Das Oberlandesgericht Oldenburg (damals geleitet von Ekhard Koch (1902 Jever – 2000 Oldenburg)) entschied 1946, dass die Paragraphen 175 und 174a Nazi- Unrecht seien.
Urteil des OLG Oldenburg vom 15.4.1946 (SJZ 1946, 96) (HESt 1, Nr. 131, S. 295 – 298)
Ähnlich urteilten die OLGs Braunschweig und Kiel 1947 (vgl. Herzer 1990).
Bei der Rechtsbereinigung mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 55 (20. Juni 1947) wurden diese dann jedoch nicht in die Aufhebungsanordnung einbezogen.
„Zunächst ist zu bedenken, dass nach 1945 in erster Linie nur die Judenverfolgung und „herrisches Gehabe“ als spezifisch nationalsozialistisch galten. Die Verfolgung von Homosexuellen, politischen Gegnern, „Asozialen“sowie die Sterilisation von Geisteskranken z.B. wurden nicht als nationalsozialistisch begriffen.“
Peter Bahlmann, Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Wiederaufbau der Justiz und frühe NS-Prozesse im Nordwesten Deutschlands. Dissertation, 2008
Seit Januar 2016 hat die Hansestadt Lübeck ein Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle in Lübeck.
Auch in Lübeck wurden in der NS-Zeitschwule Männer verfolgt, im Zeughaus gefoltert, teilweise in Lager gebracht. Gedacht wurde ihrer in Lübeck bis Ende 2015 offiziell nicht. Seit 23. Januar 2016 gibt es das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle in Lübeck:
Lübeck hat seit 1986 eine Gedenkstätte für die Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Sie ist in Lübeck der zentrale Ort des Gedenkens und Erinnerns . Auch in Lübeck wurden Homosexuelle verfolgt (z.B. Massenverhaftung von 230 Männern am 23. januar 1937). Dennoch wurden Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt wurden, bis 2016 nicht auf der Gedenkstätte erwähnt.
Um diese bisherige Nicht-Erwähnung zu ändern, initiierte der Verein ‚Lübecker CSD e.V.‚ 2014 die Erweiterung ‚Gedenkstätte für Verfolgte des Nationalsozialismus‘ um ein Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle in Lübeck. Der Text an dieser Gedenkstätte lautete bis Ende 2015
„Dem Gedenken der Lübecker Bürger, die in den Jahren 1933 bis 1945 aus politischen, religiösen und rassischen Gründen Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden. Ihr Leidensweg begann in vielen Fällen hier, in den Haftzellen der Geheimen Staatspolizei im Keller des ehemaligen Zeughauses.“
Das Lager Versen ist eines der heute weniger bekannten ehemaligen Emslandlager. Nach 1945 wurde es als Strafgefangenen-Lager genutzt – auch für Homosexuelle, die wegen Vergehen nach Paragraph 175 verurteilt wurden.
Lager Versen – 1938 bis 1945
Im Sommer 1938 wurde das ‚Lager Versen‚ als ‚Lager IX‚ der Emslandlager errichtet, für geplant 1.500 Häftlinge. Im Sommer 1939 war es mit 900 Häftlingen belegt.
Josef Meisinger wurde am 14. September 1899 in München geboren und am 7. März 1947 in Warschau hingerichtet. Meisinger war ab Errichtung 1936 bis in das Jahr 1938 Leiter der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung – und damit neben Carl-Heinz Rodenberg eine der zentralen Figuren der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit.
Nach zwei Jahren als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg arbeitete Josef Meisinger zeitweise zunächst in München bei einer Bank, bevor er ab 1922 bei der Polizei München (zeitweise bei der ‚Sitte‘) tätig war.
Carl-Heinz Rodenberg (Schreibweisen auch: Karl-Heinrich oder Karl-Heinz) wurde am 19.11.1904 in Heide geboren und starb 1995 im Odenwald. Carl-Heinz Rodenberg war ab 1943 wissenschaftlicher Leiter der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung – und damit eine der zentralen Figuren der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit.
