Eine kleine Trouvaille beim Aufräumen, Köln späte 1980er Jahre, der Karnevalsorden des MS Panther. Erinnerung an einen einst bedeutenden Lederclub – und an gelebte Solidarität in Zeiten von Aids.
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Schwulenbewegung
Race d’Ep – ein aus der Schwulenbewegung Frankreichs 1979 entstandener vierteiliger Dokumentarfilm über das Entstehen eines homosexuellen Selbstbewusstseins, von Lionel Soukaz und Guy Hocquenghem.
Die Schwulenbewegung entstand nicht in den 1960er Jahren, sondern bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts – dies ist der strukturierende Grundgedanke des französischen Dokumentarfilms ‚Race d’Ep‘. Bei dem Entstehen eines homosexuellen Selbstbewusstseins komme der gerade aufkommenden Photographie eine besondere Bedeutung zu, sie „schuf eine neue Defintion von Männlichkeit„, so die Autoren (die sich dabei implizit auf Foucault beziehen). Sie ziehen in 4 Teilen eine Linie von Gloeden über Hirschfeld bis zu Guy Hocquenghem (der im vierten Teil selbst auftritt) – oder, wie der Film selbst sagt „de Gloeden jusqu’à la pornographie actuelle„.
Wie es zu dem Titel des Dokumentarfilms kam, berichtet Hocquenghem im Vorspann:
Der Kaufmann Hans Borgward (1895 – ?) war ein bedeutender Aktivist der 50er-Jahre-Homosexuellenbewegung.
Hans Borgward war Gründer und wichtigster Kopf der Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (1949 – 1960), einer der wesentlichen Gruppen der zweiten Homosexuellenbewegung – und die einzige Gruppierung, die erfolgreich eine Eintragung als Verein erreichte.
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Hans Borgward (1895 – ?)
Hans Borgward wurde am 27. Februar 1895 in Berlin als Sohn eines Schneiders geboren. Er wuchs in Schöneberg nahe der Apostel-Paulus-Kirche auf. In den 1930er Jahren (1934 bis 1938) betrieb er hier als Juwelier eine Silberwarenhandlung.
In der NS-Zeit wurde Hans Borgward wegen Homosexualität verhaftet (Juni 1935), für drei Monate ins KZ Lichtenberg deportiert und zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt.
In Nachkriegs-Deutschland engagierte sich Hans Borgward für die Rechte Homosexueller. Er gründete 1950 die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (s.u.).
Seit den 1930er Jahren lebte Hans Borgward in Berlin-Schöneberg in der Grunewaldstraße 78:
Eine Legende geht – der schwule Buchladen Männerschwarm schließt nach 34 Jahren am 24. Januar 2015 für immer seine Pforten. Ein persönlicher Rückblick.
Es war wohl im Sommer 1981, als ich zum ersten Mal einige wenige steineren Stufen am Pferdemarkt in Hamburg erklomm, die Tür öffnete – und ein Paradies für mich entdeckte: den schwulen Buchladen Männerschwarm (der am 12. Juni 1981 frisch eröffnet hatte, gegründet von Henning Rademacher und Dieter Telge).
Jean-Le-Bitoux-Platz – einer der bedeutendsten Aktivisten der französischen Schwulenbewegung der 1970er und 1980er Jahre wird in Montreuil nahe Paris (Département Seine-Saint-Denis in der Region Île-de-France) geehrt. 2014 wurde ein Platz nach dem 2010 verstorbenen Aktivisten für die Rechte von Schwulen und Lesben Jean Le Bitoux benannt.
Am Samstag 15. März 2014 wurde um 11:00 der Jean-Le-Bitoux-Platz (square Jean Le Bitoux) in Montreuil eingeweiht (Ecke rue Paul Bert). Bürgermeisterin Dominique Voynet hielt eine Rede. Anwesend waren u.a. auch Christophe Girard, der Bürgermeister der vierten Arrondissement von Paris, Pierre Serne, Leiter EELV Liste Vincennes (EELV = französische ‚Grüne‘), Jean-Luc Romero, Regionalrat für Ile-de-France, der Journalist und Schriftsteller Pierre Guénin, der Regisseur Alain Burosse, die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz sowie SOS Homophobie.
