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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

HIV/Aids: Repressive Maßnahmen behindern die Prävention

Resolution des 120. bundesweiten Positiventreffens im Waldschlösschen bei Göttingen:
HIV/Aids: Repressive Maßnahmen behindern die Prävention

Die laufende Debatte über die Bewertung der HIV- Neudiagnosen und bessere Strategien, die Zahl der Neuinfektionen möglichst gering zu halten, ist mit geprägt von Missverständnissen, Aufgeregtheiten und strafrechtlichen Bedrohungsszenarien.
Menschen mit HIV und Aids fordern, zu einer an Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierten, seriösen Debatte zurück zu kehren!

Das Robert-Koch-Institut stellt fest, dass die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen in der BRD im internationalen Vergleich weiterhin äußerst niedrig ist. Das deutliche Nein zu einer repressiven Seuchenstrategie ist also in Deutschland erfolgreich.

Durch Forschung und Erfolge der Medizin wissen wir heute, dass HIV sich schon unbehandelt schwer überträgt und bei erfolgreicher Behandlung die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung wohl auszuschließen ist. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit ordnet deshalb den ungeschützten Geschlechtsverkehr eines erfolgreich Therapierten in die selbe Risikokategorie ein wie Zungenküsse – weltweit ist kein einziger Fall einer Übertragung bekannt.

Repressive Maßnahmen behindern die Prävention
Die internationale Forschung und die WHO gehen davon aus, dass Strafrecht im Bereich einvernehmlicher Sexualität schädlich für die Prävention ist.
Aus der Forschung ist gesichert, dass ein nennenswerter Teil der Infizierten (es werden etwa 50% geschätzt) um ihre Infektion nicht weiß. Das Wissen um eine HIV- Infektion kann in Deutschland strafrechtliche Folgen haben, und zwar unabhängig davon ob Sexualpartner infiziert wurden oder werden konnten.
Der möglicherweise hochinfektiöse HIV-Infizierte, der nicht von seiner Infektion weiß und sich für „negativ“ hält, ist beim Sex rechtlich auf der sicheren Seite.
Der wissende, gut behandelte und damit wahrscheinlich nicht mehr infektiöse Positive läuft dagegen Gefahr, wegen „versuchter gefährlicher Körperverletzung“ vor dem Richter zu landen.
Diese absurden rechtlichen Konsequenzen können die Entscheidung zum Test beeinflussen, und dadurch HIV-infizierte Menschen von einer wirksamen Therapie fernhalten.

Es besteht außerdem ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Aufwand, der einerseits betrieben wird, theoretische Restrisiken (z.B. angebliche Gefährlichkeit des sog. Lusttropfens) öffentlich hochzuhalten, und andererseits der unzureichenden tatsächlichen Bereitschaft, real etwas gegen leicht vermeidbare HIV Infektionen zu tun.
Spritzentausch in den Vollzugsanstalten zu verweigern und gleichzeitig die Strafbarkeit der Übertragung von Erkrankungen zu fordern ist ethisch nicht nachvollziehbar.

Es ist unethisch, durch die Diskussion den falschen Eindruck zu verstärken, die wissenden HIV-Infizierten seien der Motor der Epidemie, statt durch das öffentliche Ansprechen auch entlastender Faktoren (wie der Bedeutung der Viruslast) die Kommunikation über HIV im sexuellen Umgang zu erleichtern.

Die Ärzteschaft, das Robert Koch Institut, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Aids-Hilfen sind gefordert, sich – orientiert am Beispiel der Schweiz – öffentlich zu Risikoeinschätzungen und Risikominimierungsstrategien zu äußern. Die Medien, auch die schwulen, sind gefordert, nicht den dumpfen Bestrafungswünschen und -fantasien nachzugeben.

Grundlage von Aufklärung und seriösem Journalismus – wie auch von qualifizierten Gerichtsentscheidungen – sollten wissenschaftliche Erkenntnisse und Einschätzung der maßgeblichen Institutionen sein, z.B. des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts.