Carl-Heinz Rodenberg studierte Medizin und promovierte 1930 an der Universität Marburg (Dissertation). Im April 1932 trat er der NSDAP sowie der SA bei und wurde 1933 Mitarbeiter des ‚Rassenpolitischen Amtes‚ der NSDAP. Bei der SS erreichte er später den Rang des ‚Obersturmbannführer‘ (Offiziersrang, vergleichbar etwa einem heutigen Oberstleutnant).
Am 4. August 1982 wurde das 1942 eingeführte Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich abgeschafft.
Zu Zeiten des Ancien Regime wurde ‚Sodomie‘ kriminalisiert. Seit dem Ende des Ancien Régime, seit der Revolution 1789 waren homosexuelle Handlungen in Frankreich straffrei.
Der französische Philosoph Voltaire hatte schon 1777 formuliert
„Die Homosexualität, solange sie ohne Gewalt betrieben wird, darf nicht gesetzlich bestraft werden. Sie verletzt das Recht keines einzigen Menschen.“
Voltaire in Le Prix de la Justice et de l’Humanité, 1777
1791 wurde die vorher bestehende Kriminalisierung beeendet, seit der französischen Revolution erwähnen Gesetze homosexuelle Praktiken nicht mehr. Weder der Code penal von 1791 noch derjenige von 1810 erwähnen Homosexualität.
Damit war Frankreich – ganz anders als z.B. Deutschland oder Großbritannien – eines der ganz wenigen Länder in Europa, die Homosexualität seit 1791 nicht kriminalisierten.
Allerdings bestanden weiterhin Gesetze zum ‚Schutz der öffentlichen Sittlichkeit‘ (bes. code penal von 1870, Art. 330 und 331) – die eine Basis auch für die Verfolgung schwuler Männer bzw. deren ‚anstößigen‘ öffentlichen Verhaltens boten.
Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich – eingeführt 1942 von Pétain
Homosexuelle wurden in Frankreich seitdem und bis zum Beginn der Vichy-Regierung unter Marschal Philippe Pétain nicht strafrechtlich verfolgt. Erstmals seit der französischen Revolution wird ein Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich 1942 wieder eingeführt
Admiral François Darlan, damals Vizepräsident des Staatsrats, schrieb in einer Geheim-Note über die ‚Repression der Homosexualität‘ am 17. April 1942
„Meine Aufmerksamkeit wurde gelenkt auf eine bedeutende Homosexualitäts-Affäre, in die Marine-Soldaten und Zivilisten verstrickt sind. Ich halte eine energsche Unterdrückung dieserlei Aktivitäten für unbedingt erforderlich …“
Auf Grundlage dieser Note wurde von Pétain am 6. August 1942 eine Verordnung (Gesetz Nr. 744 vom 6. August 1942; veröffentlicht am 27. August 1942) verfügt. Durch eine Veränderung des Artikel 334 des Code penal wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen eingeführt [2]:
„Mit Gefängnis zwischen 6 Monaten und 3 Jahren sowie einer Geldstrafe … wird bestraft, wer … zur Befriedigung seiner Passion einen oder mehrere schamlose oder widernatürliche Akte mit einem Gleichgeschlechtlichen unter 21 Jahren begangen hat.“ [1]
Mit einem weiteren Gesetz vom 8. Februar 1945 wird beim ‚Schutzalter‘ zwischen heterosexuellem (Schutzalter 15 Jahre) und homosexuellem Verkehr (21 Jahre) unterschieden.
Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich – übernommen von de Gaulle
Nach dem Ende des Vichy-Regimes und der Befreiung Frankreichs enthält das französische Strafrecht, der Code Penal, mit der (auf Antrag eines christdemokratischen Abgeordneten verabschiedeten) Verordnung vom 8. Februar 1945 (nun als Artikel 331) die Bestimmung, dass
„mit Gefängnis zwischen 6 Monaten und 3 Jahren sowie einer Geldstrafe … [bestraft wird], wer einen schamlosen oder widernatürlichen Akt mit einem Individuum seines Geschlechts unter 21 Jahren begangen hat.“ (Gesetzestext: „Sera puni d’un emprisonnement de six mois à trois ans et d’une amende de 60 FF à 15000 FF quiconque aura commis un acte impudique ou contre nature avec un individu de son sexe mineur de vingt et un ans.“)
Die Regelung nach 1945, nach der Befreiung vom Faschismus, bereits unter der Regierung von de Gaulle, ist nahezu im Wortlaut identisch mit der Pétains von 1942 – eine Kontinuität, die Hocquenghem kommentiert, man müsse den Text „wohl das Pètain-De Gaulle – Gesetz nennen„.
Weitere repressive Maßnahmen gegen Homosexuelle folgen. So formuliert Artikel 16 des ‚Allgemeinen Beamten-Statuts‘ (19.Oktober 1946), dass ’niemand für den öffentlichen Dienst nominiert werden könne, der nicht eine gute Moralität habe‘. Mit Anordnung vom 1. Februar 1949 untersagt der Präfekt von Paris Männern das Tragen von Frauen-Kleidern bei Bällen außerhalb des Karnevals. Und auf Betreiben der katholischen Jugendbewegung folgt am 16. Juli 1949 ein Pressegesetz, in dem erstmals in Artikel 2 ein neues Delikt eingeführt wird, die ‚Demoralisierung durch die Presse‘. Es wird in den folgenden Jahren zu einer Grundlage für weitreichende Zensurmaßnahmen gegen homosexuelle Presseerzeugnisse.
Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich – Schwule als ’soziale Plage‘
Nach de Gaulles Rückkehr an die Macht 1960 wird ein weiterer Vorstoß der Verschärfung unternommen: Paul Mirguet (1911 – 2001), für seine Homophobie bekannter Abgeordneter der UNR (Gaullisten) aus Metz, beantragt einen Zusatz, mit dem Homosexualität gesetzlich den „gesellschaftlichen Plagen“ (fléaux sociaux; wie Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Tuberkulose etc.) gleichgestellt werden soll.
Dieses ‚Amendement Mirguet‚ wurde auf der Sitzung der Assemblée Nationale am 18. Juli 1960 verabschiedet (pdf; 323 Ja-Stimmen, 131 nein) und am 30. Juli 1960 verkündet. Es blieb bis zum 27. Juli 1982 in Kraft.
Die Schwulenbewegung reagiert auf ihre eigene Art: der FHAR Front homosexuel d’action révolutionaire gibt 1972 die Zeitschrift le fléau social heraus. Ihr Name spielt direkt auf Mirguets Amendement an. Nur vier Ausgaben erscheinen 1972, gefolgt von der zeitschrift Antinorm (1972 – 1974).
Unter Präsident de Gaulle folgt im November des gleichen Jahres, Mirguet folgend, ein weiteres Gesetz, das sich mit Homosexualität befasst: das Gesetz über die öffentliche Verletzung des Schamgefühls. Seit dem 25. November 1960 lautet Artikel 330 Absatz 2:
„Wenn die öffentliche Verletzung des Schamgefühls aus einem widernatürlichen Akt mit einem Individuum des gleichen Geschlechts besteht, so ist die Strafe Gefängnis zwischen 6 Monaten und 3 Jahren sowie eine Geldstrafe in Höhe von 1.000 bis 15.000 Francs.“ [1]
Erstmals wird jetzt zwischen heterosexueller und homosexueller ‚Verletzung des Schamgefühls‘ unterschieden: bei Heteros liegt die (niedrigere) Geldstrafe zwischen 500 und 4.500 Francs.
Gesetz gegen Homosexuelle in Frankreich abgeschafft – François Mitterrand
Erst 1980 wird Artikel 330 Absatz 2 im Rahmen einer Neudefinition verschiedener sexueller Straftaten völlig aufgehoben (wesentlich forciert vom radikalsozialistischen Abgeordneten Henri Caillavet (1914 – 2013)).