Yves Navarre et Jean Le Bitoux à la manifestation pour les droits gays et lesbiens, Paris 4 avril 1981. – Claude TRUONG-NGOC (User:Ctruongngoc) – CC BY-SA 3.0
Heißt es bald Stonewall Berlin ? Der Berliner CSD benennt sich um. Die Mitgliederversammlung Ende Januar 2014 beschloss, zukünftig solle die Demonstration einen neuen Namen tragen, im Gespräch sei „Stonewall Parade“, meldete damals die Siegessäule. Stonewall – so neu ist der Name nicht, in Hamburg wurden Schwulen- und Lesbendemonstrationen bereits seit 1980 nach den Aufständen in New York 1969 benannt.
New York Ende der 1960er Jahre. Immer wieder führt die Polizei Razzien durch in Bars, die als Homosexuellen-Treffpunkte gelten. Drangsalierungen, Erniedrigungen, Diskriminierungen. So auch in der Nacht des 27. auf den 28. Juni 1969. Wieder einmal Polizei-Razzia im ‘Stonewall Inn’ in der Christopher Street im New Yorker Greenwich Village.
Doch in dieser Nacht war etwas anders. Anders als zuvor kuschten die Gäste nicht, beugten sich nicht der Willkür der Polizei – sondern wehrten sich. Edmund White hat die Ereignisse (wie einige andere auch) eindrücklich beschrieben: “The big news here is Gay Power”.
Karl Heinrich Ulrichs gilt als ein Pionier der Schwulenbewegung und „erster Schwuler der Weltgeschichte“. In Berlin wurde eine Straße nach ihm benannt, in Bremen ein Platz. Eine mehrfach vandalisierte Ausstellung in Berlin informierte an verschiedenen Stationen bis August 2014 über sein Wirken.
Karl Heinrich Ulrichs wurde am 28. August 1825 in Westerfeld (heute zu Aurich gehörend) geboren. Von 1844 bis 1864 studierte er Theologie und Jurisprudenz an der Universität Göttingen. Ulrichs starb am 14. Juli 1895 in L’Aquila (Italien), wohin er 1890 enttäuscht ins Exil gegangen war.
1864 veröffentlichte der Jurist Karl Heinrich Ulrichs mit ‚Inclusa‚ (April 1864) und ‚Vindex‚ (Mai 1864) die ersten beiden Schriften seines auf zwölf Bände angelegten Werkes „Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“. Ulrichs formulierte hierin seine Theorie von den vier Geschlechtern.
“ Drei Milliarden Perverse “ – unter diesem Titel veröffentlichten Bernhard Diekmann und Francois Pescatore 1980 eine Sammlung von Texten, die in Frankreich erstmals 1973 veröffentlicht wurden [1].
Die Texte waren in Frankreich kollektiv, ohne Angaben von Autoren der einzelnen Beiträge [3] entstanden – dürften jedoch überwiegend aus dem engeren Umfeld des Front Homosexuel d’Action Révolutionaire (FHAR) [2] entstammen.
Vierzig Jahre alte „Schwule Texte“ – was haben uns “ Drei Milliarden Perverse “ heute noch zu sagen?
Aktivismus als Form politischen Handelns – in ‚das System‘ hinein gehen, es reformieren, oder von außen protestieren, mit Aktionen auf Missstände aufmerksam machen und verändern?
Was ist ein Aktivist? Was ist Aktivismus? Führt er zum Ziel, oder eher der integrationistische Weg? Aktivismus als Gegenmodell zum passiven Hinnehmen:
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Aktivismus – das ist was?
Der Duden bestimmt Aktivismus als
„aktives (1) Verhalten, [fortschrittliches] zielstrebiges Handeln, Betätigungsdrang„.
Ein Aktivist wird bei Wiktionary definiert als
„oft politisch engagierte, zielbewusst handelnde Person„.
Der Philosoph Karl Popper (1902 – 1994) bezeichnete die Haltung des Aktivisten als
„die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens.„
Karl Popper, in: Das Elend des Historizismus
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Aktivismus – Geschichte eines Begriffs
Der deutsche Philosoph Rudolph Eucken (1846 Aurich – 1926 Jena) propagierte einen nach-kantianischen „neuen Idealismus“. Er bezeichnete ihn auch als „schöpferischen Aktivismus“ (ab 1907, Aktivierung der gemeinsamen schöpferischen Kraft aller Menschen).
Der Begriff erfuhr bald eine Wandlung und wird verwendet als Bezeichnung für politisches Handeln.
