Erster Bericht über Aids – “Rare cancer seen in 41 homosexuals”, unter diesem Titel berichtete die New York Times am 3. Juli 1981 erstmals in der breiten Öffentlichkeit über das, was später als Aids bezeichnet wurde.
Eine ungewöhnliche Häufung von Fällen des ansonsten seltenen Kaposi Sarkoms unter jungen Homosexuellen war Fachleuten aufgefallen. Wenige Wochen zuvor, im Juni 1981 erschien ein erster Bericht über das, was später ‘Aids’ genannt wird, in der Fachpresse (dem ‘MMWR’).
Anfang Juli 1981, erster Bericht über Aids in der Publikumspresse, in der New York Times. Noch war nichts über Ursache, Erreger und Verbreitungswege bekannt.
“The cause of the outbreak is unknown, and there is as yet no evidence of contagion”
Doch Ärzte beschrieben die Situation bereits als “rather devastating“. Zwar sei Krebs nicht übertragbar. Aber für den Ausbruch könne auch ein Virus oder Umweltfaktoren verantwortlich sein, spekulierte der Autor bereits. Es gebe erste Hinweise auf einen Verursacher.
“Cancer is not believed to be contagious, but conditions that might precipitate it, such as particular viruses or environmental factors, might account for an outbreak among a single group.” Und “The medical investigators say some indirect evidence actually points away from contagion as a cause.”
Die Fälle beträfen überwiegend Homosexuelle mit vielen Sexpartnern:
“most cases had involved homosexual men who have had multiple and frequent sexual encounters with different partners, as many as 10 sexual encounters each night up to four times a week”.
Dies bedeute auch Entwarnung – für Heterosexuelle bestehe voraussichtlich keine Gefahr:
“Dr. Curran said there was no apparent danger to nonhomosexuals from contagion. ”The best evidence against contagion,” he said, ”is that no cases have been reported to date outside the homosexual community or in women.””
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New York Times 03.07.1981: RARE CANCER SEEN IN 41 HOMOSEXUALS
„Irrer Ami steckte Tausende mit HIV an“, mit dieser grellen Schlagzeile schreckt die Zeitung mit den grossen Buchstaben und dem fragwürdigen Verhältnis zur Wahrheit ihre Leser/innen ins Neue Jahr. Und erläutert „Seine kranke Mission: So viele Personen wie möglich zu infizieren und so umzubringen.“
Ein 51jähriger (mit vollem Namen genannter und mit Foto abgebildeter) Mann aus dem US-Bundesstaat Michigan solle, so das Blatt, seit drei Jahren versucht haben, „durch absichtlich ungeschützten Sex“ Tausende mit HIV zu infizieren. Über das Internet habe er sich „an seine ahnungslosen Opfer herangemacht“, „junge Frauen und … auch Männer“.
Einem weiblichen „mutmaßlichen Opfer“ gegenüber, das sich in einem US-Fernsehsender geäußert hat, habe er zugegeben, „dass er mit 3000 Frauen und Männern ungeschützten Sex hatte“.
Das ist ja fürchterlich! Andere absichtlich mit HIV infiziert – Wir erschrecken maßlos, sind angewidert, fassungslos – oder? Halten wir inne, denken ein wenig nach. Nur ein klein wenig.
Überlegen wir einmal:
Drei Jahre – das macht 1.095 Tage. Der Mann müsste also, sollte er tatsächlich wie behauptet innerhalb der letzten 3 Jahre „Tausende infiziert“ haben, täglich mehrmals Sex gehabt haben, und das jeden Tag, sonn- wie werktags, ohne Unterbrechung, ohne Krankheit, ohne Tage sexueller Untätigkeit.
Doch nicht nur das, jeder Sex-Kontakt müsste auch gleich zur Übertragung von HIV geführt haben.
Dass dies nicht der Fall ist, bemerkt sogar das Blatt selbst: „er ist in zwei Fällen angeklagt, in denen es ihm allerdings nicht gelang, das lebensgefährliche Virus zu übertragen.“
Eine HIV-Übertragung erfolgt nicht etwa bei jedem ungeschützten Sex – der Mann hätte, um wie behauptet „Tausende mit HIV angesteckt zu haben“ wohl mit Zehntausenden Sex haben müssen, innerhalb von drei Jahren. Was selbst bei großer Promiskuität eine beachtliche Leistung wäre.
