märchen im aktuellen Fall gerade von einem Kirchen-Vertreter kolportiert wird (auf dessen Internetauftritt zudem steht die Aids-Seelsorge sehe „sich herausgefordert im Kampf gegen Vorurteile und Stigmatisierungen„), hat dazu noch einen besonders faden Beigeschmack. Auch wenn Pastor Heider sich oftmals differenziert äußert und für zahlreiche Projekte (wie z.B. heroingestützte Therapie) einsetzt (und sicher nicht mit ‚Gloria‘ zu vergleichen ist) – ein derartiger Lapsus ist m.E. nicht nur peinlich, sondern unentschuldbar.
Die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ war die bürokratische Zentralstelle der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit. An dem Ort, an dem Schreibtisch-Täter der Schwulenverfolgung in der Nazizeit arbeiteten, erinnert heute nichts mehr an ihr ‘Wirken’.
Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung
Durch Geheimbefehl des NS-Innenministers Heinrich Himmler vom 10. 10. 1936 wurde die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung ‘ im Rahmen der Neuorganisation der Kriminalpolizei gegründet. Sie war angesiedelt im Hauptsitz des Reichskriminalpolizeiamts (das wiederum seit Juni 1936 Himmler unterstellt war) in Berlin am Werderschen Markt (zeitgenössisches Foto hier).
Aufgabe dieser ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität ’ war die reichsweite Erfassung und Registrierung der Homosexuellen, die nach §175 oder einem anderen ‘Sittlichkeitsdelikt’ straffällig geworden waren. Sie war zur Anordnung oder eigenständigen Durchführung von Ermittlungen (z.B. mobile Sonderkommandos der Gestapo) befugt. Eine Richtlinie vom 11.5.1937 regelte zudem u.a. die ständige Überwachung von Strichjungen.
In der Namensgebung und Kombination von Homosexualität und Abtreibung kommt die ‘rassehygienische’ Intention ihrer Einrichtung zum Ausdruck. Beides waren ‚gleichberechtigte‘ Aufgabengebiete der Reichszentrale:
„Nicht minder gefährlich als die Homosexualität ist für den Staat die Fruchtabtreibung„.
Josef Meisinger im April 1938
Bereits 1938 wurden in der ‘Reichszentrale’ die Daten von 28.800 Männern erfasst und gespeichert, die entweder wegen Homosexualität bestraft oder dieser ‘verdächtig’ waren. Bis 1940 soll sich ihre Zahl auf 41.000 Männer erhöht haben (Joachim Müller (1) ebenso wie juraforum sprechen sogar von 95.000 Männern). 1943 hatte die ‚Reichszentrale‘ insgesamt 17 Mitarbeiter (plus Leitung).
Zunächst (von ihrer Errichtung bis 1939) war die ‘Reichszentrale’ angesiedelt innerhalb der Gestapo. Ab 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ von der Kriminalpolizei übernommen (Reichskriminalpolizei(haupt)amt), allerdings blieb im Geheimen Staatspolizeiamt ein Sonderdezernat (Reichssicherheitshauptamt’ PSHA Abt. IV) für Homosexualität zuständig.
Beide, Kriminalpolizei und Gestapo, bedeuteten für viele Homosexuelle den Weg in KZs: Während für die ‘Schutzhaft’ die Gestapo zuständig war, drohte seitens der Reichs-Kriminalpolizei sogenannte ‘Vorbeugehaft’. Beide Haftarten führten i.d.R. zur Einweisung in Konzentrationslager (bes. seit dem Erlass ‘Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei’ vom 14.12.1937). Ab dem Erlass des ‘Reichssicherheitshauptamts’ vom 12. Juli 1940 war zudem auch formell legalisiert, dass Homosexuelle auch ohne Gerichtsurteil in KZs eingewiesen werden konnten.
Der ‘Vorläufer’ der ‘Reichszentrale’, das ‘Sonderdezernat II 1 Homosexualität‘ entstand schon 1934 auf Befehl von Heinrich Himmler beim preußischen Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa). Bereits im Herbst 1934 waren alle deutschen Polizeipräsidien angewiesen worden, für ihre Dienststellen Listen mit den Namen sämtlicher Homosexueller zu verfassen.
Beide Ämter, Sonderdezernat und Reichszentrale, waren in Personalunion Josef Meisinger unterstellt. Von ihrer Einrichtung 1936 bis 1938 war er ihr Leiter, wurde dann strafversetzt im Zusammenhang mit der ‚Affäre Fritsch‘.
Wegen des Kriegsbeginns 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ wieder als Arbeitsbereich in das Reichskriminalhauptamt eingegeliedert.
Bereits 1938 wurde zum Nachfolger Meisingers als Leiter der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ Kriminalrat Erich Jacob berufen. Ihm zur Seite gestellt als ‘wissenschaftlicher Leiter’ wurde ab Juli 1943 der Neurologe und Psychiater Carl-Heinz Rodenberg. Rodenberg bestritt nach 1945, jemals für die ‘Reichszentrale’ gearbeitet zu haben.
