Homosexuelle wurden in großer Zahl während des deutschen Nationalsozialismus verfolgt, gequält, ermordet. Als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden sie lange Zeit nicht. Es bedurfte einer besonderen Rede, 40 Jahre nach Kriegsende.
Homosexuelle wurden nach 1945 für ihre Verfolgung, für Haft und KZ-Aufenthalte nicht entschädigt. Ihrer wurde nicht gedacht. Sie fanden offiziell nicht statt.
Erst 1985 wurde in West-Deutschland erstmals ‘offiziell’ der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit gedacht. Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920 – 2015) erinnerte in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa auch an die homosexuellen Opfer.
“Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, daß es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.
Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.
Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden.
Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben.
Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind.
Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mußten.
Wir gedenken der erschossenen Geiseln.
Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von uns besetzten Staaten.
Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten.
Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen.”
Vierzig Jahre nach Kriegsende findet erstmals ein westdeutscher Spitzenpolitiker und offizieller Repräsentant des Staates Worte des Gedenkens auch für die homosexuellen NS-Opfer.
Der komplette Text der Rede kann auf den Seiten des Bundestags gelesen werden (auf den Seiten des Bundespräsidenten hier). Die Rede ist bei einigen Landeszentralen für politische Bildung als Video verfügbar (z.B. NRW).
Die Verfolgung Homosexueller nach §175 in der von den Nazis 1935 verschärften Fassung ging in West-Deutschland bis 1969 weiter. Von Januar 1950 bis Dezember 1969 wurden 50.887 Verurteilungen nach den Paragraphen 175 und 175a eingeleitet (nach Lautmann).
1995 wurde einer Anregung von Bundespräsident Roman Herzog entsprochen, den Auszug aus der Rede Richard von Weizsäckers in die Gestaltung des offiziellen Gedenkorts der Bundesregierung, die ‘Neue Wache’, mit einzubeziehen. Seitdem heißt es dort u.a.
„Die Neue Wache ist der Ort der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wir Gedenken der Völker, die durch Krieg gelitten haben. Wir gedenken ihrer Bürger, die verfolgt wurden und ihr Leben verloren. Wir gedenken der Gefallenen der Weltkriege, wir gedenken der Unschuldigen, die durch Krieg und Folgen des Krieges in der Heimat, die in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind. Wir gedenken der Millionen ermordeter Juden, wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, wir gedenken aller, die umgebracht wurden wegen ihrer Abstammung, ihrer Homosexualität oder wegen Krankheit und Schwäche. Wir gedenken aller, deren Recht auf Leben geleugnet wurde. Wir gedenken der Menschen, die Sterben mussten um ihrer Religion oder politischen Überzeugung willen. Wir gedenken aller, die Opfer der Gewaltherrschaft wurden und unschuldig den Tod fanden.“
Waren Homosexuelle lange Zeit (mindestens bis zur Rede von Weizsäckers) ‘vergessen Opfer’ des Nationalsozialismus? Nein. Im Gegenteil, sie waren nicht nur “vergessene Opfer” des Nationalsozialismus (wie lange formuliert wurde), sondern “sie wurden in voller Absicht von den Opfergruppen und von einer Wiedergutmachung ausgenommen. Sie wurden also nicht als Opfer ‘vergessen’, sondern weiterhin zu Opfern gemacht” (Rüdiger Lautmann).
Nebenbei, bei Richard von Weizsäcker scheint die in seiner Rede vom 8. Mai 1985 zum Ausdruck kommende Haltung auch gelebte Realität zu sein. Als jüngst sein Sohn starb, stand in der Traueranzeige in der FAZ u.a. bei den trauernden Familienangehörigen auch der Name der Tochter nebst ihrer Lebenspartnerin.
Die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ war die bürokratische Zentralstelle der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit. An dem Ort, an dem Schreibtisch-Täter der Schwulenverfolgung in der Nazizeit arbeiteten, erinnert heute nichts mehr an ihr ‘Wirken’.
Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung
Durch Geheimbefehl des NS-Innenministers Heinrich Himmler vom 10. 10. 1936 wurde die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung ‘ im Rahmen der Neuorganisation der Kriminalpolizei gegründet. Sie war angesiedelt im Hauptsitz des Reichskriminalpolizeiamts (das wiederum seit Juni 1936 Himmler unterstellt war) in Berlin am Werderschen Markt (zeitgenössisches Foto hier).
Aufgabe dieser ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität ’ war die reichsweite Erfassung und Registrierung der Homosexuellen, die nach §175 oder einem anderen ‘Sittlichkeitsdelikt’ straffällig geworden waren. Sie war zur Anordnung oder eigenständigen Durchführung von Ermittlungen (z.B. mobile Sonderkommandos der Gestapo) befugt. Eine Richtlinie vom 11.5.1937 regelte zudem u.a. die ständige Überwachung von Strichjungen.
In der Namensgebung und Kombination von Homosexualität und Abtreibung kommt die ‘rassehygienische’ Intention ihrer Einrichtung zum Ausdruck. Beides waren ‚gleichberechtigte‘ Aufgabengebiete der Reichszentrale:
„Nicht minder gefährlich als die Homosexualität ist für den Staat die Fruchtabtreibung„.
Josef Meisinger im April 1938
Bereits 1938 wurden in der ‘Reichszentrale’ die Daten von 28.800 Männern erfasst und gespeichert, die entweder wegen Homosexualität bestraft oder dieser ‘verdächtig’ waren. Bis 1940 soll sich ihre Zahl auf 41.000 Männer erhöht haben (Joachim Müller (1) ebenso wie juraforum sprechen sogar von 95.000 Männern). 1943 hatte die ‚Reichszentrale‘ insgesamt 17 Mitarbeiter (plus Leitung).
Zunächst (von ihrer Errichtung bis 1939) war die ‘Reichszentrale’ angesiedelt innerhalb der Gestapo. Ab 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ von der Kriminalpolizei übernommen (Reichskriminalpolizei(haupt)amt), allerdings blieb im Geheimen Staatspolizeiamt ein Sonderdezernat (Reichssicherheitshauptamt’ PSHA Abt. IV) für Homosexualität zuständig.
Beide, Kriminalpolizei und Gestapo, bedeuteten für viele Homosexuelle den Weg in KZs: Während für die ‘Schutzhaft’ die Gestapo zuständig war, drohte seitens der Reichs-Kriminalpolizei sogenannte ‘Vorbeugehaft’. Beide Haftarten führten i.d.R. zur Einweisung in Konzentrationslager (bes. seit dem Erlass ‘Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei’ vom 14.12.1937). Ab dem Erlass des ‘Reichssicherheitshauptamts’ vom 12. Juli 1940 war zudem auch formell legalisiert, dass Homosexuelle auch ohne Gerichtsurteil in KZs eingewiesen werden konnten.
Der ‘Vorläufer’ der ‘Reichszentrale’, das ‘Sonderdezernat II 1 Homosexualität‘ entstand schon 1934 auf Befehl von Heinrich Himmler beim preußischen Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa). Bereits im Herbst 1934 waren alle deutschen Polizeipräsidien angewiesen worden, für ihre Dienststellen Listen mit den Namen sämtlicher Homosexueller zu verfassen.
Beide Ämter, Sonderdezernat und Reichszentrale, waren in Personalunion Josef Meisinger unterstellt. Von ihrer Einrichtung 1936 bis 1938 war er ihr Leiter, wurde dann strafversetzt im Zusammenhang mit der ‚Affäre Fritsch‘.
