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Homosexualitäten

Cruising (Film) – ‚homophobes Machwerk‘ & ‘Teil der queeren Geschichte’

Er führte zu heftigen Kontroversen und Debatten um Homophobie, und geriet schnell wieder in Vergessenheit: der Film ‚Cruising‘ von William Friedkin aus dem Jahr 1979/1980 mit Al Pacino in der Hauptrolle. Der Film „Cruising“ – ein ‚homophobes Machwerk‘ ? und zugleich ‘Teil der queeren Geschichte’. Al Pacino ließ 2024 wissen, er habe damals das gesamte Honorar gespendet.

‚Cruising‘

Ein heißer Sommer in New York zur Zeit des Langzeit- Bürgermeisters Ed Koch (1924 – 2013). Eine Mordserie wühlt die schwulen Lederszene des ‚West Village‘ auf. Leichenteile schwimmen im Hudson River – die Polizei vermutet einen Serien-Killer, der seine Opfer in Schwulen-Bars kennen lernt. Undercover wird ein den Opfern ähnlich aussehender Polizist (Al Pacino als Steve Burns; Pacino soll sehr um diese Rolle gekämpft haben) in die Szene eingeschleust (ebenfalls ein ‚Lockvogel‚, wie im Plot des meisterhaften Romans The Lure von Felice Picano), dem sadistischen Täter auf der Spur.

Der (nota bene heterosexuelle) Polizist entdeckt in den Bars des Village eine Szene (unterlegt von Punk und Musik u.a. von Willy de Ville und den Germs (mit ihrem nicht offen schwulen Sänger Draby Crash)) der Drogen und des hemmungslosen Sex – und sieht sich mit seinen eigenen homosexuellen Anteilen konfrontiert. Er verdächtigt bald einen Barkeeper als Täter, von dem die Polizei mit Gewalt ein Geständnis  zu bekommen versucht. Doch die Spur erweist sich als falsch. Ist der wahre Täter unter den Schwulen zu suchen? Oder an ganz anderer Stelle?

‚Cruising‘, 1980:

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

New York Aids Memorial Park – Aids-Gedenken im West Village New York

Die Stadt New York hat im West Village einen Park als Aids-Gedenk-Ort errichtet – den Aids Memorial Park.

Aids Memorial Park – Idee und Planung

Ein Park zum Gedenken an die vielen tausend Aids-Toten der Stadt – das soll es nach dem Willen einer 2011 breit lancierten Kampagne in New York geben. Anfang 2012 wurde der Sieger des Design Entwurfs vorgestellt.

New York ist von der Aids-Epidemie besonders betroffen. Bereits 1981 wurde der erste Aids-Fall in New York City berichtet. Allein für das Jahr 2009 wurde nach Angaben des New York City Department of Mental Health and Hygiene geschätzt, dass weit über 100.000 Menschen mit HIV in der Stadt leben. Über 1.600 Menschen starben allein 2009 in New York City an den Folgen von Aids. Allen an den Folgen von Aids verstorbenen Bürgern New Yorks soll nun mit einem neu zu errichtenden Aids memorial park gedacht werden.

Sieger des im November 2011 gestarteten Design Wettbewerbs für einen Park-Entwurf: die Gruppe ’studio a+1′ (Mateo Paiva, Lily Lim, John Thurtle, Insook Kim, Esteban Erlich). Der Park soll dem Sieger-Entwurf zufolge mit drei Wänden von den ihn umgebenden Starssen abgeschirmt werden. In dem sich ergebenden Dreieck sollen Bäume wachsen. Getrennte Statuen, Skulpturen oder Plaketten soll es nicht geben. Der Park solle von der Reflektion über die Weite des Waldes leben. Unter dem Park soll ein Dokumentaionszentrum (learning centre) errichtet werden.

Der ‚Aids memorial park‘ könnte auf der so genannten ‚Triangle Site‘ entstehen. Die ‚Triangle Site‘ ist Teil des Geländes des ehemaligen St. Vincent’s Hospital und wird gebildet aus den drei Strassenzügen 7th Avenue, 12th Street und Greenwich Avenue. Der zukünftige Park läge zudem direkt gegenüber dem LGBT Community Center. Das Gebiet des ehemaligen St. Vincent’s Hospital wird derzeit restrukturiert.

Das frühere St. Vincent’s Hospital war die erste Einrichtung, in der Aids-Patienten behandelt wurden. Lange Zeit stellte es sozusagen den Mittelpunkt, das Epizentrum der Aids-Epidemie in New York dar.Das Krankenhaus ging im April 2010 pleite. Das Gelände wurde an eine Entwicklungs-Firma verkauft, die hier Luxuswohnungen errichten will. Allerdings wurden die Entwickler verpflichtet, als Teil des Projekts öffentliche Räume zu entwickeln und bereit zu stellen.

Die Initiative ‚Aids memorial park – campaign for a beautiful memorial park at St. Vincent’s campus‘ wurde 2011 gegründet. Ziel ist es, mit dem Park der über 100.000 Männer, Frauen und Kinder zu gedenken und sie zu ehren, die in New York City an den Folgen von Aids gestorben sind.