Im Mai 1977 forderten 80 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Zeitung ‚Le Monde‘ eine Revision des Code pénal. Zu den unterzeichnern zählten u.a. Louis Althusser, Jean-Paul Aron, Roland Barthes, Simone de Beauvoir, Jean-Louis Bory, Copi, Gille Deleuze, Jacques Derrida, Michel Foucault, Felix Guattari und Jean-Paul Sartre. Doch die Streichung sollte noch über 4 Jahre dauern …
François Mitterrand hat die Streichung dann auf dem Fest zum zweijährigen Bestehen der Zeitschrift Gai Pied im legendären ‚Le Palace‘ ankündigen lassen – vom Schriftsteller Yves Navarre:
„Ich möchte Ihnen hiermit zu dem Engagement und dem notwendigen Erfolg Ihrer Demonstration vom 4.4.1981 ebenso gratulieren wie zu Ihrem heutigen Festtag. Ich bin in Gedanken bei Ihnen. Der Kampf für Ihre Sache und Frohsinn gehören zusammen. Ich bitte Yves Navarre für mich zu bezeugen, dass ich mich Ihrer Suche nach einer neuen Form menschlichen Zusammenlebens mit Sympathie anschließe. Hindernisse, die dem entgegenstehen, müssen gegebenenfalls durch gesetzgeberische Maßnahmen beseitigt werden. Mit freundlichen Grüßen, Ihr François Mitterand.„
Bereits kurz nach Mitterrands Wahl ergeht Anordnung an die Polizei, Homosexuellen-Treffpunkte und Bars nicht mehr besonders zu kontrollieren. Eine entsprechende Sondereinheit der Polizeipräfektur Paris wird aufgelöst. Die französische Regierung teilt mit, die UN-Klassifikation von Homosexualität als Krankheit nicht mehr anzuerkennen.
Mitterrands Ankündigung der Strafrechtsreform folgten Taten. Am 20. Dezember 1981 betonte der damlige Justizminister Robert Badinter von dem Parlament
„L’Assemblée sait quel type de société, toujours marquée par l’arbitraire, l’intolérance, le fanatisme ou le racisme a constamment pratiqué la chasse à l’homosexualité. Cette discrimination et cette répression sont incompatible avec les principes d’un grand pays de liberté comme le nôtre. Il n’est que temps de prendre conscience de tout ce que la France doit aux homosexuels comme à tous ses autres citoyens dans tant de domaines.“ (Dem Parlament ist bewußt, welche Art von Gesellschaft, immer noch von Willkür, Intoleranz, Fanatismus oder Rassismus geprägt, Jagd auf Homosexualität gemacht hat. Diese Diskriminierung, und diese Unterdrückung vertragen sich nicht mit den Prinzipien eines großen Landes der Freiheit wie dem unsrigen. Es ist nur noch Zeit sich dessen bewußt zu werden was Frankreich auf so vielen Gebieten Homosexuellen verdankt wie auch all seinen anderen Bürgern.)
Mit dem Gesetz Nr. 82-683 vom 4. August 1982 (von der Nationalversammlung verabschiedet am 27. Juli 1982) unter der Präsidentschaft von Francois Mitterrand (gewählt 10. Mai 1981; gestorben 8. Januar 1996) wird schließlich die 1942 eingeführte und 1945 bestätigte Ungleichbehandlung und das Strafrecht gegen Homosexuelle abgeschafft und eine einheitliche gleiche Altersgrenze von 15 Jahren eingeführt. Das Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich war endlich (wieder) ad acta gelegt.