Ende der 1960er und in den 1970er Jahren entstanden mit den ‚neuen sozialen Bewegungen‚ (Frauenbewegung, Schwulenbewegung, Umweltbewegung) vielfältige Formen von Aktivismus. Sie waren oft gekennzeichnet von einer Kombination aus dem Übernehmen als wirksam etablierter Strategien der Organisation und neuen offenen, demokratischen Handlungsformen.
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Aktivismus als politisches Handlungskonzept
Auf konkrete Missstände und Defizite hinweisen, auf konkrete Veränderung bestehender Verhältnisse hinwirken, mit diesen Anliegen ist Aktivismus eine Form politisches Handelns.
Michel Foucault beschäftigte sich intensiv mit dem Machtbegriff und der Analyse von Machtverhältnissen. Er zeigt bei der Frage des politischen Handelns, des Infragestellens vorhandener Machtverhältnisse auf die (seiner Ansicht nach den Machtverhältnissen bereits innewohnenden, „wesenhafter Antagonismus„) Handlungsmöglichkeiten der „widerspenstigen Freiheit„, die Machtbeziehungen ändert [2].
Foucault sieht Kritik als Mittel, sich von der Macht eines anderen zu befreien und sich frei in Bezug auf eine Sache zu verhalten.
„Aber zugleich muß die Freiheit sich einer Machtausübung widersetzen, die die letztlich danach trachtet, vollständig über sie zu bestimmen.“
Miche3l Foucault, Subjekt und Macht, S. 287
Hannah Arendt beschreibt den in ihrem handlungs-orientiertes Politikverständnis wesentlichen Begriff ‚ziviler Ungehorsam‚:
„wenn eine Reihe von Menschen in ihrem Gewissen übereinstimmen und sich diese Verweigerer entschließen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich Gehör zu verschaffen.„
Hannah Arendt, Rede ‚Ziviler Ungehorsam‘, S. 71
Einer der Väter der ‘gewaltfreien Aktion’ als Form politischen Engagements ist der US-Politikwissenschaftler Gene Sharp. Macht ist Sharp zufolge das Ergebnis einer Übereinkunft. Ausüben von Macht setzt das stillschweigende Zustimmen der (oft ‘schweigenden’) Mehrheit voraus.
Wer nicht mehr schweigt, bekommt Werkzeuge in die Hand, Gesellschaft so zu gestalten, dass sie im Interesse der Menschen ist. Mittel der Wahl dazu ist Sharp zufolge die ‘gewaltfreie Aktion’ (Gewaltfreiheit war später auch eines der wesentlichen Merkmale der Aids-Aktionsgruppen ACT UP).
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Aktivismus – Attentismus – Aktionismus
Das Spannungsfeld wäre damit definiert :
- Aktivismus: nicht untätig abwarten, aber auch nicht in formelle politische Prozesse (als Teilnehmer) hinein gehen, sondern über z.B. Öffentlichkeitsarbeit und Demonstrationen, über Aktionen aktiv werden.
- Attentismus: dem gegenüber wäre Gegenpol zum Aktivist der Attentist (attendre frz. = abwarten): jemand der untätig bleibt, abwartet, in Passivität verharrt.
- Aktionismus: Eine Fehlentwicklung des Aktivismus wäre der Aktionismus – die Aktionen geraten zum Selbstzweck, ein Ziel wird nicht mehr erkennbar. (Übersetzt in Zeiten des Internet: Follower alleine sind noch kein politisches Handeln)
(Nebenbei, der Begriff ‚Aktivismus‘ wird gelegentlich auch in anderen Kontexten verwandt. Kurt Hiller gründete eine (dem Expressionismus nahestehende) pazifistisch-sozialistische Bewegung, die er ‚Aktivismus‘ nannte, die eine „Aktivierung des Geistigen zur Herbeiführung einer neuen Menschheitsära“ [1] zum Ziel hatte. Mit-Denker und -streiterin waren u.a. Magnus Hirschfeld und die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Hedwig Dohm.)
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Aktivismus oder Integrationismus – was führt zum Ziel?
Ist Aktivismus geeignet, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken? Oder ist es sinnvoller, sich integrationistisch ‚in das System‘ zu begeben?
Der US-Schriftsteller, Radio-Moderator und Schwulenaktivist Michelangelo Signorile hat eine klare Antwort. Er betont die Bedeutung von Aktivismus anhand von Beispielen wie ACT UP und der US-Aids-Politik oder Protesten gegen den Umgang des US-Militärs mit Homosexuellen:
„Aktivismus hat uns vorangebracht, nicht der schwule Mainstream“ (Artikel Michelangelo Signorile)
Soziale Bewegungen stehen immer wieder vor der sich ewig wiederholenden und immer wieder neue Auseinandersetzung hervorrufenden Frage: hinein gehen in’s System, es verändern? Oder von außen kritisieren und Neues schaffen? Welcher Weg führt zum Ziel?