Wegen des Kriegsbeginns 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ wieder als Arbeitsbereich in das Reichskriminalhauptamt eingegeliedert.
Bereits 1938 wurde zum Nachfolger Meisingers als Leiter der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ Kriminalrat Erich Jacob berufen. Ihm zur Seite gestellt als ‘wissenschaftlicher Leiter’ wurde ab Juli 1943 der Neurologe und Psychiater Carl-Heinz Rodenberg. Rodenberg bestritt nach 1945, jemals für die ‘Reichszentrale’ gearbeitet zu haben.
Das Reichskriminalpolizeiamt fand seinen Nachfolger im Bundeskriminalamt (siehe “die braunen Wurzeln des BKA“)
(1) Joachim Müller: ‘Betrifft: Haftgruppen “Homosexuelle” – Rehabilitierung (k)ein Problem? Schlaglichter zu einigen markanten Stationen in offiziellen und öffentlichen Bereichen’, in: ‘Homosexuelle in Konzentrationslagern’, Bad Münstereifel 2000 [2] Rodenberg an RJM-Ministerialrat Rietzsch am 3.10.1942, zitiert nach: G. Grau: Homosexualität in der NS-Zeit, Frankfurt am Main 1993
Die Gründung der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der ‘Homosexualität und Abtreibung’, dieser ‘Bürokratie der Verfolgung’, markiert eine Intensivierung (zahlenmäßige Zunahme) und Verschärfung (höhere Strafbemessung, weniger Freisprüche) der Verfolgungs-Intensität männlicher Homosexueller in Nazi-Deutschland. Sie war nicht nur Datensammelstelle, sondern auch Organisations- und Koordinierungspunkt der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit.
Die Schreibtischtäter dieser Homosexuellen-Verfolgung, sie saßen (auch) am Werderschen Markt, im Reichskriminalpolizeiamt, in der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’. Insbesondere Carl-Heinz Rodenberg, der die Kastration als politisches Terrorinstrument wie auch perverse Ökonomisierung des Menschen propagierte und nach 1945 weitgehend unbehelligt im Odenwald lebte.
Die Aktenbestände der ‘Reichszentrale’ könnten ein Fundus für die Erforschung der Verfolgung Homosexueller in Nationalsozialismus sein. Doch vermutlich sind jegliche Hoffnungen, sie würden (vielleicht aus Tiefen russischer Archive) wieder auftauchen (statt z.B. bei Bombenangriffen vernichtet worden zu sein), reines Wunschdenken …
Das Symbol ‘Rosa Winkel’
oder: warum ich überlege, wieder den Rosa Winkel hervor zu kramen …
Der Rosa Winkel, das Symbol, mit dem Homosexuelle in den KZs der Nazis gekennzeichnet worden sind, wurde Ende der 1970er Jahre auch zu einem Symbol der Schwulenbewegung. Selbst ein Verlag, ein ambitioniertes Projekt der Schwulenbewegung, benannte sich nach diesem Symbol, der inzwischen leider eingegangene Verlag Rosa Winkel.
Jahrelang war der Rosa Winkel das Symbol der (westdeutschen) Schwulenbewegung, und auch vieler ‘nicht bewegter’ schwuler Männer. Erst in den 1990er Jahren wurde er auch in Deutschland zunehmend von der Regenbogenflagge als neuem Symbol verdrängt.
Irgendwann habe ich mich überzeugen lassen von den Argumenten der Regenbogen-Befürworter, und den Rosa Winkel beiseite gelegt. Nie weggeworfen, er hatte immer seinen Platz hinten im Schrank. Aber benutzt habe ich seitdem (selten) die Regenbogenflagge.
Überzeugen lassen habe ich mich letztlich von dem Argument, der Rosa Winkel sei ein Zeichen, ein Symbol, das zu sehr ex negativo argumentiere. Das zu sehr sich nur beziehe auf die düstersten, leidvollen Seiten schwulen Lebens. Nicht die freudigen, hoffnungsvollen, friedfertigen Seiten betone. Nicht die farbenfrohe bunte Vielfalt abbilde. Alles dies könne der Regenbogen …
Nun, in dem Jahr, in dem ‘30 Jahre Regenbogenflagge‘ begangen wird, sind die Zweifel an diesem Regenbogen sehr stark geworden. Die Zweifel an der Tauglichkeit der Regenbogenflagge als Symbol für eine (auch) politische Schwulenbewegung, oder auch ‘nur’ als Zeichen schwulen Stolzes oder Selbstbewusstseins.
Die Regenbogenflagge hat in den letzten Jahren immer mehr einen Bedeutungswandel erfahren. Oder vielmehr einen Verwendungswandel.
Heute ist die Regenbogenflagge in deutschen Großstädten nicht nur zu sehen an schwulen Bars und Cafés, schwulen Buchläden und Saunen. Sie ziert vielmehr auch Bäckereien und Tankstellen, Küchenstudios und Chemische Reinigungen. Ganz zu schwiegen von all dem Homo-Nippes, den es in allen erdenklichen Kreationen, aber immer hübsch in Regenbogenfarben, zu erwerben gibt.
Manchmal scheint mir, diese Art Regenbogenflagge ziere ein kleiner, nur selten bemerkter Untertitel “sehr her, selbst wenn ihr schwul seid, euer Geld ist hier willkommen”.
Denn – geht es bei so mancher Verwendung der Regenbogenflagge wirklich noch um mehr als den Impuls “Schwule, gebt euer Geld bitte bei mir aus”?
Ist die Regenbogenflagge, ähnlich wie auch so mancher CSD, heute nicht längst verkommen zu einem Stück homosexueller Folklore? Zu einem Symbol von Kommerz und schwulen Glitzerwelten, wie sie auch auf diesen zunehmend bedeutungsleer werdenden CSDs gerne präsentiert werden? Welten, in denen als ‘Krönung’ dann gelegentlich zu hören ist, ja, Diskriminierung Schwuler, das gäbe es doch heute gar nicht mehr?
Die schwulen CSD- und Gazetten-Glitzerwelten, sind sie mehr als die Inkarnation von jung – schön – gesund – Geld – Großstadt? Mehr als eine Illusion, ein Trugbild?
Die Regenbogenflagge, auch hier gerne vor sich her getragen, empfinde ich immer mehr als Zeichen aus Welten, die mit der Realität schwuler Männer oft nur wenig zu tun haben.
Realitäten für Schwule und Lesben, das heißt -neben allen Glitzerwelten- 2008 auch
– Neonazis schmieren und drohen am Rostocker CSD, in Stuttgart demonstrieren fundamentalistische Christen gegen den CSD.
– auf das Homo-Mahnmal ein Anschlag verübt wird, das Mahnmal beschädigt, Schwule und Lesben halten unter dem Motto “Respekt immer, Hass nimmer” eine Mahnwache ab, das Mahnmal wird zukünftig (ohne Einsatz von Video-Kameras) vom Wachdienst des gegenüber gelegenen Holocaust-Mahnmals mit bewacht
– immer wieder direkte körperliche Gewalt gegen Schwule, erst jüngst: im Tiergarten wird ein Mann “ins Koma geprügelt”
– eine in Berlin erscheinende Zeitung veröffentlicht einen Hetzartikel gegen Schwule, fordert offen zu Homophobie auf
– immer wieder greifen Hacker mit homophoben Inhalten schwule Internetseiten an (nein, nicht nur mein Blog, jüngst erst mrgayeurope.com).
-usw.
Schöne schwule Glitzerwelt?
Ja, das alte politische Symbol des ‘Rosa Winkel’, es wird mir wieder lieber in dieser Zeit.
