„Die Losung des Augenblicks hieß ‚No Future‘. Das war nicht als Klage, sondern als Feststellung gemeint.“
(Heinz Bude, Abschied von den Boomern, 2024)
„Punk war … nicht in erster Linie ein Ändernwollen, wie vorher bei den 68ern …Punk war eine Manifestation der nackten Realität. Und gleichzeitig eine Möglichkeit, diese Realität zu beschreiben. Einen Ausdruck für die Gedanken und Gefühle zu finden, die durch diese Realität erzeugt wurden. …
In Wahrheit war Punk also gar keine Bewegung, sondern eine Ansammlung von zum Individualismus neigenden Einzelwesen, die jedem sozialen Gefüge misstrauten.“
(Jürgen Teipel, Verschwende deine Jugend, 2001)
London calling ? ! – zwei Reisen nach London. Ja, Ulli war auch in London – obwohl immer Frankreich- und Paris-Liebhaber.
Zwei London-Reisen werden mir wohl Zeit meines Lebens in besonderer Erinnerung bleiben:
1. Meine erste London-Reise, kurz nach Abitur und Militärdienst 1979, eine der ersten Reisen alleine. Eine Überfahrt mit dem Fährschiff von Bremerhaven (kurz darauf lebte ich 1979 bis 1982 in Bremerhaven), hoher Seegang, stolz mich nicht übergeben zu müssen. Billige Pension. Herumirren in einer Stadt, zu der ich keinen Zugang finde.
Zwei wesentliche Erinnerungen, schneller Sex mit ’nem attraktiven Chinesen auf dem Klo eines Restaurants, und ein super geiles Clash-Konzert (ein Jahr später, am 12. Mai 1980, geben sie auch ein Konzert in Hamburg, in der ‚Markthalle‘). ‚Mein erstes Punk Konzert‘, ein Zufalls-Treffer, ich gestehe, aber Zufalls-Volltreffer damals, im Marquee-Club. London Calling.
„Als Nummer zwei der Londoner Punk-Bands hatten die Clash immer die Aufgabe, den Rätseln der Sex Pistols einen Sinn zu geben …“
Geblieben zudem als dauerhaftes Souvenir, tief vergraben irgendwo in einem der Schränke, die damals dort auch gekaufte ‚Miss You‘ Single der Stones.
2. Viele Jahre später. Frank und ich machen zusammen mit einem Freund und einer Bekannten eine kleine homosexuelle Reisegruppe namens ‚Homo Reizen‚. Eine der zahlreichen Reisen führt uns nach London, mit dem Zug, über Zeebrugge. Und – es ist Streik. Die Fähre geht nicht mehr, nicht mehr heute. Übernachten in Zeebrugge, in einem bereit gestellten Zug. Auf der Rückfahrt ein ähnliches Spektakel, überfüllter Zug, unsere Plätze sind trotz Reservierung belegt. Die spanische Mutti mit ihren Kindern scheint nichts zu verstehen. Doch wir haben Jean-Claude dabei, neben vielem anderen auch Sprachgenie. Er spricht mit ihr, vermutlich – wir verstehen nichts, können nur seine Gestik und ihre Reaktionen deuten – recht deutlich. In einer Vielzahl Sprachen, und er beherrscht so einige. Irgendwann, sichtlich hat er einen Nerv getroffen bei ihr, steht sie auf, schnappt ihre Kinder und ihr Gepäck – und wir haben unsere Sitzplätze von Zeebrugge bis Köln.
London. Wie gesagt, einen rechten Zugang habe ich nie gefunden zu dieser Stadt. Ganz im Gegensatz zu Paris.
… in Erinnerung an ein einst sehr geschätztes Etablissement in Köln …
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Buschwindröschen Köln (1992 – 2000)
Seinen Namen fand es auch aus seiner Lage – in der Buschgasse in der Kölner Südstadt. Es brachte buntes schwules lesbisches Leben in die Südstadt von Köln – was lag da näher als sich das Buschwindröschen zum Namensgeber zu nehmen? Von einem Kollektiv geführt, entwickelte es sich ab der Eröffnung im Herbst 1992 bald zu einem blühenden Herzen des bunten queeren Lebens in Köln.