Ist der Integrationist erfolgreich, der in’s System hinein geht, mitmacht, dessen Positionen damit zunächst akzeptiert und es eventuell schafft, von innen etwas zu verändern?
Oder ist es zielführender, autonom eigene Position zu entwickeln und sich zu bemühen, diese zu realisieren, ggf. in Protest gegen ‚das System‘ von außen?
Mit dem Strom, oder gegen den Strom, was führt zum Ziel?
in or out – das Beispiel Aids-Aktivismus
Auch bei Aids stellte sich diese Frage immer wieder. Gerade beim Aids-Aktivismus und seinen Projekten und Resultaten wurde dabei ein Wechselspiel zwischen integrationistischem Weg und autonomem Vertreten von Positionen deutlich.
Anfang der 1990er Jahre weigerten sich die Veranstalter von Aids-Konferenzen (nicht nur in Deutschland), Menschen mit HIV und Aids, und auch Vertreter von Aidshilfen an Aids-Kongressen teilnehmen zu lassen. Damals war es vermutlich der schnellere und damit auch effizientere Weg, den ACT UP gegangen ist: nicht (nach einigen vorangegangenen, kläglich gescheiterten Versuchen) weiter auf Dialog, Bitten und Gespräche mit Kongresspräsidium und Veranstalter setzen. Sondern stattdessen durch konkrete Aktionen unser Aussperren, unsere Ausgrenzung erfahrbar, erlebbar (auch medial) machen. Und sie mit dieser Aktion zugleich zu durchbrechen.
Einige Aktionen, einige Aids-Kongresse, und einige Jahre später nahmen HIV-Positive und Aids-Kranke, Aidshilfen und andere Organisationen an Kongressen teil. Nach und nach erhielten sie auch Rederecht (zuerst in Form einer Podiums-Besetzung), später Mitbestimmungs-Möglichkeiten. In den folgenden Jahren etablierte sich die Zusammenarbeit, wurde Positiven-Beteiligung im Genfer Prinzip festgeschrieben und schriftlich vereinbart, und ist heute Normalität.
Aktivismus (hier in Form von ACT UP) war vermutlich die geeignete Form politischen Handelns, auf die ursprüngliche Ausgrenzung und Diskriminierung hinzuweisen und sie zu durchbrechen. Integationismus, Gespräche und Verhandlungen mit Veranstaltern, Vereinbarungen waren auf den Anfangs-Schritten des Aktionismus aufbauend die geeigneten Wege, darauf aufbauend die erzielten Erfolge auszubauen und langfristig zu sichern.
Aktivismus und Integrationismus müssen nicht in Widerspruch zu einander stehen – bei geschicktem Agieren können sie sich sinnvoll ergänzen und gemeinsam als sehr zielführende Strategien erweisen.
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Tucholsky
„Im Übrigen gilt in Deutschland derjenige,
der auf den Schmutz hinweist,
für viel gefährlicher als derjenige,
der den Schmutz macht.“
Kurt Tucholsky
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[1] Kurt Hiller: Der Aufbruch zum Paradies. Ein Thesenbuch. München 1952
Vgl. auch: Kurt Hiller Gesellschaft: Aktivismus und Expressionismus – Der Literat greift in die Politik ein
[2] „Das Machtverhältnis und das Aufbegehren der Freiheit sind also nicht zu trennen …; im Zentrum der Machtbeziehung stecken die Widerspenstigkeit des Wollens und die Intransitivität der Freiheit, die diese Machtbeziehung ständig ‚provozieren‘.“ (Michel Foucault, Warum ich Macht untersuche, 1987, S. 256) Ähnlich in ‚Analyse der Macht‚ (Hg. Daniel Defert), Frankfurt am Main 2005, S. 257.
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Das Thema Aktivismus war eines der Themen des Summerbreak 2013, das unter dem Motto „Mit oder gegen den Strom?“ vom 15. bis 18. August 2013 im Waldschlößchen stattfand. In Vorbereitung auf den Workshop „Solidarität endet nicht am eigenen Horizont“, den ich dort gemeinsam mit Marcel Dams angeboten habe, ist dieser Text entstanden.