Und – vergessen wir nicht, zu einer sexuellen Übertragung von HIV gehören immer (mindestens) zwei Personen. Zwei Personen, die beide keine Schutz-Vorkehrungen wie zum Beispiel die Verwendung von Kondomen ergreifen. Beide sind hierfür verantwortlich – nicht allein eine etwaig mit HIV infizierte Person.
Denn – ob der US-Amerikaner tatsächlich mit HIV infiziert ist, oder nur HIV als Vehikel für eine grossspurige Wichtigtuerei nimmt, verschweigt der Artikel ebenfalls.
Ganz außer Acht gelassen haben wir dabei bisher die Frage, ob der HIV-Positive antiretrovirale Medikamente nimmt – dies hätte wie bekannt im Fall erfolgreicher Therapie das Risiko einer HIV-Übertragung drastisch gesenkt (siehe „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„).
Eine letzte Frage noch: wie viele Menschen hat er nun infiziert? „Bislang wurden zwei seiner Opfer identifiziert“, vermerkt der Artikel an unauffälliger Stelle mitten im Text. Sind es genau die zwei Fälle, in denen es – wie der Artikel ebenfalls vermerkt – „nicht gelang“, HIV zu übertragen? Es bleiben – statt der behaupteten „Tausende“ zwei bis null Fälle einer HIV-Übertragung. Und eine grelle Schlagzeile, von deren überprüfbarem Wahrheitsgehalt wenig bleibt.
Ist eine aufmerksamkeitsheischende schreiende Schlagzeile alles wert?
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Nachtrag: Immer wieder werden Geschichten von Horror-Zahlen kolportiert, oder dass Mwenschen absichtlich mit HIV infiziert wurden. Bei genauem Nachsehen erweisen sie sich fast immer als substanzarm oder substanzlos. Schon ZDFneo suchte vergeblich nach Männern, die andere Männer absichtlich mit HIV infizieren wollen – und fand nichts. Es blieb damals Bugchasing: viel neo-Lärm um nichts. Die gerne behauptete ’neue Sorglosigjkeit‘ ist längst als Mythos entlarvt. Ebenso ein Mythos: die Geschichten vom verantwortungslosen Positiven. Und auch die ‚Ausrede‘ der vermeintlich guten (präventiven) Absicht greift nicht, denn längst ist gezeigt: Schock-Prävention wirkt nicht.
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Bild.de 01.01.2012: ‚Er wollte mit AIDS töten – Irrer Ami steckte Tausende mit HIV an‘
dailymail 31.12.2011: „‚I’m turning myself in, my life is over‘: HIV-positive man ‚infected hundreds‘ after setting out to pass on virus to as many as possible“
Der jüngst verstorbene französische Schwulen-Aktivist Jean Le Bitoux hat seinen Nachlass der Stadt Paris vermacht – könnte der Jean le Bitoux Nachlass das Projekt eines LGBT-Archivs neu beleben.
In einem Brief teilte der Bürgermeister der französischen Hauptstadt mit, Jean Le Bitoux habe sein umfangreiches Archiv der Stadt Paris vermacht:
“Jean Le Bitoux, dans son testament, lègue son vaste fonds d’archives à la Ville (de Paris), dans l’attente de l’ouverture effective de ce Centre aujourd’hui piloté par le chercheur et militant Louis-Georges Tin.”
Das “LGBT Archiv Paris” ist ein Projekt, das bereits in der ersten Amtszeit des Bürgermeisters Delanoe und mit Beteiligung von Le Bitoux gestartet wurde. Für eine Vorstudie zur Machbarkeit wurden im September 2002 bereits 100.000 Euro von der Stadt Paris bereit gestellt. Nach einer positiven Bewertung des Projekts durch die Direktion der französischen Archive hat inzwischen Louis-George Tin die Leitung des Projekts übernommen.
Seit vier Jahren herrschte allerdings Ruhe um das Projekt. Der Jean Le Bitoux Nachlass dürfte nun dazu führen, dass neuer Schwung in das Projekt “LGBT Archiv Paris” und seine Realisierung kommt.
Jean Le Bitoux , aus Bordeaux stammender französischer Aktivist für die Rechte von Schwulen und Lesben und Gründer der französischen Schwulenzeitschrift Gai Pied, ist am 20. April 2010 im Alter von 62 Jahren verstorben.