Es hatte Ahnen, so die autonome schwule Kneipe in einem besetzten Haus am Mauritiuswall 16 – 18 (‚der geile Punkt‚). Das Haus wurde am 30. Juni 1992 von der Polizei geräumt und sofort abgerissen. Oder das Autonome Zentrum Weißhausstraße (schwullesbische Kneipe ‚Rosa Rüssel‚). Oder den Bauwagenplatz.
Mit dem Umzug des Buschwindröschen von der Buschgasse 18 an die Bonner Straße 84 folgte ein Aufbau von Strukturen, Betreiber wurde der Verein ‚Maria HIV e.V.‚. Doch der Umzug brachte einen Bruch – das Publikum folgte dem Buschwindröschen nicht mit an den neuen Ort.
Am 20. April 2000 fand in Köln das fulminante (interne) Abschiedsfest für das legendäre Buschwindröschen Köln statt … das in einem Polizeieinsatz endete … (siehe Graswurzel-Bericht unten). Einen derart bunten unkonformistischen queeren Ort hat Köln danach nicht wieder aufbauen können …
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weitere Informationen: graswurzel.de (ca. April 2000): Polizeiübergriff in Köln: “Komm raus du schwule Sau!”
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und in der Schweiz sind’s die „hemmli-glunggi“ (einer der das Hemd nicht in der Hose trägt) – danke Michelle!
Liquid Sky – der New Wave Film von Slava Tsukerman aus dem Jahr 1982 wird in New York längst als legendärer Kultfilm betrachtet – in Deutschland ist er inzwischen nahezu unbekannt. 2018 wurde eine restaurierte Fassung in 4K Abtastung auf BluRay veröffentlicht.
Director Slava Tsukerman and actor Anne Carlisle at a screening of Liquid Sky at the Quad Cinema, New York City, May 28, 2017 – Pburka – CC BY-SA 4.0
Liquid Sky
In einem Apartment mit Dachterrasse in Manhatten lebt ein lesbisches Paar. Margaret, aus Conneticut stammend, ist enttäuscht von New York. Ihre mit Heroin (im US-Slang: Liquid Sky) dealende Freundin Adrian ist Musikerin und Performance Künstlerin, spielt auf einer Rhythm Box, die sie sich umgehängt hat.
Auf Margarets Balkon landet ein tellergroßes Ufo. Nicht weiter besorgniserregend, doch … die Außerirdischen, denen Johann, ein deutscher Wissenschaftler schon auf der Spur ist, haben ein seltsames Bedürfnis. Sie ernähren sich von Endorphinen, genauer sie verschlingen Margarets männliche Sex-Partner im Moment von deren Orgasmus. Margaret selbst überlebt – sie kommt nie zum Organmus mit Sexpartner_innen, an denen sie nicht wirklich interessiert zu sein scheint. Und das bisexuelle Modell ist bereit den Aliens reichlich Nahrung zuzuführen … während unterdessen der asexuell erscheinende deutsche UFO-Forscher versucht, die Aliens einzufangen und zu untersuchen.
Tsukerman selbst sagt über Liquid Sky
„My basic idea behind Liquid Sky was creating a parable which would include most of the hot mythical topics of the period: sex, drugs, rock ’n’ roll, violence, aliens from the outer space. The story of Cinderella was the basic … This story was very often used in traditional Hollywood, as the embodiment of the American dream: the American Cinderella always finds her Prince Charming. I thought that the post-punk Cinderella of the ‘80s wouldn’t be able to find her prince among the men surrounding her. Her Prince Charming, ironically, would come in a small flying saucer from outer space.“
Liquid Sky – ein queerer Science Fiction ?