Aids Memorial Park – Streit um Entwurf

Der Eigentümer des Geländes Triangular Space, ‚Rudin Management‘, hat den mit dem ersten Preis prämierten Gestaltungs-Entwurf sofort nach Bekanntgabe zurückgewiesen. Man sei bereit, mit der Initiative für den ‚Aids Memorial Park‘ zusammen zu arbeiten. Der von ‚a+1‘ vorgerlegte Entwurf würde aber zu Verzögerungen im Baufortschritt führen und werde deswegen abgelehnt.

Bill Rudin, geschäftsführendes Vorstandsmitglied (CEO) von ‚Rudin Management‘ kündigte stattdessen an, das Unternehmen wolle mit seinen eigenen Planungen für das Gelände voranschreiten, man habe den Landschaftsplaner Rick Parisi damit beauftragt. Dabei solle sowohl der an den Folgen von Aids Verstorbenen gedacht als auch an die 160jährige Geschichte des St. Vincent’s Hospital erinnert werden.

Im September 2012 hat das Community Board ein modifiziertes Design für den in New York geplanten Aids Memorial Park auf dem Gelände des ehemaligen St. Vincent Hospitals verabschiedet.

Bis Oktober könnte der Planungs-Prozeß für den Aids Memorial Park abgeschlossen sein. Ein endgültiges Budget für die Realisierung wurde allerdings noch nicht beschlossen.

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siehe auch Kommentar: Wie wichtig sind uns Erinnern und Gedenken an die an Aids Verstorbenen?

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Text 21. April 2017 von ondamaris auf 2mecs, zuletzt aktualisiert 12. September 2012

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Nachdenkliches

Nineeleven – mein 11. September, oder: „lass mal, das interessiert mich nicht mehr“

Nineeleven, 11. September 2001, ein Synonym für die Erschütterung unerschütterlich geglaubter Gewissheiten.
11. September – ein Tag wie jeder andere, ein banaler Geburtstag.

Am 11. September feierte meine Mutter auch 2001 ihren Geburtstag, wie in jedem Jahr zuvor. Und doch – es war und wurde ein besonderer Tag. Auch ohne World Trade Center, Terroristen und …

Monate zuvor. Ich bin gemeinsam mit Frank für einige Frühlingstage in Barcelona. Wir sitzen auf einem kleinen Platz, frühstücken, als das Handy klingelt. Mein Vater ist dran, berichtet in einigen kurzen Minuten, meine Mutter habe eine Untersuchung wegen ihrer Magenprobleme gehabt. Der Arzt wisse nun, woran es liege, es sei nichts wirklich Ernsthaftes, er wollte nur kurz Bescheid gesagt haben.
Er nannte noch kurz die Diagnose, einen lateinischen Fachbegriff, der ihm nichts sagte. Mir schon, sofort dieses flaue Gefühl im Magen. Ein befreundeter Arzt bestätigte mir, nach Bitte um ehrliche Worte, es handele sich um einen Krebs in unheilbarem Stadium. Wenige Monate blieben nur, „geh von drei oder vier aus“, sagte er.

Klare Worte waren mir schon immer lieber als langes Drumherumreden ohne genaues Wissen (auch die Jahre im Rheinland haben dies nicht verändert). Ich wusste nun, was die Situation war. Konnte mich nach erstem Schock und Gefühlen informieren. Nein, es gab tatsächlich keine therapeutischen Möglichkeiten, nur einige palliative Maßnahmen. Ja, gegen Ende könne es „sehr unschön“ werden.

Meine Eltern waren in dieser Zeit – wie schon so oft zuvor – keine Freunde klarer Worte. Redeten die Situation schöner als sie war. Klammerten sich, beide je auf ihre Art, an jeden erreichbaren, aus Freundeskreisen oder obskuren Zeitungen herbei getragenen Hoffnungsschimmer. Jedem Hoffnungsfunken folgte eine kleine Enttäuschung. Wieder und wieder wurde eine neue ‚Methode‘ gefunden. Gößer wurde nur die Enttäuschung in die jeder Versuch mündete.

Irgendwann Ende des Sommers waren alle Hoffnungsschimmer verflogen. Alles ‚Kopf in den Sand Stecken‘ konnte das Sichtbarwerden der unvermeidbaren Wahrheit nicht verhindern.

In diese Zeit fiel der 11. September, der Geburtstag meiner Mutter. Wir hatten den Tag leise vorbereitet. Meine Mutter wollte unbedingt noch einmal viele ihrer Freundinnen und Freunde, Kegelschwestern und Sport-Kolleginnen, einige Verwandte, Nachbarn und Nachbarinnen sehen. Ihre Kräfte waren bereits sehr begrenzt. Vorsorgende Vorbereitung, eine umsichtige und sich auf angenehme Art zurück haltende Pflegerin, viel Hilfe im Hintergrund, eine gewisse Besuchs-Planung und sanftes Steuern halfen, ihr den Tag so angenehm wie möglich und so wenig kräftezehrend wie machbar zu gestalten.