Jean Le Bitoux
Am 16. August 1948 in Bordeaux geboren, war Jean Le Bitoux eine zentrale Person der französischen Schwulenbewegung. Während der Studentenunruhen im Mai 1968 nahm er an der Sorbonne an Debattten zur ‚Homosexuellenfrage‘ teil, schloss sich bald einer Schwulengruppe in Paris an (nachdem er in maoistisch orientierten Gruppen eine „ausgeprägte Homophobie“ festgestellt hatte).
Zu Beginn der 1970er Jahre gründete er in Nizza eine Regionalgruppe der ‚Front homosexuel d’action révolutionnaire‘ (FHAR; damals bedeutendste Schwulengruppe Frankreichs, Sitz in Paris). Bei den Wahlen 1978 traten mit Le Bitoux sowie Guy Hocquenghem erstmals überhaupt in Frankreich zwei offen schwule Kandidaten an, beide stellten ihre Forderung nach Abschaffung des noch aus der Vichy-Zeit stammenden Sonderstrafrechts für Homosexuelle in den Mittelpunkt. Kurze Zeit später gründet er die ‚Groupe de libération homosexuelle-politique et quotidien‘ (GLH-PQ), die bald Gruppen in mehreren Städten Frankreichs hat.
1979 gründete Jean Le Bitoux zusammen mit Gérard Vappereau und weiteren Freunden das erste offen am Kiosk erhältliche französische Schwulenmagazin Gai Pied (der Name wird in der Küche seines Appartments vom Philosophen Michel Foucault ‚erfunden‘). 1983 scheidet er, nach ökonomischen wie auch editorischen Differenzen in eine Minderheitsposition geraten, wieder aus. Der Gai Pied entwickelt sich anschließend in eine eher kommerzielle Richtung. Später erklärte er dazu
„Der Gai Pied ist in die Falle des Konsumismus getappt, der Desinformation, des Parisertums. Das einzige wöchentliche Schwulenmagazin der Welt in den 19890er und 1990er Jahren ging unter, weil es auf sein soziales Projekt verzichtet hat.“
Yves Navarre et Jean Le Bitoux à la manifestation pour les droits gays et lesbiens, Paris 4 avril 1981. – Claude TRUONG-NGOC (User:Ctruongngoc) – CC BY-SA 3.0
Jean Le Bitoux weiß selbst seit 1986 von seiner Infektion mit HIV; in einer TV-Sendung auf TF1 (François de Closets) macht er am 2. Mai 1988 sein Positiv-Sein erstmals öffentlich. Ab 1985 engagierte Le Bitoux sich im Kampf gegen Aids. Er arbeitet bei der nach dem Tod von Foucault von drei Freunden (Daniel Defert, Frédéric Edelamnn, Jean-Florian Mettetal) 1984 gegründeten französischen Aidshilfe-Organisation Aides mit. Bereits im Juli 1982 hatte er im Gai Pied das erste Gespräch mit einem Aids-Kranken veröffentlicht, das in Frankreich publiziert wurde.
Zudem arbeitet er auch für internationale Presse wie das Journal of Homosexuality (New York), Tels Quels (Brüssel) oder den legendären Rosa Flieder (Nürnberg).
Besonders setzte Le Bitoux sich für das Gedenken an von den Nazis verschleppte Homosexuelle ein. Er war Gründer und Präsident der ‘Fondation du mémorial de la déportation homosexuelle‘, die sich für ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Frankreich einsetzt. Le Bitoux, ausgebildeter Journalist, war u.a. Ko-Autor des Buches “Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel”(zusammen mit dem von den Nazis wegen Homosexualität in das Lager Schirmeck deportierten, 2005 verstorbenen Pierre Seel).
Jean Le Bitoux starb am 20. April 2010 spätabends nach langer Krankheit. Nach Einäscherung auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise wurde seine Asche seinem Wunsch folgend zu Füßen eines Baobab-Baumes im Dorf Pesseribougou (Mali) beigesetzt (aus diesem Dorf stammt sein letzter Partner Ladri Diarra).
‘ Gai Pied ’ – so lautete der Titel eines legendären französischen Schwulenmagazins, das ab 1979 bis 1992 erschien.
Der Gai Pied war die Schwulenzeitschrift einer Generation. Er erschien ab 1979, zunächst monatlich, bald als Wochenzeitung.