Und, ja, es war das Zeichen, in dem sich Repression, Unterdrückung, Vernichtung von Schwulen in den KZs der Nazis manifestierte.
Aber es ist mehr.
Die Verfolgung Homosexueller in der Zeit des Nationalsozialismus fand nicht im luftleeren Raum statt.
Lautmann spricht 1997/2000 davon “die Homosexuellenverfolgung zu einem im Rahmen der NS-Gesellschaft normalen, nicht aber stilbildenden Vorgang herunter[zu]stufen”, und formuliert “Die ns. [nationalsozialistischen, d.Verf.] Maßnahmen sind sozusagen Zutaten, die auf die geltende Antihomosexualität draufsatteln.” (1)
Die Verfolgung der Schwulen im Nationalsozialismus, die sich u.a. im Symbol des Rosa Winkel ausdrückte, fand statt vor dem Hintergrund einer “herrschenden Antihomosexualität”.
Diese Antihomosexuallität gab es -in anderen Ausprägungen- vorher, und sie gab es hinterher. Sie gibt es, in wieder anderer Gestalt, noch heute. Vielleicht mehr verdeckt von Schleiern ‘homosexueller Folklore’ aber nicht minder virulent im ‘Untergrund’, jederzeit wieder sichtbar werden könnend.
Ich überlege, wie weit -mehr als die zunehmend entwertete Regenbogenflagge- der Rosa Winkel (auch, aber nicht nur in Tradition der 1980er Schwulenbegewung) als Symbol des Kampfes gegen diese Antihomosexualität, für freies selbstbestimmtes repressionsfreies schwules Leben stehen kann – auch heute.
Oder?
(1) Rüdiger Lautmann: “Homosexuelle in den Konzentrationslagern – Zum Stand der Forschung”. Vortrag anlässlich der wissenschaftlichen Tagung “Homosexuelle in Konzentrationslagern” am 12./13. September 1997 in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Publiziert in “Homosexuelle in Konzentrationslagern – Vorträge”, Bad Münstereifel 2000
Im Konzentrationslager Buchenwald stellte der dänische KZ-Arzt Carl Vaernet Experimente mit Homosexuellen an. Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen.
Die Emslandlager (u.a. Esterwegen, Börgermoor und insbesondere Neusustrum) stehen für die Region, in der vermutlich die meisten Homosexuellen im Deutschen Reich inhaftiert waren (Hoffschild 1999). Buchenwald hingegen steht u.a. für eine besonders abscheuliche Form der Misshandlung Homosexueller in der NS-Zeit.
In Buchenwald war nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Inhaftierten Homosexuelle (Statistiken sprechen von ca. 500 Homosexuellen unter den insgesamt ca. 240.000 Menschen, von denen ca. 56.000 umkamen). Aber Buchenwald hatte Carl Værnet. Den Arzt, der in Buchenwald Versuche mit Homosexuellen anstellte – der ihnen ‚künstliche Hormondrüsen‚ implantierte, um sie von ihrer Homosexualität zu ‚heilen‘.
Carl Vaernet und die ‚Hormontherapie‘
Carl Værnet wurde am 28. April 1893 als Carl Peter Jensen im kleinen Ort Løjenkær nahe Århus geboren. Er beendete sein Medizinstudium in Kopenhagen im Juni 1923 mit der Bewertung „cum laude“. Kurz zuvor, am 21. November 1921, hatte er die Änderung seines Namens von Jensen in Værnet beantragt (dänisch værne etwa schützen, verteidigen, wehren). Im November 1924 ließ Værnet sich als praktischer Arzt nieder. Er widmete sich u.a. der ‚Kurzwellentherapie‘, baute eine zunächst gut florierende Praxis auf.
Bereits in seiner medizinischen Ausbildung kam Værnet mit Hormonexperimenten in Kontakt. Am Kopenhagener Kommunehospital führte Dr. Knut Sand 1923 bei vier Homosexuellen Hodentransplantationen durch – mit dem Ziel, dass diese sich anschließend vom weiblichen Geschlecht angezogen fühlen sollten. Sand vertrat die Auffassung, Homosexualität könne durch eine gestörte Hormonbalance erklärt werden. Værnet interessierte sich schon bald für Fragen der Hormone, insbesondere der Hypophyse sowie der Keimdrüsen.
1932 lernte Værnet bei einer Reise nach Berlin u.a. auch Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaften kennen. Später äußerte er, hier bei Hirschfeld sei die Grundlage zu seinem ‚Lebenswerk‘ künstliche Hormondrüse entstanden, und zur These Homosexualität könne durch zusätzliche Gabe von Testosteron geheilt werden.
Værnet begann 1934 mit eigenen Forschungsarbeiten, bis 1938 an Mäusen, und entwickelte eine ‚künstliche Drüse‘, eine Kapsel, die in der Leistengegend eingesetzt und kontinuierlich Hormon abgeben sollte.
Carl Vaernet und die Experimente an Homosexuellen im KZ Buchenwald
1941 wurde Værnet, inzwischen Mitglied der dänischen Nazi-Partei DNSAP, von ‚Reichsgesundheitsführer‘ Dr. Leonhard Conti nach Deutschland eingeladen. Im Sommer 1943 – Værnet war u.a. aufgrund von Ermittlungen wegen unberechtigter Abgabe von Morphium an eine Patientin unter Druck – verkaufte er seine Kopenhagener Klinik an die deutsche Wehrmacht. Mit Passierschein der deutschen Wehrmachtskommandantur reisten Værnet und Familie am 6. Oktober 1943 in einer deutschen Militärmaschine nach Berlin aus.
In Deutschland erhalte er, so hatte ihm der Reichsarzt SS Dr. Ernst Grawitz (General der Waffen-SS mit ständigem Kontakt zum Innenminister und ‚Reichsführer SS‘ Heinrich Himmler) versprochen, alle für seine Forschungen erforderliche Unterstützung.
„Dr. V. bitte ich absolut großzügig zu behandeln. Ich selbst möchte monatlich einen 3-4 Seiten langen Bericht, da ich mich für die Dinge sehr interessiere. Zu einem späteren Zeitpunkt möchte ich Vaernet dann auch einmal zu mir bitten.“
Geheimbefehl von Grawitz, 15.11.1943, zitiert nach Stümke / Homosexuelle in Deutschand sowie Günter Grau / Homosexualität in der NS-Zeit
Vaernet erhielt zudem die Zusicherung, dass ihm „in den Konzentrationslagern Häftlinge zur Verfügung gestellt werden“ (zitiert nach Stümke). Dafür verpflichtete er sich, der SS „die alleinige wirtschaftliche Nutzung im In- und Ausland im Lizenzweg zu überlassen„.
Bald schon konnte Værnet Himmler persönlich über seine ‚Forschungen‘ informieren und fand auch aufgrund seiner Hinweise auf die Möglichkeit einer Heilung von Homosexualität interessierte Zustimmung. Nach dem er eingewiligt hatte in den Rang eines ‚Sturmbannführers SS‘ und nach Abschluss eines Vertrages mit der SS konnte Værnet bald seine als ‚geheim‘ titulierte und von der SS großzügig honorierte Arbeit aufnehmen, in Berlin und ab November 1943 in Prag in Laboratorien die überwiegend der SS gehörten (Deutsche Heilmittel GmbH). 1944 wurde Værnet angeboten, Versuche zu Hormonausscheidungen und Hormongaben an verschiedenen Gruppen von (oft aufgrund von Paragraph 175 verfolgten) Homosexuellen zu machen. Im Konzentrationslager Buchenwald.