Mein Handy klingelte, als ich gerade irgend einem Besuch Kaffee servierte. K. war dran, in den ich damals ziemlich verliebt war. „Mach schnell die Glotze an, is was Unglaubliches passiert.“ Eindringlich wiederholte er, trotz meiner Hinwiese, ich sei auf dem Geburtstag meiner Mutter (von deren Situation er, Medizinstudent und damals auch wichtiger Ratgeber zum Umgang mit der Situation, wusste). Frank übernahm den Besuch, ich ging nach oben, um kurz und ohne Mutter und Besuch zu stören den Nachrichtensender einzuschalten. Sah erste Bilder, ein Flugzeug, das scheinbar, warum nur, in einen der Türme des World Trade Center geflogen war. Nineeleven. Hörte den Kommentar eines Sprechers, der selbst kaum wusste was geschah, geschweige denn erklären konnte.

Ich ging wieder nach unten, zu Frank, Mutter, Familie und Besuch. Ging in der folgenden Zeit einige Male wenn die Situation es erlaubte kurz nach oben, an den Fernseher, sehen was es Neues gab. Erzählte schließlich, in einer Pause zwischen zwei Geburtstags-Besuchern, meiner Mutter von dem Unfassbaren. Nineeleven. Ein islamistisch motivierter Terroranschlag, ein Flugzeug, einer der Türme des World Trade Centers eingestürzt, das sie selbst noch vor einigen Jahren auf ihrer USA-Reise gesehen hatte, so beeindruckt war. Meine Mutter, die wohl wusste, wie sehr ich Nachrichten-Junkie und Politik-interessiert war und bin, entgegnete mit leerem Blick „lass man, Ulrich, das interessiert mich jetzt nicht mehr.“

Ich schämte mich, dass ich nicht sensibler war, mich nicht mehr auf ihre Situation, ihre Interessen und Bedürfnisse eingestellt hatte. Kümmerte mich wieder, zusammen mit Frank, Vater, Bruder und dessen Freundin, um sie und ihren Geburtstag (nicht ohne seltene kurze Ausflüge an den Fernseher, wenn meine Mutter ein Nickerchen brauchte).

Ihren Geburtstag noch zu erleben, ein allerletztes mal noch, einige ihr liebe Menschen noch einmal zu sehen – darauf hatte meine Mutter all die ihr noch verbleibende Kraft konzentriert. In den folgenden Tagen ging es ihr zunehmend schlechter.

Eine Woche später, eine Woche nach ihrem letzten Geburtstag, eine Woche nach Nineeleven, am 18. September 2001, starb meine Mutter.

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Den 11. September 2001 erinnere ich als Tag des letzten Geburtstags meiner Mutter. Nach vielen Jahren großer Distanz Momente voller Offenheit, Ehrlichkeit und zugleich warmer Nähe. Und ein Abschied.
Zugleich erinnere ich den 21.9.2001 als Tag des Terroranschlags auf das World Trade Center.

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Was ist von Bedeutung?
Was ist wirklich wichtig?
Selten (siehe auch, auf andere Art, „„20 Jahre Mauerfall“) habe ich eine Situation so gespalten erlebt wie am 11. September 2001.

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

MMWR 5. Juni 1981 – der erste Bericht über Aids

MMWR 5. Juni 1981 Aids – „ erster Bericht über Aids “ – der 5. Juni markiert den Jahrestag der erstmaligen Beschreibung eines neuen Krankheitsbildes, das wenig später mit ‚Aids‘ bezeichnet wird.

5. Juni 1981: Der Wissenschaftler Michael Gottlieb von der UCLA informiert in einem Bericht publiziert im Mitteilungsblatt der us-amerikanischen CDC Centers für Disease Control and Prevention (dem “Morbidity and Mortality Weekly Report”, MMWR) auf Seite 2 einen Bericht über eine ungewöhnliche Konstellation von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen (PcP) bei fünf ansonsten scheinbar völlig gesunden jungen schwulen Männern aus Los Angeles. Offenbar ist das Immunsystem bei den Männern zusammengebrochen:

In the period October 1980 – May 1981, five young men, all active homosexuals, were treated for biopsy-confirmed Pneumocystis carinii pneumonia at three different hospitals in Los Angeles, California. Two of the patients died. The fact that these patients were all homosexuals suggests an association between some aspects of a homosexual lifestyle or disease acquired through sexual contact and Pneumocystis carinii pneumonia in this population.
[Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR), Vol. 30, Nr. 21, US Centers for Disease Control (CDC), 5. Juni 1981; Der damalige Bericht kann im Internet gelesen werden auf den Internetseiten der CDC (hier).]

Dieser Bericht gilt als die erste wissenschaftliche Veröffentlichung zu Aids.

Die ungewöhnliche Häufung seltener Erkrankungen bleibt zunächst jedoch namenlos. Schon bald ist allerdings von ‚Schwulen-Krebs‘ oder ‚Schwulen-Pest‘  (einem Begriff, den die Zeitschrift ‚Spiegel‘ in Übersetzung des US-amerikanischen Begirffs gay plague im ihrer Ausgabe vom 11. Juli 1983 prägt) die Rede, wissenschaftlich verbrämt als GRID (gay related immune deficiency). Erst am 27. Juli 1982 einigen sich die in den USA mit dem Blutspendewesen befassten Organisationen anlässlich einer Konferenz auf einen neuen Namen: AIDS für Acquired Immuno Deficiency Syndrome (französisch: SIDA).