Es ist nicht hinnehmbar, dass in dem unterstützenswerten Bestreben, Kondome an den Mann zu bringen, die von ihrer Infektion wissenden Positiven gegen alle epidemiologischen Erkenntnisse als Bedrohungspotential funktionalisiert werden.
Nicht hinnehmbar ist auch, dass immer wieder die Aufkündigung des Solidarsystems in den Raum gestellt wird.

Wir fordern Politikerinnen und Politiker in Bund und Ländern, Akteurinnen und Akteure in Wissenschaft, Justiz, Medien und der queer communities auf, den Dialog mit uns zu führen, anstatt über uns zu reden.

Wir werden die Debatte nicht stumm verfolgen. Wir wollen uns als HIV-positive und an Aids erkrankte Menschen einbringen und unsere Interessen selbstbewusst artikulieren.

Statt Repression und Hysterie fordern wir die Rückkehr zur Sachlichkeit.

(Verabschiedet am 20.Juni 2007 von den Teilnehmer/innen des 120. bundesweiten Positiventreffens im Waldschlösschen bei Göttingen)

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Text 22. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aidshilfe und Selbsthilfe – Guck mal wer da spricht ?

„Nicht über uns reden, sondern mit uns“ forderte ACT UP Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre, ging mit Aktionen und Inhalten in die Aids-Kongresse, zwang Mediziner Forscher und Pharmaindustrie zum Dialog, zum Streitgespräch mit ‚Betroffenen‘.

Und heute?

Manchmal scheint mir, die gleichen ACT UP – Aktionen müssten heute in so einigen Aidshilfen stattfinden. Damit Positive endlich (wieder) nicht nur als Klienten, als zu bespaßende und beratende Kundschaft (und, nebenbei, als Existenzgrundlage der Jobs vieler Mitarbeiter) betrachtet werden, sondern als Partner mit denen zusammen Aidshilfen handeln, und die selbstverständlich aktiv mit einbezogen werden.

Viele Aidshilfen haben sich inzwischen zu Organisationen entwickelt, in denen Selbsthilfe, aktives Einbeziehen von Positiven (auch in Entscheidungen) oder Fördern von positivem Selbst-Engagement Fremdworte zu sein scheinen, die höchstens noch zu dunklen Schatten einer fernen Vergangenheit gehören.

Dazu ist es nicht ohne Grund gekommen – welche/r Positive will sich denn heute noch einmischen, sich auch nur Gedanken machen? Ich fürchte, ihre Zahl ist gering, ihr Alter eher hoch.

Und dennoch – brauchen wir nicht neben aller Bespaßung Betreuung Befütterung -auch- wieder eine Kultur, in der die, die es angeht, selbstverständlich aktiv mit eingebunden werden? In der Positive ermuntert, aktiv unterstützt werden sich zu beteiligen? In der Selbsthilfe und positives Engagement wieder selbstverständlich und erwünscht sind? In der Kritik geschätzt, Diskussionen und Debatten gewürdigt (und nicht als unerwünschtes Einmischen abgekanzelt) werden?

Oder müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass Aids-Hilfe noch etwas mit Selbsthilfe, mit aus eigener Betroffenheit engagierter Interessenvertretung zu tun hat?

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Text 22. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Hilfe für die Selbsthilfe ?

Ist Selbsthilfe, aktives Engagement und Interessen- Vertretung von Positiven noch erwünscht? Warum scheint sie immer schwieriger, sowohl in der Arbeit vor Ort als auch der politischen Interessenvertretung auf Bundesebene? Eine der Frage wurde am Samstag ausgiebig diskutiert, die andere blieb offen im Raum stehen.

Bereits seit einiger Zeit tobt unter einigen Positiven, in Netzwerken, Selbst- und Aids-Hilfen eine Diskussion über ‚Aids-Hilfe und Selbsthilfe‘. Fragen, die dabei diskutiert werden sind z.B.: wie weit ist Aids-Hilfe noch Selbst-Hilfe? Wie weit ’nur noch‘ Service-Einrichtung? Welche Rolle spielen Sekundär- und Primär-Prävention? Welche Rolle haben Positive überhaupt noch in Aids-Hilfen?