Das Reichskriminalpolizeiamt fand seinen Nachfolger im Bundeskriminalamt (siehe “die braunen Wurzeln des BKA“)
(1) Joachim Müller: ‘Betrifft: Haftgruppen “Homosexuelle” – Rehabilitierung (k)ein Problem? Schlaglichter zu einigen markanten Stationen in offiziellen und öffentlichen Bereichen’, in: ‘Homosexuelle in Konzentrationslagern’, Bad Münstereifel 2000 [2] Rodenberg an RJM-Ministerialrat Rietzsch am 3.10.1942, zitiert nach: G. Grau: Homosexualität in der NS-Zeit, Frankfurt am Main 1993
Die Gründung der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der ‘Homosexualität und Abtreibung’, dieser ‘Bürokratie der Verfolgung’, markiert eine Intensivierung (zahlenmäßige Zunahme) und Verschärfung (höhere Strafbemessung, weniger Freisprüche) der Verfolgungs-Intensität männlicher Homosexueller in Nazi-Deutschland. Sie war nicht nur Datensammelstelle, sondern auch Organisations- und Koordinierungspunkt der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit.
Die Schreibtischtäter dieser Homosexuellen-Verfolgung, sie saßen (auch) am Werderschen Markt, im Reichskriminalpolizeiamt, in der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’. Insbesondere Carl-Heinz Rodenberg, der die Kastration als politisches Terrorinstrument wie auch perverse Ökonomisierung des Menschen propagierte und nach 1945 weitgehend unbehelligt im Odenwald lebte.
Die Aktenbestände der ‘Reichszentrale’ könnten ein Fundus für die Erforschung der Verfolgung Homosexueller in Nationalsozialismus sein. Doch vermutlich sind jegliche Hoffnungen, sie würden (vielleicht aus Tiefen russischer Archive) wieder auftauchen (statt z.B. bei Bombenangriffen vernichtet worden zu sein), reines Wunschdenken …
Rama Yade, die französische Staatsministerin für Menschenrechte, hat bestätigt, dass sie bei den Vereinten Nationen einen Antrag zur umfassenden Entkriminalisierung der Homosexualität einbringen will.
Bereits im Mai hatte die französische Staatsministerin für Menschenrechte und Äußere Angelegenheiten Ramatoulaye (genannt Rama) Yade bei einem Treffen mit Schwulenaktivisten in Paris angekündigt, Frankreich wolle eine EU-Initiative für eine umfassende Ent-Kriminalisierung der Homosexualität starten.
Yade hat sich oftmals als eigenwillige, selbstbewusste Vertreterin von Menschenrechten, besonders von Immigranten in Frankreich, erwiesen.
Nun kündigte Yade während einer Rede vor der 61. NGO-Jahreskonferenz am 3.9.2008 in Paris an, Frankreich wolle im Dezember einen Entwurf für eine entsprechende Erklärung in die UN-Vollversammlung einbringen. Die britische Regierung habe bereits ihre Unterstützung angekündigt.
Homosexualität wird derzeit nach Angaben der ILGA International Lesbian and Gay Organisation in mindestens 86 Staaten der Welt kriminalisiert (siehe ILGA Welltkarte der Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender sowie Report ‚State Sponsored Homophobia‘).
Parallel plant Frankreich auch eine Initiative der EU gegen Gewalt gegen Frauen. Der Text eines Entwurfs hierzu soll in den nächsten Tagen den EU-Mitgliedsstaaten vorgelegt werden. Frankreich hat derzeit den EU-Vorsitz.
Im Konzentrationslager Buchenwald stellte der dänische KZ-Arzt Carl Vaernet Experimente mit Homosexuellen an. Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen.
Die Emslandlager (u.a. Esterwegen, Börgermoor und insbesondere Neusustrum) stehen für die Region, in der vermutlich die meisten Homosexuellen im Deutschen Reich inhaftiert waren (Hoffschild 1999). Buchenwald hingegen steht u.a. für eine besonders abscheuliche Form der Misshandlung Homosexueller in der NS-Zeit.
In Buchenwald war nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Inhaftierten Homosexuelle (Statistiken sprechen von ca. 500 Homosexuellen unter den insgesamt ca. 240.000 Menschen, von denen ca. 56.000 umkamen). Aber Buchenwald hatte Carl Værnet. Den Arzt, der in Buchenwald Versuche mit Homosexuellen anstellte – der ihnen ‚künstliche Hormondrüsen‚ implantierte, um sie von ihrer Homosexualität zu ‚heilen‘.
Carl Vaernet und die ‚Hormontherapie‘
Carl Værnet wurde am 28. April 1893 als Carl Peter Jensen im kleinen Ort Løjenkær nahe Århus geboren. Er beendete sein Medizinstudium in Kopenhagen im Juni 1923 mit der Bewertung „cum laude“. Kurz zuvor, am 21. November 1921, hatte er die Änderung seines Namens von Jensen in Værnet beantragt (dänisch værne etwa schützen, verteidigen, wehren). Im November 1924 ließ Værnet sich als praktischer Arzt nieder. Er widmete sich u.a. der ‚Kurzwellentherapie‘, baute eine zunächst gut florierende Praxis auf.