Das französische Fernsehen berichtete über die Abschaffung, der Journalist und Moderator Didier Varrod (damals Generalsekretär Radiosender Fréquence Gaie) erläuterte (Neu-veröffentlicht 2017 INA):
Abschaffung des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle in Frankreich – Debatte in der Assemblée nationale am 27. Juli 1982, Video
Im folgenden Video ist ab ca. Minute 3:30 der damalige Justizminister Robert Badinter zu hören, der den Antrag auf Abschaffung des Strafrechts gegen Homosexuelle in Frankreich begründet:
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Bei einer Veranstaltung der Vereinigung Frankreichs der LGBT+-Anwälte am 22. Juni 2022 anläßlich des 40. Jahrestags der Abschaffung äußerte sich Robert Badinter
„Je ne suis pas content parce que les gays des pays occidentaux qui bénéficient de ces lois qui s’imposent et bien ont obtenu le pacs, le mariage, je trouve qu’ils ne sont pas assez mobilisés pour les communautés homosexuelles discriminées. Je trouve qu’il n’y a pas assez de sensibilité aux autres. Parce qu’on a réglé le problème ici on est indifférent aux problèmes des autres ? J’en appelle à cette mobilisation. Gays de tous les pays mobilisez vous ! Ce n’est pas parce que c’est terminé ici que ce fléau de la répression de l’homosexualité doit subsister.„ (‚Ich bin nicht glücklich, weil die Schwulen in westlichen Ländern, die von diesen notwendigen Gesetzen profitieren und die Lebenspartnerschaft, die Ehe bekommen haben, sich wie ich finde nicht genug für die diskriminierten homosexuellen Gemeinschaften einsetzen. Ich finde, es gibt nicht genug Sensibilität für andere. Weil wir das Problem hier gelöst haben, sind uns die Probleme anderer gleichgültig? Ich rufe zur Mobilisierung auf. Schwule aller Länder werdet aktiv! Diese Geißel der Unterdrückung der Homosexualität darf nicht fortbestehen.‘ [Übers. UW])
“ Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 “ – am 22. Juli 2013 wurde die Ausstellung eröffnet, mit der sich Hamburg als erstes Bundesland überhaupt der Aufarbeitung der Homosexuellen-Verfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 widmet.
Homosexuellen-Verfolgung endete nicht 1945. Der von den Nazis 1935 verschärfte §175 hatte in der Bundesrepublik auch nach 1945 in der verschärften Fassung weiterhin unverändert seine Gültigkeit. Und er war auch in Hamburg Hintergrund für eine Homosexuellenverfolgung, die auch nach 1945 anhielt – bis weit in die 1970er und selbst die beginnenden 1980er Jahre hinein, auch in Hamburg. Ein prägnantes Beispiel hierfür: Klappen-Verbote und die so genannte ‘Hamburger Spiegel-Affäre‘.
Hans Hirschberg starb am 28. Dezember 1943 im Alter von 31 Jahren – möglicherweise bei dem Versuch, nach der KZ-Haft wegen §175 seiner Verlegung in eine Tötungsanstalt zu entgehen. Seit 2012 erinnert ein Stolperstein an ihn.
Hans Hirschberg
Hans Kurt Albert Hirschberg wurde am 2. Februar 1912 in Altona [4] geboren. Hans Hirschberg lebte in Altona und im Hamburger Stadtteil St. Pauli.
Dort arbeitete er als Stricher / Strichjunge. Er wurde mehrfach verhaftet und kam 1938 in ‚Schutzhaft‘ in das KZ Fuhlsbüttel (vgl. Beispiele aus dem KZ Neuengamme: Häftlingsart Homo). Aufgrund von Vergehen gegen den 1935 verschärften Paragraph 175 ((a), Ziffer 4, „gewerbsmäßige Unzucht“) wurde Hirschberg verurteilt.
Später wurde Hans Hirschberg als „schwachsinnig“ in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn eingewiesen. Dort wurde er sterilisiert (s.u.). [1]
Hirschberg heuerte auf dem HAPAG-Versorgungsschiff ‚Oldenburg‘ (8.597 BRT) an, das für die Wehrmacht fuhr. Auf diese Weise, hoffte er vielleicht, könne er aufgrund „Frontbewährung“ vorzeitig aus Langenhorn entlassen werden. Möglicherweise wollte er sich so einer Verlegung aus Langenhorn in eine Tötungsanstalt entziehen [2].