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2011 – 30 Jahre ‚ erster Bericht über Aids ‚

Das 30-jährige ‚Jubiläum‘ 2011 war Anlass für zahlreiche Artikel, Features und Rückblicke. Die Zeitschrift ‚Spex‘ (‚Magazin für Popkultur‘) widmete ihm einen Themen-Schwerpunkt in der Ausgabe Mai/Juni 2011.

Zu Wort kam darin u.a. in einem sehr lesenswerten Interview der US-Kunstkritiker und Aids-Aktivist Douglas Crimp (u.a. „AIDS: Cultural Analysis/Cultural Activism, MIT Press (1988) und AIDS Demo Graphics (1990)).

Crimp erinnerte an eine Zeit der ‚Pest‘, als schwule Männer eine – nicht ganz unbegründete – Angst hatten, man wolle ihnen ihre gerade erst errungenen Freiheiten, auch: sexuellen Freiheiten, wegnehmen.

Eine homosexuelle Krankheit? – vollkommen unmöglich, schließlich handelt es sich bei Homosexualität um ein kulturelles Konstrukt. Mit dieser Einschätzung, dass es sich  bei der ganzen Sache um ein Komplott handelte, das schwule Männer davon abhalten sollte, Sex zu haben, oder ‚zu viel Sex‘ zu haben – wie viel auch immer das sein sollte -, habe ich über Jahre die Angst vor Aids verdrängt oder mich zumindest davon abgeschottet.

Crimp berichtete und dachte nach über den Umgang der Kunst mit dem Thema Aids, von Benefizzen bis zu aktivistischen Künstlergruppen wie ‚General Idea‘ oder ‚Gran Fury‘, Kunst in der Nähe von ACT UP.

„Man konnte zwar Kunstwerke verkaufen, um Geld für die Aids-Forschung zu sammeln, aber die Vorstellung, dass Kunst sich direkt mit Aids befassen könne, kam niemandem in den Sinn. … ‚Kunst kann Leben retten‘. Aber das wurde damals nicht erkannt.“

Weitere Artikel des Schwerpunkts behandelten die erste chinesische Kino-Doku über HIV-Positive (‚Together‘), den Umgang der Pornoindustrie mit Aids (mit unhinterfragten ärgerlichen Behauptungen wie einem konstatierten „immer stärkeren Trend zu besonders unsafem Sex“‚ und „Infektionsraten in der Orgienkultur“), oder einem Artikel zu der Frage „wie aus Aids Werbung wurde“.

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Einen Überblick über Ereignisse der erste Jahre der Aids-Krise bietet auch die ondamaris-Rubrik Aids-Zeiten.

Aids-Zeiten : HIV & Aids 1980 – 1986

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Jubiläen häufen sich …

Die Jubiläen häufen sich – Aids wird 25, Aidshilfen werden 20 oder feiern ihr 25-jähriges Bestehen, nun ‚Aids wird 30‘.

Es sind Jubiläen mit seltsamem, mit bitterem Beigeschmack. Gibt es etwas zu feiern? Wohl kaum. Oder doch? Immerhin ist die Reaktion auf die neuartige Erkrankung bemerkenswert, die erreichten Ergebnisse nicht minder.

Der fade Beigeschmack bleibt, umso mehr, als derartige Jubiläen schnell zum wohlfeilen Anlass für muntere Benefizze und Bälle werden – und die Situation HIV-Positiver, ob in Europa oder in den Staaten Afrikas oder Asiens, in den Hintergrund gerät. Benefizze des Schön- und Reich-Seins, des sich Wohl Fühlens angesichts der eigenen Wohltätigkeit.

Aids? Aids-Tote? Leid? Stigmatisierung? War da was?

Blick zurück?
Blick nach vorn!

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Die Denver Prinzipien 1983

Denver Prinzipien 1983

Vom 9. bis 12. Juni 1983 traf sich in Denver eine Gruppe AIDS-Kranker (diesen Namen hatte die Krankheit die sie hatten damals allerdings noch nicht) während des Jahrestreffens der US-amerikanischen ‚National Gay and Lesbian Health Conference‘. Erstmals waren damit Aids-Kranke nicht nur Gegenstand von Diskussionen, sondern direkt selbst beteiligt.

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Politisches

Gene Sharp (1928 – 2018): Die Macht – Frage

Gene Sharp wurde am 21. Januar 1928 in North Baltimore (Ohio) geboren. Sehr bekannt ist Gene Sharp außerhalb der Politikwissenschaften nicht – sein Einfluss auch auf jüngste politische Entwicklungen allerdings ist teilweise erheblich. Gene Sharp ist einer der Väter der ‚gewaltfreien Aktion‘ als Form politischen Engagements. Sharp starb am 28. Januar 2018.

Macht ist das Ergebnis einer Übereinkunft. Ausüben von Macht setzt das stillschweigende Zustimmen der (oft ’schweigenden‘) Mehrheit voraus. Herrschaftstechniken diesen dazu, diese schweigende Zustimmung zu sichern und als ‚unausweichlich‘ aufrecht zu erhalten. Wenn aber die Beherrschten erkennen, dass sie selbst es sind, die den Herrschern die Macht (sie zu beherrschen) verliehen haben, habe sie das Werkzeug in der Hand – eine Herrschaft so zu gestalten, dass sie ihren Interessen dient.