Zu diesem Zeitpunkt betrachtete Vaernet die Entwicklung seiner ‚künstlichen Hormondrüse‘ als technisch weitgehend abgeschlossen – konkrete Versuche zum Nachweis ihrer Wirksamkeit standen nun an. Die weltweiten Patentrechte an Værnets ‚künstlicher Hormondrüse‘ hielt eine am 5.5.1943 gegründete dänische Firma.
Værnet ergriff die Chance, die sich ihm bot. Versuche mit seiner künstlichen Drüse an KZ-Häftlingen, mit dem Ziel dass diese durch die Einpflanzung ’sexuell normal‘ werden – die Chance, auf die er gewartet hatte. Solche Versuche waren wohl nur in Konzentrationslagern möglich – und konnten dort auch ohne Zustimmung der Betroffenen problemlos erfolgen.
Mindestens viermal hielt sich Værnet 1944 in Buchenwald auf (erstmals am 26.7.1944). Dabei operierte er 17 Männer zwischen 23 und 60 Jahren, 7 ‚Sittlichkeitsverbrecher‘ sowie 10 Homosexuelle. Die erste Operations-Serie fand am 16.September 1944 statt, die zweite am 8. Dezember. Die Versuche sollten u.a. dazu dienen, die ‚Erhaltungsdosis‘ zu bestimmen, und die prinzipielle Wirksamkeit zu prüfen.
Den ‚Probanden‘ wurden subkutan im rechten unteren Bauchbereich unter örtlicher Betäubung eine ‚künstliche Drüse‘ implantiert, die von da an Testosteron abgeben sollte. In der Folgezeit sollte gemessen werden, ob sich sexuelles Verhalten und sexuelle Orientierung wie gewünscht verändern. Den Homosexuellen, an denen die Versuche durchgeführt wurden, wurde bei erfolgreichem Verlauf die Freilassung versprochen. Ein Versprechen, das in keinen einzigen Fall erfüllt wurde. Bei zwei der Operierten besteht eine mögliche Verbindung zwischen der Operation und ihrem baldigen Tod.
In Buchenwald arbeitete Værnet eng zusammen mit Dr. Schiedlausky, Standort-Arzt der Waffen-SS, sowie mit Dr. Erwin Ding. In Buchenwald wurden Homosexuelle häufig als Versuchspersonen für zahlreiche medizinische Experimente genutzt – u.a. auch für die berüchtigten Versuche Dr. Dings mit der tödlichen Infektionskrankheit Flecktyphus. Værnet selbst berichtete am 10. Februar 1945 Heinrich Himmler über seine Arbeiten und legte einen abschließenden Bericht vor (den er diesem widmete ‚in tiefster Bewunderung und unverbrüchlicher Treue‚). Von Grawitz erhielt er erneut finanzielle Mittel für die Fortsetzung seiner Arbeiten.
Carl Vaernet – nach 1945 nicht belangt
Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen. Im Rahmen der sog. ‚Ärzteprozesse‘ des Amerikanischen Militärtribunals in Nürnberg [vgl. Memorium Nürnberger Prozesse] wurden seine Versuche in Buchenwald zwar mehrfach angesprochen, er selbst jedoch nicht angeklagt.
Bekannt wurden Værnets Versuche in Buchenwald schon bald nach dem Krieg. Ernst Kogon, selbst dort als politischer Gefangener, schildert die Versuche in Buchenwald schon 1946 in seinem Buch „Der SS-Staat“. Und ab 1947 tauchten Berichte über Værnets Versuche in Buchenwald in der dänischen Presse auf.
Værnet war schon in den letzten Kriegsmonaten (im März 1945) nach Dänemark zurückgekehrt. Spätestens seit Ende 1945 arbeitet er wieder an seinem ‚Lebenswerk‘, der künstlichen Hormondrüse, trat in Kontakt mit Pharmaunternehmen (u.a. Schering und DuPont) und erhielt dänische und US-Patentrechte. Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen sowie Berichten des dänischen Widerstands ermittelte die dänische Polizei bald gegen ihn. Doch mit wenig Nachdruck, auch wenn Anfang 1946 schließlich die Anklageerhebung wegen ‚Landesverrats und anderer staatsgefährdender Tätigkeiten‘ erfolgte. Schlimmer noch, Værnet gelang (u.a. mit Unterstützung des argentinischen Legationsrats Pineyro) Ende 1946 die Flucht aus Dänemark. Über Schweden konnte er nach Brasilien und im Sommer 1947 weiter nach Argentinien gelangen. Dort arbeitet er schon bald wieder am Physiologischen Institut.
Carl Vaernet starb am 25. November 1965 und ist gemeinsam mit seiner Frau Gurli auf dem Británico-Friedhof in Buenos Aires begraben.
Erst im März 1998 brachten Peter Tatchel und die britische Schwulengruppe OutRage! Bewegung in die Causa Værnet. Sie richteten ein Schreiben an den damaligen dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen, in dem sie in zahlreichen konkreten Fragen um Aufklärung über Flucht und (fehlende) Schritte der dänischen Regierung baten. Zwar reagierte das dänische Justizministerium erst eineinhalb Jahre später (am 6. Juli 1999), und mit der abschlägigen Mitteilung, man sei „nicht im Besitz irgendwelcher Informationen über Carl Værnet“. Dennoch wurden die Archive in Sachen Værnet geöffnet – und bildeten die Grundlage für das äußerst lesenswerte Buch von Davidsen-Nielsen (s.u.).
Værnets ‚Versuche‘ sind weit mehr als ’nur‘ gruselige Experimente an einer kleinen Zahl homosexueller Männer, die deren Schädigung bewusst mit einschlossen. Sie sind Ausdruck einer Haltung, Menschen von Homosexualität heilen zu wollen, zu müssen – und sie haben bewusst „Spekulationen der Nazi-Führung von einer ‚Endlösung‘ der Homosexuellenfrage befördert“ [Davidsen-Nielsen]. Værnets Versuche waren ebenso wie Sterilisationen und Kastrationen Teil einer (insbesondere auch in der Homophobie Himmlers zum Ausdruck kommenden) Terrorpolitik gegen Homosexuelle.
Das Gedenken an ehemalige KZs in Deutschland kann auch anders, weniger verleugnend, offensiver erfolgen als im Emsland (wie dort in Esterwegen, Börgermoor und Neusustrum) – die Gedenkstätte für das ehemaligen KZ Wöbbelin macht es vor.
Das KZ-Außenlager Wöbbelin (bei Ludwigslust) bestand nur kurze Zeit (10 Wochen). Es wurde ab 15. Februar 1945 durch Gefangenen aus dem KZ Neuengamme errichtet. Es war eines der ‘Evakuierungslager’, mit Bedingungen die ähnlich kastastrophal waren wie in Bergen Belsen. Belegt wurde es mit über 5.000 KZ-Gefangenen, die in den berüchtigten ‘Todesmärschen’ u.a. aus dem Männerlager des KZ Ravensbrück hierher verlegt wurden. Am 2. Mai 1945 wurde es durch Soldaten der 82. US-Luftlandedivision befreit.
Einer der später bekannten Insassen des KZ Wöbbelin: der Filmproduzent Gyula Trebitsch.
Die juristische Aufarbeitung dieses KZ-Außenlagers verlief in Westdeutschland peinlich. Sie begann erst 1967 und wurde 1976 ergebnislos eingestellt.