Ein Avantgarde – Science Fiction in fast Warhol-artigem Stil. Post Punk gemischt mit New Yorks New Wave – Szene der frühen 1980er Jahre. Gedreht überwiegend tatsächlich in Neon-Beleuchtung. Eine Filmmusik, die die Club-Szene und den baldigen ElectroClash beeinflusste. Ein Aufeinandertreffen von Sexualitäten jenseits starrer Geschlechterrollen, Drogenkonsum und Cybertech. Ein ‚science fiction queer movie‚ ?
„Whether or not I like someone doesn’t depend on what kind of genitals they have.” (Margaret zu Paul, der sie fragt ob sie auch mit Frauen Sex habe)
„who we are is a cretive act„
(Anne Carlisle in einem Interview 2017)
Anne Carlisle spielt in beeindruckender Weise in Doppelrolle sowohl das bisexuelle biologisch weibliche Modell Margaret als auch den drogengebrauchenden biologisch männlichen androgynen Jimmy.
Liquid Sky – ein ‚Film vor Aids‘ ?
Orgiastische Sexualität, Drogen und Tod. Ein Film über ‚orgamsms killing people‚ – auch eine Metapher auf die sehr frühen Jahre der Aids-Krise?
Sätze wie „doesn’t that mean orgasms are dangerous“ oder „I’m killing all the people that I fuck“ können – von später, vonn den Aids-Jahren aus betrachtet – auch anders als ’nur‘ queeerer Science Fiction gelesen werden. Der Schluß des Films, wenn nach und nach immer mehr Neon-Lichter verlöschen, wird so auch zu einem Abgesang auf eine Zeit vor Aids.
Slava Tsukerman wurde 1940 in Moskau geboren. Die einzige Filmschule des Landes nahm jährlich nur 15 neue Schüler auf – er war nicht dabei. Stattdessen studierte er Technik, näherte sich dem Film von dieser Seite. Begann mit Wissenschafts-Dokumentationen. 1961 erster Film I Believe in Spring.
1973 emigieren Tsukerman und seine Ehefrau Nina Kerova, ausgebildete Schauspielerin, nach Israel. Mit einem der dort realisierten Dokumentarfilme nimmt er an einem Filmfestival in den USA teil – und entdeckt New York als ‚Zentrum der kulturellen Freiheit‚.
1976 ziehen beide nach New York. Zunächst dreht er zahlreiche Dokumentarfilme, oft über die Zeit des Endes der Sowjetunion.
Anne Carlisle
Anne Carlisle studierte in New York Fine Arts. Bei einem Casting lernte sie Slava Tsukerman kennen.
2017 kommentierte sie Liquid Sky, in dem Film seien viele Personen darmaturgisch verdichtet, so auch ein Bekannter, der sie immer ‚chicken woman‚ nannte. Zu möglichen Bezügen zur baldigen Aids-Krise bemerkte sie „they were dying of Aids, but nobody knew what it was yet.“
Nach Liquid Sky und einigen kleineren rollen machte Carlisle ihren Master in Art Therapy. Sie arbeitete mit Aids-Patienten, später Obdachlosen.
Liquid Sky – Produktionsnotizen
Der Film hatte ein sehr begrenztes Budget von etwa einer halben Million US-Dollar bei 28 Drehtagen. Teile des Films wurden in Tsukermans damaligem Apartment in Manhatten gedreht. Nahezu die Hälfte des Materials wurde unter Neon-Licht gedreht (was sich bei der Restaurierung als Herausforderung erwies).
Anekdote am Rand: während des Putsches im August 1991 soll dem unter Arrest gestellten Gorbatschow und seiner Frau Raisa ein wenig Unterhaltung gestattet worden sein – der Film Liquid Sky.
In New York und anderen Städten der USA lief der Film vier Jahre in einzelnen Kinos. Auch international war der Film ein großer Erfolg, besonders in Japan und West-Deutschland.
Liquid Sky war lange Zeit nahezu nicht zu sehen. Eine VHS, später Laser Disc Version und DVD waren m.W. nur in den USA erschienen und längst vergriffen. Im Streaming ist er nicht verfügbar. Im Kino waren keine Kopien mehr, einzig Tsukermans private Kopie wurde sehr selten in New York gezeigt.