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Mein eigener Aktivismus? Der erwachte wohl unter anderem bei einem umsonst und draußen Festival – bei dem ich lernte, wenn du etwas ändern willst, pack mit an. Handele.
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Wäre eigentlich der Gegenpart des Aktivist der Inaktivist?
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Schwule Regungen, Schwule Bewegungen (Herausgegeben von Willi Frieling) erschien 1985 im (leider inzwischen nicht mehr bestehenden) Verlag Rosa Winkel.
„Das Gefühl der Stagnation schwuler Bewegungen ist so verbreitet, daß es mir an der Zeit schien, ein Buch zusammenzustellen„,
begann Willi Frieling sein 1985 erschienenes Buch, schon im ersten Satz des Vorworts Stagnation konstatierend, und fuhr kurz darauf fort mit Verweis auf die „weitverbreitete Rat- und Perspektivlosigkeit zahlreicher Schwulengruppen„, aufgrund derer er mit seinem Buch 1985 „eine Situationsbeschreibung der [westdeutschen, Anm.d.Verf.] ‚Schwulenbewegung‘ der Siebziger Jahre“ geben wollte.
Einige der Texte, manche der diskutierten Themen haben auch heute, 28 Jahre nach Erscheinen des Buches, eine bemerkenswerte Frische – oder nein, vielleicht nicht Frische, sondern eher Frische-Potential, vermitteln ein ‚Warten auf Entdeckung‘. Andere muten ein wenig abgestanden an, wie Debatten um das (damals recht verkrampfte) Verhältnis von Schwulenbewegung(en) und (kommerzieller) schwuler ‚Subkultur‘. Wieder andere sind heute eher von historischem Interesse (Aids) oder Partikular-Themen (Lehrer, Kirche, Gewerkschaft).
Schwule Bewegungen – war da was?
„Die [sic] Schwulenbewegung, glücklich über jede Form der Diskriminierung, dankbar selbst für die belanglosesten Beschimpfungen des letzten Hetero-Idioten, sind im gummiartigen Reformklima der sozialliberalen Ära die Zähne ausgefallen„, stellt Matthias Frings fest (S.171).
Das war zuvor anders – dies wird in zahlreichen Texten des Buches aus verschiedensten Blickwinkeln deutlich. Schwulenbewegung – das waren „Glücksinseln im Vorgriff auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen„, meint Elmar Drost (S. 15).
Auch um CSDs schien es schon damals nicht recht gut bestellt: „Gay-pride weeks werden trotz flammender Reden der Politfreaks zur Rechtfertigung der Feten, auf denen die Glücklicheren nen Kerl aufreißen und die weniger Glücklichen im eigenen Saft schoren.“ (Elmar Drost, S. 17)
Schwulenbewegung – das war aber lange Zeit mehr als „nur“ politisch aktiv zu sein. Hinzu kam, was Michael Holy die „sogenannte ‚Innenarbeit'“ nannte: Selbsterfahrungsgruppen. Corny Littmann erinnert sich zu diesen Selbsterfahrungsgruppen [an eine solche SE erinnere ich mich auch recht gut …, d. Verf.]
„Das war zwar eine politisch notwendige Bedingung für die Leute da drin, aber in der Außenwirkung völlig irrelevant. Aber jeder ‚Neue‘ kam erstmal in ’ne Selbsterfahrungsgruppe. Die wollten das auch.“ (S.30)
Lust und Frust? Theorieschwestern und Lustfraktion – warum macht Mensch Schwulenbewegung?
Sehr (auch heute) spannende Einblicke in das ‚Innenleben‘ schwulenbewegten Engagements bietet ein Gespräch zwischen Egmont Fassbinder, Michael Holy, Corny Littmann, Rainer Marbach und Andreas Meyer-Hanno † (stattgefunden auf dem Ostertreffen 1983).
Gibt es eine ’schwule Identität‘? Gab es gar etwas wie ein ‚Pflichtbewusstsein‘? „Dieses Gefühl seine Pflicht zu tun„, auch z.B. um ein Schwulenzentrum aufrecht zu erhalten. Was bewegte Menschen, sich in der Schwulenbewegung zu engagieren, was sahen sie als ihren persönlichen Nutzen? Welche Intensität an Erfahrung bietet eine Zusammenarbeit als Gruppe, als ‚Bewegung‘? Gibt es gar eine ‚Angst vor dem Loch, nach der Gruppe‘? Welche Vorbedingungen brauchte es, damit Projekte wie das Waldschlößchen entstehen konnten? Und wie kann ein Generationswechsel gelingen – genügt es, sich „einfach zurück zu ziehen“?