Die Gedenkstätte für das KZ wurde 1965 errichtet und in der heutigen Form 2005 neu gestaltet. Sie gehört zur Mahn- und Gedenkstätte Wöbbelin.
2021/22 wurde der hintere Teil der Gedenkstätte (frühere Häftlingsbaracken) neu gestaltet.
“Hier in dieser öden Heide ist das Lager aufgebaut, wo wir ferne jeder Freude hinter Stacheldraht verstaut.” (Moorsoldatenlied)
Das KZ Esterwegen, schon im Sommer 1933 eingerichtet, war neben dem KZ Börgermoor und dem KZ Neusustrum eines der ersten KZ überhaupt, die die Nazis errichten ließen.
Das Lager Esterwegen ist das bekannteste der sogenannten Emslandlager. Esterwegen selbst war von 1933 bis August September 1936 Konzentrationslager (danach Verlegung nach Sachsenhausen), danach ebenfalls (wie zahlreiche andere Emslandlager) Strafgefangenenlager.
Zu den bekannteren Insassen von Esterwegen gehörten der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky, der SPD-Politiker Julius Leber, Wilhelm Leuschner, Ernst Heilmann, der Kabarettist Werner Fink.
Bekannt wurden die Emslandlager insbesondere auch durch das ‘Lied der Moorsoldaten’ (Johann Esser & Wolfgang Langhoff). Es entstand 1933 jedoch (entgegen weit verbreiteter Annahme) nicht in Esterwegen, sondern im nahe gelegenen KZ Börgermoor.
Esterwegen war ein so genanntes ‘Muster-Lager’ – es diente als Vorbild für den Bau weiterer KZs in Nazi-Deutschland. Und – die Existenz des KZ Esterwegen war keineswegs ein Geheimnis im Umland. Im Gegenteil, es finden sich Berichte in der Presse, der Papenburger Karnevalsverein kam ebenso zu Besuch wie eine internationale Juristen-Kommission, und Frauen aus der Umgebung berichteten später dem Dokumentationszentrum, sie seien in ihrer Jugend zu Tanz und Kino ins Lager gekommen (in den Bereich der Wachmannschaften).
Nach dem Krieg wurde Esterwegen zunächst Lager für Internierte und frühere ‘Gauleiter’, Strafanstalt, Flüchtlings-Durchgangslager (1953-59) und als Wohnanlage für Justizbedienstete, von 1963 bis 2001 dann als Bundeswehr-Bekleidungsdepot benutzt. Die originalen Baracken wurden mit der Auflösung des Lagers 1959 versteigert (z.B. an Städte im Umland für Schulen, sowie an Bauern), der Rest in den 60er Jahren abgerissen. An Erhaltung, gar Gedenken dachte man nicht – nicht nur damals.
Die Bäume entlang der ehemaligen Lagerstraße sind heute das einzig ‘Authentische’.
Gedenken an das KZ Esterwegen beginnt -’offiziell’ erst 1980. Ein Schüler fragte zunächst sich, warum denn am Standort des ehemaligen KZ nichts daran erinnerte, und dann das Bundesverteidigungsministerium als Nutzer der Liegenschaft. Das Verteidigungsministerium ließ dann 1980 vor dem Eingang zum ehemaligen KZ einen Gedenkstein aufstellen:
1994 folgten dann zwei weitere Gedenksteine – auf Initiative des ehemaligen ‘Moorsoldaten’ Georg Gumpert. Sie wurden rechts hinter dem Eingangstor aufgerichtet und erinnern an Carl von Ossietzky sowie an die ‘Hölle im Moor’:
Die Gedenkstätte Esterwegen ist noch im Aufbau (vorläufiger Betrieb seit 2006; Ausbau zur Gedenkstätte 2008 begonnen) und derzeit nur gelegentlich sonntags im Rahmen von Führungen zugänglich. Seit Herbst2007 befindet sich auf dem ehemaligen Bundeswehr-Depot-Gelände (außerhalb des ehemaligen KZ-Geländes, nahe dem ehemaligen Sportplatz der Wachmannschaften) ein kleines Kloster.
Dokumente:
Erwin Schulz berichtet über seine Zeit in den KZ Esterwegen und Börgermoor (Video)
‘Was geschah in dern Emslandlagern?‘ Schülerinnen und Schüler der Klasse 3b der Grundschule Friedrichsfehn stellen Fragen zur Gedenkstätte Esterwegen und zu den Emslandlagern (2005) NS-Gedenkstätten und Dokumentationszentren in der Bundesrepublik Deutschland
Die ‘Gedenkstätte Esterwegen’ ist von der Bundesstraße aus ausgeschildert. Da die Gedenkstätte noch im Aufbau ist, sind Besichtigungen derzeit nur im Rahmen von Führungen möglich. Diese finden i.d.R. am ersten und dritten Sonntag im Monat statt, 2008 noch am 17. August sowie 7. und 14. September.
Schon in meiner Schulzeit haben mich die ‘Moorsoldaten’ beschäftigt, ihre Geschichte, die des KZ Esterwegen, die Ossietzkys. Erst viel später habe ich erfahren, dass die Emslandlager auch einer der wesentlichen Orte des NS-Terrors gegen Schwule waren.
Damals (in meiner Schulzeit in den 70ern) war Esterwegen wenig mehr als ein nicht zugängliches Bundeswehr-Gelände ‘mit Geschichte’, umgeben von Moor, das weiterhin ringsum abgebaut wurde (und wird).
Es ist befremdlich, heute, 2008, 63 Jahre nach Befreiung von Faschismus und NS-Terrorherrschaft zu erleben, dass eine KZ-Gedenkstätte immer noch ‘im Aufbau’ befindlich ist.
Besonders sehenswert und anrührend dagegen ist das Projekt der Grundschulklasse (“‘Was geschah in den Enslansdlagern?‘) – anklicken! Und – ein gutes Beispiel, was durch entsprechend engagierten und fächerübergreifenden Unterricht alles möglich ist …
Juni 1933 – der Bau des Konzentrationslagers Börgermoor beginnt, des ersten der später so genannten ‘Emslandlager’. Das Ziel zunächst: “1.000 in Schutzhaft befindliche Marxisten aus dem Ruhrgebiet” zu internieren. Die Gefangenen des Lagers werden als billige Arbeitskräfte bei der Kultivierung des Moores benutzt.
Börgermoor und das Lied der Moorsoldaten
27. August 1933 – das ‘Lied der Moorsoldaten’ wird erstmals aufgeführt (am Ende einer Kulturveranstaltung , die von Häftlingen organisiert war). Es stammt von Johann Esser und Wolfgang Langhoff (Text) sowie als Komponist Rudi Goguel, alle drei als Kommunisten Zeil der politischen Gefangenen im Lager. Alle drei überlebten die NS-Zeit.
Ein Chor aus 40 Gefangenen des KZ Börgermoor singen es an diesem Tag zur ‘Aufmunterung’ beim Lager-eigenen Theaterabend ‘Zirkus Konzentrazani’. Bereits zwei Tage später wird das Lied vom Lagerkommandanten verboten.
Das ‚Lied der Moorsoldaten‚ erreicht enorme Popularität – und gilt bald als die ‚Hymne des NS Widerstands‚.
Selbst die gegen Diktator Franco kämpfenden Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg singen es.
Lager Börgermoor – genutzt bis in die 1960er Jahre
April 1934 – das KZ Börgermoor wird aufgelöst und an die preußische Justizverwaltung übergeben. Es wird bis Kriegsende als Strafgefangenenlager weitergeführt. Ab 1942 waren hier überwiegend von Wehrmachtgerichten verurteilte Soldaten inhaftiert, 1944 mehrere Hundert ‘Nacht-und-Nebel-Gefangene’.