1978 – wie alles begann
Alles begann 1978, mit dem Aufkommen der Schwulenbewegung. Im Juli 1978 trafen sich die späteren Haupt-Protagonisten des Projekts bei einem per Kleinanzeige in der Tageszeitung Liberation angekündigten Sommer-Camp im Maazel in der Provence. Im Herbst 1978 stellten Gérard Vapereau und Jean Le Bitoux das Projekt beim Frankreich-Treffen der GLH (Groupe de libération homosexuelle) nahe Lyon erstmals öffentlich vor.
Das Erscheinen des ersten ‘Gai Pied’, eines offen schwulen Magazins, war 1979 eine Sensation in einer damals noch zutiefst konservativen französischen Gesellschaft. Homosexualität war noch strafbar; Homosexuelle wurden als Kranke betrachtet und lebten außerhalb ihrer Nischen versteckt und zurückgezogen. Bis Jean Le Bitoux (damals Journalist bei ‘Liberation’) und Gérard Vappereau den GaiPied gründeten. Plötzlich wurde Homosexualität sichtbar, bekamen Schwule Gesicht und Stimme.
Der Name des Magazins geht zurück auf einen Artikel des französischen Philosophen Michel Foucault in der ersten Ausgabe des Magazins, die im April 1979 an 2.000 Kiosken in Frankreich zu kaufen war (Wortspiel: wörtl. ‘fröhlicher’ oder ‘schwuler Fuß’; ‚pied‘ (der Fuß) wurde umgangssprachlich auch verwendet für Lust, Vergnügen; spielt begrifflich auch mit ‘pied noir’, nach dem Algerienkrieg verwendeter Begriff für (meist als Vertriebene) nach Frankreich kommende Algerienfranzosen; guêpier bedeutet allerdings auch ‘Wespennest’). Das erste Logo kreierte Philippe Barnier.
In der Null-Nummer der Zeitung, die mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren im Februar 1979 gratis erschien, schrieb Jean Le Bitoux zum Namen
„Pourquoi Gai Pied? Pour être gai et pour le pied, et pour échapper au guêpier des ghettos.“ (Warum Gai Pied? Um schwul zu sein, und die Falle der Ghettos zu vermeiden. Übers. UW)
Die Zeitschrift wollte unbequem sein, nicht ’nur‘ gefällig Leserwünsche bedienen.
„Un journal qui respecte la tranquilité de ses lecteurs, c’est un dortoir ou un hôpital.“ (Eine Zeitung, die die Ruhe ihrer Leser respektiert, ist entweder ein Schlafsaal oder ein Krankenhaus. Übers. UW) (Guy Hocquenghem, Gai Pied Hebdo, 13.7.1985)
die ersten Schritte
Der GaiPied wurde herausgegeben von der ‚Éditions du Triangle Rose‚ ETR SARL, die Vapéreau und Le Bitoux gemeinsam mit Philippe Barnier und Donald Germain zuvor gegründeten. Die erste Ausgabe (nach der Nullnummer) erschien am 1. April 1979. Schnell etablierte er sich als ‘das’ Blatt der französischen Schwulenbewegung – und blieb es jahrelang. Bald konnte von monatlichem auf wöchentliches Erscheinen gewechselt werden.
Um die ersten großen Rechnungen bezahlen zu können, veranstalteten die Gründer am 30. April 1979 eine Gala im Pariser Club Bataclan. Sie wird mit über 2.500 Gästen ein Riesen-Erfolg (auch finanziell) und Auftakt zu einer Reihe späterer Galas. Im März 1980 zog das Magazin in Räume in der rue de la Folie-Méricourt (Nr. 42), im Sommer 1980 wurde der erste Angestellte beschäftigt.
Die ersten Ausgaben erschienen zum Preis von 5 Francs (April bis Juni 1979), ab April 1982 lag der Preis bereits bei 15 Francs. Die ursprüngliche Auflage von 30.000 Exemplaren (April 1979) blieb lange relativ stabil. Mitte 1982, kurz vor dem Wechsel zu Gai Pied Hebdo (erfolgte am 27. November 1982 drei Wochen nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe des vom früheren Gai Pied Mitarbeiter Jacky Fougeray gegründeten Konkurrenz-Blattes Samouraï (1982-1986)) stieg die Auflage auf 70.000 und satbilisierte sich 1983 bei 60.000 Exemplaren.