Hintergrund dieser Fragen ist u.a., dass so manche Aids-Hilfe nicht gerade ein Hort positiver Selbsthilfe zu sein scheint. Dass es Aids-Hilfen gibt, in denen es beim Thema Selbsthilfe mehr auf Schein als auf Sein, mehr auf den (billigen) Effekt als auf die (langfristige) Wirkung ankommt, auch das wird des öfteren als Befürchtung geäußert.

In diesem Spannungsfeld möglicher Fragen und Herausforderungen an und durch Selbsthilfe veranstaltete das Netzwerk plus am 9.12.2006 in Berlin eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Mehr Schein als Sein? – Beteiligungsmöglichkeiten von HIV-Positiven in Selbsthilfestrukturen“.

Netzwerk plus - Diskussion Selbsthilfe Dezember 2006
Netzwerk plus – Diskussion Selbsthilfe Dezember 2006

Deutlich wird schon zu Beginn der Veranstaltung, mit welcher Bescheidenheit Selbsthilfe zurecht zu kommen, manchmal zu kämpfen hat. Da werden z.B. Selbstverständlichkeiten (wie die Teilnahme an öffentlichen Sitzungen) als großzügiges Entgegenkommen verkauft. Wenn Verantwortliche sich tatsächlich Fragen stellen, auch kritischen Fragen, ist man/frau schon vorab dankbar allein für die Bereitschaft – und sieht sich, je kritischer die Fragen werden, doch mit dem Vorwurf konfrontiert, man sei doch nicht ‚Rechenschaft schuldig‘. Oder da da wird die Entsendung von Selbsthilfe-Vertretern in Entscheidungsgremien von der Zustimmung von Vorständen abhängig gemacht.

Viel Enttäuschung, viel an Zugangshemmnissen ist zu erahnen, wenn des öfteren unterschwellig der verzweifelte Ruf herauszuhören ist ‚wir machen hier nun so mühevoll Selbsthilfe – warum kommt denn kaum jemand?‘.

Etwas anders die Beteiligung von PatientInnen- Vertretern auf Bundesebene, die als Ergebnis der letzten Gesundheitsreform inzwischen ihre Anfänge nimmt (insbesondere, wenn auch noch ohne Stimmrecht, im ‚Gemeinsamen Bundesausschuß‘ G-BA). Hier ist ganz klar – die Hürden sind hoch, haben Namen wie ‚Vertretung politischer Gruppeninteressen, nicht von Einzelschicksalen‘ oder ‚viel Gremien-Arbeit, viel Frustrationstoleranz sind gefragt‘.

Diese beiden Ebenen in der Diskussion um Selbsthilfe zu unterscheiden – ‚wie kann ich mich in der Selbsthilfe engagieren‘, und die Frage, ‚wie kann Selbsthilfe sich an (politischen) Prozessen beteiligen‘ (also der Innen- und der Aussenwirkung) – bleibt im Verlauf der Diskussion immer wieder Herausforderung.

Einigkeit besteht hingegen bald, dass auf beiden Feldern eine wesentliche Herausforderung die Vermittlung von Kompetenzen ist. Kompetenzen, die in der praktischen Selbsthilfe vor Ort ein effizienteres Arbeiten ermöglichen, die aber auch für die Gremienarbeit auf Bundesebene erforderlich sind. Die Patientenbeauftragte für Berlin sowie anwesende Aids-Hilfe-Vertreter sehen hier Möglichkeiten konkreter Unterstützung, die sie bieten könnten – eine baldige Umsetzung wäre im Sinne effektiver Selbsthilfe-Arbeit wünschenswert.

Und es wird im Verlauf der Diskussion deutlich, wie wichtig es -gerade für die politische Interessenvertretung auf Bundesebene- ist, eine breite Basis aufzubauen. Eine Basis, die die vorhandenen Strukturen (insbes. von Netzwerken und Aids-Hilfen) nutzt, die auf Probleme aufmerksam macht. Eine Struktur, die einerseits eine Bündelung von Themen, Interessen und anstehenden Fragen ermöglicht und eine Kondensierung für die bundespolitische Arbeit bietet, diese andererseits auch ‚erdet‘ und am ‚Abheben‘ hindert.