Am 10. April 1945 wurden die Gefangenen zu einem Todesmarsch nach Aschendorfermoor gezwungen.
Nach 1945 wird das Lager Börgermoor als Flüchtlingslager genutzt, später als Justizvollzugsanstalt (Strafanstalten Emsland, Abteilung Börgermoor).
In den 1960er Jahren werden die Lagerbaracken abgerissen.
Leiter des Lagers Börgermoor war von April 1938 bis Februar 1941 der von den Gefangenen wegens eines Sadismus gefürchtete Wilhelm Rohde (1890 – ?). Er wurde am 21. Februar 1950 vom Landgericht Berlin zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 31.Oktober 1959 wurde das Urteil aufgehoben und Rohde ‚wegen Mangels an Beweisen‘ freigesprochen. Er erhielt weiterhin seine Beamtenpension.
Börgermoor – kaum Gedenken an die ‘Moorsoldaten’
Bei einem Besuch 2008 erinnert an dieses KZ, an eines der ersten KZ in Deutschland überhaupt (u.a. neben Neusustrum und Esterwegen), an den Entstehungsort der ‘Moorsoldaten’ fast nichts.
An der Bundesstraße 401 findet sich ein kleines Hinweisschild ‘Ehemaliges Lager Börgermoor’ – welches sich kurz nach Überqueren des Küstenkanals linkerhand befand.
Das ehemalige Lagergelände wurde lange von einer Gärtnerei genutzt. An das Lager erinnern – leicht übersehbar – eine kleine Texttafel und ein Findling mit einigen Textzeilen aus den ‘Moorsoldaten’. Sonst nichts.
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Der Zustand des Ortes, an dem sich eines der ersten KZ in Deutschland befand, ist mehr als peinlich. Und er ist (ähnlich wie der Zustand am ehemaligen KZ Neusustrum) deutlicher Ausdruck davon, wie es um die Gedenk-Kultur an dieses Kapitel deutscher Geschichte in der Region bestellt ist.
Besonders befremdlich ist es, wenn auf der Erinnerungstafel noch heute zu lesen ist „Im Strafgefangenenlager waren bis Kriegsbeginn vorwiegend – auch nach heutigen Maßstäben – als ‘Verbrecher’ Einzustufende inhaftiert” … ob die ‘Marxisten aus dem Ruhrgebiet’, oder die dort inhaftierten Homosexuellen dies auch so gesehen haben? Auch der Folgesatz „Daneben gab es weiterhin politische Gefangene und durch neue Verordnungen Kriminalisierte” ist da wenig tröstlich …
Sustrumermoor ist eine dieser beschaulichen kleinen Siedlungen nahe der niederländischen Grenze. Kirche und Feuerwehr, Schule mit Sportplatz, Siedlungshäuser der 50er und 60er Jahre. Eine Siedlung im emsländischen Hochmoor, einige Straßen nur. Wenige Erwachsene spazieren auf den Straßen, Kinder fahren im Kettcar vorbei. Sonntägliche Ruhe und Beschaulichkeit. Sustrumermoor ist eine unauffällige Siedlung.
Mit den Nachbargemeinden ist Sustrumermoor -wie viele dieser kleinen Siedlungen im äußerst westlichen Emsland– verbunden durch die Nord-Süd-Straße. Sie durchzieht, ebenso ruhig und unauffällig, das Hochmoor, weitgehend dem Verlauf der nahen Grenze zu den Niederlanden folgend.
Die Nord-Südstraße wurde von Häftlingen gebaut. Häftlingen der nahe gelegenen Konzentrations- und Strafgefangenen-Lager. Eines dieser Lager war das ‘Lager V Neusustrum‘. Es war das dritte der berüchtigten Emslandlager.
Das Lager Neusustrum war derjenige Ort in Deutschland, an dem in der NS-Zeit die meisten Homosexuellen inhaftiert waren.
Das Lager Neusustrum lag am Rand es heutigen Ortes Sustrumermoor. Gedenken, Gedenken an die furchtbare Geschichte dieses Ortes, an das Lager, an die Inhaftierten, die Verfolgten, die Homosexuellen, findet nur am Rande statt. In bizarrem Umfeld.
KZ und Strafgefangenenlager Neusustrum
1933. Das Lager Neusustrum wird am 1. September als drittes KZ im Emsland nach Börgermoor und Esterwegen fertiggestellt (Anordnung durch das Preußische Innenministerium am 20. Juni 1933), mit Platz für 1.000 Gefangene (laut [B] 2.000). Mit dem Bahnhof Dörpen war das Lager Neusustrum durch eine Schmalspur-Lorenbahn verbunden, die von den Gefangenen auch ‚Moorexpress‘ genannt wurde. Erste Gefangene treffen im Oktober in Neusustrum ein [B].
Die Leitung übernimmt am 3. August 1933 (andere Quellen: 27 September) SS-Obersturmführer Emil Faust, der zuvor schon im KZ Esterwegen durch besondere Grausamkeit aufgefallen war. Faust (geb. 3.11.1899 Oberlahnstein) bleibt Lager-Leiter bis November 1933, ging später zur ‚Organisation Todt‘. Faust wurde 1949 in Emden – Uphusen verhaftet und am 2. November 1950 vom Schwurgericht Osnabrück zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt. 1952 erfolgte eine weitere Verurteilung zu sechs Jahren Zuchthaus, seine lebenslange Strafe wurde „auf dem Gnadenweg“ umgewandelt in 20 Jahre, die Faust in Lingen / Ems verbüßte. [B]
Das KZ-System wird bald schon neu geordnet. Einige Emslandlager werden als KZ aufgelöst und anders verwendet. Das KZ Neusustrum wird am 3. April 1934 der preußischen Justizverwaltung übergeben, und fungiert ab diesem Zeitpunkt als Strafgefangenenlager.
Die Strafgefangenenlager unterstehen nun SA-Obersturmbannführer Werner Schäfer, Kommandantur Papenburg (zuvor Kommandant KZ Oranienburg). Die Lager werden im Zuge dieser Umorganisation neu nummeriert, Neusustrum wird ab Frühjahr 1935 ‚Lager V‘. 1937/38 wird es auf 1.500 Gefangenenplätze vergrößert.
Etwa 66.500 Strafgefangene wurden allein in die nördlichen Strafgefangenenlager im Emsland zwischen 1934 und 1945 eingeliefert. Zuständig für Organisation und Leitung der Strafgefangenenlager im Emsland war Werner Schäfer.
Am 4. April 1945 wurden die letzten Gefangenen aus dem Lager Neusustrum in das Lager Aschendorfermoor verlegt. Nach Kriegsende wurde das Lager Neusustrum bis 1950 von der Justizstrafanstalt Lingen zur Unterbringung von Gefangenen genutzt. Die Baracken wurden anschließend abgerissen. Auf dem Gelände der früheren Häftlingsbaracken befindet sich heute der Sportplatz der Schule.
Homosexuelle in Neusustrum
Das Lager Neusustrum war derjenige Ort in Deutschland, an dem in der NS-Zeit die meisten Homosexuellen inhaftiert waren.