Hans Hirschberg starb am 28. Dezember 1943 in der Nordsee nördlich von Bergen / Norwegen (Stadlandet) auf dem Versorgungsschiff ‚Oldenburg‘, das von einem Torpedo (des britischen U-Boots Seadog) getroffen wurde und sank.
Seit April 2012 erinnert ein Stolperstein an Hans Hirschberg, verlegt in Altona an seinem früheren Wohnort Gilbertstraße 24 (heutiger Straßenname [3], früher: Gustavstraße 24, II Stock).
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Stolperstein Hans Hirschberg
Der Text des im April 2012 verlegten Stolpersteins für Hans Hirschberg:
Hier wohnte Hans Hirschberg Jg. 1912 Mehrmals verhaftet zuletzt 1938 KZ Fuhlsbüttel eingewiesen 1938 Heilanstalt Langenhorn „Frontbewährung“ Tot 28.12.1943
Im Erdgeschoß des Hauses, vor dem der Stolperstein Hans Hirschberg liegt, informiert seit Herbst 2018 eine (auf diesem Text basierende) Tafel über Hirschberg:
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Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn
Die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn war Teil des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms (siehe Mordaktion T4). Im Rahmen dieses Programms wurden zwischen 1933 und 1945 über 100.000 Menschen ermordet.
Die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn war ab 1936 die einzige große Institution in Hamburg für psychisch Kranke. Sie war die zentrale ‚Drehscheibe‘ in Hamburg für Deportationen in Tötungsanstalten. Mindestens 4.097 Fälle von Deportationen Geisteskranker und Behinderter (oder als solcher Erklärter) aus Langenhorn in Tötungsanstalten sind bisher dokumentiert. 3.755 von ihnen wurden ermordet.
Auf dem Gelände der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn befindet sich heute die Asklepios Kinik Nord – Ochsenzoll. Seit Mai 2009 erinnert dort eine Gedenktafel (vor Haus 42) an die Deportation und Tötung von Patienten.
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Sterilisation Homosexueller in der NS-Zeit
Die Sterilisation / Kastration Homosexueller war Bestandteil der ’nationalsozialistischen Rassenhygiene‘. Besonders eingesetzt für die Frage der Kastration Homosexueller hat sich Carl-Heinz Rodenberg, der dafür u.a. 1942 eine Anerkennung Himmlers für „überzeugende Aufsätze“ erhielt. Rodenberg war ab Juli 1943 „wissenschaftlicher Leiter“ der ‚Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‚.
Bei Personen, die nach Reichsstrafgesetzbuch Paragraph 175 rechtskräftig verurteilt waren, konnten gemäß Änderungsgesetz vom 26. Juni 1935 (des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“) Kastrationen vorgenommen werden, wenn „sie nach amts- oder gerichtsärztlichem Gutachten erforderlich“ waren, um die Person „von einem entarteten Geschlechtstrieb zu befreien“, und wenn der Betreffende in diesen Eingriff ‚einwilligte‘.
Viele verurteilte Homosexuelle stimmten „freiwillig“ ihrer Kastration zu (sahen sich de facto dazu gezwungen), um einer (erneuten) Einweisung in Straflager oder KZ zu entgehen.
Ab 1942 wurden in KZ auch Zwangs-Kastrationen ‚legalisiert‘.
Eine weitere Verschärfung wird ab 1942 geplant: das „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“ sieht vor, dass Zwangs-Sterilisation / Zwangs-Kastration / Entmannung nun vom Richter bei Verurteilungen nach den §§ 175 und 175a (als so genannte ‚Sittlichkeitsverbrecher‘) angeordnet werden kann ohne ärztliches Gutachten und ohne Einwilligung des Betroffenen. Nach Erarbeitung mehrerer Entwürfe bis 1944 soll das Gesetz per 30. Januar 1945 in Kraft treten, kriegsbedingt kommt es nicht mehr dazu.
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Schöpfer des Projekts Stolpersteine ist der Künstler Gunter Demnig. Die Hamburger Initiative ‚Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer‘ wurde von Bernhard Rosenkranz † und Ulf Bollmann Anfang 2006 ins Leben gerufen.