Die letztlich entscheidende, das Spannungsfeld (s.o.) treffend auf den Punkt bringende Frage wird erst ganz gegen Schluss gestellt: welches Interesse haben Aids-Hilfen überhaupt noch, dass Positive sich befähigen, sich engagieren, aktiv einbringen und beteiligen?

Diese Frage bleibt gen Ende der Veranstaltung im Raum stehen – verbunden mit dem Hinweis, die Leitbild-Diskussion der DAH beschäftige sich ja genau damit.

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Zivilcourage zeigen

Zivilcourage ist nicht jedermanns Sache. Oft stehen Angst und andere persönliche Gefühle im Weg. Möglichkeiten, mit Gewalt im öffentlichen Raum umzugehen, kann man jedoch lernen – und dann anderen helfen.

Bei dem (vermutlich) antischwulen Gewaltüberfall, dessen Zeuge ich vor einigen Wochen wurde, hat mich eines besonders geärgert: kaum war auch nur der Anflug einer Bedrohung spür- bzw. hörbar, verschwanden alle Mit-Besucher dieses nächtlichen Cruising-Ortes (sämtlich erwachsene Männer über 30 Jahre) schwuppdiwupp flugs in den Büschen und waren nicht mehr auffindbar, auch nicht auf Rufe zu helfen (bis auf einen jungen Mann, der zurück kam und gottseidank ein Handy hatte). Niemand kam auf die Idee, dem Opfer zu Hilfe zu kommen – geschweige denn die Täter zu stellen.

Feigheit? Mangelnde Zivilcourage?

Ich finde dieses Verhalten nach Jahrzehnten schwuler Emanzipation, nach Jahren voller CSDs, Straßenfeste und sonstigem öffentlichem Ringelpietz beschämend. Nein, eigentlich bin ich stinksauer.
Warum kommt niemand auf die Idee, dass das Opfer vielleicht Hilfe braucht? Warum kommt niemand auf die Idee, zumindest den Notruf zu verständigen, damit Hilfe kommen kann? Warum stellt sich niemand als Zeuge zur Verfügung? Warum können die Täter unbehelligt, unerkannt abziehen?

Sicher, auch mir war mulmig, als ich den Überfall bemerkte. Als ich nach meinem ‘Zwischenruf’ “Was soll das?” registrierte, wie einer der beiden Täter mich fixierte. Angst, kommt er jetzt auf dich zu? Das Opfer, auf dem Boden liegend, schreiend “ich kann nichts mehr sehen!” bringt mich schnell dazu, zu ihm zu laufen – gottseidank, die Täter verziehen sich. Leider auch alle anderen ‘Gäste’ …

Zivilcourage, Mut ist nicht jedermanns Sache. Und niemand will (und soll) sich selbst gefährden. Aber ein Opfer einfach so liegen lassen?

Wie man mit Gewaltsituationen konstruktiv umgeht, kann man/frau lernen!

Die Berliner Polizei (und sicher, für die auswärtigen LeserInnen, auch viele andere Polizeien im Land) bietet zahlreiche Maßnahmen zur Kriminalprävention an, insbesondere auch Seminare, in denen man und frau lernen kann, mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum adäquat umzugehen. Solche Veranstaltungen gibt es (wie andere Unterstützungsmöglichkeiten und Informationen) auch speziell für Schwule und Lesben.
[nb.: Die Polizei war nicht immer unser Freund und Helfer, ich weiß … Aber mit Gewaltsituationen umgehen zu können ist eine Fähigkeit, die Schwulen und Lesben im Alltag gut gebauchen können.]

Auch das von mir ja kritisch gesehene Überfall-Telefon führt gelegentlich (2mal im Jahr) kurze Veranstaltungen zu Umgang mit antischwuler Gewalt durch, so wieder am 20.11.2006 “Umgang mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum” (Maneo, 19:00).

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Text am 25.01.2016 von ondamaris auf 2mecs