Bereits in seiner medizinischen Ausbildung kam Værnet mit Hormonexperimenten in Kontakt. Am Kopenhagener Kommunehospital führte Dr. Knut Sand 1923 bei vier Homosexuellen Hodentransplantationen durch – mit dem Ziel, dass diese sich anschließend vom weiblichen Geschlecht angezogen fühlen sollten. Sand vertrat die Auffassung, Homosexualität könne durch eine gestörte Hormonbalance erklärt werden. Værnet interessierte sich schon bald für Fragen der Hormone, insbesondere der Hypophyse sowie der Keimdrüsen.
1932 lernte Værnet bei einer Reise nach Berlin u.a. auch Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaften kennen. Später äußerte er, hier bei Hirschfeld sei die Grundlage zu seinem ‚Lebenswerk‘ künstliche Hormondrüse entstanden, und zur These Homosexualität könne durch zusätzliche Gabe von Testosteron geheilt werden.
Værnet begann 1934 mit eigenen Forschungsarbeiten, bis 1938 an Mäusen, und entwickelte eine ‚künstliche Drüse‘, eine Kapsel, die in der Leistengegend eingesetzt und kontinuierlich Hormon abgeben sollte.
Carl Vaernet und die Experimente an Homosexuellen im KZ Buchenwald
1941 wurde Værnet, inzwischen Mitglied der dänischen Nazi-Partei DNSAP, von ‚Reichsgesundheitsführer‘ Dr. Leonhard Conti nach Deutschland eingeladen. Im Sommer 1943 – Værnet war u.a. aufgrund von Ermittlungen wegen unberechtigter Abgabe von Morphium an eine Patientin unter Druck – verkaufte er seine Kopenhagener Klinik an die deutsche Wehrmacht. Mit Passierschein der deutschen Wehrmachtskommandantur reisten Værnet und Familie am 6. Oktober 1943 in einer deutschen Militärmaschine nach Berlin aus.
In Deutschland erhalte er, so hatte ihm der Reichsarzt SS Dr. Ernst Grawitz (General der Waffen-SS mit ständigem Kontakt zum Innenminister und ‚Reichsführer SS‘ Heinrich Himmler) versprochen, alle für seine Forschungen erforderliche Unterstützung.
„Dr. V. bitte ich absolut großzügig zu behandeln. Ich selbst möchte monatlich einen 3-4 Seiten langen Bericht, da ich mich für die Dinge sehr interessiere. Zu einem späteren Zeitpunkt möchte ich Vaernet dann auch einmal zu mir bitten.“
Geheimbefehl von Grawitz, 15.11.1943, zitiert nach Stümke / Homosexuelle in Deutschand sowie Günter Grau / Homosexualität in der NS-Zeit
Vaernet erhielt zudem die Zusicherung, dass ihm „in den Konzentrationslagern Häftlinge zur Verfügung gestellt werden“ (zitiert nach Stümke). Dafür verpflichtete er sich, der SS „die alleinige wirtschaftliche Nutzung im In- und Ausland im Lizenzweg zu überlassen„.
Bald schon konnte Værnet Himmler persönlich über seine ‚Forschungen‘ informieren und fand auch aufgrund seiner Hinweise auf die Möglichkeit einer Heilung von Homosexualität interessierte Zustimmung. Nach dem er eingewiligt hatte in den Rang eines ‚Sturmbannführers SS‘ und nach Abschluss eines Vertrages mit der SS konnte Værnet bald seine als ‚geheim‘ titulierte und von der SS großzügig honorierte Arbeit aufnehmen, in Berlin und ab November 1943 in Prag in Laboratorien die überwiegend der SS gehörten (Deutsche Heilmittel GmbH). 1944 wurde Værnet angeboten, Versuche zu Hormonausscheidungen und Hormongaben an verschiedenen Gruppen von (oft aufgrund von Paragraph 175 verfolgten) Homosexuellen zu machen. Im Konzentrationslager Buchenwald.
Zu diesem Zeitpunkt betrachtete Vaernet die Entwicklung seiner ‚künstlichen Hormondrüse‘ als technisch weitgehend abgeschlossen – konkrete Versuche zum Nachweis ihrer Wirksamkeit standen nun an. Die weltweiten Patentrechte an Værnets ‚künstlicher Hormondrüse‘ hielt eine am 5.5.1943 gegründete dänische Firma.
Værnet ergriff die Chance, die sich ihm bot. Versuche mit seiner künstlichen Drüse an KZ-Häftlingen, mit dem Ziel dass diese durch die Einpflanzung ’sexuell normal‘ werden – die Chance, auf die er gewartet hatte. Solche Versuche waren wohl nur in Konzentrationslagern möglich – und konnten dort auch ohne Zustimmung der Betroffenen problemlos erfolgen.