Stümke / Winkler zitieren 1981 in ‚Rosa Winkel, Rosa Listen‘ einen ‚Bericht von C.M., der als Politischer von Februar bis Juni 1940 in Neusustrum ‚Lager V‘ war‘:
„Das Lager V hatte zu dieser Zeit dreitausend bis viertausend Häftlinge, etwa die Hälfte davon Homosexuelle. … Die Gefangenen trugen keine Markierung durch wuinkel, so dass man nicht unmittelbar erkennen konnte, wer homosexuell war. … In meiner Baracke waren ca. dreihundert Menschen untergebracht, davon etwa die Hälfte homosexuell. Die Gefangenen kamen hauptsächlich aus Hamburg.“
Stümke/Winmkller zitieren weitere Zeitzeugen mit abweichenden Beobachtungen:
„Ein anderer Zeuge, er war dort 1936/38 inhaftiert, gab an, das im sleben Lager ca. 20% schwul waren und auch in anderen, umliegenden Lagern viele Homosexuelle gefangen waren.“
„Ein weiterer Zeuge gibt an, dass ‚im Moorlager 5 Neusustrum ein drittel der Häftlinge zur Gruppe der Homosexuellen gehört‘ [hat] (Harthauser 1967, S. 26f)“
Zwar sprechen selbst neuere Dissertationen erstaunlicherweise von ‘Einzelfällen’ von Homosexuellen in den Emslandlagern [Lüerßen]. Andererseits befanden sich Hoffschild zufolge “an keinem Ort im Deutschen Reich mehr Homosexuelle in Haft … als in den Emslandlagern” [Hoffschild 1999, S. 35, zitiert nach Bührmann-Peters]. Andere Berichte [Dissertation Bührmann-Peters ‚Deliktstatistik‘ S. 159, Daten jeweils für unterschiedlich kurze Zeiträume] sprechen von einem Anteil von 1,1% bis 9,9% Homosexuellen an allen Insassen der Emslandlager.
“Insgesamt wurden die Gefangenen, die aufgrund ihrer Homosexualität in Gefängnissen und Zuchthäusern saßen, häufiger in die Emslandlager “überwiesen” als andere Gefangene. Das heißt die als homosexuell Inhaftierten wurden einem als besonders brutal und abschreckend geltenden Strafvollzug ausgesetzt.” (Quelle)
Auch wenn die homosexuellen Opfer in den Emslandlagern vermutlich überwiegend namenslos sind – einige Schicksale sind doch bekannt, so z.B.
Walter Timm, 1938, der später in Sachsenhausen war,
Luis Schild (1898 – 1935) [B],
Wilhelm C. (geb. 1915) [C],
Hans Bielefeld,
Paul Gerhard Vogel [5],
Rudolf Kruse (pdf),
Max Lenz (Stolpersteine),
Arnold Bastian (pdf) Stolperstein (dort Verweis Aschendorfermoor),
Heinrich Erich Starke [3] [4] [5],
Georg W. (pdf),
Heinrich Peter Roth (pdf) [4] Stolperstein Hamburg, Steindamm 91,
Max Stephan (pdf),
Gustav Schreiber (Seite aus Google Cache, Vortrag pdf hier, Stolperstein (der auf Börgermorr verweist)),
Besonders viele Homosexuelle waren im Lager V in Neusustrum inhaftiert.
„Im Lager Neusustrum behandelt man Menschen ‘schlimmer als Vieh’, wie es in einem 1950 gesprochenen Urteil gegen den ehemaligen Lagerleiter Emil Faust heißt“ (Kurt Buck).
Bei der Ankunft in Neusustrum wurden die Gefangenen (nach [4]) von der SS begrüßt
„Ihr Arschficker! Euch werden wir jetzt schon den Arsch aufreißen! Ihr werdet was erleben!„
Harry Pauly erinnert sich (in [4]; ausführliche Erinnerung auch in Stümke/Winkler/ Rosa Winkel, Rosa Listen S. 298 – 301):
„Ich glaube, daß ich eingegangen, richtig kaputtgegangen wäre, wenn mir nicht andere geholfen hätten.„
Die im Lager Neusustrum Verstorbenen sind auf dem Friedhof Bockhorst / Esterwegen beigesetzt.
Das ehemalige KZ und Strafgefangenenlager Neusustrum heute
Heute erinnert nur wenig an das Lager Neusustrum.
Der von den Häftlingen angelegte Lager-Park (u.a. Gelände der Baracken der Wachmannschaften) ist heute noch gut zu erkennen, ebenso der am nördlichen Ende gelegene Teich.
Am südlichen Ende des Parks, die Informationstafel passierend, findet man noch heute ein 1934 von der SA errichtetes ‘Denkmal’, eine von Findlingen umgebene Säule. Das auf der Säule in einem Rundbogen befindliche Hakenkreuz wurde nach dem Krieg durch ein ‘Niedersachsenross’ ersetzt.
Die ehemalige Texttafel wurde entfernt, an gleicher Stelle befindet sich ein (nach Buck wahrscheinlich in den 70ern angebrachter) Text: ‘Niedersachsens stolzes Pferd, sage mir was sind wir wert? Dein Geist und meine Kraft haben hier Wüsten fruchtbar gemacht.’ [Wessen Geist diesen Ort schuf, und wessen Kraft das Moor hier urbar machte, wird nicht erwähnt.]
Nahe dem Kreuz befinden sich drei Gedenktafeln. Auf einer der beiden Gedenktafeln links ist zu lesen „In den Jahren 1947 bis 1960 haben in Sustrum-Moor Siedler aus verschiedenen teilen Deutschlands eine neue Heimat aufgebaut. Wir gedenken der Opfer von Krieg und Vertreibung“. Die Gedenktafel rechts des Kreuzes wurde 1995 von ehemaligen polnischen Gefangenen angebracht.
An die homosexuellen Gefangenen und Verfolgten erinnert (außer der Erwähnung des Begriffs Homosexuelle auf der Informationstafel) nichts an diesem Ort.
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Es ist erschreckend, diesem Ort zu begegnen. Ein Ort der Geschichtsklitterung und Schönfärberei, des Nichtwahrhabenwollens und Verdrängens – und der Verleugnung von Kriminalisierung und Verfolgung auch von Homosexuellen.
Dass an diesem Ort (wie an so vielen im Emsland) die eigene Vergangenheit beschönigt und wo möglich verdrängt wird, scheint in der Region eine nicht gerade untypische Umgangsweise zu sein. Dass hier noch heute ein NS-Denkmal, bizarr und geschichtsverfälschend pseudo-’entnazifiziert’ unkommentiert stehen kann, erschreckt. Dass an diesem für die Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller in NS-Deutschland so bedeutenden Ort noch heute kein Gedenken an diese homosexuellen NS-Opfer zu finden ist, bestürzt.
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Anresie / Ortsbeschreibung: Das Gelände des ehemaligen Lagers Neusustrum ist auch angesichts des Fehlens jeglicher Hinweisschilder etwas schwer zu finden. Die Nord-Süd-Straße von Rhede Richtung Süden fahrend, rechts bei km 49,1 in den Ort ‘Sustrumermoor’ fahren. Nach einigen Metern sieht man rechts die Kirche, links die Feuerwehr. Vor der Feuerwehr nach links abbiegen auf die Teichstraße (ehemaligen Lagerstraße). Nach wenigen Metern sieht man rechterhand ein Kreuz und einige Gedenktafeln, gelegen in einer Parkanlage (dem ehemaligen Gelände der Baracken der Wachmannschaften). Auf der gegenüber liegenden Seite befindet sich ein Sportplatz – dort befanden sich die Häftlingsbaracken.