Bis 2018. Der Film erschien im März 2018 in restaurierter Fassung in Kinos (in den USA) sowie im April 2018 als BluRay (USA, Region 0). Dafür wurde der Film nicht nur restauriert, sondern neu abgetastet in 4K – Auflösung vom 35mm-Negativ und farbkorrigiert.
Tsukerman und Carlisle arbeiten zudem an einem Konzept für ein Sequel.
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Liquid Sky
USA 1982, 112 Minuten
Regie Slava Tsuzkerman
Kamera & sepcial effects Yuri Neyman
Buch Slava Tsukerman, Anne Carlisle, Nina V. Kerova
Produktion Nina V. Kerova
Darsteller_innen Anne Carlisle, Paula E. Sheppard, Susan Doukas, Otto von Wernherr, Bob Brad
Musik Slava Tsukerman, Brenda I. Hutchinson, Clive A. Smith
Uraufführung August 1982 Montreal World Film Festival Kinostart USA 15. April 1983 Kinostart West-Deutschland 14. Oktober 1983
1982 Special Jury Price, Montreal World Film Festival
Special Jury Prize for Visual Impact, Cartagena Film Festival
Audience Award, Sydney International Film Festival
Special Prize of the Jury, Brussels International Film Festival
Special Jury Prize, Manila International Film Festival
In London und New York entstand in den 1970er Jahren der Punk – eine Zeit des Endes des Nachkriegs- Aufschwungs und des Erstarkens rechter Kräfte (British National Front).
Punk wurde ein Musik- Stil, um den sich eine Jugendkultur entwickelte.
„75 hörte ich Radio, irgendein Fachmann brabbelte über das, was 1979 passieren würde, wenn es 800.000 Arbeitslose gäbe, während ein anderer sagte, dann entstünde Chaos, es würde auf den Straßen regelrechte – Anarchie geben. Das waren die Wurzeln des Punk. Das wusste man.“
Bernhard Rhodes, Manager der Clash (in: Greil Marcus: Lipstick Traces)
„When there’s no future How can there be sin“
Sex Pistols, God Save The Queen, 1971
In der englischen Sprache bedeutet punk – Dreck, Mist
Punk bringt in Musik und Gestus Widerstand gegen die Gesellschaft im allgemeinen und gegen Rechtsextremismus insbesondere zum Ausdruck.
„Punk, so wie ich das verstanden habe, war ein Anti-Hippie-Ding. Eine Anti-Harmonie-Haltung. Experimentelle Selbstermächtigung, Krach, die Anstrengung, das eigene Unbehagen zu formulieren. Freude am Radau. … Das war das Ziel: durchs Raster fallen.“
Daniel Richter, Interview in SZ 4./5. Februar 2023
Aus dem Punk entwickelten sich in den 1980er Jahren New Wave (und die deutsche Variante Neue Deutsche Welle NDW) und Post Punk.
Später wurde Punk zur Mode – die es in großen fast fashion Kaufhaus-Ketten zu erwerben gibt.
Ab den 1990er Jahren entstehen Stile die den Punk aufgreifen, von Neo-Punk über Rave Punk (Egotronic / Bensheim, Saalschutz / Zürich) bis Elektropunk.
Viele spätere Punk- Varianten haben den ursprünglichen gesellschaftskritischen Aspekt verloren.
„Die Möglichkeit, im Punk mit drei Akkorden eigene Songs schreiben zu können, war wie eine Initialzündung für uns.“
Saskia Lavaux (Schrottgrenze), Life is queer my dear, in Punk as Fuck, 2022
„Letztlich geht es um verschenkte Potenziale: dass der Punk seine eigenen Ansprüche auf Herrschaftsfreiheit, Wut gegen das Bestehende, die Negation der Verhältnisse, auf der Ebene des Geschlechterverhältnis nie einlösen konnte, und vermutlich auch nie einlösen wollte.“
Veronika Kracher, The great Punk Rock Awareness Swindle, in Punk as Fuck, 2022
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