Gia Pied – politisch engagiert, prominente Unterstützer
Die Zeitschrift konnte jahrelang auf zahlreiche und namhafte französische und internationale Unterstützung zählen, wie Yves Navarre, Guy Hocquenghem („Das homosexuelle Verlangen“) oder Hugo Marsan. Aber auch ein Gespräch mit Jean Paul Sartre fand sich hier (geführt am 28. Februar 1980 von Jean Le Bitoux, Sartres einziges Interview zu Homosexualität), ebenso wie künstlerische Arbeiten von David Hockney oder mit der Chanson-Sängerin Barbara (auch über ihr Engagement gegen HIV/Aids).
Die erste Ausgabe hatte den Titel „Un plaisir si simple“ (ein Vergnügen, so einfach), signiert Michel Foucault, dazu ein Bild das Yves Charfe zeigt. Im Heft unter anderem Berichte über von GLH und CHA organisierte Demonstrationen gegen den Iran, sowie Auszüge aus dem Zeitzeugen-Bericht von Heinz Heger ‚Die Männer mit dem Rosa Winkel‚, sowie Comics von Alex Barbier oder Nachrichten aus der Provinz sowie aus dem Ausland. Dass Michel Foucault das Blatt so ostentativ unterstützte, sei seiner Überzeugung nach ganz wesentlich dafür gewesen, dass der Gai Pied nicht verboten wurde, betont Jean Le Bitoux in seinen Memoiren die Bedeutung der Solidarität von Prominenten.
Gai Pied engagierte sich sehr stark im Präsidentschaftswahlkampf 1981. Francois Mitterrand galt als Hoffnungsträger – endlich eine Abschaffung des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle. Am 4. April findet eine große Demonstration statt, organsiert vom CUARH. Über 10.000 Homosexuelle ziehen durch Paris, an der Spitze 3 Mitglieder der PS, Jack Lang, Yves Navarre und Jean Paul Aron. Am 13. April wird das zweijähriges Bestehen mit einer Gala im Palace gefeiert. Yves Navarre verliest eine Nachricht, in der Francois Mitterrand, Präsidentschafts-Kandidat der PS, die Gäste grüßt und für den Fall seiner Wahl die Abschaffung des Sonderstrafrchts gegen Homosexuelle verspricht.
1983 – Kurswechsel
Ab 1983, nach einer Auseinandersetzung besonders mit Gründungs-Herausgeber Jean Le Bitoux über die Frage wie politisch oder ‚Konsum-orientiert‘ das Magazin sein solle, öffnete sich das Magazin verstärkt auch Lifestyle-Themen wie Mode oder Reisen. Gründer Le Bitoux schied am 3. Juli 1983 aus, er gab kurzzeitig ein ‚Piraten-Journal‘ heraus, das am 20. Juli 1983 unter dem Titel Gai Pied au cul (Gai Pied im Arsch) erschien.
1987 – Pasqua versucht sich am Verbot des Gai Pied
Sich um prominente Unterstützer zu bemühen, war neben der Aufmerksamkeit auch von Beginn an Teil der Überebens-Startegie des gai Pied. Ein Magazin mit Unterstützern wie Foucault oder Sartre zu verbieten, diese Schwelle sei einfach höher als bei ‚irgend einem‘ Blatt, so die Überlegung.
Doch im März 1987 war es soweit: Charles Pasqua (1927 – 2015), damals Innenminister im Kabinett Chirac, untersagt unter Berufung auf ein Gesetz aus dem Jahr 1949 über an die Jugend gerichtete Presseerzeugnisse den Kiosk-Vertrieb des Magazins (was de facto fast einem kompletten Vertriebsverbot nahe kam).
Doch Opposition und Kulturbetrieb reagieren schnell und deutlich. Fast die gesamte Presse protestiert. Nach einer lautstarken Demonstration am 19. März 1987 rudert die Regierung zurück und stellt ihr Vorgehen gegen den Gai Pied ein.
Unternehmensgruppe GaiPied
Ende der 1980er Jahre wächst der Gai Pied zu einer Gruppe von Unternehmen.
Bereits 1982 war ‚Gai Pied Voyages‚ gegründet worden1983 folgte der jahrelang überaus erfolgreiche ‚Guide Gai Pied‚. 1987 bis 1990 war die Gruppe Gai Pied Träger einer Radio-Station, der ‘Frequence Gaie’. Gai Pied gab zudem jahrelang auch einen beliebten schwulen Frankreich-Reiseführer heraus, den Guide Gai Pied.