Mindestens viermal hielt sich Værnet 1944 in Buchenwald auf (erstmals am 26.7.1944). Dabei operierte er 17 Männer zwischen 23 und 60 Jahren, 7 ‚Sittlichkeitsverbrecher‘ sowie 10 Homosexuelle. Die erste Operations-Serie fand am 16.September 1944 statt, die zweite am 8. Dezember. Die Versuche sollten u.a. dazu dienen, die ‚Erhaltungsdosis‘ zu bestimmen, und die prinzipielle Wirksamkeit zu prüfen.
Den ‚Probanden‘ wurden subkutan im rechten unteren Bauchbereich unter örtlicher Betäubung eine ‚künstliche Drüse‘ implantiert, die von da an Testosteron abgeben sollte. In der Folgezeit sollte gemessen werden, ob sich sexuelles Verhalten und sexuelle Orientierung wie gewünscht verändern. Den Homosexuellen, an denen die Versuche durchgeführt wurden, wurde bei erfolgreichem Verlauf die Freilassung versprochen. Ein Versprechen, das in keinen einzigen Fall erfüllt wurde. Bei zwei der Operierten besteht eine mögliche Verbindung zwischen der Operation und ihrem baldigen Tod.
In Buchenwald arbeitete Værnet eng zusammen mit Dr. Schiedlausky, Standort-Arzt der Waffen-SS, sowie mit Dr. Erwin Ding. In Buchenwald wurden Homosexuelle häufig als Versuchspersonen für zahlreiche medizinische Experimente genutzt – u.a. auch für die berüchtigten Versuche Dr. Dings mit der tödlichen Infektionskrankheit Flecktyphus. Værnet selbst berichtete am 10. Februar 1945 Heinrich Himmler über seine Arbeiten und legte einen abschließenden Bericht vor (den er diesem widmete ‚in tiefster Bewunderung und unverbrüchlicher Treue‚). Von Grawitz erhielt er erneut finanzielle Mittel für die Fortsetzung seiner Arbeiten.
Carl Vaernet – nach 1945 nicht belangt
Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen. Im Rahmen der sog. ‚Ärzteprozesse‘ des Amerikanischen Militärtribunals in Nürnberg [vgl. Memorium Nürnberger Prozesse] wurden seine Versuche in Buchenwald zwar mehrfach angesprochen, er selbst jedoch nicht angeklagt.
Bekannt wurden Værnets Versuche in Buchenwald schon bald nach dem Krieg. Ernst Kogon, selbst dort als politischer Gefangener, schildert die Versuche in Buchenwald schon 1946 in seinem Buch „Der SS-Staat“. Und ab 1947 tauchten Berichte über Værnets Versuche in Buchenwald in der dänischen Presse auf.
Værnet war schon in den letzten Kriegsmonaten (im März 1945) nach Dänemark zurückgekehrt. Spätestens seit Ende 1945 arbeitet er wieder an seinem ‚Lebenswerk‘, der künstlichen Hormondrüse, trat in Kontakt mit Pharmaunternehmen (u.a. Schering und DuPont) und erhielt dänische und US-Patentrechte. Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen sowie Berichten des dänischen Widerstands ermittelte die dänische Polizei bald gegen ihn. Doch mit wenig Nachdruck, auch wenn Anfang 1946 schließlich die Anklageerhebung wegen ‚Landesverrats und anderer staatsgefährdender Tätigkeiten‘ erfolgte. Schlimmer noch, Værnet gelang (u.a. mit Unterstützung des argentinischen Legationsrats Pineyro) Ende 1946 die Flucht aus Dänemark. Über Schweden konnte er nach Brasilien und im Sommer 1947 weiter nach Argentinien gelangen. Dort arbeitet er schon bald wieder am Physiologischen Institut.
Carl Vaernet starb am 25. November 1965 und ist gemeinsam mit seiner Frau Gurli auf dem Británico-Friedhof in Buenos Aires begraben.
Erst im März 1998 brachten Peter Tatchel und die britische Schwulengruppe OutRage! Bewegung in die Causa Værnet. Sie richteten ein Schreiben an den damaligen dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen, in dem sie in zahlreichen konkreten Fragen um Aufklärung über Flucht und (fehlende) Schritte der dänischen Regierung baten. Zwar reagierte das dänische Justizministerium erst eineinhalb Jahre später (am 6. Juli 1999), und mit der abschlägigen Mitteilung, man sei „nicht im Besitz irgendwelcher Informationen über Carl Værnet“. Dennoch wurden die Archive in Sachen Værnet geöffnet – und bildeten die Grundlage für das äußerst lesenswerte Buch von Davidsen-Nielsen (s.u.).
Værnets ‚Versuche‘ sind weit mehr als ’nur‘ gruselige Experimente an einer kleinen Zahl homosexueller Männer, die deren Schädigung bewusst mit einschlossen. Sie sind Ausdruck einer Haltung, Menschen von Homosexualität heilen zu wollen, zu müssen – und sie haben bewusst „Spekulationen der Nazi-Führung von einer ‚Endlösung‘ der Homosexuellenfrage befördert“ [Davidsen-Nielsen]. Værnets Versuche waren ebenso wie Sterilisationen und Kastrationen Teil einer (insbesondere auch in der Homophobie Himmlers zum Ausdruck kommenden) Terrorpolitik gegen Homosexuelle.