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Lesezeichen: „Wege in den Tod – Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus“, Hamburg 1993 Hinz&Kunst 29.04.2010: Von der Kneipe ins KZ
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[1] Quellen im Staatsarchiv Hamburg sind vor allem eine Strafakte (213-11, 2839/36 und eine Patientenakte der Staatskrankenanstalt Langenhorn,352-8/7, Abl .1995/2 Nr. 22976. [2] Die Gefahr der Verlegung aus Langenhorn in eine Tötungsanstalt war auch für Homosexuelle konkret, vgl. zum Beispiel Schicksal Alfred Beckmann [3] Als Spätfolge der Altonaer Eingemeindung von 1937 wurden um 1950 zahlreiche Straßen in Altona umbenannt. [4] Altona war damals eine selbständige Stadt in Holstein, kam erst im April 1937 mit dem Groß-Hamburg-Gesetz zu Hamburg
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Danke an Ulf Bollmann / Initiative „Gemeinsam gegen das Vergessen – Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer“ für Informationen zu Hans Hirschberg.
Verfolgung Homosexueller nach 1945 : in der Bundesrepublik ist sie bisher kaum aufgearbeitet. Gleich mit einem vierfach starken Zeichen geht nun Hamburg voran.
Die Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit von 1933 bis 1945 wird seit Jahren nach und nach aufgearbeitet. In manchen KZ-Gedenkstätten finden sich Tafeln oder Gedenksteine für verfolgte Homosexuelle. Seminare und Bücher untersuchen Aspekte der Verfolgung Homosexueller. Im Mai 2008 wurde in Berlin das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht.
Ganz anders die Verfolgung Homosexueller nach 1945 . Aufarbeitung: bisher weitgehend Fehlanzeige, besonders Aufarbeitung von offizieller Seite. Der berüchtigte Paragraph 175 (§175) galt in der Bundesrepublik (anders als in der DDR) weiterhin, in der von den Nazis 1935 verschärften Fassung. Justiz und Polizei verfolgten Homosexuelle weiter intensiv, ermittelten, klagten an, verurteilten zu Geld- und Haftstrafen, erfassten Schwule in Rosa Listen. Dieser Teil der Homosexuellen-Verfolgung, die Verfolgung Homosexueller nach 1945 , ist weitestgehend nicht aufgearbeitet.
Die Homosexuellenverfolgung insbesondere mittels des Paragraphen 175 endete nicht 1945. Und diese Verfolgung durch Polizei und Justiz ist noch weitgehend unaufgearbeitet und verdrängt. Hamburg macht nun als erstes Bundesland den Anfang: mit der für den Juli 2013 geplanten und an bemerkenswertem Ort gezeigten Ausstellung „Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945“, die systematisch die Verfolgung von Homosexuellen nach 1945 durch die eigene Polizei und Justiz thematisiert. Die Ausstellung wird durch die Justiz-Senatorin eröffnet, der Polizeipräsident hält den Festvortrag.
Der §175 hatte in der Bundesrepublik auch nach 1945 in der von den Nazis 1935 verschärften Fassung seine Gültigkeit. Und er war der Hintergrund für eine Homosexuellenverfolgung , die auch nach 1945 anhielt – bis weit in die 1970er und selbst die beginnenden 1980er Jahre hinein, auch in Hamburg. Ein prägnantes Beispiel hierfür: Klappen-Verbote und die so genannte ‚Hamburger Spiegel-Affäre‚. Jahrelang wurden Besucher zahlreicher öffentlicher Toiletten der Hansestadt von Polizeibeamten bespitzelt, durch Einwegspiegel mit dahinter liegenden kleinen Kabinen. ‚Ertappte‘ Schwule wurden erfasst, teils strafrechtlich verfolgt, in ‚Rosa Listen‘ erfasst, mit ‚Klappen-Verbot‘ belegt. Erst eine Aktion engagierter Schwuler Anfang Juli 1980 (!) machte diese Überwachungs-Praxis publik und sorgte letztlich für ihre Beendigung.
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