Mit großem auch kommerziellem Erfolg wurde ab Sommer 1985 jahrelang eine frühe (über Minitel, das französische Btx-Pendant realisierte) Dating-Platform namens 3615GPH (zu Beginn bis Januar 1986 zunächst als Kontaktanzeigen-Dienst Rezo) betrieben.
Mit allen Nebenaktivitäten betrug der Umsatz der Gruppe Gai Pied im jahr 1986 über 20 Millionen Francs.
Chefredakteure des Gai Pied 1979 bis 1992
1979 bis Juli 1983 – Jean Le Bitoux (1948 – 2010) Juli 1983 bis Oktober 1991 – Franck Arnal (1950 – 1993; Mitgründer 1979) und Hugo Marsan (geb. 1934; bis August 1988 gemeinsam mit Arnal) bis Oktober 1991 – Yves Charfe Oktober1991 bis Februar 1992 – Jean-Yves Le Talec (geb. 1958; Sœur Rita du Calvaire) Febnruar 1992 bis zur Einstellung Oktober 1992 – Eric Lamien
ab 1990 – das lange Ende des Gai Pied
Anfang der 1990er Jahre brach die Zahl der Leser des Gai Pied massiv ein. Das Blatt schaffte es nicht, den Veränderungen auch durch das Auftreten von Aids gerecht zu werden; finanzielle Probleme (trotz erfolgreicher Internetaktivitäten) kamen hinzu.
Nach einem letzten Versuch, das Blatt wieder politischer zu gestalten, kündigt Gérard Vappereau in Ausgabe 534 vom 10. September 1992 seine Entscheidung an, das Magazin einzustellen:
„Paris, le jeudi 3 Septembre 1992. Je suis au regret de vous annoncer la suspension de la parution de Gai Pied hebdo à partir du 29 octobre 1992, sorite du numéro 541“
Am 29. Oktober 1992 erscheint mit Ausgabe 541 die letzte Ausgabe. Allerdings bleibt die Dating-Internetseite weiterhin bestehen. Ebenso erscheint der Guide Gai Pied weiterhin.
1995 schließlich scheidet Gérard Vappereau aus dem verbliebenen Rumpf-Unternehmen aus (zuvor war er 1989/90 einer der Mitgründer der SNEG). Die Gruppe, in die zuvor zwei neue Unternehmer eingetreten sind, versucht ein neues Magazin ‚Projet X‚ in drei Sprachen (französisch, englisch, deutsch) ohne Kiosk-Vertrieb.
Im August 2001 liquidiert das Handelsgericht Paris alle mit der Gruppe Gai Pied verbundenen Unternehmen (wie ETR, LFM, NETGATE, DELTA EDITION, PX REVUE).
Und die beiden Gründer? Jean Le Bitoux stirbt nach langer Krankheit am 20. April 2010 in Paris. Gérard Vappereau erliegt am 11. März 2006 einem Lungenkrebs.
Gai Pied – Nachfolge-Versuche
1995 wurde (u.a. von ehemaligen Mitarbeitern wie Didier Lestrade) mit finanzieller Unterstützung durch Pierre Bergé, dem Lebenspartner von Yves Saint Laurent, das Monatsmagazin Tetu gegründet – das bald zum erfolgreichsten schwulen Magazin Europas aufstieg, nach 20 Jahren Bestehen am 1. Juni 2015 aber Konkurs anmelden musste.
2010 gab es Planungen, den Gai Pied selbst wieder neu erstehen zu lassen. Nach einer Markt-Analyse sowie Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeits-Untersuchungen sei man zu dem Schluss gekommen, die Zeitschrift als Monatsmagazin neu auf den Markt zu bringen, eine neue Träger-Struktur sollte geschaffen werden. Die Pläne wurden nicht weiter verfolgt.
Die Aktiva des einstigen Unternehmens wurden 2002 von der Gruppe ‘Matchmedia Corp.’ / gaxvox.fr unter Patrick Elzière übernommen.
In den langjährigen Geschäftsräumen des Gai Pied hatte später bis 2015 die Aids-Aktionsgruppe ACT UP Paris ihren Sitz.