Sustrumermoor ist eine dieser beschaulichen kleinen Siedlungen nahe der niederländischen Grenze. Kirche und Feuerwehr, Schule mit Sportplatz, Siedlungshäuser der 50er und 60er Jahre. Eine Siedlung im emsländischen Hochmoor, einige Straßen nur. Wenige Erwachsene spazieren auf den Straßen, Kinder fahren im Kettcar vorbei. Sonntägliche Ruhe und Beschaulichkeit. Sustrumermoor ist eine unauffällige Siedlung.
Mit den Nachbargemeinden ist Sustrumermoor -wie viele dieser kleinen Siedlungen im äußerst westlichen Emsland– verbunden durch die Nord-Süd-Straße. Sie durchzieht, ebenso ruhig und unauffällig, das Hochmoor, weitgehend dem Verlauf der nahen Grenze zu den Niederlanden folgend.
Die Nord-Südstraße wurde von Häftlingen gebaut. Häftlingen der nahe gelegenen Konzentrations- und Strafgefangenen-Lager. Eines dieser Lager war das ‘Lager V Neusustrum‘. Es war das dritte der berüchtigten Emslandlager.
Das Lager Neusustrum war derjenige Ort in Deutschland, an dem in der NS-Zeit die meisten Homosexuellen inhaftiert waren.
Das Lager Neusustrum lag am Rand es heutigen Ortes Sustrumermoor. Gedenken, Gedenken an die furchtbare Geschichte dieses Ortes, an das Lager, an die Inhaftierten, die Verfolgten, die Homosexuellen, findet nur am Rande statt. In bizarrem Umfeld.
KZ und Strafgefangenenlager Neusustrum
1933. Das Lager Neusustrum wird am 1. September als drittes KZ im Emsland nach Börgermoor und Esterwegen fertiggestellt (Anordnung durch das Preußische Innenministerium am 20. Juni 1933), mit Platz für 1.000 Gefangene (laut [B] 2.000). Mit dem Bahnhof Dörpen war das Lager Neusustrum durch eine Schmalspur-Lorenbahn verbunden, die von den Gefangenen auch ‚Moorexpress‘ genannt wurde. Erste Gefangene treffen im Oktober in Neusustrum ein [B].
Die Leitung übernimmt am 3. August 1933 (andere Quellen: 27 September) SS-Obersturmführer Emil Faust, der zuvor schon im KZ Esterwegen durch besondere Grausamkeit aufgefallen war. Faust (geb. 3.11.1899 Oberlahnstein) bleibt Lager-Leiter bis November 1933, ging später zur ‚Organisation Todt‘. Faust wurde 1949 in Emden – Uphusen verhaftet und am 2. November 1950 vom Schwurgericht Osnabrück zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt. 1952 erfolgte eine weitere Verurteilung zu sechs Jahren Zuchthaus, seine lebenslange Strafe wurde „auf dem Gnadenweg“ umgewandelt in 20 Jahre, die Faust in Lingen / Ems verbüßte. [B]
Das KZ-System wird bald schon neu geordnet. Einige Emslandlager werden als KZ aufgelöst und anders verwendet. Das KZ Neusustrum wird am 3. April 1934 der preußischen Justizverwaltung übergeben, und fungiert ab diesem Zeitpunkt als Strafgefangenenlager.
Die Strafgefangenenlager unterstehen nun SA-Obersturmbannführer Werner Schäfer, Kommandantur Papenburg (zuvor Kommandant KZ Oranienburg). Die Lager werden im Zuge dieser Umorganisation neu nummeriert, Neusustrum wird ab Frühjahr 1935 ‚Lager V‘. 1937/38 wird es auf 1.500 Gefangenenplätze vergrößert.
Etwa 66.500 Strafgefangene wurden allein in die nördlichen Strafgefangenenlager im Emsland zwischen 1934 und 1945 eingeliefert. Zuständig für Organisation und Leitung der Strafgefangenenlager im Emsland war Werner Schäfer.
Am 4. April 1945 wurden die letzten Gefangenen aus dem Lager Neusustrum in das Lager Aschendorfermoor verlegt. Nach Kriegsende wurde das Lager Neusustrum bis 1950 von der Justizstrafanstalt Lingen zur Unterbringung von Gefangenen genutzt. Die Baracken wurden anschließend abgerissen. Auf dem Gelände der früheren Häftlingsbaracken befindet sich heute der Sportplatz der Schule.
Homosexuelle in Neusustrum
Das Lager Neusustrum war derjenige Ort in Deutschland, an dem in der NS-Zeit die meisten Homosexuellen inhaftiert waren.