Mittel der Wahl dazu ist die ‚gewaltfreie Aktion‘. Hierzu gehören gewaltfreier Protest und Überzeugung, soziale Nichtzusammenarbeit, Boykott- und Streikaktionen, politische Nichtzusammenarbeit sowie gewaltfreie Intervention – mit Formen, die von Flugblättern über Sit-Ins bis Straßentheater und ‚Dienst nach Vorschrift‘ reichen.

Die sind die zentralen Gedanken zweier wesentlicher Werke von Gene Sharp – ‚the politics of nonviolent action‚ (1973) und ‚from dictatorship to democracy‚ (2003).

Beide Werke gehören seit Jahren zum ’ständigen Inventar‘ zahlreicher Freiheitsbewegungen, inspirierten Blogger und Aktivisten, waren Ideengeber für zahlreiche Jugend- und Protestbewegungen, von Serbien (Otpor / Sturz Milosevics) über die Ukraine bis zu jüngsten Bewegungen in Tunesien (Sturz Ben Alis) oder Ägypten (Sturz Mubaraks). Vorbild Sharps, besonders seines wichtigsten Werks zu gewaltfreier Aktion: Mahatma Gandhi und sein Kampf für die Unabhängigkeit Indiens.

1983 gründete Gene Sharp mit finanzieller Unterstützung eines befreundeten Investmentbankers die ‚Albert Einstein Institution‘ (AEI) – viele Jahre die zentrale Organisation zur Unterstützung von Aktivisten in Freiheits- und Demokratiebewegungen in zahlreichen Staaten weltweit.

Logo der Albert Einstein Institution (Screenshot)
Logo der Albert Einstein Institution (Screenshot)

Sharp selbst beschrieb seine Arbeit in einem Interview („Sie müssen das System verstehen„, SZ 24.02.2011):

Wir greifen nie ein und geben auch keine Ratschläge. Die Leute vor Ort müssen selber wissen, was sie tun„. Er betont „was zählt, sind die Ideen, die Kenntnis, der Plan“ – und kommentiert Passivität und Desinteresse lakonisch „wenn die Bevölkerung ihre Situation nicht ändern will, … dann wird sie nicht gewinnen„.

Gene Sharp war auch – in Deutschland kaum bekannt – einer der gedanklichen Väter eines der Handlungskonzepte von ACT UP. Die Aids-Aktionsgruppen ACT UP hatte viele Handlungsfelder – die künstlerischen Auseinandersetzungen z.B. durch Gruppen wie ‚General Idea‘ sind hierzulande recht bekannt. Die medialen Aktionen vielleicht auch noch. Eine der zentralen Punkte der Arbeit von ACT UP war jedoch immer auch die Gewaltfreiheit – und die Frage, wie kann man / frau effizient gewaltfreie Aktionen machen, und wie sich auch bei Gewalt der ‚Gegenseite‘ (die häufig vor kam) gewaltfrei verhalten? Mitglieder von ACT UP Gruppen in zahlreichen Ländern (auch in Deutschland, auch ich selbst) nahmen vielfach an Trainings zur Gewaltfreiheit teil – diese Trainings basierten auch auf den Konzepten von Gene Sharp. Und sein Konzept der Gewaltfreiheit und gewaltfreien Aktion waren auch ein Teil des damaligen Erfolgskonzepts von ACT UP.

Gene Sharp starb am 28. Januar 2018 in seinem Haus in East Boston, eine Woche nach seinem 90. Geburtstag.

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weitere Informationen:
The Albert Einstein Institution
Gene Sharp: From Dictatorship to Democracy (pdf)
Gene Sharp: The Politics of Nonviolent Action
Gene Sharp: Das politische Äquivalent des Krieges – die gewaltlose Aktion
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HIV/Aids Kulturelles ondamaris Texte zu HIV & Aids

Elizabeth Taylor (1932 – 2011)

Die us-amerikanisch – britische Filmschauspielerin Elizabeth Taylor starb am 23. März 2011 in Los Angeles. Taylor engagierte sich umfassend auch gesellschaftlich und politisch, besonders bekannt wurde ihr Aids-Engagement.

Nach langer Krankheit ist die in London am 27. Februar 1932 geborene Schauspielerin Elizabeth Taylor am 23. März 2011 im Alter von 79 Jahren in Los Angeles gestorben. Aufgrund eines Herzfehlers hatte sie sich bereits seit mehreren Wochen in einem Krankenhaus aufgehalten. Taylor wurde am 24. März entsprechend traditionellen jüdischen Zeremonien auf dem Forest Lawn Memorial Park in Glendale (Kalifornien) beigesetzt worden. Sie war 1959 zum jüdischen Glauben übergetreten.

Taylor spielte in nahezu 50 Filmen und erhielt drei Oscars, zwei für ihre Filme „Telefon Butterfield 8“ (1961) und „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1967) sowie einen Ehren-Oscar 1993 für ihre humanitären Verdienste, insbesondere auch ihr Engagement für die Aids-Hilfe.