Schwule Blogs, schwule Blogger – noch eher eine Seltenheit – bald mehr? Timm berichtet demnächst …
TIMM, der schwule Fernsehsender, berichtet demnächst in seinem abendlichen Magazin TIMM today über schwule Blogs. Und hat sich dazu u.a. palisadesberlin und ondamaris als Beispiel ausgesucht. Am Freitag (20.2.2009) wurde für den Beitrag gedreht:
PS: ob die Bezeichnungen „boulevardesk“ (für palisadesberlin) „hochspezialisiert“ (für ondamaris) zutreffen? Urteile selbst – was meinst du?
Dass Homosexuelle ein Wirtschaftsfaktor ist, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Darüber in Hetero-Medien zu schreiben, ist auch nicht sonderlich neu. Eine ganze Titel-Geschichte in der ‘Wirtschaftswoche’ über angeblich konsumfreundliche Homos allerdings ist schon bemerkenswert.
Auf dem Weg zum Sport schreit mich am Kiosk ein rosafarbenes Titelblatt an. Unter einem doppelten mit einander zum Paar verschwenkten Mars-Symbol auf rosa Grund (wie schwul …), dessen Kreise zum ‚Euro‘-Symbol gestaltet wurden, ruft die grelle fett gedruckte Unterschrift „Schwul. Und was was hat das mit Wirtschaft zu tun? Viel. Wie vielö, lesen Sie ab Seite 26“
Das doppelte Marssymbol als Zeichen für Schwule, und dann WiWo-gerecht zum doppelten Euro verfremdet – was lässt das erwarten?
Unter dem Titel ‘Der Schwulen-Faktor’ berichtet die WiWo (erfreulicherweise kann sowohl Mann als auch die im Artikel nicht angesprochene Frau den Artikel online lesen), ‘wie Homosexuelle eine Metropole prägen’ (und meint die Wirtschaft).
Der Artikel plappert von hautengen Kostümen, von reise- und kauffreudiger Klientel, feiert Schwule als ‘Early Adopters’, als ‘Konsum-Vorreiter’, ergötzt sich an der überdurchschnittlich hohen Homo-Präsenz z.B. in Köln, auch als Basis für ein ‘Diversity Management, das Mehrwert schafft’, und feiert die ‘Wegbereiter der homosexuellen Karnevalsbewegung’ (war ‘Bewegung’ nicht mal was anderes?). Ein postulierter ‘souveräner Umgang mit dem Anderssein’ wird dann gleich als ‘Standort-Faktor’ hochgelobt.
Ein Artikel, der meist zwischen Plattitüden und Oberflächlichkeiten daher kommt.
Vor allem aber ein Artikel, der Schwulsein als Standortfaktor und Frühindikator für Stadtteil-Sanierung nimmt. Homos als ‘homo oeconomicus’ im wahrsten Sinne, konsumfreudige Homos eben.
Erfreulich immerhin, dass kurz auch die wenig erfreuliche Situation von Schwulen in autoritären Staaten erwähnt wird (allerdings, um auch hier den Zusammenhang zwischen Homosexualität, Weltoffenheit und ‘Wohlstandsmehrung’ zu predigen).
Bei solchen Artikeln überkommt mich immer das Gefühl, Schwulsein muss wohl wirklich ‘mitten in der Gesellschaft’ angekommen sein. In einer Langeweile, die ich irgendwie nie wollte …
Nicht, dass entstandene Verbesserungen nicht zu würdigen sind. Schwulen- und Lesbengruppen in Betrieben, Betriebsrente für Homo-Paare, alles Errungenschaften. Aber – wird jetzt die ökonomische Relevanz schon zum begründenden Faktor, zur Legitimationsbasis für schwule und lesbische Emanzipation?
Wird ‘Yuppie-Ambiente’ statt ‘Elend der Großstadt’ jetzt Ziel schwulen Seins?
Und -nebenbei- was wird dann mit all denjenigen Schwulen und Lesben (und in dem Artikel ganz vergessenen queeren, transgender und sonstwie anderen Menschen), die diesen ökonomischen Kriterien nicht entsprechen wollen oder können?
Und, wenn Schwulsein schon ein solcher Standort-Faktor sein soll, warum kommt dann solche geistige Monokultur daraus? Oder gibt es etwa einen Zusammenhang zwischen ökonomisierten Wohlfühl-Mainstream und monokultureller Langeweile?
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