Stümke / Winkler zitieren 1981 in ‚Rosa Winkel, Rosa Listen‘ einen ‚Bericht von C.M., der als Politischer von Februar bis Juni 1940 in Neusustrum ‚Lager V‘ war‘:
„Das Lager V hatte zu dieser Zeit dreitausend bis viertausend Häftlinge, etwa die Hälfte davon Homosexuelle. … Die Gefangenen trugen keine Markierung durch wuinkel, so dass man nicht unmittelbar erkennen konnte, wer homosexuell war. … In meiner Baracke waren ca. dreihundert Menschen untergebracht, davon etwa die Hälfte homosexuell. Die Gefangenen kamen hauptsächlich aus Hamburg.“
Stümke/Winmkller zitieren weitere Zeitzeugen mit abweichenden Beobachtungen:
„Ein anderer Zeuge, er war dort 1936/38 inhaftiert, gab an, das im sleben Lager ca. 20% schwul waren und auch in anderen, umliegenden Lagern viele Homosexuelle gefangen waren.“
„Ein weiterer Zeuge gibt an, dass ‚im Moorlager 5 Neusustrum ein drittel der Häftlinge zur Gruppe der Homosexuellen gehört‘ [hat] (Harthauser 1967, S. 26f)“
Zwar sprechen selbst neuere Dissertationen erstaunlicherweise von ‘Einzelfällen’ von Homosexuellen in den Emslandlagern [Lüerßen]. Andererseits befanden sich Hoffschild zufolge “an keinem Ort im Deutschen Reich mehr Homosexuelle in Haft … als in den Emslandlagern” [Hoffschild 1999, S. 35, zitiert nach Bührmann-Peters]. Andere Berichte [Dissertation Bührmann-Peters ‚Deliktstatistik‘ S. 159, Daten jeweils für unterschiedlich kurze Zeiträume] sprechen von einem Anteil von 1,1% bis 9,9% Homosexuellen an allen Insassen der Emslandlager.
“Insgesamt wurden die Gefangenen, die aufgrund ihrer Homosexualität in Gefängnissen und Zuchthäusern saßen, häufiger in die Emslandlager “überwiesen” als andere Gefangene. Das heißt die als homosexuell Inhaftierten wurden einem als besonders brutal und abschreckend geltenden Strafvollzug ausgesetzt.” (Quelle)
Auch wenn die homosexuellen Opfer in den Emslandlagern vermutlich überwiegend namenslos sind – einige Schicksale sind doch bekannt, so z.B.
Walter Timm, 1938, der später in Sachsenhausen war,
Luis Schild (1898 – 1935) [B],
Wilhelm C. (geb. 1915) [C],
Hans Bielefeld,
Paul Gerhard Vogel [5],
Rudolf Kruse (pdf),
Max Lenz (Stolpersteine),
Arnold Bastian (pdf) Stolperstein (dort Verweis Aschendorfermoor),
Heinrich Erich Starke [3] [4] [5],
Georg W. (pdf),
Heinrich Peter Roth (pdf) [4] Stolperstein Hamburg, Steindamm 91,
Max Stephan (pdf),
Gustav Schreiber (Seite aus Google Cache, Vortrag pdf hier, Stolperstein (der auf Börgermorr verweist)),
Besonders viele Homosexuelle waren im Lager V in Neusustrum inhaftiert.
„Im Lager Neusustrum behandelt man Menschen ‘schlimmer als Vieh’, wie es in einem 1950 gesprochenen Urteil gegen den ehemaligen Lagerleiter Emil Faust heißt“ (Kurt Buck).
Bei der Ankunft in Neusustrum wurden die Gefangenen (nach [4]) von der SS begrüßt
„Ihr Arschficker! Euch werden wir jetzt schon den Arsch aufreißen! Ihr werdet was erleben!„
Harry Pauly erinnert sich (in [4]; ausführliche Erinnerung auch in Stümke/Winkler/ Rosa Winkel, Rosa Listen S. 298 – 301):
„Ich glaube, daß ich eingegangen, richtig kaputtgegangen wäre, wenn mir nicht andere geholfen hätten.„
Die im Lager Neusustrum Verstorbenen sind auf dem Friedhof Bockhorst / Esterwegen beigesetzt.
Das ehemalige KZ und Strafgefangenenlager Neusustrum heute
Heute erinnert nur wenig an das Lager Neusustrum.
Der von den Häftlingen angelegte Lager-Park (u.a. Gelände der Baracken der Wachmannschaften) ist heute noch gut zu erkennen, ebenso der am nördlichen Ende gelegene Teich.
Am südlichen Ende des Parks, die Informationstafel passierend, findet man noch heute ein 1934 von der SA errichtetes ‘Denkmal’, eine von Findlingen umgebene Säule. Das auf der Säule in einem Rundbogen befindliche Hakenkreuz wurde nach dem Krieg durch ein ‘Niedersachsenross’ ersetzt.
Die ehemalige Texttafel wurde entfernt, an gleicher Stelle befindet sich ein (nach Buck wahrscheinlich in den 70ern angebrachter) Text: ‘Niedersachsens stolzes Pferd, sage mir was sind wir wert? Dein Geist und meine Kraft haben hier Wüsten fruchtbar gemacht.’ [Wessen Geist diesen Ort schuf, und wessen Kraft das Moor hier urbar machte, wird nicht erwähnt.]