Elizabeth Taylor am 16. März 1971 (Foto: Anefo / Mieremet, R. / Dutch National Archive; Lizenz cc-by-sa 3.0)
Elizabeth Taylor am 16. März 1971 (Foto: Anefo / Mieremet, R. / Dutch National Archive; Lizenz cc-by-sa 3.0)

Elizabeth Taylor after landing at SchipholAnefo / Mieremet, R.[1] Dutch National Archives, The Hague, Fotocollectie Algemeen Nederlands Persbureau (ANEFO), 1945-1989, Nummer toegang 2.24.01.05 Bestanddeelnummer 924-3581CC BY-SA 3.0 nl

Anfang der 1980er Jahre, ganz zu Beginn der Aids-Epidemie, war Elizabeth Taylor die erste Prominente, die ihren Status dazu  nutzte, um auf die Situation der an Aids Erkrankten aufmerksam zu machen. Taylor war Vorsitzende einer der ersten großen Aids-Benefiz-Veranstaltungen der USA, des „Commitment of Life“ 1985.

Elizabeth Taylor war ebenfalls 1985 – nach dem Tod ihres Schauspiel-Kollegen und Freundes Rock Hudson an den Folgen von Aids – gemeinsam mit Dr. Mathilde Krim und einigen wenigen weiteren Ärzten und Wissenschaftlern beteiligt an der Gründung der „American Foundation for AIDS Research“ (AmfAR), die sie immer wieder unterstützte. Zudem gründete sie 1991 die „Elizabeth Taylor AIDS Foundation“ (ETAF).

Schätzungen zufolge soll Elizabeth Taylor Spenden in Höhe von über 100 Millionen US-$ für den Kampf gegen Aids eingeworben haben (1).

Christophe Martet erinnert sich in einem Nachruf auf Elizabeth Taylor an ihr Auftreten bei der Welt-Aids-Konferenz in Vancouver 1996:

„Die Dreier-Kombinationstherapie wurde gerade eingeführt. Die kanadische Regierung weigerte sich damals, diese bereit zu stellen. Taylor kommentierte dies, in der Intonation der ‚Katze auf dem heißen Blechdach‘, unter dem Applaus des Publikums mit den Worten „Ehrlich gesagt hatte ich besseres erwartet von einem reichen Industriestaat“.

Michel Sidibé, Generaldirektor von UNAIDS, bezeichnete Elizabeth Taylor in einer Presseerklärung anläßlich ihres Todes als „erste Aids-Aktivistin“:

„Elizabeth Taylor was one of the first AIDS activists and one of the first celebrities to use her influence and public persona to help educate people about HIV and remove the fear and stigma surrounding the disease.“

Elizabeth Taylor selbst begründete ihr Engagement gegen Aids früh – in Zeiten einer ignoranten Haltung gegenüber Aids durch die US-Politik unter Ronald Reagan – mit folgenden Worten:

„I have to show up because it galvanizes people. [They] know . . . I’m not there to sell or gain anything. I’m there for the same reason they are: to get something done.“

The industry knew homosexuals were being hit hard, but instead of extending a loving hand and saying, ‘You helped me get to where I am today, without you I wouldn’t have made it,’ they turned their backs. … I remember complaining, ‘Why isn’t anybody doing anything? Why isn’t anyone raising money?’ … And it struck me like lightning: ‘Wait a second, I’m not doing anything.’”

Dann wurde sie aktiv.

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POZ November 1997: Elizabeth Taylor Tells the Truth
DAH-Blog 24.03.2011: Saint Elizabeth
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(1) Von 50 Millionen US-Dollar sprechen die englischsprachigen Wikipedia sowie Websters online Dictionary. Die New York Times nennt in ihrem Nachruf vom 23.3.2011 die Summe von über 100 Millionen Dollar.

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Text 25.02.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Politisches

Die Ronald-Reagan-Strasse von Berlin (akt.)

Ronald Reagan, der 40. Präsident der USA, wäre vor einigen Tagen 100 geworden. ‚Reaganiana‘, mit monatelangen Feierlichkeiten wird dieser Anlass nicht nur in den USA begangen. Auch in Deutschland forderten Politiker, Plätze oder Straßen nach Ronald Reagan zu benennen, so in Berlin die ‚ Ronald-Reagan-Strasse ‚..

Vergessen wurde dabei gerne, dass mit Reagan eine Person geehrt werden würde, die direkt für eine ignorante und desaströse Aids-Politik und indirekt (nicht nur) für Tausende Aids-Tote verantwortlich ist (gegen die sich ACT UP mit zahlreichen Aktionen wandte).

Auch in Berlin forderte der Senat die Bezirke auf, Vorschläge für Umbenennungen einzureichen. Nun ist scheinbar ein Reagan-Fan von sich aus aktiv geworden – über Nacht verwandelten sich die Kleine Alexander- und die Weydingerstraße in „Ronald-Reagan-Straßen“:

geehrter Aids-Ignorant? Ronald-Reagan-Strasse in Berlin (12.2.2011)
geehrter Aids-Ignorant? Ronald-Reagan-Straße in Berlin (12.2.2011; Foto: Andreas Günther)

Aus dem Vorschlag der CDU Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, den Joachimsthaler Platz am Ku’damm (und nahe zur Berliner Aids-Hilfe …) in ‚Ronald-Reagan-Platz‘ umzubenennen, wird hoffentlich nichts. Die SPD-Fraktion jedenfalls wird gegen den Vorschlag stimmen, teilte der Fraktionsvorsitzende auf Anfrage mit.