Dokumente: [A] Kurt Buck: ‘Auf der Suche nach den Moorsoldaten. Emslandlager 1933 – 1945 und die historischen Orte heute’, 6. erweiterte Auflage, Papenburg 2008 [B] ‘”Wir sind die Moorsoldaten” – Die Insassen der frühen Konzentrationslager im Emsland 1933 – 1936′, Dissertation Dirk Lüerßen, Osnabrück 25. Mai 2001 [C] ‘Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht – Militärgerichtlich Verurteilte in den Emslandlagern 1939 – 1945′, Dissertation Frank Bührmann-Peters, Osnabrück Sommersemester 2002 [D] Carola von Bülow: ‘Die Verfolgung von homosexuellen Männern im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland am Beispiel der Emslager’, in: ‘Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus – Beitrage zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland’, Edition Temmen, o.J. (Inhaltsverzeichnis als pdf hier) [E] ‘Der Umgang der nationalsozialistischen Justiz mit Homosexuellen’, Dissertation Carola v. Bülow, Oldenburg 10.07.2000
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Aktualisierung 03.04.2013: Auch der Schauspieler Harry Pauly, auch bekannt als Pauline Courage, war 15 Monate im KZ Neusustrum inhaftiert. Er berichtete, dass „ca. 20% schwul waren“. 14.04.2013: Der Berliner Ingenieur Rolf Krappe wurde am 13. Januar / 6. Oktober 1938 (Revision) zu 2 Jahren Gefängnis und Aberkennung des bürgerlichen Ehrenrechts für 5 Jahre verurteilt. Bei Erreichen des Strafendes wurde er am 3.3.1940 aus Neusustrum entlassen. [1] 04.04.2014: Dokumente / Internet-Angaben und Links aktualisiert, Gliederung überarbeitet
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[1] Andreas Sternweiler: ‚Freundschaft und Solidarität‚, in: Müller / Sternweiler: Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin 2000 [2] Hamburg auf anderen Wegen: Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer [3] Stefan Micheler 1999: „… eben homosexuell, wie andere Leute heterosexuell.“ Der Fall Heinrich Erich Starke [4] Rosenkranz / Lorenz: Hamburg auf anderen Wegen: Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt. Hamburg 2012 [5] Hergemöller: Mann für Mann: biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Münster o.J. [6] Andreas Sternweiler (Hg.): Pfadfinderführer und KZ-Häftling: Heinz Dörmer. Berlin
Erst vor einem Monat (am 27. Mai) wurde das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht. Kulturstaatsminister Bernd Neumann verkündete bei der Eröffnung noch, diese müsse ja leider erfolgen ohne dass noch eines der Opfer anwesend sein könne. Nun hat sich doch ein Überlebender gemeldet – Rudolf Brazda, der als Homosexueller im KZ Buchenwald inhaftiert war und inzwischen in Frankreich lebt.
Bei der Einweihung des Denkmals schien es, kein Homosexueller aus der Zeit des Naziterrors habe mehr die späte Einweihung des Denkmals erleben können. Doch Rudolf Brazda, heute 95 Jahre alt, las von eben diesem Denkmal in der französischen Presse – und meldete sich (über seine Tochter) beim LSVD. Von 1941 bis 1945 war Brazda im KZ Buchenwald. (wo seit 2006 ein Gedenkstein an die homosexuellen NS-Opfererinnert).
Nach dem Krieg zog er nach Süddeutschland, wo er 35 Jahre mit seinem Freund (der 2002 verstarb) zusammen lebte.
Rudolf Brazda – einer der letzten Homosexuellen, die Verfolgung und Terror der Nazis überlebten. Am Samstag 28.6.2008, zum Berliner CSD, soll Brazda in Berlin in einer Gedenkfeier am Denkmal geehrt werden. Bereits heute besuchte er zusammen mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit das Denkmal.
Alexander Zinn ehrte Brazda in einer von der Frankfurter Rundschau dokumentierten Rede: “Rudolf Brazda: ‘Das Glück kam immer zu mir’“.
Rudolf Brazda wurde auf der Mitgliederversammlung des Lesben- und Schwulen-Verbands Deutschland (LSVD) – Berlin-Brandenburg am 1. November 2008 zum Ehrenmitglied des Verbandes ernannt. Im April 2011 wurde er zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt.
Rudolf Brazda, geboren am 26. Juni 1913 in Brossen (heute Meuselwitz, Thüringen), starb am 3. August 2011 in Bantzenheim (Oberelsass).
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Text leicht ergänzt am 17.01.2016 von ondamaris auf 2mecs
Der aufmerksame Beobachter kann in Berlin zwischen dem Bahnhof Südkreuz (früher: Papestraße) und der Kolonnenbrücke ein seltsames Objekt entdecken, den Schwerbelastungskörper .
Der erstaunliche Beton-Klotz, mehr als haushoch, doch fensterlos, ist ein stiller Zeuge eines besonderen Größenwahns: der ‘ Schwerbelastungskörper ’ von Berlin-Tempelhof.
Einst plante Albert Speer im Auftrag Hitlers den Umbau Berlins zur ‘Reichshaupstadt Germania‘. Teil dieses gigantomanischen Plans war eine 120 Meter breite ‘Nord-Süd-Achse’, die Berlin vom Wedding bis Tempelhof durchziehen sollte. Südlicher Abschlusspunkt dieser Achse sollte ein riesiger Triumphbogen sein (etwa in Höhe der heutigen Kolonnenbrücke): 170m Breite, 140m Höhe – fast dreimal so groß wie der Arc de Triomphe in Paris.
Doch leider – Berlin ist auf Sand gebaut, genauer auf Mergel (Ton-Sand-Kalk-Schichten). Und ob der Berliner Boden eine dermaßen große Baumasse tragen könnte, war unklar. Speers Lösung: die Bodenbelastung, die der Boden trage konnte, musste in einem Versuch gemessen werden. Hierzu wurde 1941 von ‘Dyckerhoff & Widmann’ und u.a. unter Einsatz französischer Kriegsgefangener für 400.000 Reichsmark aus Beton der ‘ Schwerbelastungskörper ’ gebaut – als technischer Versuchsbau, um die Belastbarkeit des Baugrunds vor Ort zu prüfen.
12.360 Tonnen Beton, 14 m über und 18m unter der Erde, 21m Durchmesser – der Versuch zur Analyse der Bodenbelastung hat beeindruckende Dimensionen.
Die Bauarbeiten am Triumphbogen wurden nie begonnen. Die Ergebnisse der Tests mit dem Schwerbelastungskörper konnten erstmals nach dem Krieg 1948 ausgewertet und veröffentlicht werden – der Boden hatte sich innerhalb von zweieinhalb Jahren um 19,3 cm gesenkt. Die Messungen wurden bis 1977 fortgesetzt (durch die Deutsche Gesellschaft für Bodenmechanik DeGeBo, die seit den 1920er Jahren an den Versuchen beteiligt war und heute als Institut der TU Berlin angegliedert ist).
Seit 1995 ist der Schwerbelastungskörper offiziell Denkmal. 2007 bis 2009 wurde der Schwerbelastungskörper saniert, das umliegende Areal neu gestaltet (Gesamtkosten knapp 1 Mio. €). Ein Informations-Pavillon wurde gebaut, auf dem Körper eine Ausssichtsplatform errichtet. Am Tag des Denkmals 2009 (12. September 2009) wurde der Informationsort (Ecke General-Pape-Str. und Loewenhardtdamm) eröffnet.
Detail-Infos zum Schwerbelastungskörper auch in einem Info-Blatt des Vereins Berliner Unterwelten (pdf).
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