Nahe dem Kreuz befinden sich drei Gedenktafeln. Auf einer der beiden Gedenktafeln links ist zu lesen „In den Jahren 1947 bis 1960 haben in Sustrum-Moor Siedler aus verschiedenen teilen Deutschlands eine neue Heimat aufgebaut. Wir gedenken der Opfer von Krieg und Vertreibung“. Die Gedenktafel rechts des Kreuzes wurde 1995 von ehemaligen polnischen Gefangenen angebracht.
An die homosexuellen Gefangenen und Verfolgten erinnert (außer der Erwähnung des Begriffs Homosexuelle auf der Informationstafel) nichts an diesem Ort.
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Es ist erschreckend, diesem Ort zu begegnen. Ein Ort der Geschichtsklitterung und Schönfärberei, des Nichtwahrhabenwollens und Verdrängens – und der Verleugnung von Kriminalisierung und Verfolgung auch von Homosexuellen.
Dass an diesem Ort (wie an so vielen im Emsland) die eigene Vergangenheit beschönigt und wo möglich verdrängt wird, scheint in der Region eine nicht gerade untypische Umgangsweise zu sein. Dass hier noch heute ein NS-Denkmal, bizarr und geschichtsverfälschend pseudo-’entnazifiziert’ unkommentiert stehen kann, erschreckt. Dass an diesem für die Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller in NS-Deutschland so bedeutenden Ort noch heute kein Gedenken an diese homosexuellen NS-Opfer zu finden ist, bestürzt.
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Anresie / Ortsbeschreibung: Das Gelände des ehemaligen Lagers Neusustrum ist auch angesichts des Fehlens jeglicher Hinweisschilder etwas schwer zu finden. Die Nord-Süd-Straße von Rhede Richtung Süden fahrend, rechts bei km 49,1 in den Ort ‘Sustrumermoor’ fahren. Nach einigen Metern sieht man rechts die Kirche, links die Feuerwehr. Vor der Feuerwehr nach links abbiegen auf die Teichstraße (ehemaligen Lagerstraße). Nach wenigen Metern sieht man rechterhand ein Kreuz und einige Gedenktafeln, gelegen in einer Parkanlage (dem ehemaligen Gelände der Baracken der Wachmannschaften). Auf der gegenüber liegenden Seite befindet sich ein Sportplatz – dort befanden sich die Häftlingsbaracken.
Dokumente: [A] Kurt Buck: ‘Auf der Suche nach den Moorsoldaten. Emslandlager 1933 – 1945 und die historischen Orte heute’, 6. erweiterte Auflage, Papenburg 2008 [B] ‘”Wir sind die Moorsoldaten” – Die Insassen der frühen Konzentrationslager im Emsland 1933 – 1936′, Dissertation Dirk Lüerßen, Osnabrück 25. Mai 2001 [C] ‘Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht – Militärgerichtlich Verurteilte in den Emslandlagern 1939 – 1945′, Dissertation Frank Bührmann-Peters, Osnabrück Sommersemester 2002 [D] Carola von Bülow: ‘Die Verfolgung von homosexuellen Männern im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland am Beispiel der Emslager’, in: ‘Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus – Beitrage zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland’, Edition Temmen, o.J. (Inhaltsverzeichnis als pdf hier) [E] ‘Der Umgang der nationalsozialistischen Justiz mit Homosexuellen’, Dissertation Carola v. Bülow, Oldenburg 10.07.2000
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Aktualisierung 03.04.2013: Auch der Schauspieler Harry Pauly, auch bekannt als Pauline Courage, war 15 Monate im KZ Neusustrum inhaftiert. Er berichtete, dass „ca. 20% schwul waren“. 14.04.2013: Der Berliner Ingenieur Rolf Krappe wurde am 13. Januar / 6. Oktober 1938 (Revision) zu 2 Jahren Gefängnis und Aberkennung des bürgerlichen Ehrenrechts für 5 Jahre verurteilt. Bei Erreichen des Strafendes wurde er am 3.3.1940 aus Neusustrum entlassen. [1] 04.04.2014: Dokumente / Internet-Angaben und Links aktualisiert, Gliederung überarbeitet
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[1] Andreas Sternweiler: ‚Freundschaft und Solidarität‚, in: Müller / Sternweiler: Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000 [2] Hamburg auf anderen Wegen: Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer [3] Stefan Micheler 1999: „… eben homosexuell, wie andere Leute heterosexuell.“ Der Fall Heinrich Erich Starke [4] Rosenkranz / Lorenz: Hamburg auf anderen Wegen: Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt. Hamburg 2012 [5] Hergemöller: Mann für Mann: biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Münster o.J. [6] Andreas Sternweiler (Hg.): Pfadfinderführer und KZ-Häftling: Heinz Dörmer. Berlin
Am Rand der Gedenkveranstaltung am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen sprach Rudolf Brazda, einer der letzten Überlebenden mit dem ‘Rosa Winkel’ (KZ Buchenwald), über seine Zeit in der NS-Diktatur.
Ein kurzes Video, ein seltener Zeitzeugenbericht:
Rudolf Brazda Video: “ein schreckliches Leben war das”
Jesse Helms war ein US-Politiker (Republikaner) und langjähriges Mitglied des US Senats. Er galt als ausgesprochen homosexuellenfeindlich und betrieb eine Aids-Politik der Ausgrenzung.