Und auch die partisanenhafte ‚Ronald-Reagan-Straße‘ in Berlin Mitte ist hoffentlich nur eine sehr vorübergehende Erscheinung.

Die ‚BZ‘ betont „die Polizei ermittelt nicht.“
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Jetzt hat’s die BZ auch entdeckt: Spaß-Aktion: Volksbühne jetzt am Ronald-Reagan-Platz
und der Tagesspiegel einen Tag später: Pro & Contra – Braucht Berlin einen zentralen Platz für Reagan?
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Danke an Andreas für Hinweis und Foto!

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Larry Kramer: Aids eine Pest, die bewusst zugelassen wurde

Aids ist die neue Pest – und die Verantwortlichen haben sie bewusst zugelassen, beschönigen und belügen uns. Mit starken Worten kritisiert US-Autor und Aids-Aktivist Larry Kramer die Situation 30 Jahre nach Beginn der Aids-Krise.

„Ich möchte dein Herz brechen – aber ich befürchte, nach dem Lesen werden mehr Menschen sauer auf mich sein als mir zustimmen.“ So beginnt der Autor, Gründer von ACT UP und langjährige US- Aids-Aktivist Larry Kramer einen Kommentar auf den Internetseiten des US-Nachrichtensenders CNN.

Kramer beschreibt in seinem Kommentar zehn „Realitäten“:
1. Aids sei in jeder Hinsicht eine Pest, eine Plage – nur traue niemand sich, dies auch auszusprechen.
2. Zu viele Menschen empfänden explizit Hass gegen diejenigen, die von Aids am meisten betroffen seien: Schwule und Farbige.
3. Ebenso würden zwei Bevölkerungsgruppen als geradezu entbehrlich betrachtet: Menschen, die nicht Sex haben auf die gleich Weise wie sie [die Mächtigen], und Menschen die Drogen nehmen um eine Welt besser aushalten zu können, die sie als elend empfinden.
4. Aids hätte nicht zu einer Plage werden müssen – es wurde aber hingenommen, dass dies geschieht.
5. Aids ist eine Plage, die nicht verschwinden wird. Sie wird schlimmer.
6. Es gebe keine Heilung, und die zur Erforschung einer Heilung eingesetzten Mittel  seien äußerst gering – bezeichnend für ein Land und eine Welt, die diese Plage nicht beenden wollten.
7.Es gebe keinen Anreiz für Pharmaunternehmen, eine Heilung zu finden – sie verdienten Milliarden mit Medikamenten zu stark überhöhten Preisen, die HIV-Infizierte nehmen müssen. Medikamente, die uns (so Kramer) nur am Leben lassen, aber gerade noch infiziert genug, um möglicherweise andere zu infizieren.
8.  Alle Präventionskampagnen bisher seien „zu dumm, nutzlos, feige“ um irgend etwas zu bewirken.
9. Weder in den USA noch sonst irgendwo auf der Welt gebe es unter den Verantwortlichen jemanden Nützliches, und dieser Mangel an anständigen, verantwortungsvollen und humane Führern bestehe seit Beginn der Epidemie 1981. Diejenigen in Verantwortung belügen uns (nach Kramers Ansicht); er betrachte sie als Mördern gleich.
10. Inzwischen sei einer von fünf schwulen Männern in den USA HIV-positiv, und über 50% davon wüssten es nicht. So wie sich die Situation entwickele, könnten bald alle Schwulen der USA HIV-positiv sein – und einer Reihe von Menschen würde dies gefallen.

Trotz all dieser erschreckenden Fakten und Aussagen – niemand rege sich auf. Die Herrschenden belügen uns wenn sie behaupten, die HIV-Epidemie sei unter Kontrolle,  allerdings sei HIV zu kompliziert, um es auszurotten.

Wir sollten ihnen, so Kramer, nicht glauben, aus einer Vielzahl von Gründen (die er einzeln benennt, von fehlenden Heirats- und Adoptions-Rechten bis fehlender Chancengleichheit).

Die Aids-Plage finde jetzt statt. Dieser Plage wurde es absichtlich erlaubt stattzufinden. Der Hass finde immer wieder erneut einen Weg.

Bei einigen US- Aids-Aktivisten stößt Kramers Kommentar auf Zustimmung. So kommentierte Eric Sawyer, endlich spreche mal jemand die Wahrheit aus. Andere wiesen darauf hin, dass Kramer Themen außer acht gelassen habe, wie die Kriminalisierung HIV-Positiver.

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Larry Kramer ist u.a. auch der Gründer von ACT UP. In Deutschland und (bis auf die Ausnahme Paris) Europa ist ACT UP inzwischen kaum mehr als ein Mythos. Anders in den USA – hier ist der Geist, die Grundhaltung, die ACT UP zugrunde lag, wach – auch und vor allem immer wieder in mahnenden Worten Larry Kramers.

Larry Kramer ist bekannt dafür, oft sehr deutliche Worte zu finden. Ihm wird gelegentlich der Vorwurf gemacht, über das Ziel hinaus zu schießen. Und er hat nach Ansicht einiger Kritiker auch aus dem Aids-Bereich manchmal eine eigenwillige, verzerrte Sichtweise oder Perspektive auf Sachverhalte.