Schwulenbewegung – in der Sackgasse?
„Schwul sein heißt sich wehren„, hieß es einst – warum, das macht Elmar Drost erlebbar. Oder „Macht euer Schwulsein öffentlich!“
Demonstration (Pfingstdemo) of Homosexuelle Aktion Westberlin –
Und das Resultat? „Die Helden sind müde„, bemerkt Andreas Meyer-Hanno †. Rainer Marbach konstatiert Rat- und Perspektivlosigkeit, besonders aufgrund der „weitgehenden Beschränkung auf Antidiskriminierungspolitik„, und warnt vor „antiemanzipatorischen Zügen“ – bereits 1984/85:
„Nun soll nicht in Abrede gestellt werden, daß der Kampf gegen Diskriminierung mit all seinen Aspekten zu den legitimen und notwendigen Inhalten schwuler Politik gehört. Als Perspektive einer autonomen schwulen Politik reicht es freilich nicht aus.“ (S. 47)
und erläutert kurz darauf
„Kernpunkt integrationistischer Politik ist die Forderung nach Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, Gleichstellung der Homosexuellen vor dem Hintergrund vielfältiger Formen von Diskriminierung und Unterdrückung. Die Einlösung dieser Forderung nach Gleichstellung besitzt freilich bei den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen einen Doppelcharakter: sie bringt zwar auf der einen Seite zunehmende Erleichterungen der Lebenssituation der Homosexuellen, dient aber auf der anderen Seite durch deren Integration auch der Stabilisierung der spätkapitalistischen Gesellschaft, um zu verhindern, daß Unterdrückte aus ihrer Unzufriedenheit heraus radikale Fragen und Forderungen ableiten.“ (S. 49)
Rainer Marbach betont, die Begrenztheit integrationistischer Antidiskriminierungspolitik führe auch zur „Verdrängung der ‚andersartigen‘ Möglichkeiten von Homosexualität„.
Schwulenbewegung – Perspektive?
„Es kann doch nicht Bewegung sein, daß Schwulsein anders kommerzialisierbar ist als vor zehn Jahren„,
empört sich Corny Littmann schon 1983, nicht ohne Beigeschmack von Frustration.
Schwule Bewegungen – haben sie heute Perspektive? Oder hat Littmann recht, der ein ‚Drehen im Kreis‘ befürchtet?
„Es kommen immer wieder neue Leute; es kommt immer wieder an die selben Themen“
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“ Schwule Regungen schwule Bewegungen “ – dieses Buch ist heute, 28 Jahre nach seinem Erscheinen, nicht nur ein in weiten Teilen spannender Blick (weit) zurück. Es ist auch Dokument erkannter Probleme – und inzwischen auch gescheiterter Hoffnungen?
Oder ist es auch Chance, frühere Positionen, Ansätze und Perspektiven wieder zu entdecken, neu für Ansätze zu nutzen?
Die, wie Rainer Marbach es in seinem (auch heute immer noch sehr lesenswerten) Beitrag formuliert, „andersartigen Möglichkeiten von Homosexualität„, das Potential zu „Gegenentwürfen“ zum Beispiel scheinen mir heute weitgehend in Vergessenheit geraten ob der Gleichstellungspolitik auf allen möglichen Feldern – und ein Gedanke, der neu und wieder zu entdecken wert wäre.
Marbachs Resüme von 1985 scheint heute einerseits seltsam ‚aus der Zeit gefallen‘ – und zugleich Perspektiven für die Zukunft bietend:
„Schwule Bewegung muß ein Gegengewicht gegen den Zwangscharakter gesellschaftlich anerkannter Formen von Homosexualität bieten, das attraktiv genug ist, sich der ‚Lust zur Unterwerfung‘ zu entziehen.„
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Willi Frieling (Herausgeber)
Schwule Regungen – schwule Bewegungen
Berlin 1985
antiquarisch erhältlich
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in der Reihe „Wiedergelesen“ siehe auch:
2mecs 26.05.2013: Das homosexuelle Verlangen / Guy Hocquenghem 1974 – wiedergelesen nach 33 Jahren
2mecs 21.08.2013: Drei Milliarden Perverse / Diekmann, Pescatore 1980 – wiedergelesen nach 33 Jahren
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