Jesse Alexander Helms wurde am 18. Oktober 1921 in Monroe, North Carolina (USA) geboren. Vom 3. Januar 1973 bis 3. Januar 2003 war Helms Senator für den Bundesstaat North Carolina.
Helms war einer der aggressivsten Kämpfer gegen Rechte von Schwulen und Lesben in den USA. Er betrieb eine offen antihomosexuelle Politik, ebenso trat er gegen Gleichberechtigung von Afroamerikanern ein. Vielen nicht nur in den USA galt er als Inkarnation des Begriffs ‘Homophobie’. Und wenig überraschend war Helms auch ein Vertreter einer ganz und gar nicht liberalen Aids-Politik.
„Nothing positive happened to Sodom and Gomorrah and nothing positive is likely to happen to America if our people succumb to the drumbeats of support for the homosexual lifestyle.“ (Nichts Positives ist in Sodom und Gomorrha geschehen, und Amerika wird wahrscheinlich nichts Positives geschehen wenn unser Volk den Trommeln für die Unterstützung eines homosexuellen Lebensstils erliegt. [Übers. UW])
Jesse Helms, zitiert in New York Times 5. Juli 2008
Jesse Helms starb am 4. Juli 2008 im Alter von 86 Jahren in Raleigh (North Carolina).
Jesse Helms und das US-Einreiseverbot für Positive
Jesse Helms sprach sich u.a. lange gegen eine staatliche Förderung der Aids-Forschung aus. Und eine der bekanntesten “Erfolge” von Helms war das Einreiseverbot für Menschen mit HIV und Aids in die USA.
Das sogenante “Helms Amendment” (benannt nach seinem Initiator, Amendment vom 31. Mai 1987) wurde im Juli 1987 eingeführt. Durch das Helms-Amendment wurde HIV in die Ausschluß-Liste der Einreiseregelungen des US Public Health Service aufgenommen. 1993 wurde diese Regelung vom US-Kongress sogar in Gesetzesrang erhoben.
Das durch Helms begründete HIV-Einreiseverbot bestand trotz zahlreicher nationaler und internationaler Proteste bis 2010. Es endete nach 22 Jahren erst am 4. Januar 2010 unter US-Präsident Obama.
ACT UP protestiert gegen Jesse Helms
Aufgrund seiner aggressiv gegen die Interessen von Menschen mit HIV und Aids gerichteten Politik wurde Helms auch zur Zielscheibe von Aktionen von ACT UP.
Viele Schwule, auch viele Positive, waren viel und gerne in die USA gereist. So sie HIV-positiv waren, durften sie dies nicht mehr. Der Politiker, der für dieses Verbot gesorgt hatte, wurde intensiv von einem Zigaretten-Hersteller finanziell unterstützt. Der ‚Marlboro Boykott‘ (ab 1990) fand dementsprechnd große Unterstützung und wurde zu einer der großen internatonalen Aktionen von ACT UP:
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Auch politische Widersacher als Menschen zu respektieren halte ich für mich persönlich für eine Grundlage politischer Arbeit. Jesse Helms allerdings hat so viel Hass gesät, so unendlich viel Schaden angerichtet, agitiert und gekämpft gegen Lesben und Schwule, gegen Menschen mit HIV und Aids – es wäre wirklich geheuchelt, würde ich jetzt Trauer zeigen angesichts seines Todes.
„Am Sonntag, den 8.6.2008 wurden am Heinrichsplatz in Berlin sieben queer lebende Menschen Opfer eines trans- und homophoben Angriffs. Da dieser Angriff im Rahmen des Dragfestivals stattfand, ist zu vermuten, dass es sich um eine gezielte Aktion gehandelt hat. Am Montag, den 9.6.2008 zogen in einer beispiellosen Spontandemo fast 3000 Transgender, Lesben, Schwule und queer lebende Menschen durch Berlin Kreuzberg um gegen den trans- und homophoben Gewalt zu demonstrieren“ (aus der Pressemitteilung von TransInterQueer, als pdf hier; weitere Informationen auch in dem Artikel „gelebte Solidarität in Berlin-Kreuzberg“ auf berlin.gay-web.de).
Anlässlich des Tansgenialen CSD (siehe Ibne Kreuzberg) zeigten viele Geschäftsleute entlang der Kreuzberger oranienstrasse (auf der das Abschlussfest des Transgenialen CSDs stattfand) Solidarität. Sie schmückten ihre Geschäfte mit Fahnen, die in türkischer und deutscher Sprache informierten „Du bist nicht allein – zusammen gegen Homophobie – gegen Rassismus – gegen Sexismus – gegen Faschos // Yalniz degilsin- hep beraber – homofobiye karsi – irkciliga karsi – cinsiyetcilige karsi – fasistlere karsi„.
Anmerkung: ich weiss, dass der Slogan in türkisch nicht völlig korrekt geschrieben ist – allein, ich find in wp nicht die entsprechenden Sonderzeichen … 🙁
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