So scheint Kramer (wie viele US-Aktivisten) das EKAF-Statement und seine Bedeutung weiterhin außer Acht zu lassen. Und er geht implizit von der Situation in den USA aus – nicht alle Präventions-Kampagnen in Europa erscheinen als „zu dumm, nutzlos, feige“. Hinzu kommt, Kramer argumentiert vor dem Hintergrund einer Situation in den USA, die aufgeheizt ist und differenzierte Debatten nicht befördert (ein kurzes Stöbern in den Kommentaren unter dem CNN-Kommentar gibt einen lebhaften Eindruck).

Doch all die womöglich berechtigte Kritik an Kramers Argumentation und besonders Art, sie zu präsentieren ändert nichts daran:

Kramer wirft wichtige Fragen auf, weist auf Tabus und nicht thematisierte Probleme hin – von der schwierigen Rolle und dem problematischen Verhalten der Pharmaindustrie über das Schweigen vieler Schwulen (-organisationen) bis zum Schwiegen oder Versagen vieler Politiker.

Normalisierung? Weit gefehlt – auch dies sagt Kramers ‚Weckruf‘.

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Text 15. April 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten Kulturelles

Take the A Train – Billy Strayhorn, offen schwuler Jazzer

Am 31. Mai 1967 starb in New York der Pianist, Arrangeur und Komponist Billy Strayhorn. Strayhorn, Schöpfer unvergessener Stücke wie ‚Take the A Train“, war einer der bedeutendsten Jazz-Arrangeure – und lebte in den USA der 30er und 40er Jahre offen schwul.

Am 29. November 1915 in Dayton (Ohio) als William Thomas Strayhorn geboren, wuchs Billy Strayhorn zunächst in der Nähe von Pittsburgh auf. Seine Großmutter, selbst Pianistin für den örtlichen Kirchenchor, unterstützte sein frühes Interesse für Musik, doch erhielt er -auch aufgrund seiner Hautfarbe- in seiner Kindheit kaum  musikalische Ausbildung.

Anfang der 1930er Jahre begeisterte er sich für Jazz, begann mit eigenen Kompositionen, bildete 1937 eine eigene Band. 1938 lernte er Duke Ellington kennen, damals bereits ein erfolgreicher Bandleader. Am 2. Dezember 1938 durfte Strayhorn Ellington vorspielen. Ellington nahm in in seine Band auf – und in sein Haus in Harlem, Strayhorn wurde Mitglied der ‚Ellington Family‘.

Billy Strayhorn am 14. August 1958 (Foto: Carl Van Vechten / wikimedia)
Billy Strayhorn am 14. August 1958 (Foto: Carl Van Vechten / public domain)

Portrait of Billy Strayhorn – Carl Van Vechten Photographs – Public Domain

Von 1939 an bis zu seinem Tod war Billy Strayhorn Mitglied des Orchesters von Duke Ellinton. Er schuf dabei zahlreiche unvergessliche Stücke, unter anderem „Take the A Train“ (das von Strayhorn, nicht wie oft angenommen Ellington stammt).

Zu ‚Take the A Train“ gibt es eine nette Geschichte zur Entstehung des Titels: Nachdem Strayhorn nach einer Matinee-Show in Pittsburgh bei Ellington vorspielen durfte, reiste Ellington mit seinem Orchester wieder ab. Er versprach sich zu melden. Doch Strayhorn war ungeduldig – und reiste nach einem Monat selbst nach New York. Er suchte Ellington, der ihm eine Notiz hinterlassen hatte, wie er in New York zu finden sei: ‚Nehmen Sie U-Bahn-Linie A‘ – Take the A Train. Strayhorn tauchte unangemeldet bei Ellington auf, im Gepäck als Gastgeschenk eine Komposition – eben jenes ‚Take the A Train‘, das bald zur Erkennungsmelodie des Duke Ellington Orchesters werden sollte. Strayhorn selbst wurde aufgenommen – in Orchester und Familie.

Strayhorn selbst wohnte nur ein Jahr in Ellingtons Haus, zog schon 1939 mit seinem Freund, dem Musiker Aaron Bridgers zusammen. Ihre offen schwule Beziehung war bald in der ganzen farbigen Musik-Szene bekannt.

Für Ellington war Strayhorn zeitlebens mehr als „nur“ Musiker und Orchester-Mitglied. Beide verband eine sehr innige Freundschaft, die Ellingtons Enkelin einmal mit „ich glaube es war eine Form von Liebe“ beschrieb.

Strayhorn blieb bewusst immer eher im Hintergrund – und ist so bis heute zwar einer der wichtigsten, aber auch einer der unbekanntesten ‚Größen‘ des Bigband-Jazz.

1964 wurde bei ihm Speiseröhren-Krebs diagnostiziert. Am 31. Mai 1967 starb Billy Strayhorn im Alter von nur 59 Jahren in New York.

Billy Strayhorn – ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Mann. Ein zurückhaltender und in seiner Bedeutung nicht zu überschätzender Jazz-Musiker, und ein Mann, der als Farbiger offen schwul lebte, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in einer Zeit und Gesellschaft, in der dies alles andere als ’normal‘ war …

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